Eine persönliche Bestandsaufnahme meiner 36-jährigen Lebenserfahrung
Im folgenden Leitartikel führt Napoleon Hill die seiner Ansicht nach wichtigsten Lehren an, die er von frühester Kindheit bis zur Gegenwart erfahren hat.
O
ft habe ich Menschen sagen hören: »Wenn ich noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich alles anders machen!« Ich für meinen Teil kann nicht behaupten, dass ich an meinem Leben etwas ändern würde, wenn ich es noch einmal leben könnte. Das soll nicht heißen, ich hätte keine Fehler gemacht. Mir scheint, ich habe sogar mehr Fehler gemacht als der Durchschnittsmensch. Doch aus diesen Fehlern kam eine Erleuchtung, die mir wahres Glück und jede Menge Gelegenheiten eintrug, auch anderen zu diesem so heiß ersehnten Gemütszustand zu verhelfen
.
Mit jedem Lebensjahr wächst meine Überzeugung, dass es Verschwendung von Lebenszeit ist, Liebe nicht zu schenken, Einfluss nicht zu nutzen, selbstsüchtig Vorsicht walten zu lassen, um nur ja nichts zu riskieren, und sich dadurch nicht nur vor schmerzlichen Erlebnissen zu drücken, sondern auch das Glück zu verpassen.
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir aus jedem Misserfolg viel lernen können, und dass sogenannte Fehlschläge die Voraussetzung dafür sind, dass sich nennenswerte Erfolge einstellen. Mir ist absolut klar, dass es zum Plan der Natur gehört, Menschen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, und dass Bildung nicht in erster Linie durch Bücher oder Lehrer vermittelt wird, sondern durch das beständige Streben danach, diese Hindernisse zu überwinden. Ich bin mir sicher, dass die Natur Menschen Steine in den Weg legt wie ein Trainer, der die Hürden und Hindernisse für ein Pferd so hoch hängt, dass es immer höher springt.
Heute habe ich Geburtstag, und den will ich feiern, indem ich den Lesern des kleinen, braun eingebundenen Heftes ein paar der Lektionen, die mich meine Fehlschläge gelehrt haben, genau schildere. Fangen wir gleich mit meinem Lieblingsthema an – der Überzeugung, dass man nur dann wahres Glück erfahren kann, wenn man andere glücklich macht.
Vielleicht ist es ja nur ein Zufall, dass im Grunde 25 meiner 36 bisherigen Lebensjahre ausgesprochen unglücklich waren und ich erst an dem Tag Glück verspürte, als ich begann, anderen zum Glück zu verhelfen. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube, es ist viel mehr als ein Zufall – meiner Überzeugung nach entspricht es genau dem Gesetz des Universums.
Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass ein Mensch, der Leid sät, nicht erwarten kann, Glück zu ernten – genauso wenig wie jemand Disteln säen und erwarten kann, dass Weizen wächst. Aus
vielen Jahren sorgfältiger Studien und Analysen weiß ich Eines gewiss: Man erhält immer genau das zurück, was man gibt –
und zwar doppelt und dreifach, ganz gleich, ob es sich um einen flüchtigen Gedanken oder um eine konkrete Tat handelt.
Aus materieller, wirtschaftlicher Sicht gehört zu den Grundwahrheiten, die sich mir erschlossen haben, dass es sich reichlich auszahlt, mehr und bessere Leistungen zu bringen, als die, für die man bezahlt wird – denn es ist ganz sicher nur eine Frage der Zeit, bis man für mehr bezahlt wird, als man leistet. Diese Gewohnheit, sich jeder Aufgabe mit Hingabe zu widmen, ganz gleich, wie sie bezahlt wird, bringt einen auf dem Weg zu materiellem, finanziellem Erfolg weiter als jeder andere Aspekt, den ich erwähnen könnte.
Beinahe genauso wichtig ist es aber, grundsätzlich zu vergeben und zu vergessen, wenn uns unsere Mitmenschen Unrecht tun. Das gewohnheitsmäßige »Revanchieren« bei anderen, die uns Ärger bereiten, ist eine Schwäche, die nur denjenigen abwertet und schädigt, der ihr nachgibt. Eines weiß ich sicher: Keine Lektion hat mich so viel gekostet wie jene, die ich lernte, indem ich stets mein »Pfund Fleisch« einforderte und es quasi als meine Pflicht ansah, anderen jede Beleidigung und jede Ungerechtigkeit heimzuzahlen.
Ich bin felsenfest überzeugt, dass Selbstbeherrschung
zum Wichtigsten gehört, was ein Mensch erlernen kann. Niemand kann größeren Einfluss auf andere ausüben, solange er sich nicht selbst unter Kontrolle hat. Besonders aufschlussreich erscheint mir das im Hinblick darauf, dass die meisten großen Führungspersönlichkeiten der Welt Menschen waren, die sich nur schwer aus der Ruhe bringen ließen. Die größte Leitfigur aller Zeiten, die uns die wichtigste Philosophie der Welt, die in der Goldenen Regel verewigt ist, vermittelt hat, war ein Mann, der Toleranz und Selbstbeherrschung
verkörpert hat
.
»Ich habe nie etwas erreicht ohne harte Arbeit, Entscheidungen nach bestem Wissen, sorgfältige Planung und Vorbereitung von langer Hand. Ich musste nicht nur meinen Körper mühevoll und bis über die Schmerzgrenze trainieren, sondern auch meine Seele und meinen Geist.«
– Theodore Roosevelt
Nach meiner Überzeugung ist es ein verhängnisvoller Fehler, davon auszugehen, auf den eigenen Schultern liege die Last, die Welt »umzugestalten« oder die natürliche Verhaltensordnung der Menschen zu verändern. Ich bin sicher, dass die ureigenen Pläne der Natur recht schnell greifen, ohne dass sich Menschen einmischen, die sich anmaßen, ihr auf die Sprünge zu helfen oder sie von ihrem Kurs abzubringen. Solche Anmaßung bringt nur Streit, Meinungsverschiedenheiten und böses Blut.
Ich habe zumindest zu meiner persönlichen Genugtuung gelernt, dass ein Mensch, der andere aufhetzt und Unfrieden stiftet, ganz gleich, aus welchem Grund, keinen wirklich konstruktiven Zweck im Leben erfüllt. Es zahlt sich grundsätzlich besser aus, zu fördern und aufzubauen, als zu bremsen und einzureißen.
Seit ich diese Zeitschrift veröffentliche, lebe ich nach dem Grundsatz, meine Zeit und die Leitartikelseiten Themen zu widmen, die konstruktiv sind, und alles Destruktive mit Nichtachtung zu strafen. Nichts, was ich in meinen bisherigen 36 Lebensjahren angefangen habe, hat mir so viel Erfolg und wahres Glück gebracht wie meine Arbeit an diesem Heft. Praktisch vom ersten Tag an, an dem die erste Ausgabe in den Kiosken lag, waren meine Bemühungen von größerem Erfolg gekrönt, als ich es mir je erhofft hatte. Damit meine ich nicht unbedingt finanziellen Erfolg, sondern den
höheren, subtileren Erfolg, der sich in dem Glück manifestiert, das diese Zeitschrift anderen gebracht hat.
Aus langjähriger Erfahrung weiß ich, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, wenn man sich von Bemerkungen feindlich gesonnener oder vorurteilsbehafteter Personen gegen einen Menschen beeinflussen lässt. Man darf sich erst dann als selbstbeherrscht
und klar denkend bezeichnen, wenn man gelernt hat, sich selbst eine Meinung über andere zu bilden – nicht aufgrund der Ansicht eines Dritten, sondern weil man es besser weiß. Eine der schädlichsten, destruktivsten Angewohnheiten, die ich ablegen musste, war, mich von voreingenommenen, vorurteilsbehafteten Menschen gegen andere aufbringen zu lassen.
Ein weiterer großer, geradezu verhängnisvoller Fehler ist, wie ich aus wiederholter eigener Erfahrung gelernt habe, schlecht über andere zu sprechen – ob mit
oder ohne
Grund. Die persönliche Entwicklung aufgrund eigener Fehler, die mir die größte echte Genugtuung gebracht hat, ist in dem Wissen geschehen, dass ich einigermaßen zuverlässig gelernt hatte, meinen Mund zu halten, wenn ich nichts Nettes über andere zu sagen wusste.
Diese angeborene menschliche Neigung, »sich den Mund über seine Gegner zu zerreißen«, habe ich aber erst zu beherrschen gelernt, nachdem ich das Gesetz der Vergeltung begriffen hatte. Demzufolge erntet jeder, was er sät – ob mit Worten oder mit Taten. Ich kann mich dieser Tendenz noch längst nicht immer entziehen, doch zumindest habe ich im Kampf dagegen einen guten Anfang gemacht.
Meiner Erfahrung nach sind die meisten Menschen von Natur aus ehrlich. Solche, die wir gewöhnlich als unehrlich bezeichnen, sind oft Opfer ihrer Umstände, auf die sie nicht immer Einfluss haben. Bei der Herausgabe dieser Zeitschrift war es für mich von
großem Vorteil, zu wissen, dass Menschen von Natur aus dazu neigen, dem Ruf gerecht zu werden, der ihnen vorauseilt.
Meiner Überzeugung nach sollte jeder im Leben mindestens einmal die schmerzliche, doch wertvolle Erfahrung machen, wie es ist, von der Presse attackiert zu werden und sein Vermögen zu verlieren. Denn wenn es hart auf hart kommt, erkennt man seine wahren Freunde. Freunde stehen dann zu Ihnen, die »Heuchler« gehen in Deckung.
Neben anderen interessanten Erkenntnissen über das Wesen der Menschen habe ich erfahren, dass man andere zutreffend danach beurteilen kann, welche Menschen sie anziehen. Die alte Redensart »Gleich und gleich gesellt sich gern« ist eine solide Philosophie. Im gesamten Universum sorgt dieses Gesetz der Anziehung, wie man es auch nennen könnte, laufend dafür, dass Ähnliches zusammenfindet. Ein fähiger Detektiv hat mir einmal erzählt, er richte sich bei der Verfolgung von Kriminellen und Gesetzesbrechern hauptsächlich nach dem Gesetz der Anziehung.
Meiner Erfahrung nach muss ein Mensch, der im öffentlichen Dienst stehen will, bereit sein, viel aufzugeben und Beschimpfungen und Kritik auszuhalten, ohne den Glauben an und die Achtung vor seinen Mitmenschen zu verlieren. Man findet im öffentlichen Dienst kaum jemanden, dessen Motive nicht von genau den Menschen infrage gestellt werden, die am meisten von seiner Arbeit profitieren.
Der Mensch, welcher der Welt den größten Dienst aller Zeiten erwiesen hat, zog sich nicht nur den Unmut vieler seiner Zeitgenossen zu – ein Unmut, der sich bis heute vererbt zu haben scheint –, sondern verlor dabei sogar sein Leben. Man nagelte ihn ans Kreuz, stach ihm eine Lanze in die Seite und folterte ihn, indem man ihm ins Gesicht spuckte, während langsam das Leben aus ihm wich. Er war ein großartiges Vorbild mit seinen letzten Worten, die wohl folgendermaßen lauteten: »Vergib ihnen, Vater, denn sie wissen nicht, was sie tun.
«
Wenn mir vor Wut über das Fehlverhalten anderer das Blut in den Kopf steigt, finde ich Trost in der Tapferkeit und Geduld, mit welcher der große Philosoph seine Folterknechte betrachtete, während sie ihn langsam zu Tode quälten – obwohl er sich nichts anders hatte zu Schulden kommen lassen, als zu versuchen, andere glücklich zu machen.
Meiner Erfahrung nach schaffen es Menschen, die der Welt vorwerfen, sie hätten nie eine Chance gehabt, in ihrem gewählten Metier erfolgreich zu sein, statt die Schuld bei sich selbst zu suchen, selten in das Who’s Who.
Erfolgschancen muss sich jeder selbst verschaffen. Wer nicht eine gewisse Bereitschaft mitbringt, zu kämpfen, der wird auf dieser Welt nicht viel erreichen – und auch nichts besitzen, was bei anderen hoch im Kurs steht. Ohne Kampfgeist verfällt ein Mensch leicht in Armut, Elend und Misserfolg. Um das Gegenteil zu erreichen, muss er bereit sein, für seine Rechte
einzutreten. Die Betonung liegt dabei wohlgemerkt auf seinen »Rechten«! Und die einzigen »Rechte«, auf die ein Mensch Anspruch hat, sind jene, die er sich durch erbrachte Leistungen erwirbt.
Vielleicht sollten wir uns gelegentlich ins Gedächtnis rufen, dass diese »Rechte« ihrem Wesen nach genau den erbrachten Leistungen entsprechen.
Aus Erfahrung weiß ich, dass es für ein Kind keine größere Belastung beziehungsweise keinen schlimmeren Fluch gibt als den bedingungslosen Zugang zu Reichtum. Wer sich näher mit der Geschichte auseinandersetzt, wird feststellen, dass die meisten Menschen, die für die Gesellschaft und die Menschheit Großes vollbracht haben, aus der Armut aufgestiegen sind.
Die ultimative Feuerprobe für einen Menschen besteht meiner Ansicht nach darin, ihm grenzenlosen Reichtum zur Verfügung zu stellen. Reichtum, der den Anreiz nimmt, konstruktive, nützliche Arbeit zu leisten, ist ein Fluch für alle, die ihn auf diese Weise nutzen.
Der Mensch sollte sich nicht vor der Armut in Acht nehmen –, sondern sollte sich viel mehr vor Reichtum und der damit verbundenen Macht, im Guten wie im Bösen, hüten.
Persönlich betrachte ich es als großes Glück, dass ich in Armut hineingeboren wurde. In späteren Jahren hatte ich viel mit wohlhabenden Menschen zu tun und kann daher gut beurteilen, welchen Effekt diese beiden gegensätzlichen Positionen haben. Ich weiß, dass ich mir keine größeren Sorgen um mich machen muss, solange mich die täglichen Notwendigkeiten des Lebens in Anspruch nehmen. Sollte ich aber zu großem Reichtum gelangen, müsste ich gut aufpassen, dass ich dadurch nicht aufhöre, mich für meine Mitmenschen einzusetzen.
Meiner Erfahrung nach kann jeder normale Mensch mithilfe seines Geistes alles Erdenkliche erreichen. Und die größte Leistung des menschlichen Geistes ist die Vorstellungskraft
. Das sogenannte Genie ist nur ein Mensch, der sich mit seiner Fantasie etwas Konkretes ausgedacht und diese Vision dann durch körperlichen Einsatz verwirklicht hat.
»Der Mensch fühlt sich gehoben und fröhlich, wenn er sein Herz in ein Werk gethan und sein Bestes gegeben hat; aber was er anders gesagt und gethan, gewährt ihm keinen Frieden.«
Das alles und noch etwas mehr habe ich den vergangenen 36 Jahren gelernt. Doch das Wichtigste ist die uralte Wahrheit, die uns sämtliche Philosophen aller Zeiten verraten: dass Glück
nicht im
Besitz liegt, sondern im Dienst an anderen. Und diese Wahrheit weiß nur zu würdigen, wer sie für sich selbst entdeckt hat.
Vielleicht könnte ich auf vielerlei Art größeres Glück finden, als es mir die Arbeit bringt, die ich in die Herausgabe dieses Heftchens stecke, doch offen gestanden weiß ich nicht, wie – und rechne auch nicht damit, es herauszufinden. Ich könnte mir nur eine Sache vorstellen, die mich noch glücklicher machen würde, als ich es jetzt bin: Wenn ich mit meinem kleinen Boten in seinem braunen Umschlag einer noch größeren Zahl von Menschen dienen könnte, indem ich ihnen ein gutes Lebensgefühl und Begeisterung vermittle.
Vor ein paar Wochen habe ich den wohl glücklichsten Moment meines Lebens erlebt, als ich in einem Laden in Dallas, Texas, eine Kleinigkeit einkaufte. Der junge Mann, der mich bediente, war ein umgänglicher, gesprächiger, mitdenkender junger Mensch. Er erzählte mir alles über die geschäftlichen Abläufe – ermöglichte mir quasi einen Blick hinter die »Kulissen« – und erklärte mir am Ende, dass sein Chef an jenem Tag alle Mitarbeiter sehr glücklich gemacht habe, weil er ihnen einen Golden Rule Psychology Club und ein Abo von Hill’s Golden Rule Magazine
versprochen habe – auf Firmenkosten. (Und nein, er wusste nicht, wer ich war.)
Das interessierte mich natürlich. Also fragte ich ihn, wer dieser Napoleon Hill sei, vom dem er sprach. Er sah mich ungläubig an und entgegnete: »Soll das heißen, Sie haben noch nie von Napoleon Hill gehört?« Da räumte ich ein, dass mir der Name bekannt vorkomme. Dennoch fragte ich nach, was seinen Chef wohl dazu veranlasst habe, allen seinen Mitarbeitern ein Jahresabonnement von Hill’s Golden Rule
zu schenken. Darauf er: »Weil eine einzige Monatsausgabe aus dem griesgrämigsten Mann, den man sich vorstellen kann, einen der nettesten Menschen in der ganzen Firma gemacht hat. Da sagte mein Chef, wenn so etwas möglich sei, sollten wir das alle lesen.
«
Ich schüttelte dem jungen Mann nicht nur deshalb begeistert die Hand und verriet ihm, wer ich war, weil er meinem Ego geschmeichelt hatte, sondern auch, weil er mich zutiefst berührt hatte. So empfindet jeder Mensch, der merkt, dass seine Arbeit andere glücklich macht. Dieses Glück ist es, das der allgemeinen menschlichen Neigung zur Selbstsucht entgegenwirkt und zu unserer Entwicklung beiträgt, indem es uns zwischen animalischen Instinkten und menschlicher Intuition entscheiden lässt.
Ich habe stets den Standpunkt vertreten, dass der Mensch Selbstbewusstsein entwickeln und für sich selbst die beste Werbung sein sollte. Dass ich auch selbst praktiziere, was ich predige, möchte ich in diesem Zusammenhang durch die folgende kühne Behauptung belegen: Hätte ich ein so großes Publikum wie die Saturday Evening Post
, um ihm monatlich mit meinem Heftchen zu dienen, könnte ich in den nächsten fünf Jahren mehr bewirken, um die Massen dazu zu bewegen, miteinander auf Basis der Goldenen Regel umzugehen, als alle anderen Zeitungen und Zeitschriften zusammen in den letzten zehn Jahren.
»Die gewaltige neu entdeckte industrielle und politische Macht, die die Arbeiter erlangt haben, kann verpuffen, wenn sie unnötige Unterbrechungen und Streiks ohne Sinn und Verstand durchführen. Wollen sich die Arbeitnehmer je als beherrschende Kraft im Land verstehen, müssen sie aufhören, sich wie bisher selbst als klassenzugehörig zu betrachten.«
– Clynes, englischer Gewerkschaftsführer
Die vorliegende Dezemberausgabe von Golden Rule
beschließt unser erstes Jahr. Ich weiß, es wird nicht als leere Prahlerei gelten, wenn ich meinen Lesern sage, dass die Saat, die ich über diese
Seiten in den vergangenen zwölf Monaten ausgebracht habe, in den gesamten Vereinigten Staaten, in Kanada und verschiedenen anderen Ländern aufgehen und gedeihen wird. Außerdem haben manche der größten Philosophen, Lehrer, Prediger und Geschäftsleute unserer Zeit uns nicht nur von Herzen ihre moralische Unterstützung zugesichert, sondern sich sogar engagiert und für uns Abonnenten geworben, um den Geist des guten Willen zu verbreiten, den wir predigen. Kein Wunder also, dass ich als bescheidener Herausgeber zufrieden bin.
Es gibt Menschen, die nach 36 Jahren Lebenserfahrung mit weit mehr weltlichem Reichtum aufwarten können als ich, doch ich scheue keinen Vergleich, wenn es darum geht, welch große Erfüllung ich infolge meiner Arbeit empfinde. Es mag natürlich nicht viel bedeuten, doch für mich persönlich ist es wichtig, dass ich nie so großes und tief empfundenes Glück verspürt habe wie als Herausgeber dieser Zeitschrift.
»Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.
« Ja, das steht in der Bibel, und es ist eine grundsolide Philosophie, die immer funktioniert. Davon bin ich meiner persönlichen Erfahrung nach absolut überzeugt.
Als ich vor rund 15 Jahren zum ersten Mal auf den Gedanken kam, eine Zeitschrift zu besitzen und herauszugeben, hatte ich vor, mich damit auf alles zu stürzen, was mir missfiel, und es in der Luft zu zerreißen. Die Schicksalsgötter müssen mir hold gewesen sein, da sie mich von diesem Plan abgehalten haben, denn alles, was ich in meinen 36 Lebensjahren gelernt habe, spricht voll und ganz für die Philosophie aus vorstehendem Bibelzitat.
Eine große Leitfigur oder eine wirklich einflussreiche Persönlichkeit in Sachen Gerechtigkeit kann nur werden, wer ausgeprägte Selbstbeherrschung
beweist. Bevor man seinen Mitmenschen nützliche Dienste leisten kann, muss man der verbreiteten menschlichen
Neigung zu Zorn, Intoleranz und Zynismus Herr werden. Erlauben Sie anderen, Ihren Zorn zu erregen, dann lassen Sie sich von diesen Menschen beherrschen und auf ihr Niveau herunterziehen. Um Selbstbeherrschung
zu entwickeln, müssen Sie die Philosophie der Goldenen Regel freimütig und systematisch einsetzen. Sie müssen Nachsicht mit allen üben, die Sie ärgern oder ihren Zorn erregen.
Intoleranz und Eigensucht sind schlecht mit Selbstbeherrschung vereinbar. Diese Eigenschaften widersprechen einander und sorgen für Konfliktstoff. Es geht nur das eine oder das andere.
Ein cleverer Anwalt, der einen Zeugen ins Kreuzverhör nimmt, versucht meist als Erstes, den Zeugen zu provozieren, damit dieser wütend wird und seine Selbstbeherrschung verliert. Wut ist Wahnsinn!
Ein ausgeglichener Mensch ist einer, der schwer zu reizen ist, immer gelassen bleibt und mit Bedacht vorgeht. Er bleibt in jeder Situation ruhig und überlegt. So jemand kann jedes legitime Vorhaben erfolgreich vollbringen. Um Herr der Lage zu bleiben, müssen Sie sich zunächst selbst beherrschen. Ein besonders selbstbeherrschter
Mensch spricht nie schlecht über andere. Er will aufbauen, nicht einreißen. Sind Sie selbstbeherrscht
? Falls nicht, sollten Sie sich diese Tugend unbedingt aneignen.