KAPITEL 15

Iatrogene Krankheiten überlisten

(ODER NICHT AN ÄRZTEN STERBEN)

Wie sagt das Sprichwort so schön? Vorsicht ist besser als Nachsicht. Leuchtet ein, aber müssen wir wirklich so vorsichtig sein? Warum überhaupt die Ernährungs- und Lebensweise ändern, wenn es doch die moderne Medizin gibt, die uns wieder auf die Beine bringt?

Leider ist die moderne Medizin nicht annähernd so effektiv, wie viele Menschen glauben möchten.1 Ärzte sind Experten darin, akute Probleme zu behandeln, wie z. B. gebrochene Knochen zu richten oder Infektionen zu heilen. Wenn es aber um chronische Krankheiten geht, die heutzutage die Hauptursachen für Tod und Invalidität sind, hat die Schulmedizin nicht viele Lösungen parat und kann mitunter sogar mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken.

Die Nebenwirkungen von Medikamenten, die in Krankenhäusern verabreicht werden, töten in den USA jedes Jahr schätzungsweise 106.000 Menschen.2 Diese Statistik allein macht die medizinische Versorgung praktisch zur Todesursache Nummer 6 in den USA. Diese Zahl spiegelt zudem nur die Anzahl der Tode wider, die durch eine vorschriftsmäßige Einnahme der Medikamente verursacht wurden. Zusätzliche 7.000 US-Amerikaner sterben jedes Jahr, weil sie durch ein Versehen das falsche Medikament bekommen haben, und 20.000 an anderen Krankenhausfehlern.3 Krankenhäuser sind gefährliche Orte, und zwar auch ohne die geschätzten 90.000 Todesfälle, die in den USA jedes Jahr durch Infektionen verursacht werden, mit denen sich die Betroffenen in Krankenhäusern ansteckten.4 Aber können durch Infektionen verursachte Tode den Ärzten angelastet werden? Ja, wenn sich die Ärzte nicht die Hände waschen. Wir wissen seit den 1840er-Jahren, dass das Händewaschen der sicherste Weg dafür ist, um Krankenhausinfektionen vorzubeugen. Dennoch hält sich das medizinische Personal nur zu knapp über 50 Prozent daran. Ärzte gehören dabei zu den schlimmsten Sündern.5 Eine Untersuchung fand heraus, dass sogar auf Intensivstationen ein Schild mit der Aufschrift „Kontaktschutzmaßnahmen“ (Hinweis auf ein besonders hohes Infektionsrisiko) nur weniger als ein Viertel aller Ärzte dazu bringt, ihre Hände zu waschen oder ein Handdesinfektionsmittel zu benutzen, wenn sie ihre Patienten behandeln.6 Richtig gelesen. Nicht einmal einer von vier Ärzten wusch seine Hände, bevor er (oder sie) damit die nächsten Patienten untersuchte. Viele Ärzte haben bereits die Sorge, dass, wenn hinlänglich bekannt würde, wie viele Menschen versehentlich von Ärzten jedes Jahr getötet werden, „das Vertrauen der Bevölkerung untergraben“7 werden könnte. Doch wenn es Ärzten schon zu viel ist, sich die Hände zu waschen, wie viel Vertrauen kann man da erwarten?

Diese bedauerliche (und ekelhafte!) Situation bedeutet, dass Sie für eine einfache Operation ins Krankenhaus eingeliefert werden und mit einer lebensbedrohlichen Infektion wieder herauskommen könnten – wenn Sie überhaupt wieder lebend herauskommen. Jedes Jahr sterben 12.000 Menschen in den USA aufgrund von Komplikationen bei Operationen, die zunächst gar nicht notwendig waren. Wer mitgerechnet hat, kommt jetzt auf 200.000 Todesfälle pro Jahr allein in den USA, die sogenannten iatrogenen Ursachen (von altgriechisch iatrós, Arzt) zugeschrieben werden. Und diese Zahl basiert nur auf den Daten der in Krankenhäuser eingewiesenen Patienten. Im ambulanten Rahmen, also z. B. im Behandlungszimmer Ihres Arztes, können die Nebenwirkungen verschriebener Medikamente zu etwa 199.000 zusätzlichen jährlichen Todesfällen allein in den USA führen.8

Das Institute of Medicine schätzt, dass Behandlungsfehler sogar noch mehr US-Amerikaner töten, sprich bis zu 98.000,9 was die jährliche Gesamtzahl auf fast 300.000 Todesfälle erhöht. Das ist mehr als die Gesamtbevölkerung von Städten wie Münster, Karlsruhe oder Mannheim. Auch wenn zurückhaltendere Schätzungen von Todesfällen aufgrund von Behandlungsfehlern zugrunde gelegt werden, bringt es die medizinische Versorgung immer noch auf den tatsächlichen dritten Platz unter den häufigsten Todesursachen in den USA.10 Wie reagiert die Ärzteschaft auf ein solch vernichtendes Urteil?

Mit eisigem Schweigen, sowohl was Worte als auch Taten betrifft.11 Der erste Bericht, der bereits 1978 zu diesem Thema erschien, legte nahe, dass etwa 120.000 Todesfälle in Krankenhäusern vermieden werden könnten.12 Sechzehn Jahre später erschien ein weiterer vernichtender Artikel im Journal of the American Medical Association, der erklärte, dass die iatrogene Todesrate etwa dem „Äquivalent von drei Jumbojet-Abstürzen alle zwei Tage“ gleichkäme.13 In den Jahren zwischen diesen beiden Berichten könnten bis zu zwei Millionen US-Amerikaner aufgrund von Behandlungsfehlern gestorben sein, und dennoch weigerte sich die Ärzteschaft, diese Tragödie zu kommentieren, und unternahm ebenso wenig substanzielle Anstrengungen, um die Anzahl solcher Todesfälle zu verringern.14 Weitere geschätzte 600.000 Todesfälle später veröffentlichte das renommierte Institute of Medicine seinen eigenen wegweisenden Bericht zu den katastrophalen Folgen von medizinischen Behandlungsfehlern,15 doch wieder wurde kaum etwas unternommen.16

Schließlich wurden doch einige Änderungen umgesetzt. So konnten z. B. Assistenzärzte nicht mehr dazu verdonnert werden, über achtzig Stunden pro Woche zu arbeiten (zumindest auf dem Papier), und die Schichten durften nicht mehr länger als dreißig aufeinanderfolgende Stunden sein. Das hört sich nicht nach einem besonders großen Schritt an, doch als ich nach meinem Universitätsabschluss damit begann, im Krankenhaus zu arbeiten, hatten wir alle drei Tage Sechsunddreißig-Stunden-Schichten, was sich zusammen mit unseren restlichen Arbeitstagen auf insgesamt 117 Arbeitsstunden pro Woche summierte.

Wenn Assistenzärzte dazu gezwungen werden, die Nächte durchzuarbeiten, können ihnen Untersuchungen zufolge 36 Prozent mehr schwerwiegende Behandlungsfehler, fünfmal mehr Fehldiagnosen und doppelt so viele „Aufmerksamkeitsfehler“ unterlaufen (wie z. B. während der OP kurz wegzunicken).17 Bei einer Operation sollte es aber der Patient sein, der schläft, und nicht der Chirurg. Es überrascht also nicht, dass überarbeiteten Ärzten bis zu 300 Prozent mehr erschöpfungsbedingte Fehler passieren können, die zum Tod des Patienten führen.18

Wenn an jedem einzelnen Tag ein Flugzeug abstürzte und dadurch Hunderte Menschen tötete, würden wir von der Luftfahrtbehörde erwarten, dass sie einschreiten und etwas dagegen unternehmen würde. Warum zieht niemand die Ärzteschaft zur Verantwortung? Anstatt nur Berichte herauszubringen, hätten Institutionen wie das Institute of Medicine doch verlangen können, dass Ärzte und Krankenhäuser in den USA wenigstens ein Mindestmaß an Präventivmaßnahmen befolgen, wie bspw. die Strichcodierung von Medikamenten, damit diese nicht mehr verwechselt werden können.19 (Sie wissen schon, das Aufdrucken von Strichfolgen, wie sie auch jeder Schokoriegel im Supermarkt hat.)

Allerdings sterben nur die Menschen, die Medikamente einnehmen, auch an deren Nebenwirkungen oder an Medikationsfehlern. Sie müssen auch erst im Krankenhaus liegen, bevor Sie aufgrund eines Krankenhausfehlers sterben oder sich eine Krankenhausinfektion zuziehen können. Die gute Nachricht ist, dass die meisten Arztbesuche mit Krankheiten zusammenhängen, die sich durch eine gesunde Ernährungs- und Lebensweise verhindern lassen.20 Der beste Weg, um den negativen Auswirkungen medizinischer Tests und Behandlungen zu entgehen, ist nicht, Ärzten aus dem Weg zu gehen, sondern gar nicht erst krank zu werden.

Bestrahlung

Es gibt Risiken, die nicht nur mit der medizinischen Behandlung sondern zuweilen auch mit der Diagnose zusammenhängen. Eine Veröffentlichung mit dem Titel „Geschätzte Risiken von durch Bestrahlung verursachtem tödlichem Krebs durch pädiatrische CTs“ der Columbia University im Jahr 2001 ließ bereits lang bestehende Bedenken hinsichtlich der Risiken einer medizinisch-diagnostischen Strahlenexposition neu erwachen. CT- oder CAT-Scans verwenden multiple Röntgenstrahlen aus verschiedenen Winkeln, um Querschnittsbilder zu erzeugen. Der Körper wird dadurch einer Hunderte Male höheren Strahlung ausgesetzt als beim einfachen Röntgen.21 Aufgrund des extrem hohen Krebsrisikos von Hiroshima-Überlebenden, die einer ähnlich hohen Strahlendosis ausgesetzt waren,22 wurde geschätzt, dass von allen Kindern in den USA, die sich jedes Jahr einem Abdomen- oder Kopf-CT unterziehen müssen, fünfhundert „schlussendlich an Krebs sterben könnten, der der CT-Strahlung zuzuschreiben ist.“23 Als Reaktion auf diese Enthüllung räumte der Chefredakteur einer führenden radiologischen Fachzeitschrift ein: „Wir Radiologen scheinen genauso schuldig wie alle anderen zu sein, wenn es darum geht, nicht gut genug auf unsere Kinder aufzupassen.“24

Das Risiko, nach schon einem einzigen CT-Scan Krebs zu entwickeln, kann bei einem Baby schon bei 1 zu 150 liegen.25 Die diagnostische Bestrahlung, die in einem Jahr durchgeführt wird, verursacht schätzungsweise 2.800 Fälle von Brustkrebs bei US-amerikanischen Frauen sowie 25.000 Fälle anderer Krebsarten.26 Mit anderen Worten kann es sein, dass Ärzte in den USA jedes Jahr Zehntausende neuer Krebsfälle verursachen. Die Patienten, die CT-Scans durchführen lassen, werden kaum über die Risiken aufgeklärt. Wussten Sie z. B., dass ein einziges Brust-CT schätzungsweise dasselbe Krebsrisiko birgt wie das Rauchen von siebenhundert Zigaretten?27 Eine von 270 Frauen mittleren Alters in den USA könnte wegen eines einzigen Angiogramms Krebs entwickeln.28 CT-Scans und Röntgenaufnahmen können Leben retten, doch gibt es klare Anhaltspunkte dafür, dass ein Fünftel bis hin zur Hälfte aller CT-Scans nicht wirklich notwendig sind und mit einem anderen, sichereren bildgebenden Verfahren ersetzt werden könnten, oder aber überhaupt nicht durchgeführt werden müssten.29

Viele Menschen machen sich wegen der Strahlenbelastung bei Ganzkörperscannern in Flughäfen Sorgen, die mit einer Röntgenstrahlung-Rückstreuung arbeiten.30 Diese Maschinen werden in den USA aber mittlerweile nicht mehr eingesetzt. Flugzeuge sind allerdings eine andere Geschichte. Da Sie in höheren Lagen mehr kosmischen Strahlen aus dem All ausgesetzt sind, kann schon ein Hin- und Rückflug quer durch die USA Sie der gleichen Strahlenbelastung aussetzen, mit der Sie auch beim Röntgen Ihres Brustkorbs rechnen müssten.31 (Angesichts meiner zahlreichen Vortragsflugreisen müsste ich mittlerweile im Dunkeln leuchten!)

Gibt es irgendetwas, was Sie tun können, um das Strahlungsrisiko zu verringern? Wie bei so vielen anderen Gesundheitsfragen ist die Antwort auch hier eine gesunde Ernährung.

Bei einer Studie, die vom National Cancer Institute finanziert wurde, untersuchten Wissenschaftler die Ernährungsweisen und die Unversehrtheit von Chromosomen bei Piloten, die täglich Strahlungen ausgesetzt sind, um herauszufinden, welche Lebensmittel eventuell eine schützende Wirkung haben. Sie fanden heraus, dass die Piloten, die die meisten Antioxidantien über ihr Essen aufnahmen, die geringsten DNA-Schäden aufwiesen. Das „über ihre Lebensmittel“ ist wichtig, da Antioxidantienpräparate wie Vitamin C und E nicht zu helfen schienen. Die Piloten, die am meisten Vitamin C durch den Verzehr von Obst und Gemüse aufnahmen, schienen hingegen von einer schützenden Wirkung zu profitieren.32 Das Einnehmen von Antioxidantienpräparaten aber scheint schlimmer als nur eine bloße Geldverschwendung zu sein: Die Probanden, denen täglich eine Menge von 500 mg Vitamin C verabreicht wurde, zeigten am Ende größere oxidative DNA-Schäden.33

Denken Sie daran, dass die natürlichen Antioxidantien im Essen synergetisch funktionieren: Es ist die Kombination vieler verschiedener Wirkstoffe, die zusammenarbeiten und Sie dadurch schützen, und nicht hohe Dosen vereinzelter Antioxidantien, wie sie in Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln vorkommen. So hatten die Piloten, die jede Menge verschiedene Phytonährstoffe aufnahmen, die in Pflanzen wie Zitrusfrüchten, Nüssen, Samen, Kürbissen und Paprika vorkommen, die niedrigsten DNA-Schäden als Reaktion auf die Strahlung, mit der sie täglich aus dem All bombardiert wurden.34

Das Forscherteam fand heraus, dass dunkelgrünes Blattgemüse wie Spinat oder Grünkohl anderen Obst- und Gemüsesorten etwas voraus zu haben schien, jedenfalls wenn es um eine schützende Wirkung vor Strahlung geht.35 All die Jahre habe ich mir auf meine Flüge Grünkohlchips mitgenommen, weil sie so leicht sind, und jetzt stellt sich heraus, dass diese wahrscheinlich sogar meine DNA schützen!

Derselbe pflanzenbasierte Schutz, von dem Piloten profitieren, scheint auch den Überlebenden von Atombomben zu helfen. Mehrere Jahrzehnte lang beobachteten Wissenschaftler sechsunddreißigtausend Überlebende der Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Diejenigen, deren Ernährung viel Obst und Gemüse enthielt, schienen ihr Krebsrisiko um etwa 36 Prozent senken zu können.36 Dasselbe wurde in der Ukraine nach dem Atomreaktorunfall in Tschernobyl beobachtet, wo der Verzehr von frischem Obst und Gemüse das Immunsystem von Kindern offensichtlich zu schützen schien, während der Verzehr von Eiern und Fisch mit einem deutlich erhöhten Risiko einer DNA-Schädigung in Zusammenhang gebracht wurde. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses Ergebnis der Möglichkeit geschuldet ist, dass die tierischen Produkte, die verzehrt wurden, mit radioaktiven Elementen verseucht waren, oder mit der Rolle von tierischen Fetten bei der Bildung freier Radikale zusammenhängt.37

Nukleare Ereignisse sind eine seltene Gelegenheit, atomare Auswirkungen auf Menschen zu untersuchen, da es natürlich absolut unethisch ist, Menschen absichtlich einer hohen Strahlung auszusetzen. Wie wir aus mittlerweile freigegebenen Dokumenten über die Strahlungsexperimente der USA während des Kalten Krieges wissen, hinderte das die US-Regierung aber nicht daran, „farbigen“ Menschen Plutonium zu injizieren38 oder „zurückgebliebene“ Kinder mit Frühstücksflocken zu füttern, die radioaktive Isotope enthielten.39 Trotz des Beharrens des Pentagons, dass diese Methoden die „einzigen durchführbaren Maßnahmen“ darstellten, um Wege dafür zu entwickeln, Menschen vor Strahlung zu schützen,40 haben Wissenschaftler seitdem einige andere Methoden entwickelt, die nicht den Nürnberger Kodex verletzen.

Eine davon ist das Untersuchen menschlicher Zellen im Reagenzglas. Forschungen haben z. B. ergeben, dass weiße Blutzellen, die mit Gammastrahlen bombardiert werden, weniger DNA-Schäden davontragen, wenn sie zuvor mit Phytonährstoffen aus Ingwerwurzeln behandelt wurden. Die Ingwerbestandteile schützten die DNA fast genauso gut wie das führende Medikament gegen Strahlenkrankheit41 mit einer 150-mal geringeren Dosis.42 Wer Ingwer isst, um während des Fliegens einer Reisekrankheit vorzubeugen, schützt sich daher vermutlich vor mehr als nur vor Übelkeit.

Andere häufige Lebensmittel, die gegen Strahlenschäden zu schützen scheinen, sind Knoblauch, Kurkuma, Gojibeeren und Minzblätter,43 doch wurde bisher keines von ihnen in einer klinischen Studie getestet. Wie können wir die schützende Wirkung von Lebensmitteln bei Menschen und nicht nur in Reagenzgläsern testen? Um herauszufinden, wie die Ernährung vor kosmischer Strahlung schützen kann, wurden Flugzeugpiloten untersucht. Und wer wurde untersucht, um herauszufinden, ob die Ernährung gegen Röntgenstrahlen schützen kann? Röntgentechniker.

Es wurde entdeckt, dass Krankenhausmitarbeiter, die routinemäßig Röntgenmaschinen bedienen, größere Chromosomenschäden davontragen und unter höherem oxidativem Stress leiden als andere Krankenhausmitarbeiter.44 Aus diesem Grund stellten Wissenschaftler eine Gruppe von Röntgentechnikern zusammen und baten sie, einen Monat lang jeden Tag zwei Tassen Melissentee zu trinken. (Melisse gehört wie Minze zur Familie der Lippenblütler.) Sogar in dieser kurzen Zeit schien der Melissentee die Menge der antioxidativen Enzyme im Blut der Probanden zu steigern und gleichzeitig das Ausmaß der bei ihnen verursachten DNA-Schäden zu verringern.45

Der tatsächliche Vorteil der Ernährung im Vergleich zu Medikamenten

Gemäß einer Untersuchung von über einhunderttausend Teilnehmern aus dem US-Bundesstaat Minnesota bekommen in einem beliebigen Jahr scheinbar sieben von zehn Menschen mindestens ein Medikament verschrieben. Über die Hälfte erhalten zwei oder mehr Medikamente, und 20 Prozent sogar fünf oder mehr.46 Insgesamt stellen Ärzte in den USA jedes Jahr etwa vier Milliarden Rezepte für Medikamente aus.47 Das sind etwa dreizehn Rezepte im Jahr für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind, die in den USA leben.

Die zwei verschreibungspflichtigen Medikamente, die bei Arztbesuchen in den Staaten am häufigsten zur Sprache kommen, sind Simvastatin, ein cholesterinsenkendes Mittel, und Lisinopril, eine Bluthochdrucktablette.48 Viele dieser Tabletten werden also unters Volk gebracht, um zu versuchen, Krankheiten zu verhindern. Aber wie gut funktionieren diese Milliarden an Pillen eigentlich?

Ein überzogenes Vertrauen in die Macht von Pillen und Behandlungsmaßnahmen mag einer der Gründe dafür sein, warum Ärzte und Patienten gleichermaßen die Wirkung einer veränderten Ernährungs- und Lebensweise unterschätzen. Bei Umfragen tendieren die Leute dazu, die Fähigkeit von Mammografien und Darmspiegelungen, Krebstode zu verhindern, völlig zu überschätzen, genauso wie den Einfluss von Medikamenten wie Fosamax, um Hüftfrakturen zu verhüten, oder Lipitor, das zur Verhinderung tödlicher Herzinfarkte eingesetzt wird.49 Die Patienten glauben, dass cholesterinsenkende Statine bei der Verhinderung von Herzinfarkten etwa zwanzigmal wirkungsvoller sind, als es tatsächlich der Fall ist.50 Kein Wunder, dass die meisten Menschen sich weiterhin auf Tabletten verlassen, die ihnen das Leben retten sollen! Das schmutzige kleine Geheimnis bei der Sache ist aber, dass die meisten der befragten Personen sagten, sie seien nicht mehr willens, viele dieser Medikamente einzunehmen, wenn sie wüssten, wie gering deren Vorteile tatsächlich sind.51

Wie wirkungslos sind einige der in den USA am häufigsten eingenommenen Medikamente? Wenn es um Mittel geht, die das Cholesterin und den Blutdruck senken oder das Blut verdünnen sollen, liegt die Chance, dass auch Hochrisikopatienten davon profitieren können, in einem Zeitraum von fünf Jahren typischerweise bei weniger als 5 Prozent.52 Wenn man sie fragt, antworten die meisten Patienten, dass sie die Wahrheit erfahren möchten.53 Als Ärzte wissen wir aber, dass nach der Enthüllung dieser Informationen nur wenige unserer Patienten damit einverstanden wären, diese Medikamente täglich für den Rest ihres Lebens einzunehmen, was sehr schlecht für den kleinen Prozentsatz derjenigen wäre, die wirklich davon profitieren. Deshalb werden die Vorteile dieser Medikamente von Ärzten, die Bescheid wissen, und auch von der Pharmaindustrie aufgebauscht, indem sie bequemerweise nicht erwähnen, wie gering diese wirklich sind. Wenn es um die Behandlung chronischer Krankheiten geht, kann das Vorgehen der Schulmedizin auch als irreführendes Vorgehen angesehen werden.

Für die Hunderte Millionen Menschen, die nicht von diesen Medikamenten profitieren, die sie einnehmen, geht es nicht nur um das ganze Geld, was dabei verschwendet wird, oder die Nebenwirkungen, die sie ertragen müssen. Für mich liegt die wahre Tragödie darin, dass so viele Chancen vergeben werden, die wirklichen Ursachen in Angriff zu nehmen, die für das Leiden der Patienten verantwortlich sind. Wenn Menschen die Wirkung der ihnen verschriebenen Medikamente dramatisch überschätzen, ist es weitaus weniger wahrscheinlich, dass sie ihre Ernährung umstellen, um ihr Risiko auf diese alternative Weise dramatisch zu verringern.

Nehmen wir z. B. cholesterinsenkende Statinmedikamente. Das Beste, was diese bewirken können, wenn es um das Vermeiden eines möglichen Herzinfarkts oder Todes geht, ist die Verringerung des absoluten Risikos um 3 Prozent in einem Zeitraum von sechs Jahren.54 Eine vollwertige pflanzenbasierte Ernährung kann indes zwanzigmal besser funktionieren und potenziell eine Reduktion des absoluten Risikos um 60 Prozent in weniger als vier Jahren bewirken.55 2014 veröffentlichte Dr. Caldwell Esselstyn Jr. eine Fallserie von etwa zweihundert Patienten mit schwerwiegenden Herzkrankheiten, die zeigte, dass eine ausreichend gesunde pflanzenbasierte Ernährung bei 99,4 Prozent der Patienten, die sich daran halten, weitere ernste kardiale Ereignisse verhindern kann.96

Sie haben nicht wirklich den Luxus, zwischen einer gesunden Ernährung und einer Pille wählen zu können, um Herzinfarkte zu vermeiden, da Pillen kurzfristig in 97 Prozent der Fälle sehr wahrscheinlich nichts ausrichten. Natürlich schließen sich Ernährung und Tabletten nicht grundsätzlich aus, und viele der Patienten unter Dr. Esselstyns Aufsicht nahmen weiterhin ihre Herzmedikamente ein. Sie sollten nur ein realistisches Verständnis davon entwickeln, wie begrenzt die Wirkung der Inhalte Ihres Medikamentenschränkchens im Vergleich zum Inhalt Ihres Kühlschranks sein kann. Herzkrankheiten werden wahrscheinlich weiterhin die Todesursache Nummer 1 von Männern, Frauen und irgendwann wohl auch Kindern sein, wenn Ärzte sich weiterhin nur auf Medikamente und Stents verlassen. Wenn Sie sich aber ausreichend gesund ernähren, können Sie den Würgegriff, der Ihr Herz umklammert, lockern. Das ist etwas, worüber wir Ärzte unsere Patienten unbedingt aufklären sollten.

Aspirin

Wie sieht es mit der Wirkung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus? Schauen wir uns einmal das gute alte Aspirin an. Das wahrscheinlich am häufigsten verwendete Medikament der ganzen Welt57 existiert schon seit über einem Jahrhundert in Tablettenform. Sein aktiver Wirkstoff Salicin bzw. die Salicylsäure wird schon seit Jahrtausenden in seiner natürlichen Form (als Weidenrindeextrakt) zur Linderung von Schmerzen verwendet.58 Einer der Gründe für die ungebrochene Beliebtheit von Aspirin ist, obwohl heutzutage bessere entzündungshemmende Schmerzmittel erhältlich sind, dass es von Millionen Menschen täglich als Blutverdünner eingenommen wird, um das Risiko eines Herzinfarkts zu verringern. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, kommt es oft dann zu einem Herzinfarkt, wenn sich aufgrund abgeplatzter atherosklerotischer Plaque ein Blutgerinnsel in einer der Koronararterien bildet. Die Einnahme von Aspirin kann dabei helfen, dies zu verhindern.

Aspirin kann vermutlich auch das Krebsrisiko verringern.59 Es unterdrückt ein Enzym im Körper, das gerinnungsfördernd wirkt, und verdünnt dadurch das Blut. Gleichzeitig unterdrückt Aspirin die entzündungsfördernden Prostaglandine, wodurch Schmerzen, Schwellungen und Fieber gesenkt werden. Prostaglandine können auch die Lymphgefäße in Tumoren weiten und es dem Krebs so potenziell erlauben, sich weiter auszubreiten. Wissenschaftler glauben, dass eine der Arten, auf die Aspirin dabei hilft, Krebstode zu verhindern, darin besteht, den Versuchen des Tumors entgegenzuwirken, die lymphatischen Gitterstäbe seines Käfigs auseinanderzubiegen und sich im gesamten Körper breitzumachen.60

Sollten wir also alle jeden Tag eine niedrig dosierte „Baby-Aspirintablette“ schlucken? (Merken Sie sich an dieser Stelle, dass Aspirin niemals Säuglingen oder Kindern gegeben werden sollte.)61 Nein. Denn Aspirin kann Nebenwirkungen haben. Dieselbe blutverdünnende Wirkung, die einen Herzinfarkt verhindern kann, kann auch einen hämorrhagischen Schlaganfall auslösen, bei dem es zu einer starken Hirnblutung kommt. Aspirin kann außerdem die Schleimhaut des Verdauungstrakts beschädigen. Für diejenigen, die bereits einen Herzinfarkt hatten und weiterhin der Ernährungsweise folgen, die diesen Herzinfarkt erst ausgelöst hat (und damit höchste Gefahr laufen, einen weiteren zu erleiden), scheint der Vorteil gegenüber den Risiken klar auf der Hand zu liegen: Das Einnehmen von Aspirin kann wahrscheinlich sechsmal mehr ernste Probleme verhindern, als es auslöst. Doch für die Allgemeinbevölkerung, die noch keinen Herzinfarkt erlitten hat, liegen die Risiken und die Vorteile eng beieinander.62 Das Schlucken von einer Aspirintablette am Tag ist daher nicht generell zu empfehlen.63 Wenn man aber die um 10 Prozent verringerte Krebstodrate mit einrechnet, scheint das Risiko-Chancen-Verhältnis wieder für Aspirin zu sprechen.64 Angesichts dessen, dass niedrig dosiertes Aspirin das Risiko der Krebssterblichkeit bis zu einem Drittel reduzieren kann,65 ist es verlockend, die Einnahme generell allen zu empfehlen. Wenn da neben den Vorteilen nicht die Risiken wären.

Doch vielleicht geht es trotzdem.

Die Weide ist nicht die einzige Pflanze, die Salicylsäure enthält. Dieser Wirkstoff ist in vielen Obst- und Gemüsesorten des Pflanzenreichs enthalten.66 Aus diesem Grund wird dieser aktive Aspirinwirkstoff auch oft im Blut von Menschen gefunden, die überhaupt kein Aspirin einnehmen.67 Je mehr Obst und Gemüse Sie essen, umso höher kann die Konzentration von Salicylsäure in Ihrem Blut sein.68 Es ist sogar so, dass die Konzentration bei denen, die sich pflanzenbasiert ernähren, tatsächlich der gleichen kann, die Leute haben, die niedrig dosiertes Aspirin einnehmen.69

Wenn aber so viel Salicylsäure durch ihre Körper fließt, könnte man meinen, dass die Pflanzenesser öfter an Geschwüren leiden, da Aspirin ja bekannterweise dem Verdauungssystem schadet. Doch haben Menschen, die sich pflanzenbasiert ernähren, stattdessen sogar ein deutlich geringeres Risiko, Geschwüre zu entwickeln.70 Wie ist das möglich? Weil die Salicylsäure in Pflanzen natürlicherweise in einem Paket mit Nährstoffen verschnürt zu sein scheint, die das Verdauungssystem schützen. Stickstoffmonoxid aus Nitraten aus Lebensmitteln z. B. hat eine magenschützende Wirkung, weil es den Blutfluss und die Produktion von schützendem Schleim in der Magenschleimhaut fördert, was nachweislich im Gegensatz zu der geschwürfördernden Wirkung von Aspirin steht.71 Für die Allgemeinbevölkerung heißt das also, dass das Essen von Pflanzen anstatt der Einnahme von Aspirin dazu führt, dass sie nicht nur in den Genuss der Vorteile kommt, die Aspirin bietet, sondern auch keine Angst vor dessen Nachteilen haben muss.

Wer bereits einen Herzinfarkt hatte, sollte den Rat seines Arztes befolgen, der vermutlich auch die tägliche Einnahme von Aspirin einschließt. Und alle anderen? Alle anderen sollten meiner Meinung nach auch Aspirin nehmen – allerdings in Form von Obst und Gemüse – und nicht als Tablette.

Die Salicylsäure, die in Pflanzen vorkommt, kann zum Teil auch erklären, warum traditionelle pflanzenbasierte Ernährungsweisen eine solch schützende Wirkung hatten. Die durchschnittliche japanische Ernährung bestand, bevor sie sich stark westlichen Gewohnheiten anglich, traditionell nur zu 5 Prozent aus tierischen Produkten.72 Noch in den 1950er-Jahren waren die altersbereinigten Todesraten für Darm-, Prostata-, Brust- und Eierstockkrebs in Japan fünf- bis zehnmal niedriger als in den USA, und die Häufigkeit von Bauchspeicheldrüsenkrebs, Leukämie und Lymphomen drei- bis viermal geringer. Dieses Phänomen war nicht nur auf die Japaner beschränkt. Wie wir bereits öfter in diesem Buch gesehen haben, sind die westlichen Krebs- und Herzerkrankungsraten unter denjenigen Bevölkerungsgruppen erheblich geringer, deren Ernährung auf pflanzlichen Lebensmitteln basiert.73

Wenn ein Teil dieses Schutzes durch Aspirin-Phytonährstoffe entsteht, in welchen Pflanzen kommen diese dann besonders konzentriert vor? Zwar ist Salicylsäure in allen Arten von Obst und Gemüse enthalten, kommt aber besonders konzentriert in Kräutern und Gewürzen vor.74 Chili- und Paprikapulver sowie Kurkuma sind besonders reich an diesem Inhaltsstoff, Kreuzkümmel aber enthält pro Portion am meisten davon. Ein einziger Teelöffel gemahlener Kreuzkümmel kann tatsächlich das Äquivalent einer Baby-Aspirintablette enthalten. Vielleicht hat Indien mit seiner aromatischen und gewürzreichen Küche deshalb weltweit die niedrigste Darmkrebsrate75 – ein Krebs, der besonders empfindlich auf die Wirkung von Aspirin zu reagieren scheint.76

Und je schärfer, desto besser! Ein scharfes Gemüse-Vindaloo hat Berechnungen zufolge etwa viermal so viel Salicylsäure wie ein milder gewürztes Gemüsegericht nach Madras-Art. Mit nur einer einzigen Mahlzeit können Sie die Konzentration von Salicylsäure in Ihrem Blut genauso stark erhöhen wie mit einer Aspirintablette.77

Die Vorteile von Salicylsäure sind ein weiterer Grund dafür, dass Sie sich bemühen sollten, möglichst zu Bio-Obst und -Gemüse zu greifen. Da Pflanzen diesen Inhaltsstoff als Verteidigungshormon einsetzen, kann dessen Konzentration in den Pflanzen erhöht sein, die von Schädlingen angegriffen wurden. Pestizidbelastete Pflanzen werden nicht so oft befallen und scheinen deshalb wahrscheinlich weniger Salicylsäure zu produzieren. So wurde bei einer Untersuchung festgestellt, dass eine Suppe aus Bio-Gemüse fast sechsmal so viel Salicylsäure enthielt wie eine Suppe, die aus konventionellen, nicht biologisch produzierten Zutaten gekocht wurde.78

Eine andere Möglichkeit, mehr Salicylsäure für Ihr Geld zu bekommen, ist die Wahl von vollwertigen Lebensmitteln. Vollkornbrot enthält z. B. nicht nur mehr Salicylsäure, sondern kann im Vergleich zu Weißbrot auch das Einhundertfache an Phytonährstoffen enthalten – Berichten zufolge achthundert im Vergleich zu etwa acht.79 Zwar liegt der Fokus der Aufmerksamkeit wegen der umfangreichen Datenmenge zu Aspirin auf Salicylsäure, doch gibt es noch Hunderte anderer Phytonährstoffe, die ebenfalls eine entzündungshemmende und antioxidative Wirkung haben.

Dennoch gibt es aufgrund der Überzeugungskraft der wissenschaftlichen Belege zu Aspirin Stimmen im Gesundheitswesen, die von einem weitverbreiteten „Salicylsäuremangel“ sprechen und vorschlagen, dass dieser Wirkstoff als essenzielles Vitamin, nämlich „Vitamin S“, eingestuft werden sollte.80 Ob es sich nun um Salicylsäure oder eine Kombination anderer Phytonährstoffe handelt, die zeigen, wie wertvoll und gesund vollwertige pflanzliche Lebensmittel sind – die Lösung bleibt die gleiche: Essen Sie mehr davon.

Darmspiegelungen

Die Darmspiegelung. Sie werden kaum ein gefürchteteres Routineverfahren finden. Jedes Jahr führen Ärzte in den USA vermutlich mehr als vierzehn Millionen Darmspiegelungen durch81 – eine Untersuchung, die dazu eingesetzt wird, abnormale Veränderungen im Dickdarm und im Rektum zu entdecken. Während der Prozedur führen die Ärzte ein etwa anderthalb Meter langes schlauchförmiges Instrument mit einer winzigen Kamera durch den After in den Darm ein und blähen diesen mit Luft auf, um die Darmschleimhaut sichtbar zu machen. Während der Prozedur können von jedem verdächtigen Polypen oder abnormalem Gewebe Proben entnommen werden. Darmspiegelungen können Ärzten dabei helfen, die Ursachen von rektalen Blutungen oder chronischem Durchfall zu diagnostizieren, werden aber am häufigsten zur routinemäßigen Darmkrebserkennung durchgeführt.

Ein Grund dafür, warum es Ärzten oft nicht gelingt, ihre Patienten dazu zu überreden, weitere Darmspiegelungen vornehmen zu lassen, ist die notwendige Vorbereitung des Verdauungssystems, wofür Sie vor der Spiegelung ein wirkungsstarkes Abführmittel trinken müssen, und zwar literweise, um sich komplett von innen zu reinigen. Hinzu kommt der Schmerz und das Unbehagen während der eigentlichen Prozedur82 (auch wenn Ihnen zuvor zielgerichtet Medikamente mit amnestischer Wirkung verabreicht werden, damit Sie sich nicht daran erinnern, wie sich das Ganze angefühlt hat),83 das Gefühl von Beschämung und Verletzbarkeit und die Angst vor Komplikationen.84 Diese Ängste sind nicht unbegründet. Trotz der Häufigkeit, mit der Darmspiegelungen routinemäßig durchgeführt werden, kommt es in den USA in 1 von 350 Fällen zu Komplikationen, wie bspw. Perforationen der Darmwand oder tödlichen Blutungen.85 Perforationen können entstehen, wenn die Spitze des Koloskops die Darmwand punktuell verletzt, der Darm zu stark aufgebläht wird oder ein Arzt eine blutende Biopsiestelle verätzt. In extrem seltenen Fällen können sich bei dieser Verätzung Gasrückstände entflammen und dazu führen, dass der Darm buchstäblich explodiert.86

Ein Tod durch eine Darmspiegelung ist äußerst selten und kommt bei nur etwa 1 Darmspiegelung von insgesamt 2.500 vor.87 Dennoch bedeutet dies, dass jedes Jahr wahrscheinlich allein in den USA Tausende Menschen deswegen sterben. Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Vorteile die Risiken aufwiegen. Darmspiegelungen sind nicht die einzige Screening-Methode, mit der sich Darmkrebs feststellen lässt.

Die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF), die amtliche Stelle, die offizielle Präventionsleitlinien herausgibt, sieht Darmspiegelungen nur als eine von drei akzeptablen Screening-Methoden an. Ab dem Alter von fünfzig Jahren sollte jede/r entweder einmal alle zehn Jahre eine Darmspiegelung vornehmen, den eigenen Stuhl jedes Jahr auf versteckte Blutspuren testen (wofür überhaupt keine Spiegelung notwendig ist) oder alle fünf Jahre eine Sigmoidoskopie, eine sogenannte kleine Darmspiegelung, durchführen und dabei gleichzeitig alle drei Jahre den Stuhl testen lassen. „Virtuelle“ Darmspiegelungen oder DNA-basierte Stuhltests wurden als nicht ausreichende Erkennungsverfahren eingestuft.88 Auch wenn keine Routine-Screenings im Alter von fünfundsiebzig Jahren mehr empfohlen werden, wird dabei an sich nur davon ausgegangen, dass Sie fünfundzwanzig Jahre lang negativ getestet wurden. Sollten Sie bereits fünfundsiebzig Jahre alt sein, bisher aber noch kein Screening gehabt haben, ist es vermutlich eine gute Idee, sich testen zu lassen, wenigstens bis Sie achtzig Jahre oder älter sind.89

Bei einer Sigmoidoskopie wird ein wesentlich kleineres Endoskop verwendet als bei der großen Darmspiegelung, wodurch zehnmal weniger Komplikationen auftreten.90 Da das Endoskop aber nur etwa 60 cm in den Körper eingeführt werden kann, besteht das Risiko, dass weiter innen liegende Tumore unentdeckt bleiben. Was ist also die beste Methode? Das werden wir erst dann erfahren, wenn die Ergebnisse randomisierter Darmspiegelungsstudien Mitte der 2020er-Jahre veröffentlicht werden.91 Die meisten Industrienationen empfehlen jedoch keine der beiden Darmspiegelungen. Für ein routinemäßiges Darmkrebs-Screening raten sie immer noch zu nicht-invasiven Untersuchungen auf Blut im Stuhl.92

Welche dieser drei Optionen ist die beste für Sie? Die USPSTF empfiehlt, diese Entscheidung individuell zu treffen, nachdem Sie zusammen mit Ihrem Arzt die Vor- und Nachteile abgewogen haben.

Inwieweit informieren Ärzte ihre Patienten aber über die verschiedenen Optionen? Einige Wissenschaftler machten Sprachaufnahmen von Arztbesuchen, um dies herauszufinden. Sie achteten auf neun wichtige Kriterien, auf denen eine informierte Entscheidungsfindung basiert, wie bspw. das Erklären der Vor- und Nachteile aller Optionen, die Beschreibung von Alternativen und das Sicherstellen, dass die Patienten alle Optionen auch wirklich verstehen.93

Wenn es um Darmspiegelungen ging, gaben die aufgenommenen Ärzte und Krankenschwestern bzw. -pfleger in den meisten Fällen leider keine dieser wichtigen Informationen an ihre Patienten weiter – null der insgesamt neun Kriterien.94 Ein Artikel im Journal of the American Medical Association formulierte es so: „Es gibt zu viele Möglichkeiten und Unsicherheiten, die die Patienten berücksichtigen müssen, und zu wenig Zeit für das Klinikpersonal, um dies mit den Patienten zu besprechen.“95 Also treffen die Ärzte in der Regel die Entscheidungen für ihre Patienten. Und wofür entscheiden sich diese dann? Eine vom National Cancer Institute finanzierte Erhebung von über eintausend Ärzten in den USA ergab, dass fast alle Ärzte (94,8 Prozent) eine große Darmspiegelung empfohlen.96 Warum wird in den USA so vehement auf Darmspiegelungen bestanden, wenn der Rest der Welt nicht-invasive Methoden vorzuziehen scheint?97 Vielleicht, weil die meisten Ärzte im Rest der Welt nicht pro durchgeführte Darmspiegelung bezahlt werden.98 Ein US-amerikanischer Gastroenterologe bemerkte dazu nur: „Darmspiegelungen … sind wie die Gans, die goldene Eier legt.“99

Ein Exposé in der New York Times zur Explosion der Gesundheitskosten merkte an, dass in vielen anderen Industrienationen Darmspiegelungen nur einige Hundert US-Dollar kosten. Und in den USA? Das Verfahren kann Tausende Dollar kosten, was laut den Journalisten weniger mit der Bereitstellung einer erstklassigen medizinischen Behandlung, sondern eher mit Businessplänen zusammenhing, deren oberstes Ziel in der Maximierung der Einnahmen sowie im bestmöglichen Marketing und Lobbying besteht.100

Wer aber setzt die Preise fest? Die American Medical Association (AMA). Eine Untersuchung der Washington Post enthüllte, dass ein geheimes Komitee der AMA jedes Jahr die Abrechnungsstandards für häufige medizinische Verfahren neu festlegt. Das Ergebnis ist eine grobe Überschätzung der benötigten Zeit für routinemäßige Verfahren wie Darmspiegelungen. Wie die Washington Post deutlich machte, müssten einige Ärzte, wollte man den AMA-Standards Glauben schenken, über vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten, um all die Verfahren durchzuführen, die bei Medicare und privaten Versicherern gemeldet werden. Überrascht es da noch, wenn Gastroenterologen jährlich fast 500.000 US-Dollar einstreichen?101

Doch warum sollte Ihr Hausarzt oder Ihr Internist Sie zu solch einem Verfahren drängen, wenn er es selbst gar nicht durchführt? Viele US-amerikanische Ärzte erhalten eine Rückvergütung dafür, wenn sie ihre Patienten an Gastroenterologen überweisen. Das U.S. Government Accountability Office (GAO) berichtete über diese Überweisungspraktiken, bei denen Ärzte ihre Patienten an Adressen weiterverweisen, an denen sie selbst ein finanzielles Interesse haben. Der Rechnungshof schätzte, dass diese Ärzte jährlich insgesamt fast eine Million mehr Überweisungen ausstellen, als sie es tun würden, wenn sie davon nicht persönlich profitierten.102

Was sollten Sie vor einer Darmspiegelung einnehmen?

Haben Sie nach einem gehaltvollen Essen im Restaurant schon einmal eines dieser Minzdragees eingeworfen? Pfefferminze erfrischt nicht nur Ihren Atem, sondern hilft auch dabei, den gastrokolischen Reflex zu dämpfen – den Drang, nach dem Essen den Darm zu entleeren. Nach dem Essen dehnen sich die Nerven in Ihrem Magen, was zu Kontraktionen im Dickdarm führt, um den Körper dazu anzuregen, Platz für neue Nahrung zu machen, die auf dem Weg ist. Pfefferminze kann diese Kontraktionen abschwächen, indem sie die Muskeln im Dickdarm entspannt.103

Was hat das mit Darmspiegelungen zu tun? Wenn Sie kreisförmige menschliche Dickdarmringe, die während einer Operation entfernt wurden, auf einen Tisch legen, sehen Sie, wie sich diese spontan etwa dreimal in der Minute zusammenziehen. Ziemlich unheimlich, oder? Wenn Sie aber Menthol (das in Pfefferminze enthalten ist) auf diese Streifen tröpfeln, lässt die Intensität der Kontraktionen deutlich nach.104 Während einer Darmspiegelung können diese Kontraktionen das Einführen des Endoskops behindern und das Verfahren für den Patienten sehr unangenehm machen. Da Pfefferminze die Darmmuskeln entspannt, kann sie die Darmspiegelung sowohl für den Patienten als auch für den durchführenden Arzt leichter machen.

Ärzte haben damit experimentiert, die Spitze des Koloskops mit Pfefferminzöl einzusprühen105 oder vor dem Verfahren mit einer Handpumpe eine Pfefferminzlösung in den Darm zu einzubringen.106 Die einfachste Lösung scheint hier aber die beste zu sein: Den Patienten zu fragen, ob er vorher Pfefferminzölkapseln einnehmen kann. Die Einnahme eines Äquivalents von acht Tropfen essenziellem Pfefferminzöl vier Stunden vor der Darmspiegelung konnte im Vergleich zu einem Placebo die Dickdarmkontraktionen erheblich reduzieren, die Schmerzen der Patienten verringern und es einfacher machen, das Koloskop einzuführen und wieder zu entfernen.107

Wenn Sie eine Darmspiegelung brauchen, fragen Sie Ihren Arzt nach diesem einfachen pflanzlichen Mittel. Es könnte es für beide Seiten einfacher machen.

US-amerikanische Patienten erhalten eindeutig mehr medizinische Versorgung, als sie wirklich benötigen. Das stellte zumindest Dr. Barbara Starfield fest, die ein Buch über die medizinische Grundversorgung in den USA verfasste.108 Sie war eine der renommiertesten Ärztinnen des Landes und schrieb einen vernichtenden Kommentar für das Journal of the American Medical Association, in dem sie die medizinische Versorgung als die dritthäufigste Todesursache in den Vereinigten Staaten bezeichnete.109

Ihre Arbeit zur medizinischen Grundversorgung wurde allseits begrüßt, doch ihre Erkenntnisse bezüglich der Ineffizienz und sogar Gefährlichkeit des US-amerikanischen Gesundheitssystems fanden fast keinerlei Beachtung. „Der amerikanischen Öffentlichkeit scheint weisgemacht worden zu sein, dass mehr medizinische Eingriffe zu einer besseren Gesundheit führen,“ erklärte sie später in einem Interview.110 Wie ein Berater zur Versorgungsqualität im Gesundheitswesen anmerkte, ließ die flächendeckende Nichtbeachtung von Dr. Starfields Beweisen „an die düstere Dystopie von George Orwells 1984 denken, wo unbequeme Fakten vom ‚Erinnerungsloch‘ verschluckt werden und es plötzlich so ist, als hätten sie nie existiert.“111

Leider ist Dr. Starfield nicht länger unter uns. Ironischerweise könnte sie selbst an einer der Medikamentennebenwirkungen gestorben sein, vor denen sie uns so vehement gewarnt hat. Nachdem sie auf zwei Blutverdünner gesetzt wurde, um eine Blockade eines Stents in ihrem Herzen zu vermeiden, berichtete sie ihrem Arzt, dass sie schneller Blutergüsse bekam und länger blutete – das große Risiko blutverdünnender Medikamente, von dem man sich erhofft, dass es geringer als deren Vorteile ist. Dr. Starfield starb, nachdem sie sich offenbar beim Schwimmen den Kopf stark angestoßen hatte und dadurch Hirnblutungen erlitt.112

Ich frage mich nicht, ob man sie für eine solch lange Zeit mit gleich zwei Blutverdünnern behandeln hätte sollen oder ob sie vielleicht von vornherein gar keinen Stent gebraucht hätte. Ich frage mich stattdessen, ob sie die Medikation und auch die vorangegangene Operation hätte vermeiden können, wenn sie zuallererst die Herzkrankheit verhindert hätte. Herzinfarkte bei Frauen werden als um bis zu 96 Prozent vermeidbar angesehen, wenn sich die Frauen gesund und vollwertig ernähren und generell eine gesunde Lebensweise verfolgen.113 Die Todesursache Nummer 1 bei Frauen muss fast nie zwangsläufig eintreten.