KAPITEL 1

Herzerkrankungen überlisten

Stellen Sie sich vor, Terroristen entwickelten einen biologischen Kampfstoff, der sich gnadenlos verbreitet und jährlich das Leben von fast vierhunderttausend Menschen in den USA fordert. Das bedeutet, dass alle dreiundachtzig Sekunden ein Mensch stirbt, jede Stunde, rund um die Uhr, Jahr für Jahr. Diese Pandemie würde jeden Tag alle Schlagzeilen regieren. Wir würden die Armee mobilisieren und unsere besten medizinischen Köpfe gemeinsam in einen Raum sperren, damit sie ein Gegenmittel zur Bekämpfung dieser Bioterror-Seuche fänden. Kurzum, wir ließen nichts unversucht, um die Terroristen zu stoppen. Glücklicherweise verlieren wir aber nicht wirklich jedes Jahr Hunderttausende Menschen an eine vermeidbare Bedrohung … oder vielleicht doch?

Ja, das tun wir. Diese spezielle Biowaffe mag kein von Terroristen freigesetzter Virus sein, doch tötet sie jährlich mehr Amerikaner als alle unsere bisherigen Kriege zusammen. Sie kann nicht in einem Labor, sondern direkt in unseren Einkaufsmärkten, Küchen und Esszimmern gestoppt werden. Was Gegenmittel betrifft, brauchen wir keine Impfungen oder Antibiotika. Eine einfache Gabel reicht schon aus.

Was passiert hier? Wenn diese Epidemie so massenhaft um sich greift, sich gleichzeitig aber so einfach vermeiden lässt, warum tun wir dann nicht mehr dagegen?

Der Killer, den ich meine, sind koronare Herzerkrankungen, die fast jeden betreffen, der mit einer durchschnittlichen amerikanischen oder westlichen Ernährung groß wird.

Unsere häufigste Todesursache

Der Top-Killer in den USA und anderen westlichen Industrienationen ist eine ungewöhnliche Art von Terrorist: eine Ablagerung von Blutfetten an den Arterienwänden, auch atherosklerotische Plaque genannt. Bei den meisten Menschen, die mit einer konventionellen Ernährung groß werden, sammelt sich Plaque in den Herzkranzgefäßen an, die das Herz wie ein Kranz umgeben und es mit sauerstoffreichem Blut versorgen. Diese Plaqueablagerung oder Atherosklerose (zurückgehend auf die griechischen Wörter athära, Grütze, und skleros, hart) manifestiert sich in einer Verhärtung der Arterien durch taschenartige Ablagerungen einer cholesterinreichen zähen Masse an den Innenwänden der Blutgefäße. Dieser Prozess zieht sich über Jahrzehnte hin und führt dazu, dass immer größere Blockaden in den Arterien heranwachsen, die den Blutfluss immer stärker behindern. Die eingeschränkte Blutzufuhr zum Herzmuskel kann zu Schmerzen und Druck in der Brust, auch als Angina bekannt, führen, wenn Menschen sich über ihre Maßen anstrengen. Wenn die Plaque-Ansammlungen abplatzen, kann sich in der Arterie ein Blutgerinnsel bilden. Diese plötzliche Blockade des Blutflusses wiederum kann einen Herzinfarkt auslösen, bei dem das Herz beschädigt oder teilweise zerstört wird.

Bei Herzkrankheiten denken Sie wahrscheinlich an Freunde oder Verwandte, die jahrelang an heftigen Brustschmerzen und Atemnot litten und schließlich starben. Für die Mehrheit der US-Amerikaner, die plötzlich an einem Herzinfarkt sterben, kann das allererste Symptom allerdings bereits das letzte sein.1 Man nennt dies einen „plötzlichen Herztod“. Dies ist dann der Fall, wenn bereits innerhalb einer Stunde nach Symptombeginn der Tod eintritt. Anders ausgedrückt kann es sein, dass Ihnen Ihr Risiko gar nicht bewusst ist, bis es schon zu spät ist. Sie können sich einen Moment noch wunderbar fühlen, und dann, eine Stunde später, bereits tot sein. Daher ist es so wichtig, Herzkrankheiten vorzubeugen, und zwar schon bevor Sie wissen, ob Sie überhaupt an einer leiden.

Meine Patienten fragten mich oft: „Sind Herzkrankheiten nicht einfach eine Folge des Altwerdens?“ Ich kann nachvollziehen, woher dieser Irrtum kommt. Schließlich schlägt unser Herz im Laufe unseres Lebens buchstäblich mehrere Milliarden Male. Vielleicht gibt unser Motor einfach irgendwann den Geist auf? Nein.

Eine Vielzahl wissenschaftlicher Beweise zeigt, dass es früher extrem große Gebiete auf der Welt gab, wo diese Epidemie schlichtweg nicht vorkam. Im Rahmen des berühmten China-Cornell-Oxford-Projekts, auch als China Study bekannt, untersuchten Wissenschaftler das Essverhalten und das Auftreten chronischer Krankheiten Hunderttausender Chinesen aus ländlichen Gebieten. In der Provinz Guizhou zum Beispiel, einem Gebiet mit etwa einer halben Million Einwohnern, konnte in einem Zeitraum von drei Jahren kein einziger Todesfall bei Männern unter fünfundsechzig mit einer koronaren Herzkrankheit in Zusammenhang gebracht werden.2

Während der 1930er- und 1940er-Jahre stellten westlich ausgebildete Ärzte, die in einem weitreichenden Netzwerk von Missionskrankenhäusern im subsaharischen Afrika arbeiteten, fest, dass viele der chronischen Krankheiten, die die Menschen in der sogenannten entwickelten Welt plagten, auf dem dortigen Teil des afrikanischen Kontinents größtenteils einfach nicht vorkamen. In Uganda, einem ostafrikanischen Land mit mehreren Millionen Einwohnern, wurden koronare Herzkrankheiten als „fast nicht existent“ beschrieben.3

Aber vielleicht starben diese Menschen einfach früher an anderen Krankheiten und lebten nicht lang genug, um einer tödlich endenden Herzkrankheit zu erliegen? Nein. Die Ärzte verglichen Autopsien der Ugander mit denen von US-Amerikanern, die im selben Alter gestorben waren. Sie fanden heraus, dass sich unter den 632 autopsierten Menschen in Saint Louis im US-Bundesstaat Missouri 136 Opfer von Herzinfarkten befanden. Und unter den 632 Ugandern im selben Alter? Ein einziger Herzinfarkt. Die Ugander erlitten mehr als hundert Mal seltener einen Herzinfarkt als die US-Amerikaner. Die Ärzte waren über dieses Ergebnis so erstaunt, dass sie weitere 800 Tote in Uganda obduzierten. Unter über 1.400 autopsierten Ugandern wurde nur eine Leiche mit einer kleinen, verheilten Herzschädigung gefunden, sprich der Infarkt war nicht einmal tödlich. Damals so wie heute sind Herzkrankheiten eine der häufigsten Todesursachen in Industrienationen. In Zentralafrika waren Herzkrankheiten so selten, dass weniger als eine Person von tausend daran starb.4

Immigrationsstudien zeigen, dass die Resistenz gegenüber Herzkrankheiten nichts ist, was allein mit afrikanischen Genen zusammenhängt. Wenn Menschen aus einer Region mit niedrigem Risiko in eine Region mit hohem Risiko umziehen, schießt, sobald sie die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten der neuen Umgebung übernehmen, die Erkrankungsrate steil nach oben.5 Die außergewöhnlich niedrigen Herzerkrankungsraten im ländlichen China und in Afrika wurden mit dem außergewöhnlich niedrigen Cholesterinspiegel dieser Bevölkerungsgruppen in Verbindung gebracht. Obwohl sich Chinesen und Afrikaner sehr unterschiedlich ernähren, gab es einige Übereinstimmungen: Die Ernährung beider Bevölkerungsgruppen basierte auf pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide und Gemüse. Da sie so viele Ballaststoffe und so wenig tierische Fette zu sich nahmen, lag ihr Cholesterinspiegel im Mittel unter 150 mg/dL,6,7 ähnlich wie bei den Leuten, die sich gegenwärtig pflanzenbasiert ernähren.8

Aber was bedeutet das alles? Das bedeutet, dass Sie wahrscheinlich die Wahl haben: Herzerkrankung ja oder nein.

Wenn Sie sich einmal die Zähne von Menschen anschauen, die vor mehr als zehntausend Jahren vor Erfindung der Zahnbürste lebten, werden Sie bemerken, dass diese kaum Löcher hatten.9 Nicht einmal in ihrem Leben benutzten diese Menschen Zahnseide, und trotzdem keine Löcher! Das hängt damit zusammen, dass es damals auch noch keine Schokoriegel gab. Heutzutage bekommen wir Zahnlöcher, weil der Genuss süßer Verführungen die Kosten und die Schmerzen eines Zahnarztbesuchs übertrumpft. Auch ich gönne mir gern hin und wieder Süßes – aber ich habe auch eine gute Zahnversicherung. Was aber, wenn wir statt über Plaque auf den Zähnen über atherosklerotische Plaque reden, die sich an unseren Arterienwänden ablagert? Dann geht es nicht mehr nur um das Entfernen von Zahnbelag. Dann geht es um Leben und Tod.

Herzerkrankungen sind der Hauptgrund dafür, dass wir und die Menschen, die wir lieben, sterben. Natürlich liegt es bei jedem selbst, zu entscheiden, wie er oder sie essen und leben will. Aber sollten wir nicht versuchen, diese Entscheidungen bewusst zu treffen, indem wir uns über die vorhersehbaren Konsequenzen unseres Handelns informieren? Genauso wie wir stark zuckerhaltige Lebensmittel vermeiden können, die unsere Zähne zersetzen, können wir auch auf Transfette, gesättigte Fette und Lebensmittel voller Cholesterin verzichten, die unsere Arterien verstopfen.

Schauen wir uns also einmal an, wie sich koronare Herzkrankheiten im Verlauf des Lebens entwickeln, und werfen wir einen genauen Blick darauf, wie sie sich durch eine einfache Wahl der Ernährungsweise zu jeder Zeit vermeiden, aufhalten und sogar heilen lassen, bevor es zu spät ist.

Ist Fischöl nur Quacksalberei?

Zum Teil auch dank der Empfehlung der American Heart Association, dass Menschen mit einem hohen Risiko für Herzerkrankungen ihre Ärzte nach Omega-3-Fischöl zur Ernährungsergänzung fragen sollten,10 sind diese Kapseln zu einem Multi-Milliarden-Geschäft geworden. Wir nehmen mittlerweile jährlich mehr als einhunderttausend Tonnen Fischöl zu uns.11

Aber was sagt die Wissenschaft dazu? Sind die angeblichen gesundheitlichen Vorteile von Fischölpräparaten bei der Behandlung von Herzerkrankungen nur Seemannsgarn? Im Journal of the American Medical Association wurde eine systematische Auswertung und Metaanalyse der besten randomisierten klinischen Untersuchungen veröffentlicht, die die Auswirkung von Omega-3-Fetten auf Lebensdauer, Herztod, plötzlichen Herztod, Herzinfarkte und Schlaganfälle überprüften. Diese Untersuchungen erforschten nicht nur Fischölpräparate, sondern auch die Auswirkungen, die die Empfehlung zum Verzehr von mehr fetthaltigem Fisch bei den Menschen hatte. Was wurde herausgefunden? Insgesamt konnten die Wissenschaftler keine schützende Wirkung feststellen, was die allgemeine Sterblichkeit oder das Sterblichkeitsrisiko für Herzerkrankungen, plötzlichen Herztod, Herzinfarkte oder Schlaganfälle anging.12

Wie sah es bei Menschen aus, die bereits einen Herzinfarkt hatten und einen weiteren verhindern wollten? Auch hier wurde keine positive Wirkung festgestellt.13

Wie kommen wir überhaupt auf die Idee, dass Omega-3-Fette aus Fisch und Fischölpräparaten gut für uns sind? Es geisterte lange die Vorstellung umher, dass die Inuit vor Herzerkrankungen gefeit sind, aber dies scheint nichts als ein Mythos zu sein.14

Einige frühe Untersuchungsergebnisse allerdings sahen vielversprechend aus. So z. B. der berühmte DART-Versuch aus den 1980er-Jahren, bei dem 2000 Männern geraten wurde, fetthaltigen Fisch zu essen. Dieser Versuch zeigte einen Rückgang der Sterblichkeit um 29 Prozent.15 Das ist ein beeindruckendes Ergebnis, und es ist nicht verwunderlich, dass diese Untersuchung so viel Aufmerksamkeit fand. Doch scheint der Folgeversuch, DART-2, in Vergessenheit geraten zu sein, bei dem genau das Gegenteil herausgefunden wurde. Dasselbe Forscherteam führte mit DART-2 eine noch größere Untersuchung mit dreitausend Männern durch. Dieses Mal jedoch hatten diejenigen, die fetthaltigen Fisch aßen oder Fischölkapseln einnahmen, ein höheres Herztodrisiko.16,17

Nach der Auswertung all dieser Studien kamen Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Verwendung von Omega-3 in der täglichen klinischen Praxis nicht länger zu rechtfertigen war.18 Wie sollten sich Ärzte verhalten, wenn ihre Patienten dem Rat der American Heart Association folgen und nach Fischölpräparaten fragen? Der Direktor für Lipide und Stoffwechsel des kardiovaskulären Instituts am weltweit renommierten Mount Sinai Hospital drückte es so aus: „Aufgrund dieser und anderer negativer Meta-Analysen besteht unsere Aufgabe [als Ärzte] darin, all unseren Patienten keine aggressiv vermarkteten Fischölpräparate mehr zu empfehlen …“19

Herzkrankheiten entstehen in der Kindheit

1953 veränderte eine Studie, die im Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde, grundlegend unser Verständnis von der Entwicklung von Herzkrankheiten. Für diese hatten Wissenschaftler dreihundert Autopsien an amerikanischen Opfern des Koreakriegs vorgenommen, die im Schnitt etwa zweiundzwanzig Jahre alt waren. Erschreckenderweise hatten bereits 77 Prozent der jungen Soldaten sichtbare Anzeichen einer koronaren Atherosklerose. Bei einigen waren die Arterien sogar zu 90 Prozent oder mehr verstopft.20 Diese Studie „zeigte auf dramatische Art, dass atherosklerotische Veränderungen in den Herzkranzgefäßen bereits Jahre und Jahrzehnte auftreten, bevor das Alter erreicht ist, in dem eine koronare Herzkrankheit klinisch als Problem erkannt wird.“21

Spätere Untersuchungen von Unfallopfern im Alter zwischen drei und sechsundzwanzig Jahren fanden heraus, dass Fetteinlagerungen bzw. „fatty streaks“, die Frühform von Atherosklerose, bei fast allen US-amerikanischen Kindern ab dem Alter von zehn Jahren nachweisbar sind.22 Sobald wir in den Zwanzigern oder Dreißigern angekommen sind, können sich diese Fetteinlagerungen zu ernsthaften Blockaden auswachsen, wie sie bspw. bei den jungen amerikanischen GIs aus dem Koreakrieg festgestellt wurden. Und wenn wir über vierzig oder fünfzig Jahre alt sind, können sie uns bereits töten.

Die Frage an alle, die älter als zehn Jahre sind und dies gerade lesen, ist nicht, ob Sie gesünder essen wollen, um eine Herzerkrankung zu vermeiden oder nicht, sondern ob Sie bereit sind, die Herzschädigung zu kurieren, die Sie sehr wahrscheinlich bereits haben.

Ab welchem Zeitpunkt tauchen diese Fetteinlagerungen frühestens auf? Atherosklerose kann schon vor der Geburt einsetzen. Italienische Forscher untersuchten die Arterien von Fehlgeburten und Frühchen, die kurz nach der Geburt gestorben waren. Es stellte sich heraus, dass die Arterien der Föten, deren Mütter einen hohen LDL-Cholesterinspiegel hatten, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Läsionen aufwiesen.23 Dieses Ergebnis legt nahe, dass Atherosklerose nicht erst als ernährungsbedingte Krankheit in der Kindheit, sondern bereits im Mutterleib entstehen kann.

Es ist bereits hinlänglich bekannt, dass schwangere Frauen nicht rauchen und keinen Alkohol trinken sollten. Ebenso ist es nie zu spät, zum Wohle der nächsten Generation damit anzufangen, gesünder zu essen.

Gemäß William C. Roberts, dem Chefredakteur des American Journal of Cardiology, ist der einzige Risikofaktor, der zur Ablagerung von atherosklerotischer Plaque führt, Cholesterin, insbesondere aber ein hoher LDL-Cholesterinwert im Blut.24 LDL wird auch als „böses“ Cholesterin bezeichnet, weil es die Substanz ist, mit der sich Cholesterin an den Arterienwänden ablagert. Autopsien Tausender junger Unfallopfer haben gezeigt, dass die Höhe des Cholesterinwerts im Blut in einem engen Zusammenhang mit der Anzahl von Atherosklerose betroffenen Arterien zusammenhing.25 Um Ihren LDL-Cholesterinwert erheblich zu reduzieren, müssen Sie Ihren Verzehr von drei Dingen drastisch senken: Transfette, die in industriell verarbeiteten Lebensmitteln und natürlich in Fleisch- und Milchprodukten vorkommen; gesättigte Fette, die vornehmlich in tierischen Produkten und Junk Food enthalten sind; und in geringerem Maße durch die Nahrung aufgenommenes Cholesterin, das ausschließlich in tierischen Produkten, vor allem aber Eiern vorkommt.26

Erkennen Sie hier ein Muster? Die drei schlimmsten Wegbereiter von bösem Cholesterin, der Hauptursache für unsere häufigste Todesursache, lassen sich alle auf den Verzehr tierischer Produkte und industriell verarbeiteter Junk Foods zurückführen. Das erklärt wahrscheinlich, warum Bevölkerungsgruppen, deren Ernährung auf vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln basiert, weitestgehend von der Epidemie tödlicher Herzkrankheiten verschont geblieben sind.

Es liegt am Cholesterin!

Dr. Roberts ist nicht nur seit über dreißig Jahren der Chefredakteur des American Journal of Cardiology, sondern auch Geschäftsführer des Baylor Heart and Vascular Institute, und hat darüber hinaus auch über tausend wissenschaftliche Publikationen und mehr als ein Dutzend Lehrwerke über Kardiologie verfasst. Der Mann kennt sich aus.

In seinem Leitartikel „It’s the Cholesterol, Stupid!“ argumentierte Dr. Roberts (wie zuvor angemerkt), dass es nur einen wirklichen Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten gibt: Cholesterin.27 Sie könnten ein fettleibiger, rauchender, an Diabetes leidender Stubenhocker sein und trotzdem nicht an Atherosklerose erkranken, solange der Cholesterinspiegel in Ihrem Blut niedrig genug ist.

Der optimale LDL-Cholesterinwert liegt wahrscheinlich bei 50 oder 70 mg/dL. Je niedriger der Wert, umso besser scheint es zu sein. Mit diesem Wert werden Sie geboren, bei diesem Wert liegen die Bevölkerungsgruppen, die weitestgehend frei von Herzerkrankungen sind, und dies ist auch der Wert, bei dem das Voranschreiten der Atherosklerose bei cholesterinsenkenden Versuchen scheinbar gestoppt wird.28 Ein LDL-Wert um 70 mg/dL entspricht einem Cholesteringesamtwert von 150. Das ist die Grenze, unter der in der berühmten Framingham-Studie, einem über Generationen hinweg angelegten Projekt, das Risikofaktoren für Herzkrankheiten identifizieren sollte, keine weiteren Tode aufgrund von Herzkrankerkrankungen mehr berichtet wurden.29 Das Ziel für die Bevölkerung sollte deshalb ein Cholesteringesamtwert unter 150 mg/dL sein. „Wenn solch ein Ziel ins Auge gefasst würde“, schrieb Dr. Roberts, „könnte die große Geißel der westlichen Welt praktisch beseitigt werden.“30

Der durchschnittliche Cholesteringesamtwert der US-amerikanischen Bevölkerung ist allerdings viel höher als 150 mg/dL. Er liegt bei 200 mg/dL. Wenn die Ergebnisse Ihres Bluttests mit einem Cholesteringesamtwert von 200 mg/dL zurückkämen, könnte Ihr Arzt Ihnen womöglich versichern, dass dieser Wert normal ist. Doch in einer Gesellschaft, in der es „normal“ ist, an einer Herzkrankheit zu sterben, sind das nicht wirklich gute Neuigkeiten.

Um wirklich und definitiv vor einem Herzinfarkt gefeit zu sein, müssen Sie Ihren LDL-Cholesterinwert mindestens auf unter 70 mg/dL senken. Dr. Roberts merkte an, dass es nur zwei Wege gibt, dies für unsere Bevölkerung zu erreichen: Entweder müssen über einhundert Millionen US-Amerikaner ihr Leben lang Medikamente einnehmen, oder aber es wird ihnen ausdrücklich empfohlen, zu einer Ernährung zu wechseln, die auf vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln basiert.31

Sprich: Pillen oder Ernährungsumstellung. Die meisten Krankenkassen zahlen für cholesterinsenkende Statine. Warum sollten wir also unsere Ernährung ändern, wenn wir einfach jeden Tag für den Rest unseres Lebens eine Pille einwerfen können? Leider werden wir in Kapitel 15 sehen, dass diese Medikamente nicht halb so gut funktionieren, wie die meisten Menschen annehmen, und außerdem unschöne Nebenwirkungen verursachen können.

Noch ΄ne Portion Pommes zur Lipitor-Pille?

Das cholesterinsenkende Statin Lipitor ist zu einem der meistverkauften Medikamente aller Zeiten geworden und hat weltweit mehr als 140 Milliarden Dollar Umsatz eingebracht.32 Diese Art von Medikamenten hat unter Medizinern so viel Begeisterung hervorgerufen, dass einige US-Gesundheitsinstitutionen Berichten zufolge sogar befürworteten, diese sollen so wie Fluorid dem öffentlichen Trinkwasser zugesetzt werden.33 Eine Fachzeitschrift für Kardiologie machte sogar den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, in Fast-Food-Ketten neben Ketchup auch „McStatin“-Beutelchen anzubieten, um die Auswirkungen einer ungesunden Ernährung zu neutralisieren.34

Für diejenigen mit einem hohen Risiko für Herzkrankheiten, die nicht willens oder nicht in der Lage sind, ihren Cholesterinwert auf natürliche Weise durch eine Ernährungsumstellung zu senken, überwiegen die Vorteile von Statinen in der Regel deren Nachteile. Trotzdem haben diese Medikamente Nebenwirkungen wie z. B. mögliche Leber- oder Muskelschäden. Der Grund dafür, warum Ärzte routinemäßig regelmäßige Bluttests bei ihren Patienten durchführen, ist das Erkennen einer möglichen Lebervergiftung. Wir können das Blut ebenfalls darauf testen, ob Abbauprodukte von Muskelgewebe darin enthalten sind. Gewebeproben zeigen allerdings, dass Menschen, die Statine einnehmen, auch dann Muskelschäden aufweisen können, wenn ihre Blutanalysen ohne Befund sind und sie keine Symptome schmerzender oder schwacher Muskeln zeigen.35 Die Abnahme von Muskelkraft und -leistung, die mitunter mit diesen Medikamenten in Verbindung gebracht wird, mag für junge Menschen nicht sehr besorgniserregend sein, kann aber für ältere Menschen ein erhöhtes Fall- oder Verletzungsrisiko darstellen.36

Jüngst wurden andere Bedenken laut. Im Jahr 2012 ordnete die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) neue Sicherheitshinweise für Statin-Medikamente an, um Ärzte und Patienten vor möglichen Nebenwirkungen auf das Gehirn wie Gedächtnisverlust und Verwirrung zu warnen. Statine scheinen ebenso das Risiko zu erhöhen, an Diabetes zu erkranken.37 2013 vermeldete eine Studie an mehreren Tausend Brustkrebspatientinnen, dass eine langfristige Einnahme von Statinen das Risiko einer Frau, an invasivem Brustkrebs zu erkranken, verdoppeln könne.38 Frauen sterben eher an Herzerkrankungen als an Krebs, also mögen die Vorteile von Statinen im Vergleich zu ihren Nachteilen überwiegen. Aber warum sollten Sie überhaupt so ein Risiko eingehen, wenn Sie Ihren Cholesterinwert auch natürlich senken können?

Pflanzenbasierte Ernährungsweisen konnten das Cholesterin nachweislich genauso effektiv senken wie First-Line-Statine, allerdings ohne Risiken.39 Die „Nebenwirkungen“ einer gesunden Ernährung sind in der Regel durchgehend positiv: ein geringeres Krebs- und Diabetesrisiko sowie der Schutz von Leber und Gehirn, wie wir später in diesem Buch noch sehen werden.

Herzerkrankungen sind heilbar

Es ist nie zu früh, mit einer gesunden Ernährung anzufangen, aber ist es manchmal schon zu spät? Pioniere der Lebensstilmedizin wie Nathan Pritikin, Dean Ornish und Caldwell Esselstyn Jr. nahmen Patienten mit fortgeschrittenen Herzerkrankungen auf und setzten sie auf eine pflanzenbasierte Diät, die denen der asiatischen und afrikanischen Bevölkerungsgruppen ähnelte, bei denen Herzkrankheiten nicht auftraten. Ihre Hoffnung war, dass eine gesunde Ernährung das Fortschreiten der Krankheit aufhalten würde.

Doch stattdessen passierte etwas Wunderbares.

Die Herzkrankheit der Patienten entwickelte sich zurück. Den Patienten ging es immer besser. Sobald sie damit aufgehört hatten, Essen zu verzehren, das ihre Arterien verstopfte, waren ihre Körper wieder in der Lage, Teile der Plaque-Ablagerungen, die sich gebildet hatten, aufzulösen. Arterien öffneten sich ohne Medikamente oder Operationen, sogar bei einigen Patienten mit einer schweren Dreigefäßerkrankung. Das legt nahe, dass sich die Körper der Patienten die ganze Zeit über selbst heilen wollten, aber bis dahin noch nie die Chance dazu hatten.40

Lassen Sie mich Ihnen das „am besten gehütete Geheimnis der Medizin“ verraten:41 Unter den richtigen Bedingungen heilt sich unser Körper selbst. Wenn Sie Ihr Schienbein mit Schmackes an einen harten Beistelltisch schlagen, kann es rot werden, anschwellen und schmerzen. Wenn Sie von diesem Tisch zurücktreten und Ihren Körper sein eigenes kleines Wunder vollbringen lassen, wird Ihr Schienbein von allein wieder heilen. Was aber, wenn Sie Ihr Schienbein weiterhin an genau derselben Stelle anschlagen, sagen wir zum Beispiel immer zum Frühstück, Mittag- und Abendessen? Es würde niemals heilen.

Sie könnten zu Ihrem Arzt gehen und darüber klagen, dass Ihr Schienbein schmerzt. „Kein Problem!“, wird er sagen und einen Rezeptblock aus der Tasche ziehen, um Ihnen ein Schmerzmittel aufzuschreiben. Sie gehen wieder nach Hause, schlagen nach wie vor Ihr Schienbein dreimal täglich gegen den Tisch, aber die Schmerztabletten machen es ja jetzt erträglich. Gott sei Dank gibt es die moderne Medizin! Genau das passiert, wenn Menschen Nitroglycerin gegen Schmerzen in der Brust nehmen. Die Medizin kann eine unglaubliche Entlastung bieten, aber in dieser Form tut sie nichts gegen die eigentliche Ursache.

Ihr Körper will gesund werden, Sie müssen ihn nur lassen. Doch wenn Sie sich weiterhin an jedem Tag dreimal selbst verletzen, unterbrechen Sie den Heilungsprozess. Denken Sie ans Rauchen und das Risiko von Lungenkrebs: Eines der erstaunlichsten Dinge, die ich während meiner Ausbildung lernte, ist, dass Ihr Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, etwa 15 Jahre, nachdem Sie mit dem Rauchen aufgehört haben, dem eines lebenslangen Nichtrauchers gleicht.42 Ihre Lungen entledigen sich all des Teers, der sich in ihnen angesammelt hat, und zu irgendeinem Zeitpunkt ist es tatsächlich so, als hätten Sie vorher nie geraucht.

Ihr Körper will gesund sein. Und in jeder Nacht, die Sie als Raucher verbringen, wird der Heilungsprozess erneut gestartet, bis Sie sich, pamm!, am nächsten Morgen die erste Zigarette des Tages anstecken.

So wie Sie Ihre Lungen mit jedem Zug neu schädigen, können Sie auch mit jedem Biss Ihren Arterien schaden. Sie können es sanfter angehen und sich vielleicht nur einen kleinen Hammer gegen das Schienbein hauen, aber warum sollten Sie sich überhaupt selbst so zurichten? Sie haben die Wahl, damit aufzuhören, sich selbst zu verletzen und sich selbst im Weg zu stehen, und den natürlichen Heilungsprozess Ihres Körpers wieder in Gang zu bringen, der Sie zurück zu einer robusten Gesundheit führt.

Endotoxine legen die Arterien lahm

Eine ungesunde Ernährung wirkt sich nicht nur negativ auf die Struktur Ihrer Arterien aus, sondern auch auf ihre Funktion. Ihre Arterien sind nicht nur bloße Rohre, durch die Blut fließt. Sie sind dynamische, lebende Organe. Wir wissen seit fast zwei Jahrzehnten, dass eine einzige Fast-Food-Mahlzeit (in der ursprünglichen Untersuchung bestand diese aus einem McMuffin mit Eiern und Würstchen) Ihre Arterien innerhalb von Stunden steif werden lässt, und deren Fähigkeit, sich zu entspannen, um die Hälfte reduziert.43 Und gerade dann, wenn dieser Entzündungszustand nach fünf oder sechs Stunden nachlässt – Mittagszeit! Vielleicht attackieren Sie Ihre Arterien nun mit einer neuen Ladung schädlichen Essens – eine Gewohnheit, die viele US-Amerikaner in dem gefährlichen Zustand einer chronischen schwachen Entzündung feststecken lässt. Ungesunde Mahlzeiten verursachen nicht erst Jahrzehnte später innere Schäden, sondern hier und jetzt, gleich wenige Stunden nachdem sie Ihren Mund passiert haben.

Ursprünglich machten Wissenschaftler tierische Fette und Eiweiße dafür verantwortlich, doch verlagerte sich der Fokus mittlerweile auf bakterielle Giftstoffe, sogenannte „Endotoxine“. Bestimmte Lebensmittel wie bspw. Fleisch scheinen Bakterien zu beherbergen, die tot oder lebendig Entzündungen auslösen können, sogar wenn das Essen vollständig durchgegart ist. Endotoxine werden weder durch hohe Kochtemperaturen noch durch Magensäure oder Verdauungsenzyme zersetzt, also können sie nach einer Mahlzeit mit tierischen Produkten in Ihrem Verdauungstrakt landen. Man geht davon aus, dass sie gesättigte Fette als Träger nutzen, um über die Darmwand in die Blutbahn zu gelangen, wo sie dann eine entzündliche Reaktion in Ihren Arterien auslösen können. 44

Das mag die erstaunliche Geschwindigkeit erklären, mit denen es Herzpatienten besser geht, wenn ihre Ernährung plötzlich hauptsächlich aus pflanzlichen Lebensmitteln einschließlich viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und Bohnen besteht. Dr. Ornish stellte bei Patienten mit einer pflanzenbasierten Ernährung innerhalb weniger Wochen eine Reduktion der Angina-Anfälle um 91 Prozent fest, sowohl mit45 als auch ohne Sport.46 Dieses schnelle Verschwinden der Brustschmerzen geschah viel früher, als der Körper in der Lage gewesen wäre, die Plaque aus den Arterien zu entfernen. Dies legt nahe, dass eine pflanzenbasierte Ernährung nicht nur dabei hilft, die Arterien zu säubern, sondern auch ihre ständige Funktion verbessert. Im Gegensatz dazu hatten die Patienten der Kontrollgruppe, denen gesagt wurde, sie sollen den Rat ihrer Ärzte befolgen, ein um 186 Prozent erhöhtes Risiko von Angina-Anfällen.47 Es überrascht nicht, dass sich ihr Zustand verschlechterte, da sie weiterhin derselben Ernährungsweise folgten, die ihre Arterien erst lahmgelegt hatte.

Wir wissen seit Jahrzehnten um die enorme Wirkung einer Ernährungsumstellung. So gab es z. B. bereits 1977 im American Heart Journal eine Veröffentlichung mit dem Titel „Angina und vegane Ernährung“. Die vegane Ernährungsweise ist ausschließlich pflanzenbasiert und verzichtet auf Fleisch- und Milchprodukte sowie Eier. Ärzte beschrieben Fälle wie den von Herrn F. W. (der volle Name wird zum Schutz des Patienten und aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht genannt), einem fünfundsechzigjährigen Mann, der so stark an Angina litt, dass er bereits nach neun oder zehn Schritten pausieren musste. Er schaffte es nicht einmal mehr bis zum Briefkasten. Er begann mit einer veganen Ernährung, und innerhalb weniger Tage ließen seine Schmerzen nach. Innerhalb mehrerer Monate soll er angeblich Berge bestiegen haben, und zwar schmerzfrei.48

Sie sind noch nicht dazu bereit, sich gesund zu ernähren? Nun, dann gibt es eine neue Generation von Medikamenten gegen Angina pectoris, z. B. Ranolazin (als Ranexa erhältlich). Der Repräsentant eines Pharmaunternehmens empfahl, dieses Medikament bei Menschen einzusetzen, die „nicht in der Lage sind, die grundlegenden Veränderungen ihrer Ernährungsweise durchzuführen, die für eine vegane Ernährung erforderlich sind.“49 Das kostet zwar über 2.000 US-Dollar pro Jahr, dafür sind jedoch die Nebenwirkungen verhältnismäßig gering, und es funktioniert … theoretisch. Mit der höchsten Dosierung konnte Ranexa die Dauer einer sportlichen Betätigung um 33,5 Sekunden verlängern.50 Über eine halbe Minute! Es sieht nicht so aus, als ob diejenigen, die diese Methode wählen, in absehbarer Zeit Berge besteigen werden.

Senken Paranüsse das Cholesterin?

Kann eine einzige Portion Paranüsse Ihren Cholesterinspiegel schneller senken als Statine und darüber hinaus noch einen Monat nach dem Verzehr auf einem geringen Niveau halten?

Das ist eines der kuriosesten Forschungsergebnisse, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Brasilianische Wissenschaftler gaben zehn Männern und Frauen eine einzige Portion Paranüsse, die aus einer bis acht Nüssen bestand. Beim Vergleich mit der Kontrollgruppe, die überhaupt keine Nüsse aß, kam erstaunlicherweise heraus, dass eine Portion von nur vier Paranüssen den Cholesterinspiegel nahezu sofort verbesserte. Der LDL-Wert (das „böse“ Cholesterin) sank nur neun Stunden nach dem Verzehr der Nüsse um unglaubliche zwanzig Punkte.51 Nicht einmal Medikamente wirken so schnell.52

Jetzt kommt der wirklich verrückte Teil: Die Wissenschaftler maßen den Cholesterinspiegel der Probanden noch einmal – dreißig Tage später. Sogar einen Monat nach dem Verzehr einer einzigen Portion Paranüsse blieben die Werte weiterhin niedrig!

Wenn solch eine Untersuchung mit Ergebnissen in der medizinischen Fachliteratur auftaucht, die zu gut zu sein scheinen, um wahr zu sein, warten Ärzte normalerweise ab, bis die Forschungsergebnisse erneut bestätigt werden, bevor sie ihren Patienten etwas Neues empfehlen; besonders, wenn die Untersuchung mit nur zehn Teilnehmern durchgeführt wurde und die Ergebnisse schlicht unglaublich zu sein scheinen. Wenn eine Maßnahme aber günstig, einfach und harmlos ist – wir reden hier über vier Paranüsse im Monat –, dann müssen die Beweise meiner Meinung nach nicht erdrückend sein. Hier wäre eine vernünftige Strategie, es einfach auszuprobieren, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Zu viel des Guten ist allerdings schädlich. Paranüsse haben einen solch hohen Selengehalt, dass Sie schnell die Grenze der vertretbaren täglichen Menge erreichen, wenn Sie jeden Tag vier Nüsse essen. Wenn Sie allerdings bei nur vier Nüssen im Monat bleiben, müssen Sie sich darüber keine Sorgen machen.

Folgen Sie dem Geld

Forschungsergebnisse, die zeigen, dass koronare Herzerkrankungen mit einer pflanzenbasierten Ernährung behandel- und heilbar sind, mit oder ohne weitere begleitende Änderungen hin zu einer gesunden Lebensweise, werden seit Jahrzehnten in einigen der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften der ganzen Welt veröffentlicht. Warum sind diese Neuigkeiten dann nicht in der öffentlichen Praxis umgesetzt worden?

1977 versuchte das US Senate Committee on Nutrition and Human Needs genau das. Das auch als McGovern-Komitee bekannte Gremium veröffentlichte Ernährungsrichtlinien für die USA, den sogenannten McGovern Report, und riet den US-Amerikanern darin, ihren Konsum tierischer Produkte zu reduzieren und stattdessen mehr pflanzliche Lebensmittel zu verzehren. Ein Gründungsmitglied des Instituts für Ernährungswissenschaft der Harvard Universität erinnert sich, dass „die Produzenten von Fleisch-, Milch- und Eierzeugnissen sehr aufgebracht waren“.53 Das ist eine grobe Untertreibung. Unter dem Druck der Industrie wurde nicht nur das Ziel eines „reduzierten Fleischkonsums“ aus den Richtlinien entfernt, sondern gleich das gesamte Komitee aufgelöst. Mehrere prominente Senatoren verloren angeblich wegen ihrer Unterstützung des McGovern Reports die Wahlen.54

In jüngeren Jahren wurde außerdem aufgedeckt, dass viele Mitglieder des US-amerikanischen Dietary Guidelines Advisory Committee (Beratungsausschuss für Ernährungsrichtlinien) finanzielle Verbindungen zu allen möglichen Unternehmen aus der Nahrungsmittelindustrie hatten, von Süßwarenherstellern bis hin zu Organisationen wie McDonald‘s Council on Healthy Lifestyles (McDonald‘s Beirat für gesunde Lebensweisen) und Coca-Colas Beverage Institute for Health and Wellness (Getränkeinstitut für Gesundheit und Wohlbefinden). Ein Mitglied des Beratungsausschusses war sogar als Aushängeschild des Herstellers für Kuchenfertigmischungen Duncan Hines und später auch für Crisco, einen Margarine- und Fetthersteller, tätig, bevor sie sich daranmachte, bei der Erstellung offizieller Ernährungsrichtlinien für die US-amerikanische Bevölkerung mitzuwirken.55

Ein Kommentator bemerkte im Food and Drug Law Journal, dass die Veröffentlichungen des Dietary Guidelines Advisory Committee traditionell Folgendes enthielten:

Keinerlei Diskussion der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu den gesundheitlichen Folgen von Fleischkonsum. Würde der Ausschuss sich tatsächlich mit diesen Forschungsergebnissen befassen, könnte er seine Empfehlung, Fleisch zu essen, nicht weiter aufrecht erhalten, da wissenschaftlich belegt ist, dass Fleisch die Risiken chronischer Krankheiten erhöht, was gänzlich im Gegensatz zu den herausgegebenen Empfehlungen steht. Nur durch das Ignorieren dieser Forschungsergebnisse kann der Ausschuss zu einem Schluss kommen, der andernfalls vollkommen unangemessen erscheinen würde.56

Wie aber sieht es mit der Ärzteschaft aus? Warum sind meine Kollegen nicht von diesen Forschungen begeistert, die beweisen, wie stark die Macht einer gesunden Ernährung ist? Leider gibt es in der Geschichte der Medizin viele Beispiele dafür, wie das medizinische Establishment solide wissenschaftliche Erkenntnisse verwirft, wenn sie gegen die vorherrschenden konventionellen Weisheiten verstoßen. Dafür gibt es sogar ein Wort: „Tomateneffekt“. Dieser Begriff wurde vom Journal of the American Medical Association in Anlehnung an die Tatsache geprägt, dass Tomaten einst für giftig gehalten und deshalb jahrhundertelang in Nordamerika gemieden wurden, auch wenn es überwältigende Gegenbeweise gab.57

Es ist schlimm genug, dass die meisten medizinischen Fakultäten in den USA nicht einmal einen einzigen verpflichtenden Kurs zur Ernährungswissenschaft anbieten,58 aber es ist noch weitaus schlimmer, wenn die etabliertesten medizinischen Organisationen aktiv gegen eine stärkere ernährungswissenschaftliche Ausbildung von Ärzten zu Felde ziehen.59 Als herauskam, dass die American Academy of Family Physicians (Amerikanische Akademie der Hausärzte, AAFP) stolz eine neue Geschäftsbeziehung mit Coca Cola eingegangen war, um die Patientenaufklärung über gesunde Ernährung zu fördern, fiel einem der Geschäftsführer der Akademie kein besseres Argument ein, als zu erklären, dass so etwas kein Einzelfall bei der Akademie wäre, schließlich hätten sie schon seit einiger Zeit geschäftliche Verbindungen zu PepsiCo und McDonald’s.60

Noch früher gab es sogar finanzielle Verbindungen zum Tabakhersteller Philip Morris.61

Dieses Argument schien die Kritiker jedenfalls nicht zu beschwichtigen, also zitierte der Vertreter der Akademie die folgende Grundsatzerklärung der American Dietetic Association (Amerikanische Diätetische Vereinigung, ADA), dass „es keine guten oder schlechten Nahrungsmittel, sondern nur gute oder schlechte Ernährungsweisen gibt.“ Keine schlechten Nahrungsmittel? Tatsächlich? Die Tabakindustrie versuchte sich an einem ähnlichen Motto: Nicht das Rauchen an sich war schädlich, sondern nur „übermäßiges“ Rauchen.62 Kommt Ihnen bekannt vor, nicht wahr? Alles in Maßen.

Die American Dietetic Association (ADA), die eine ganze Serie an Informationsblättern zum Befolgen einer gesunden Ernährung herausgibt, hat ebenfalls ihre Verbindungen zur Unternehmenswelt. Wer schreibt diese Informationsblätter eigentlich? Die Lebensmittelindustrie zahlt der ADA pro Infoblatt 20.000 US-Dollar, um ausdrücklich beim Entwurfsprozess beteiligt zu sein. Daher dürfen wir also alles Wissenswerte über Eier vom American Egg Board und mehr über die gesundheitlichen Vorteile von Kaugummi vom Wrigley Science Institute erfahren.63

Im Jahr 2012 änderte die ADA ihren Namen in Academy of Nutrition and Dietetics, ihre Grundsätze aber scheinbar nicht. Sie erhält weiterhin jedes Jahr Millionen-Zuwendungen von den Produzenten von Junk Food, Fleisch- und Milcherzeugnissen, Erfrischungsgetränken und Süßwaren. Als Gegenleistung lässt sie zu, dass diese Weiterbildungsseminare anbieten, um Ernährungsberatern beizubringen, was diese ihren Patienten erzählen sollen.64 Wenn Ihnen in den USA jemand mit dem Titel „registered dietitian“ (zertifizierter Ernährungsberater) über den Weg läuft, hat er oder sie ihn von dieser Organisation verliehen bekommen. Glücklicherweise hat sich unter den Ernährungsberatern und Diätspezialisten eine Bewegung namens Dietitians for Professional Integrity (Ernährungsberater für berufliche Integrität) formiert, die sich diesem Trend entgegenstellt.

Doch wie sieht es mit den Ärzten aus? Warum sagen meine Kollegen ihren Patienten nicht, dass sie sich von ihrem McChicken verabschieden sollen? Zu wenig Zeit während des Patientengesprächs ist eine häufige Ausrede, die Ärzte anbringen, doch der Hauptgrund, warum sie ihre Patienten mit einem hohen Cholesterinspiegel nicht zu einer gesünderen Ernährung anhalten, ist, dass sie glauben, die Patienten würden „Einschränkungen im Zusammenhang mit Ratschlägen zur Ernährung befürchten.“65 D. h. sie sind der Ansicht, dass ihre Patienten sich des Junk Foods, das sie essen, beraubt fühlen würden. Können Sie sich einen Arzt vorstellen, der erklärt: „Ja, ich würde meinen Patienten schon gern sagen, sie sollten mit dem Rauchen aufhören, aber ich weiß leider, wie sehr sie es lieben.“?

Dr. Neal Barnard, Präsident des Physicians Committee for Responsible Medicine (Ärztekomitee für verantwortungsvolle Medizin), schrieb einen überzeugenden Leitartikel in der Ethikfachzeitschrift der American Medical Association, in dem er beschrieb, wie Ärzte von passiven Zuschauern oder sogar Wegbereitern des Rauchens zur führenden Gruppe im Kampf gegen Tabak wurden. Ihnen wurde bewusst, dass es wesentlich effektiver war, die Patienten dazu zu bewegen, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn sie selbst keine Tabakverfärbungen mehr an den Fingern hatten.

Heute sagt Dr. Barnard, dass „eine pflanzenbasierte Ernährung das ernährungstechnische Äquivalent davon ist, mit dem Rauchen aufzuhören.“66