Es gibt kein schlimmeres Symptom bei den Werken eines jungen Künstlers als zu viel Virtuosität im Pinselstrich, denn das ist das Zeichen dafür, dass er mit seiner Arbeit zufrieden ist und dass er nicht versucht hat, es besser zu machen, als er es schon konnte. Das Werk der Jungen soll voller Fehler sein, denn Fehler sind Zeichen für Anstrengung. Sie müssen sich an die ruhigen Farben halten, an das Graue und das Braune, und sich die ersten Werke von Turner zum Beispiel nehmen und seine letzten Werke zum Ziel, sie müssen sich mit aller Einfachheit des Herzens in die Natur begeben und sich von ihr treiben lassen, und hartnäckig und treu nur eine Idee verfolgen: Ihre Bedeutung zu durchdringen und an ihre Bedeutung zu erinnern, ohne irgendetwas abzulehnen, ohne irgendetwas zu verachten, ohne irgendetwas auszuwählen!“[9]

Die Losung war gefunden.

Wer war nun der Schriftsteller, der auf diesen 1843 geschriebenen Seiten, lange vor den Realisten, den Realismus genau formulierte, zu einer Zeit, als Gustave Courbet und seinesgleichen noch Kinder waren oder gerade die Schule verließen und mühsam ihren Weg suchten? Er war ja selbst fast noch ein Kind. Mit dreiundzwanzig Jahren hatte er das geschrieben, in einer kleinen Villa in einem Vorort von London, in Herne Hill, da, wo sich die Hänge des Surrey verzweigten. Mehrere Jahre lang hatte er mit seinen Eltern Reisen nach Italien, an den Rhein und in die Schweiz unternommen. Dort konnte man ihm zusehen, wie er Unterlagen sammelte, Bilder abmalte, Blätter und Blumen unter dem Mikroskop betrachtete, wie er mit dem Bleistift in der Hand durch Museen und Gebirge streifte und die Profilkante eines Steilhangs oder den Verlauf eines Gletschers zeichnete. Und da er durch seine große Verehrung für Turner dazu entschlossen war, zu versuchen, diesen großen Künstler zu verherrlichen, nahm er all diese Beobachtungen und all diese Beispiele zu Hilfe und schrie dem verblüfften England zu, dass nichts auf der Welt schöner sei als die Natur und dass die Kunst und dass ein großes Volk, das sich Ausdruck gab, zum Künstler werde, wann es wolle. Daraus entstand der erste Band der Modern Painters.

Daraus sollten über fünfzig Jahre hinweg jene außergewöhnlichen Beschwörungen der menschlichen Monumente und der göttlichen Dinge, des antiken Denkens und der verloren gegangenen Inspiration hervorgehen: Die sieben Leuchter der Baukunst, Die Steine von Venedig, Aratra Pentelici, Val dArno, Sesamund Lilien, Die Königin der Luft, Das Adlernest, Ariadne florentina, Sechs Morgen in Florenz und Laws of Fiesole, Lois de Fiesole, in denen dieser autoritäre Anführer, dieser Souverän der Ästhetik, die Heilung vom schlechten Geschmack verspricht, vorausgesetzt, dass man ihm blind folgt. Werke, die so voll von kritischer Scharfgeistigkeit sind und von schöpferischem Atem, dass man sie Gedichte der Kritik[10] nennen könnte. Mit dieser Begeisterung für den Himmel, die Wolken, den Wald, die Gewässer und die Felsen musste John Ruskin ja im Laufe von fünfzig Jahren die englische Vorstellungskraft schrittweise zu jener Begeisterung hinauf erheben, deren übertriebene Ästhetik der belächelte, aber sehr ehrlich gemeinte Ausdruck war.