Dieser letzte Charakterzug zeigt die Grundlagen des englischen Denkens. Die Kunst soll didaktisch sein, aber nicht als höchstes Ziel, sondern weil sie uns, indem sie uns im Kleinen zeigt, wie wunderbar die Schöpfung ist, zur Verehrung des Schöpfers erheben soll. Ruskin war schon ein alter Mann, als er am 16. September 1888 in Chamonix schrieb: „Alles, was im Ausdruck meiner jugendlichen Leidenschaft enthalten ist, ist sichtbar und zusammengefasst in jenem Satz, der vor zwanzig Jahren, als ich in Oxford meine Vorträge begann, am Anfang stand: „Alle große Kunst ist Verehrung!““ Watts erklärt in seiner Kritik an Haydon: „Jede Kunst, die einen wirklichen und dauerhaften Erfolg hatte, verallgemeinert ein großes Prinzip des Geistes oder der Materie, eine große Wahrheit, einen großen Absatz im Buch der Natur“. Hunt beschreibt dieses Ziel genauer:
„Ich glaube, dass jeder aufgeklärte Mensch, der in ein Museum geht und sich mit den Zeugnissen vom Zusammenspiel der geordneten Schöpfung und damit, wie sie im Verhältnis zu den neuesten und zu den ältesten Fakten stehen, vertraut macht, instinktiv spürt, wie in ihm die Gewissheit von der Existenz des Schöpfers wächst, und damit die Gewissheit von seiner Größe und von seiner Allmacht, eines Tages die Liebe und die Gerechtigkeit herrschen zu lassen.“
Eben jene, die der Kunst kein so rein religiöses Ziel zuschreiben, schreiben ihr ein moralisches Ziel zu und glauben mit Blake: „Wenn Sie die Menschheit degradieren wollen, ist das beste Mittel, zuerst die Künste zu degradieren.“[39] Es wurde bis zum Überdruss diskutiert, meinte einer ihrer Kritiker, ob man die Ligurer von Burne-Jones ächten solle oder nicht, weil sie einen „pessimistischen“ Ausdruck zeigen. Unabhängig von ihrem Rang stimmen alle großen englischen Künstler darin überein, dass das gesamte Volk von ihnen eine Predigt oder ein Moralbeispiel erwartet.
Das ist ein sehr schönes Ziel, aber es erscheint zuerst einmal ziemlich unrealistisch. Nicht das gesamte Volk ist Künstler oder materiell in der Lage, in den Genuss von Kunstwerken zu kommen. So sollte es aber sein, und darin liegt die höchst ursprüngliche Auffassung, die die zeitgenössischen Engländer von der Kunst, von ihrer Produktion und von ihrem Nutzen haben. Wenn es nach ihnen geht, nach Ruskin, Burne-Jones, William Morris, Walter Crane, Richmond, Holiday und allen Neu-Präraffaeliten, dann soll eben die gesamte Demokratie an den unendlichen und moralisierenden Freuden teilnehmen, die die Ästhetik uns bringt. Nach ihren Prinzipien soll die Kunst gleichzeitig sehr edel und sehr populär sein: Sie soll die philosophischsten Dinge sagen, und zwar allen. Sie soll den Menschen, der sie schafft, erheben, also alle Menschen, weil sie von allen Menschen geschaffen werden soll, und sie soll den erheben, der sie genießt, also alle, denn alle sind berufen, sie zu genießen. „Es ist eine Schande für einen ehrlichen Künstler,“ sagte William Morris, „zu genießen, was er selbst geschaffen hat, wie es ja auch für einen reichen Mann eine Schande wäre, inmitten an Erschöpfung sterbender Soldaten in einem belagerten Fort zu wohnen und reichlich zu essen.“