Höhepunkte
1) Habe Papa überredet, die Anschaffung eines neuen Fernsehers zumindest zu überdenken.
Tiefpunkte
1) Mein Pickel hat über Nacht eine gelbe Eiterhaube bekommen. Habe ihn ausgedrückt. (BÖSER FEHLER!) Meine Nase ähnelt jetzt einer aufgeplatzten Tomate.
2) In China haben sie ein neues Grippe-Virus entdeckt, das die ganze Welt ausrotten könnte.
3) Montag muss Papa wieder arbeiten und ich bin mit Mama und Ottilie allein zu Haus. Befürchte das Schlimmste.
Eigentlich wollte Papa noch ein paar Tage Urlaub nehmen, weil es Mama noch immer nicht besser geht, aber das klappt jetzt doch nicht. Gestern war er deswegen nämlich kurz im Büro und da hat sein Chef zu ihm gesagt, er selber hätte seiner Frau nie ein Kind gemacht, wenn er gewusst hätte, dass sie damit allein nicht klarkommt. In seinen Augen ist Papa selber schuld an der Situation, weil er sich seine Frau scheinbar schlecht ausgesucht hat. Also kriegt er keinen Urlaub. Papa meinte, das sei zu erwarten gewesen. Sein Chef sei eben ein Manager alter Schule und solche Männer hielten Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, generell für Weicheier. Erinnere mich dran, dass ich später einen Beruf mache, in dem man grundsätzlich keinen Chef hat!
Mama hat noch immer Probleme mit ihrem Dammschnitt.10 Eigentlich müsste sie Kamillenbäder nehmen, aber sie will nicht. Sie sagt, sie fühlt sich noch immer so schlapp, dass sie die wenige Kraft, die sie hat, lieber nutzen will, um Ottilie das Fläschchen zu geben. Frage mich, was mit dem Wickeln ist. Bisher hat Papa das meistens erledigt. Muss ich das jetzt machen??
14.56 Uhr. Nach der Schule. (Wir hatten heute Tag der offenen Tür mit Anwesenheitspflicht. Abartig.)
Scheinbar habe ich keinerlei Menschenkenntnis! Da mache ich mir schon seit Tagen einen Kopf, wie ich Hanna davon abhalten kann, sich vor Ben grauenhaft zu blamieren, und was ist? Ben ist zu ihr keinen Deut anders als sonst auch! Er hat sie weder verarscht noch geschnitten. Und als sie ihn heute nach einer Zigarette gefragt hat (völlig daneben, da jeder weiß, dass Ben nicht raucht), hat er sie sogar angelächelt, seinen Lockenkopf geschüttelt und gemeint, sie solle mit dem Scheiß bloß nicht anfangen. Davon bekäme man Lungenkrebs und sein Opa sei daran gestorben. Unglaublich! Erst hab ich gedacht, er hat den Brief noch nicht gelesen, aber dann hab ich in der großen Pause gesehen, dass ein Stück von dem Diddl-Papier aus seiner Hosentasche rausguckte. Also hat er ihn gelesen und ist trotzdem nett zu Hanna. Oder gerade deswegen. Mein Gott, Ben steigt noch mehr als ohnehin schon in meiner Achtung! Ich hätte schwören können, Hanna kriegt kein Bein mehr bei ihm auf den Boden, und jetzt das …
Eben gerade hat es geklingelt. Weil ich im Bad war, hat Papa unten aufgemacht und ist dann zu mir hochgekommen und hat gemeint, das wäre Ben gewesen. Ob ich heute um fünf, nach dem Treffen mit seiner Band, Zeit hätte, ihn vorne auf dem Spielplatz zu treffen. Unfassbar. Kannst du dir vorstellen, was das soll?
15.12 Uhr.
Habe eben mit Hanna telefoniert und ihr das mit Ben und dem Treffen erzählt. Hanna meinte, er will mir sicher einen Antwortbrief für sie geben. Ich hab erwidert, dass Ben bestimmt keiner ist, der eine Botin braucht, um einen Brief zu übergeben. Und dass er ihn ja auch in den Briefkasten hätte legen oder meinem Vater geben können. Hanna hat daraufhin gesagt, ich hätte keine Ahnung.
»Er ist eben schüchtern und außerdem ist es so viel romantischer.«
Romantischer, ha! Vielleicht hat der Austausch von Briefchen auf Diddl-Papier auf einem Spielplatz im Regen ja was Romantisches, wenn es sich bei den Anwesenden um Romeo und Julia handelt, aber so …
»Meinst du wirklich, dass …?«
»Oh, Julie!«
Hanna hat seufzend gemeint, dass ich, was die Liebe anbelangt, das Niveau einer Sechsjährigen hätte.
»Manchmal begreifst du wirklich gar nichts. Also, wo trefft ihr euch?«
»Auf dem Spielplatz vorn an der Straße.«
»Gut, das geht. Um fünf bin ich wieder vom Hockey zurück.«
Ich hab den Hörer angestarrt, als hätte er sich mit einem Mal in eine Banane verwandelt.
»Wieso bist du wieder vom Hockey zurück?«
»Na, ist doch logisch. Ich werd natürlich dabei sein.«
»Oh. Klar.« Manchmal bin ich wirklich etwas schwer von Begriff. »Dann brauch ich aber nicht da zu sein, oder? Ich mein, wenn du da bist und er ist da …«
»Aber natürlich musst du da sein! Ich versteck mich doch im Gebüsch.«
»Ah. Äh … Warum?«
Am anderen Ende hat Hanna aufgestöhnt.
»Mann, Julie! Jetzt denk doch mal nach! Er will mit dir sicher über seine Gefühle zu mir reden. Wahrscheinlich ist er auch schon die ganze Zeit in mich verknallt und traut sich nur nicht, mir das zu sagen. Aber jetzt hab ich mit dem Brief den ersten Schritt gemacht. Also, wenn er dir den Brief für mich mitgeben will, dann gibst du mir ein Zeichen und ich tu dann so, als ob ich gerade ganz zufällig vorbeikomme. Und dann – Bingo!«
»Bingo. Woh …«
»Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?«
Ich hab geschluckt.
»Nichts. Ich mein ja nur … Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das glaubt. Das mit dem zufällig Vorbeikommen …«
Hanna hat am anderen Ende wieder geseufzt.
»Es ist doch völlig egal, ob er es glaubt. Er ist verliebt. Und dann sieht er mich, quasi seine Angebetete, plötzlich dort stehen. Auf dem Spielplatz, direkt vor ihm. Das ist für ihn so, als ob ein Traum in Erfüllung geht …«
Ich hab gedacht, wohl eher ein Albtraum, aber das habe ich natürlich nicht gesagt. Stattdessen hab ich resignierend die Schultern gezuckt.
»Wenn du meinst …«
Hanna ist richtig ins Schwärmen gekommen und ich hatte wieder so ein komisches Gefühl. Ich versteh einfach nicht, warum ich immer in so beknackte Situationen geraten muss. Ich mein, ich würde nie jemandem einen Liebesbrief schreiben! Und selbst wenn, würde ich ihn zumindest niemals abgeben! Never ever!! Außerdem kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass Ben sich allen Ernstes in Hanna verliebt hat. Seine letzte Freundin war immerhin eine Klasse über ihm und er ist im Schulsprecherteam und macht wirklich tolle Musik und hat ganz lange blonde Locken und Hanna ist erst zwölf! Und sie steht auf »Tokio Hotel«. Ich meine, nichts gegen »Tokio Hotel«. Sophie findet die auch toll, aber zufällig weiß ich, dass Ben Tokio Hotel für totalen Schrott hält. Außerdem wünscht Hanna sich zur Konfirmation eine Jacke aus echtem Pelz und Ben ist Mitglied beim Tierschutzverein und will sich auf gar keinen Fall konfirmieren lassen. Und er hasst Diddl-Papier! ---
16.43 Uhr.
Habe mir das eben noch mal durchgelesen und bin entsetzt. Wenn ich jemand anderer wäre und würde das lesen, wäre ich mir ziemlich sicher, dass die Verfasserin etwas ist, was ich überhaupt nicht bin. Wirklich nicht! Ich bin nicht eifersüchtig auf Hanna! Ich bin froh, dass alles zwischen uns wieder gut ist (mal abgesehen von dieser blöden Sache mit Scharina). Und ich freue mich für sie, wenn Ben sie auch mag. Schließlich ziehen Gegensätze sich an. Und vielleicht lässt Ben sich ja doch noch konfirmieren, wer weiß. Und dass er keinen Bock auf Markenklamotten hat, während Hanna ohne ihre Dolce-&-Gabbana-Jacke keinen Schritt aus der Tür geht, muss nicht heißen, dass sie nicht zusammenpassen.
Ich bin eine blöde, neidische Tante!!! So, jetzt gehe ich auf diesen Spielplatz, nehme Bens Brief, gebe ihn Hanna und freue mich für die beiden.
17.45 Uhr.
Oh Gott! So eine Scheiße!! Was war das denn??!!! Ahhhh!!!
17.55 Uhr.
Habe soeben anderthalb Tafeln Vollmilch-Nuss-Schokolade von Mamas eisernem Vorrat verdrückt. Jetzt ist mir schlecht. Ich glaube nicht, dass das von der Schokolade kommt. (Mein Rekord liegt bei vier Tafeln am Stück und selbst da ist mir nicht schlecht geworden!) Das Ganze liegt wahrscheinlich viel eher an dem Schock. Du kannst dir nicht vorstellen, was eben passiert ist. Es ist ALLES schiefgegangen, was schiefgehen konnte. Wirklich ALLES!
Ich kann’s noch immer nicht fassen! Ben war schon da, als ich gekommen bin, und hat auf mich gewartet und ich hab gleich gedacht, dass er irgendwie komisch aussieht. So, als wisse er selber nicht so richtig, was er eigentlich sagen will. Also hab ich mir gedacht, wahrscheinlich hat Hanna recht und er ist wirklich schüchtern und verliebt. Da sieht man dann eben komisch aus. Hanna hab ich nicht entdeckt, aber das hat mich eher beruhigt. Irgendwie hab ich wohl noch gehofft, dass sie doch lieber zu Hause geblieben ist. Oder dass sie erst später kommt und ich mich also nicht so beobachtet fühlen muss. Ben hat von Hanna und ihrem eventuellen Versteck im Gebüsch natürlich nichts geahnt. Er hat sich nur gewundert, warum ich mich so oft umgesehen habe, und mich dann gefragt, ob es mir vielleicht unangenehm wäre, mit ihm gesehen zu werden. Ich hab gegrinst und gesagt, das wäre Quatsch. Ben hat zurückgegrinst und gesagt, das hätte er sich denken können. Nach der Nummer mit dem Elternabend sei mir sicher so schnell nichts mehr peinlich. Ich hab ihn in die Seite geboxt, so einen Spruch muss man schließlich gleich ahnden. Er hat zurückgeboxt und wir haben rumgealbert und für einen Moment war’s richtig nett. So, als ob wir noch Kinder wären und einfach miteinander Blödsinn machen würden. Aber im nächsten Moment hab ich gesehen, wie sich weiter hinten im Gebüsch was bewegt hat. Und da hab ich begriffen, dass Hanna doch nicht zu Hause geblieben ist. Ben hat gemerkt, dass ich aufgehört hab zu lachen, und auf einmal herrschte eine ganz beklommene Stimmung. Oh, Mann!
Kurz darauf ist dann der Regen doller geworden. Ben hat mich an der Hand genommen und wir sind zu dem kleinen Spielhäuschen hinter der Schaukel gelaufen. Da drinnen war es auch nicht viel trockener als draußen, aber immerhin musste ich nicht mehr ständig Hannas silberne Dolce-&-Gabbana-Jacke hinter dem Gebüsch hervorlugen sehen. Merkwürdigerweise hat Ben meine Hand noch immer festgehalten, obwohl das gar nicht mehr nötig war. Ein paar Sekunden lang wusste ich nicht, ob ich mich jetzt losmachen sollte oder nicht, aber dann habe ich mir einen Ruck gegeben und ihn so lässig wie möglich gemustert.
»Okay … Du wolltest mich sprechen?«
Ben hat mich etwas irritiert angeguckt (mit so viel Coolness bei einer Diddl-Brief-Überbringerin aus der Sechsten hat er wahrscheinlich nicht gerechnet), aber dann hat er gelächelt und gemeint, das gefiele ihm.
»Mut hast du.«
»Na ja, so viel Mut braucht man dazu ja auch nicht …«
»Ach, nein?«
Ben hat mich ganz komisch angeguckt und ich hab gedacht: Was hat er denn nur?
Für einen Moment war es wieder ganz still. Dann hat Ben sich geräuspert und seine Stimme hat plötzlich ganz belegt geklungen.
»Ich fand deinen Brief übrigens toll.«
Und plötzlich hat er sich zu mir runtergebeugt – und mich geküsst!!! Mich!!! Julie Ahlberg, 12 1/2 Jahre!
Ich hab immer gedacht, Küssen wäre ziemlich feucht und peinlich und irgendwie unappetitlich, aber so war es überhaupt nicht!! Es war ganz … weich. Und warm. Und schön. Es war sogar so schön, dass ich damit am liebsten nicht mehr aufgehört hätte. Ben hat so gut gerochen und seine Haare waren so verwuschelt und der Ausdruck auf seinem Gesicht war so … Na ja, ich glaub, ich hör jetzt besser auf. Nachher liest das noch jemand hier und dann … Egal.
Also, nach dem Kuss wollte Ben mich noch mal küssen, aber ich war noch immer total perplex und da hat er aufgehört und ganz lieb gelächelt. Und dann hat er gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass ich heimlich auf rosa Diddl-Papier stehen würde. Ich hab ihn noch immer ziemlich verwirrt angesehen und dann ist der Groschen bei mir plötzlich gefallen.
Oh, Mann! Warum ist mir das nicht gleich aufgefallen, als ich gesehen habe, dass Hanna den Brief nur mit ihren Anfangsbuchstaben unterschrieben hat. Hanna heißt nämlich eigentlich Johanna und mit zweitem Namen Antonia und ich heiße Julie Ahlberg: J. A. Dieselben Initialen! Ist ja logisch, dass Ben denken musste, dass der Brief von mir kommt!
Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um Ben die ganze Sache zu erklären, aber im selben Moment war von draußen ein gigantischer Wutschrei zu hören und eine Sekunde später ist Hanna wie eine Irre auf mich zugelaufen und – halt dich fest, du wirst es nicht glauben! – hat mir eine geknallt! Mit voller Wucht! Woah! Das war vollkommen irreal!! Ich war völlig von der Rolle, aber das Schlimmste war der Blick in Bens Gesicht.
Der hat inzwischen nämlich gar nichts mehr verstanden. Vollkommen baff hat er auf Hanna gestarrt und dann, als sie noch mal ausholen wollte, hat er sich schützend vor mich gestellt und sie gefragt, ob sie eigentlich noch alle Tassen im Schrank hätte.
Ich hab noch immer wie erstarrt dagesessen. Hanna hat inzwischen gebrüllt, ich sei die allerletzte Betrügerin und sie hätte es die ganze Zeit geahnt und der Brief sei überhaupt nicht von mir, sondern von ihr. Ben hat sie losgelassen und von ihr zu mir gestarrt. Ich hab versucht, etwas zu sagen, aber als ich den Mund aufgemacht hab, ist nichts rausgekommen. Mein Kopf war total leer. Hanna hat noch immer irgendwas geschrien über Mädchen, die anderen den Freund ausspannen, bis Ben ihr mit einem »Kannst du nicht endlich mal die Klappe halten?« über den Mund gefahren ist.
Dann war Stille. Über uns hat man nur noch die Regentropfen gehört, wie sie aufs Dach prasselten, und im Halbdunkel hab ich gesehen, wie die Ader über Bens linker Schläfe zu pochen angefangen hat. Und dann hat er mich gefragt, ob das stimmt, was Hanna gesagt hat.
Ja, ich weiß, es war bescheuert, aber ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich sagen sollte! Der Brief war ja nicht von mir. Aber … Oh, Shit.
Ich hab mich geräuspert und dann hab ich gesagt: »Na ja, im Grunde schon, aber ich hab das ja nicht mit Absicht gemacht, ich mein …«
Weiter bin ich nicht gekommen. Ich wollte wirklich noch was sagen, aber bei Bens Blick habe ich einfach nichts mehr rausgebracht. Ben hat noch einen Augenblick gewartet, ob noch was kommt, und dann ist er aufgestanden und hat ganz leise »Aha …« gesagt. Das klang so traurig und verletzt, dass ich fast losgeheult hätte. Und dann hat er sich umgedreht und ist gegangen.
Am liebsten wäre ich ihm hinterhergelaufen, aber irgendwie wusste ich, dass es keinen Zweck mehr hat. Wie konnte mir das nur passieren?! Warum, warum, warum?? Ich bin die allergrößte Idiotin, die weit und breit herumläuft!!
Ahhhhhhhhhhhhhhhh …
10 Dammschnitt = wird manchmal bei der Geburt notwendig, wenn der Kopf von dem Baby nicht durch die Scheide passt. Die Ärzte machen dann einen Schnitt von der Scheide bis zum … Ich glaube, das will hier niemand wissen. Vergiss es einfach.