Dritter Akt

Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta

HELENA tritt auf und CHOR gefangener Trojanerinnen. PANTHALIS, Chorführerin.

HELENA. Bewundert viel und viel gescholten Helena

Vom Strande komm ich wo wir erst gelandet sind,

8490

Noch immer trunken von des Gewoges regsamem

Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her

Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst

Und Euros’ Kraft in vaterländische Buchten trug.

Dort unten freuet nun der König Menelas

8495

Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich.

Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,

Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich

Von Pallas’ Hügel wiederkehrend aufgebaut,

Und als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,

8500

Mit Kastor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,

Vor allen Häusern Spartas, herrlich ausgeschmückt.

Gegrüßet seid mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr,

Durch euer gastlich ladendes Weiteröffnen einst

Geschah’s dass mir, erwählt aus vielen, Menelas

8505

In Bräutigamsgestalt entgegen leuchtete.

Eröffnet mir sie wieder, dass ich ein Eilgebot

Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.

Lasst mich hinein! und alles bleibe hinter mir,

Was mich umstürmte bis hieher, verhängnisvoll.

8510

Denn seit ich diese Stelle sorgenlos verließ,

Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,

Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,

Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit

So gern erzählen, aber der nicht gerne hört

8515

Von dem die Sage wachsend sich zum Märchen spann.

CHOR.       Verschmähe nicht, o herrliche Frau,

Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!

Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,

Der Schönheit Ruhm der vor allen sich hebt.

8520

Dem Helden tönt sein Name voran,

Drum schreitet er stolz,

Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann

Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.

HELENA. Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft

8525

Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;

Doch welchen Sinn er hegen mag errat ich nicht.

Komm ich als Gattin? komm ich eine Königin?

Komm ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz

Und für der Griechen langerduldetes Missgeschick?

8530

Erobert bin ich, ob gefangen weiß ich nicht!

Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen

Zweideutig mir, der Schöngestalt bedenkliche

Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar

Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.

Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl

8536

Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.

Als wenn er Unheil sänne saß er gegen mir.

Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad

Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum

8540

Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:

Hier steigen meine Krieger, nach der Ordnung, aus,

Ich mustere sie am Strand des Meeres hingereiht,

Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen

Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,

8545

Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,

Bis dass zur schönen Ebene du gelangen magst,

Wo Lakedämon einst ein fruchtbar weites Feld,

Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.

Betrete dann das hochgetürmte Fürstenhaus

8550

Und mustere mir die Mägde, die ich dort zurück

Gelassen, samt der klugen alten Schaffnerin.

Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,

Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst

In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.

8555

Du findest alles nach der Ordnung stehen: denn

Das ist des Fürsten Vorrecht dass er alles treu

In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch

An seinem Platze jedes wie er’s dort verließ.

Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.

8560

CHOR.       Erquicke nun am herrlichen Schatz,

Dem stets vermehrten, Augen und Brust;

Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck

Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was;

8565

Doch tritt nur ein und fordre sie auf,

Sie rüsten sich schnell.

Mich freuet zu sehn Schönheit in dem Kampf

Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.

HELENA. Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:

Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,

8570

Dann nimm so manchen Dreifuß als du nötig glaubst

Und mancherlei Gefäße die der Opfrer sich

Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.

Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund,

Das reinste Wasser aus der heiligen Quelle sei

8575

In hohen Krügen, ferner auch das trockne Holz,

Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit,

Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;

Doch alles andre geb ich deiner Sorge hin.

So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts

8580

Lebendigen Atems zeichnet mir der Ordnende

Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.

Bedenklich ist es, doch ich sorge weiter nicht

Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,

Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie deucht,

8585

Es möge gut von Menschen, oder möge bös

Geachtet sein, die Sterblichen wir ertragen das.

Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde

Zu des erdgebeugten Tieres Nacken weihend auf,

Und konnt es nicht vollbringen, denn ihn hinderte

8590

Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.

CHOR.        Was geschehen werde sinnst du nicht aus,

Königin schreite dahin

Guten Muts.

Gutes und Böses kommt

8595

Unerwartet dem Menschen;

Auch verkündet glauben wir’s nicht.

Brannte doch Troja, sahen wir doch

Tod vor Augen, schmählichen Tod;

Und sind wir nicht hier

8600

Dir gesellt, dienstbar freudig,

Schauen des Himmels blendende Sonne

Und das Schönste der Erde

Huldvoll, dich, uns Glücklichen.

HELENA. Sei’s wie es sei! Was auch bevorsteht, mir geziemt

8605

Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,

Das lang entbehrt, und viel ersehnt, und fast verscherzt,

Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.

Die Füße tragen mich so mutig nicht empor

Die hohen Stufen die ich kindisch übersprang. (Ab.)

8610

CHOR.           Werfet o Schwestern, ihr

Traurig gefangenen,

Alle Schmerzen ins Weite;

Teilet der Herrin Glück,

Teilet Helenens Glück,

8615

Welche zu Vaterhauses Herd,

Zwar mit spätzurückkehrendem

Aber mit desto festerem

Fuße freudig herannaht.

Preiset die heiligen,

8620

Glücklich herstellenden

Und heimführenden Götter!

Schwebt der Entbundene

Doch wie auf Fittichen

Über das Rauste, wenn umsonst

8625

Der Gefangene sehnsuchtsvoll

Über die Zinne des Kerkers hin

Armausbreitend sich abhärmt.

Aber sie ergriff ein Gott

Die Entfernte;

8630

Und aus Ilios’ Schutt

Trug er hierher sie zurück,

In das alte das neugeschmückte

Vaterhaus,

Nach unsäglichen

8635

Freuden und Qualen,

Früher Jugendzeit

Angefrischt zu gedenken.

PANTHALIS (als Chorführerin).

Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad

Und wendet nach der Türe Flügeln euren Blick.

8640

Was seh ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin,

Mit heftigen Schrittes Regung, wieder zu uns her?

Was ist es, große Königin, was konnte dir

In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,

Erschütterendes begegnen? Du verbirgst es nicht;

8645

Denn Widerwillen seh ich an der Stirne dir

Ein edles Zürnen das mit Überraschung kämpft.

HELENA (welche die Türflügel offen gelassen hat, bewegt).

Der Tochter Zeus’ geziemet nicht gemeine Furcht

Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;

Doch das Entsetzen, das dem Schoß der alten Nacht,

8650

Vom Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch

Wie glühende Wolken, aus des Berges Feuerschlund,

Herauf sich wälzt erschüttert auch des Helden Brust.

So haben heute grauenvoll die Stygischen

Ins Haus den Eintritt mir bezeichnet, dass ich gern

8655

Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,

Entlassnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.

Doch nein! gewichen bin ich her ans Licht, und sollt

Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seid.

Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag

8660

Des Herdes Glut die Frau begrüßen wie den Herrn.

CHORFÜHRERIN.

Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,

Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.

HELENA.

Was ich gesehen sollt ihr selbst mit Augen sehn,

Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich

8665

Zurück geschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoß.

Doch dass ihr’s wisset, sag ich’s euch mit Worten an:

Als ich des Königshauses ernsten Binnenraum,

Der nächsten Pflicht gedenkend, feierlich betrat,

Erstaunt ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.

8670

Nicht Schall der emsig Wandelnden begegnete

Dem Ohr, nicht raschgeschäftiges Eiligtun dem Blick,

Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin

Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.

Als aber ich dem Schoße des Herdes mich genaht,

8675

Da sah ich, bei verglommner Asche lauem Rest,

Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,

Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.

Mit Herrscherworten ruf ich sie zur Arbeit auf,

Die Schaffnerin mir vermutend, die indes vielleicht

8680

Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;

Doch eingefaltet sitzt die Unbewegliche;

Nur endlich rührt sie, auf mein Dräun, den rechten Arm,

Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.

Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich

8685

Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos

Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;

Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,

Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich

In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,

8690

Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.

Doch red ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht

Sich nur umsonst Gestalten schöpferisch aufzubaun.

Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich ans Licht hervor!

Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.

Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund,

8696

Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.

PHORKYAS auf der Schwelle zwischen den Türpfosten auftretend.

CHOR.        Vieles erlebt ich, obgleich die Locke

Jugendlich wallet mir um die Schläfe!

Schreckliches hab ich vieles gesehen,

8700

Kriegrischen Jammer, Ilios’ Nacht,

Als es fiel.

Durch das umwölkte, staubende Tosen,

Drängender Krieger hört ich die Götter

Fürchterlich rufen, hört ich der Zwietracht

8705

Eherne Stimme schallen durchs Feld,

Mauerwärts.

Ach, sie standen noch, Ilios’

Mauern, aber die Flammenglut

Zog vom Nachbar zum Nachbar schon

8710

Sich verbreitend von hier und dort

Mit des eignen Sturmes Wehn

Über die nächtliche Stadt hin.

Flüchtend sah ich, durch Rauch und Glut

Und der züngelnden Flamme Lohe

8715

Grässlich zürnender Götter Nahn,

Schreitend Wundergestalten

Riesengroß durch düsteren

Feuerumleuchteten Qualm hin.

Sah ich’s, oder bildete

8720

Mir der angstumschlungene Geist

Solches Verworrene? sagen kann

Nimmer ich’s, doch dass ich dies

Grässliche hier mit Augen schau

Solches gewiss ja weiß ich;

8725

Könnt es mit Händen fassen gar

Hielte von dem Gefährlichen

Nicht zurücke die Furcht mich.

Welche von Phorkys’

Töchtern nur bist du?

8730

Denn ich vergleiche dich

Diesem Geschlechte.

Bist du vielleicht der graugebornen,

Eines Auges und Eines Zahns

Wechselsweis teilhaftigen,

8735

Graien eine gekommen?

Wagest du Scheusal

Neben der Schönheit

Dich vor dem Kennerblick

Phöbus’ zu zeigen?

8740

Tritt du dennoch hervor nur immer

Denn das Hässliche schaut Er nicht,

Wie sein heilig Auge noch

Nie erblickte den Schatten.

Doch uns Sterbliche nötigt, ach,

8745

Leider trauriges Missgeschick

Zu dem unsäglichen Augenschmerz,

Den das Verwerfliche Ewig-Unselige

Schönheitliebenden rege macht.

Ja so höre denn, wenn du frech

8750

Uns entgegenest, höre Fluch,

Höre jeglicher Schelte Drohn,

Aus dem verwünschenden Munde der Glücklichen

Die von Göttern gebildet sind.

PHORKYAS.

Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn,

Dass Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,

8756

Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.

Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Hass,

Dass wo sie immer irgend auch des Weges sich

Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.

8760

Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,

Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,

Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,

Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.

Euch find ich nun, ihr Frechen, aus der Fremde her

8765

Mit Übermut ergossen, gleich der Kraniche

Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,

In langer Wolke, krächzend sein Getön herab

Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf

Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,

8770

Er geht den seinen, also wird’s mit uns geschehn.

Wer seid denn ihr? dass ihr des Königes Hochpalast

Mänadisch wild, Betrunknen gleich umtoben dürft?

Wer seid ihr denn, dass ihr des Hauses Schaffnerin

Entgegen heulet, wie dem Mond der Hunde Schar?

8775

Wähnt ihr, verborgen sei mir welch Geschlecht ihr seid,

Du kriegerzeugte, schlachterzogne, junge Brut?

Mannlustige du, so wie verführt verführende,

Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft.

Zuhauf euch sehend scheint mir ein Zikadenschwarm

8780

Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.

Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende

Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr,

Erobert, marktverkauft, vertauschte Ware du!

HELENA. Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,

8785

Der Gebietrin Hausrecht tastet er vermessen an;

Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige

Zu rühmen, wie zu strafen was verwerflich ist.

Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir

Geleistet als die hohe Kraft von Ilios

8790

Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger

Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnot

Ertrugen, wo sonst jeder sich der Nächste bleibt.

Auch hier erwart ich Gleiches von der muntern Schar;

Nicht was der Knecht sei, fragt der Herr, nur wie er dient,

8795

Drum schweige du und grinse sie nicht länger an.

Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,

Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;

Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,

Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.

PHORKYAS.

8800

Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,

Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich

Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.

Da du, nun Anerkannte! nun den alten Platz

Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,

8805

So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,

Nimm in Besitz den Schatz und sämtlich uns dazu.

Vor allem aber schütze mich die Ältere

Vor dieser Schar, die, neben deiner Schönheit Schwan,

Nur schlecht befitticht schnatterhafte Gänse sind.

CHORFÜHRERIN.

8810

Wie hässlich neben Schönheit zeigt sich Hässlichkeit.

PHORKYAS. Wie unverständig neben Klugheit Unverstand.

(Von hier an erwidern die Choretiden, einzeln aus dem Chor heraustretend.)

CHORETIDE 1.

Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.

PHORKYAS.

So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.

CHORETIDE 2.

An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheu’r empor.

PHORKYAS.

8815

Zum Orkus hin! da suche deine Sippschaft auf.

CHORETIDE 3. Die dorten wohnen sind dir alle viel zu jung.

PHORKYAS. Tiresias den Alten gehe buhlend an.

CHORETIDE 4. Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.

PHORKYAS.

Harpyen wähn ich fütterten dich im Unflat auf.

CHORETIDE 5.

8820

Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?

PHORKYAS. Mit Blute nicht, wonach du allzu lüstern bist.

CHORETIDE 6. Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!

PHORKYAS. Vampyrenzähne glänzen dir im frechen Maul.

CHORFÜHRERIN.

Das deine stopf ich wenn ich sage wer du seist.

PHORKYAS.

8825

So nenne dich zuerst, das Rätsel hebt sich auf.

HELENA.

Nicht zürnend, aber traurend schreit ich zwischen euch,

Verbietend solches Wechselstreites Ungestüm!

Denn Schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn

Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.

8830

Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr

In schnell vollbrachter Tat, wohlstimmig ihm zurück,

Nein, eigenwillig brausend tost es um ihn her,

Den Selbstverirrten, ins Vergebne Scheltenden.

Dies nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn,

8835

Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,

Die mich umdrängen, dass ich selbst zum Orkus mich

Gerissen fühle, vaterländ’scher Flur zum Trutz.

Ist’s wohl Gedächtnis? war es Wahn, der mich ergreift?

War ich das alles? Bin ich’s? Werd ich’s künftig sein,

8840

Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?

Die Mädchen schaudern, aber du die Älteste

Du stehst gelassen, rede mir verständig Wort.

PHORKYAS.

Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,

Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.

8845

Du aber hochbegünstigt, sonder Maß und Ziel,

In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,

Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.

Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,

Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.

HELENA.

8850

Entführte mich, ein siebenjährig schlankes Reh,

Und mich umschloss Aphidnus’ Burg in Attika.

PHORKYAS. Durch Kastor und durch Pollux aber bald befreit,

Umworben standst du ausgesuchter Heldenschar.

HELENA.

Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh,

8855

Gewann Patroklus, er des Peliden Ebenbild.

PHORKYAS. Doch Vaterwille traute dich an Menelas,

Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.

HELENA. Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.

Aus ehlichem Beisein sprosste dann Hermione.

PHORKYAS.

8860

Doch als er fern sich Kretas Erbe kühn erstritt,

Dir Einsamen da erschien ein allzu schöner Gast.

HELENA. Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft?

Und welch Verderben grässlich mir daraus erwuchs?

PHORKYAS. Auch jene Fahrt mir freigebornen Kreterin

8865

Gefangenschaft erschuf sie, lange Sklaverei.

HELENA. Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher

Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.

PHORKYAS. Die du verließest, Ilios’ umtürmter Stadt

Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.

HELENA.

8870

Gedenke nicht der Freuden! allzu herben Leids

Unendlichkeit ergoss sich über Brust und Haupt.

PHORKYAS.

Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,

In Ilios gesehen und in Ägypten auch.

HELENA. Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.

8875

Selbst jetzo, welche denn ich sei, ich weiß es nicht.

PHORKYAS.

Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf

Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!

Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluss.

HELENA.

Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.

8880

Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.

Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.

(Sinkt dem Halbchor in die Arme.)

CHOR.        Schweige, schweige!

Missblickende, Missredende du!

Aus so grässlichen einzahnigen

8885

Lippen was enthaucht wohl

Solchem furchtbaren Greuelschlund.

Denn der Bösartige wohltätig erscheinend,

Wolfesgrimm unter schafwolligem Vlies,

Mir ist er weit schrecklicher als des drei-

8890

köpfigen Hundes Rachen.

Ängstlich lauschend stehn wir da,

Wann? wie? wo nur bricht’s hervor

Solcher Tücke

Tiefauflauerndes Ungetüm?

Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten

8896

Letheschenkenden holdmildesten Worts,

Regest du auf aller Vergangenheit

Bösestes mehr denn Gutes,

Und verdüsterst allzugleich

8900

Mit dem Glanz der Gegenwart

Auch der Zukunft

Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht.

Schweige, schweige!

Dass der Königin Seele,

8905

Schon zu entfliehen bereit,

Sich noch halte, festhalte

Die Gestalt aller Gestalten,

Welche die Sonne jemals beschien.

(Helena hat sich erholt und steht wieder in der Mitte.)

PHORKYAS.

Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne dieses Tags

8910

Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im Glanze herrscht.

Wie die Welt sich dir entfaltet schaust du selbst mit holdem Blick.

Schelten sie mich auch für hässlich kenn ich doch das Schöne wohl.

HELENA.

Tret ich schwankend aus der Öde die im Schwindel mich umgab,

Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn so müd ist mein Gebein:

8915

Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt es wohl

Sich zu fassen, zu ermannen was auch drohend überrascht.

PHORKYAS.

Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns da,

Sagt dein Blick, dass du befiehlest, was befiehlst du? sprich es aus.

HELENA.

Eures Haders frech Versäumnis auszugleichen seid bereit,

8920

Eilt ein Opfer zu bestellen wie der König mir gebot.

PHORKYAS.

Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreifuß, scharfes Beil,

Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig an.

HELENA.

Nicht bezeichnet’ es der König.

PHORKYAS.                      Sprach’s nicht aus? O Jammerwort!

HELENA.

Welch ein Jammer überfällt dich?

PHORKYAS.                                           Königin, du bist gemeint!

HELENA. Ich?

PHORKYAS. Und diese.

CHOR.                Weh und Jammer!

8925

PHORKYAS.                          Fallen wirst du durch das Beil.

HELENA. Grässlich! doch geahnt, ich Arme!

PHORKYAS.                                 Unvermeidlich scheint es mir.

CHOR. Ach! Und uns? was wird begegnen?

PHORKYAS.                               Sie stirbt einen edlen Tod;

Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches Giebel trägt,

Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.

(HELENA und CHOR stehen erstaunt und erschreckt, in bedeutender, wohlvorbereiteter Gruppe).

8930

Gespenster! – – – Gleich erstarrten Bildern steht ihr da,

Geschreckt vom Tag zu scheiden der euch nicht gehört.

Die Menschen, die Gespenster sämtlich gleich wie ihr,

Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;

Doch bittet, oder rettet niemand sie vom Schluss;

8935

Sie wissen’s alle, wenigen doch gefällt es nur.

Genug ihr seid verloren! Also frisch ans Werk.

(Klatscht in die Hände, darauf erscheinen an der Pforte vermummte Zwerggestalten, welche die ausgesprochenen Befehle alsobald mit Behendigkeit ausführen.)

Herbei du düstres, kugelrundes Ungetüm,

Wälzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust.

Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,

8940

Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand,

Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen gibt’s

Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung.

Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,

Damit das Opfer niederkniee königlich,

8945

Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, sogleich

Anständig würdig, aber doch bestattet sei.

CHORFÜHRERIN.

Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,

Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;

Mir aber deucht, der Ältesten, heiliger Pflicht gemäß

8950

Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.

Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt,

Ob schon verkennend hirnlos diese Schar dich traf.

Drum sage, was du möglich noch von Rettung weißt.

PHORKYAS.

Ist leicht gesagt: Von der Königin hängt allein es ab

8955

Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.

Entschlossenheit ist nötig und die behendeste.

CHOR. Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,

Halte gesperrt die goldne Schere, dann verkünd uns Tag und Heil;

Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich

8960

Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergetzten,

Ruhten drauf an Liebchens Brust.

HELENA.

Lass diese bangen! Schmerz empfind ich, keine Furcht;

Doch kennst du Rettung, dankbar sei sie anerkannt.

Dem Klugen, Weitumsichtigen zeigt fürwahr sich oft

8965

Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag es an.

CHOR. Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den grausen,

Garstigen Schlingen? die bedrohlich, als die schlechtesten Geschmeide,

Sich um unsre Hälse ziehen. Vorempfinden wir’s, die Armen,

Zum Entatmen, zum Ersticken, wenn du, Rhea, aller Götter

8970

Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.

PHORKYAS.

Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug

Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sind’s.

CHOR.

Geduld genug! Zuhörend leben wir indes.

PHORKYAS.

Dem der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt,

8975

Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,

Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang,

Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch:

Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht

Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,

8980

Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,

Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.

HELENA. Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier.

Du willst erzählen, rege nicht an Verdrießliches.

PHORKYAS.

Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.

8985

Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,

Gestad’ und Inseln, alles streift er feindlich an,

Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.

Vor Ilios verbracht er langer Jahre zehn,

Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.

8990

Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos’

Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?

HELENA. Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,

Dass ohne Tadeln du keine Lippe regen kannst?

PHORKYAS. So viele Jahre stand verlassen das Tal-Gebirg,

8995

Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,

Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach

Herab Eurotas rollt und dann durch unser Tal

An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.

Dort hinten still im Gebirgtal hat ein kühn Geschlecht,

9000

Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,

Und unersteiglich feste Burg sich aufgetürmt,

Von da sie Land und Leute placken wie’s behagt.

HELENA.

Das konnten sie vollführen? Ganz unmöglich scheint’s.

PHORKYAS. Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind’s.

HELENA.

9005

Ist Einer Herr? sind’s Räuber viel, Verbündete?

PHORKYAS. Nicht Räuber sind es, Einer aber ist der Herr.

Ich schelt ihn nicht und wenn er schon mich heimgesucht.

Wohl konnt er alles nehmen, doch begnügt’ er sich

Mit wenigen Freigeschenken, nannt er’s, nicht Tribut.

HELENA. Wie sieht er aus?

9010

PHORKYAS.                 Nicht übel! mir gefällt er schon.

Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,

Wie unter Griechen wenig ein verständ’ger Mann,

Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht

Dass grausam einer wäre, wie vor Ilios

9015

Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.

Ich acht’ auf seine Großheit, ihm vertraut’ ich mich.

Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn,

Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk

Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,

9020

Zyklopisch wie Zyklopen, rohen Stein sogleich

Auf rohe Steine stürzend; dort hingegen, dort

Ist alles senk- und waagerecht und regelhaft.

Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,

So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.

9025

Zu klettern hier – ja selbst der Gedanke gleitet ab.

Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings

Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.

Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,

Altane, Galerien zu schauen aus und ein,

Und Wappen.

CHOR.               Was sind Wappen?

9030

PHORKYAS.                                      Ajax führte ja

Geschlungne Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn.

Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerein

Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.

Da sah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,

Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,

9036

Und was Bedrängliches guten Städten grimmig droht.

Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschar

Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.

Da seht ihr Löwen, Adler, Klau’ und Schnabel auch,

9040

Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,

Auch Streifen, gold und schwarz und silbern, blau und rot.

Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort,

In Sälen, grenzenlosen, wie die Welt so weit;

Da könnt ihr tanzen!

CHOR.                            Sage, gibt’s auch Tänzer da?

9045

PHORKYAS. Die besten! goldgelockte, frische Bubenschar.

Die duften Jugend, Paris duftete einzig so,

Als er der Königin zu nahe kam.

HELENA.                                            Du fällst

Ganz aus der Rolle, sage mir das letzte Wort!

PHORKYAS.

Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich ja!

Sogleich umgeb ich dich mit jener Burg.

9050

CHOR.                                                                 O sprich

Das kurze Wort! und rette dich und uns zugleich.

HELENA. Wie? sollt’ ich fürchten, dass der König Menelas

So grausam sich verginge mich zu schädigen?

PHORKYAS. Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,

9055

Des totgekämpften Paris Bruder, unerhört

Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt

Und glücklich kebste; Nas und Ohren schnitt er ab

Und stümmelte mehr so; Greuel war es anzuschaun.

HELENA. Das tat er jenem, meinetwegen tat er das.

9060

PHORKYAS. Um jenes willen wird er dir das Gleiche tun.

Unteilbar ist deine Schönheit; der sie ganz besaß

Zerstört sie lieber, fluchend jedem Teilbesitz.

(Trompeten in der Ferne; der Chor fährt zusammen.)

Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid

Zerreißend anfasst, also krallt sich Eifersucht

9065

Im Busen fest des Mannes, der das nie vergisst

Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.

CHOR.

Hörst du nicht die Hörner schallen? siehst der Waffen Blitze nicht?

PHORKYAS. Sei willkommen Herr und König, gerne geb ich Rechenschaft.

CHOR. Aber wir?

PHORKYAS. Ihr wisst es deutlich, seht vor Augen ihren Tod,

9070

Merkt den eurigen da drinne; nein zu helfen ist euch nicht.

(Pause.)

HELENA. Ich sann mir aus das Nächste was ich wagen darf.

Ein Widerdämon bist du, das empfind ich wohl,

Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.

Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;

9075

Das andre weiß ich; was die Königin dabei

In tiefem Busen geheimnisvoll verbergen mag,

Sei jedem unzugänglich. Alte! geh voran.

CHOR.       O wie gern gehen wir hin,

Eilenden Fußes;

9080

Hinter uns Tod,

Vor uns abermals

Ragender Veste

Unzugängliche Mauer.

Schütze sie ebenso gut

9085

Eben wie Ilios’ Burg,

Die doch endlich nur

Niederträchtiger List erlag.

(Nebel verbreiten sich, umhüllen den Hintergrund, auch die Nähe, nach Belieben.)

Wie? aber wie?

Schwestern schaut euch um!

9090

War es nicht heiterer Tag?

Nebel schwanken streifig empor

Aus Eurotas’ heil’ger Flut;

Schon entschwand das liebliche

Schilfumkränzte Gestade dem Blick,

9095

Auch die frei, zierlich-stolz

Sanfthingleitenden Schwäne

In gesell’ger Schwimmlust

Seh ich, ach, nicht mehr!

Doch, aber doch

9100

Tönen hör ich sie,

Tönen fern heiseren Ton!

Tod verkündenden sagen sie;

Ach dass uns er nur nicht auch,

Statt verheißener Rettung Heil,

9105

Untergang verkünde zuletzt;

Uns den Schwangleichen, lang-

schön Weißhalsigen; und ach!

Unsrer Schwanerzeugten.

Weh uns, weh, weh!

9110

Alles deckte sich schon

Rings mit Nebel umher.

Sehen wir doch einander nicht!

Was geschieht? gehen wir?

Schweben wir nur

9115

Trippelnden Schrittes am Boden hin?

Siehst du nichts? schwebt nicht etwa gar

Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab

Heischend, gebietend uns wieder zurück

Zu dem unerfreulichen, grautagenden,

9120

Ungreifbarer Gebilde vollen,

Überfüllten, ewig leeren Hades.

Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz entschwebt der Nebel

Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen sich dem Blicke

Freiem Blicke starr entgegen. Ist’s ein Hof? ist’s tiefe Grube?

9125

Schauerlich in jedem Falle! Schwestern ach! wir sind gefangen,

So gefangen wie nur je.

Innerer Burghof,

umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters.

CHORFÜHRERIN.

Vorschnell und töricht, echt wahrhaftes Weibsgebild!

Vom Augenblick abhängig, Spiel der Witterung

Des Glücks und Unglücks, keins von beiden wisst ihr je

9130

Zu bestehn mit Gleichmut. Eine widerspricht ja stets

Der andern heftig, überquer die andern ihr;

In Freud und Schmerz nur heult und lacht ihr gleichen Tons.

Nun schweigt! und wartet horchend was die Herrscherin

Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.

HELENA.

9135

Wo bist du Pythonissa? heiße wie du magst,

Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.

Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn

Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,

So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;

Beschluss der Irrfahrt wünsch ich. Ruhe wünsch ich nur.

CHORFÜHRERIN.

9141

Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;

Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht

Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,

Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt.

9145

Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth

Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg,

Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.

Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits

In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch

9150

Sich hin und her bewegend viele Dienerschaft;

Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.

CHOR.       Aufgeht mir das Herz! o, seht nur dahin

Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt

Jungholdeste Schar anständig bewegt

9155

Den geregelten Zug. Wie? auf wessen Befehl

Nur erscheinen gereiht und gebildet so früh,

Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?

Was bewundr’ ich zumeist! Ist es zierlicher Gang,

Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,

9160

Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche rot

Und eben auch so weichwollig beflaumt?

Gern biss ich hinein, doch ich schaudre davor,

Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund

Sich, grässlich zu sagen! mit Asche.

9165

Aber die Schönsten

Sie kommen daher;

Was tragen sie nur?

Stufen zum Thron,

Teppich und Sitz,

9170

Umhang und zelt-

artigen Schmuck,

Über überwallt er,

Wolkenkränze bildend,

Unsrer Königin Haupt,

9175

Denn schon bestieg sie

Eingeladen herrlichen Pfühl.

Tretet heran

Stufe für Stufe

Reihet euch ernst.

9180

Würdig, o würdig, dreifach würdig

Sei gesegnet ein solcher Empfang!

(Alles vom Chor Ausgesprochene geschieht nach und nach.)

FAUST. Nachdem Knaben und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.

CHORFÜHRERIN (ihn aufmerksam beschauend).

Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter tun,

Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,

Erhabnen Anstand, liebenswerte Gegenwart

9185

Vorübergänglich liehen; wird ihm jedes Mal

Was er beginnt gelingen, sei’s in Männerschlacht,

So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Frau’n.

Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,

Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.

9190

Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt

Seh ich den Fürsten; wende dich o Königin!

FAUST (herantretend, einen Gefesselten zur Seite).

Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,

Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring ich dir

In Ketten hartgeschlossen solchen Knecht,

9195

Der Pflicht verfehlend mir die Pflicht entwand.

Hier kniee nieder! dieser höchsten Frau

Bekenntnis abzulegen deiner Schuld.

Dies ist, erhabne Herrscherin, der Mann

Mit seltnem Augenblitz vom hohen Turm

9200

Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum

Und Erdenbreite scharf zu überspähn,

Was etwa da und dort sich melden mag,

Vom Hügelkreis ins Tal zur festen Burg

Sich regen mag, der Herden Woge sei’s,

9205

Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,

Begegnen diesem. Heute, welch Versäumnis!

Du kommst heran, er meldet’s nicht, verfehlt

Ist ehrenvoller schuldigster Empfang

So hohen Gastes. Freventlich verwirkt

9210

Das Leben hat er, läge schon im Blut

Verdienten Todes; doch nur du allein

Bestrafst, begnadigst, wie dir’s wohlgefällt.

HELENA. So hohe Würde wie du sie vergönnst,

Als Richterin, als Herrscherin, und wär’s

9215

Versuchend nur, wie ich vermuten darf;

So üb ich nun des Richters erste Pflicht

Beschuldigte zu hören. Rede denn.

TURMWÄRTER, LYNCEUS.

Lass mich knieen, lass mich schauen,

Lass mich sterben, lass mich leben,

9220

Denn schon bin ich hingegeben

Dieser gottgegebnen Frauen.

Harrend auf des Morgens Wonne,

Östlich spähend ihren Lauf,

Ging auf einmal mir die Sonne

9225

Wunderbar im Süden auf.

Zog den Blick nach jener Seite,

Statt der Schluchten, statt der Höhn

Statt der Erd- und Himmelsweite,

Sie die Einzige zu spähn.

9230

Augenstrahl ist mir verliehen

Wie dem Luchs auf höchstem Baum,

Doch nun musst ich mich bemühen

Wie aus tiefem düsterm Traum.

Wüsst ich irgend mich zu finden?

9235

Zinne? Turm? geschlossnes Tor?

Nebel schwanken, Nebel schwinden

Solche Göttin tritt hervor!

Aug und Brust ihr zugewendet

Sog ich an den milden Glanz,

9240

Diese Schönheit wie sie blendet

Blendete mich Armen ganz.

Ich vergaß des Wächters Pflichten,

Völlig das beschworne Horn,

Drohe nur mich zu vernichten,

9245

Schönheit bändigt allen Zorn.

HELENA. Das Übel das ich brachte darf ich nicht

Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick

Verfolgt mich, überall der Männer Busen

So zu betören, dass sie weder sich

9250

Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,

Verführend, fechtend, hin und her entrückend;

Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,

Sie führten mich im Irren her und hin.

Einfach die Welt verwirrt ich, doppelt mehr,

9255

Nun dreifach, vierfach bring ich Not auf Not.

Entferne diesen Guten, lass ihn frei;

Den Gottbetörten treffe keine Schmach.

FAUST. Erstaunt o Königin, seh ich zugleich

Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;

9260

Ich seh den Bogen, der den Pfeil entsandt,

Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen

Mich treffend. Allwärts ahn ich überquer

Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.

Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir

9265

Rebellisch die Getreusten, meine Mauern

Unsicher. Also fürcht ich schon, mein Heer

Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.

Was bleibt mir übrig? als mich selbst und alles,

Im Wahn das Meine, dir anheim zu geben.

9270

Zu deinen Füßen lass mich, frei und treu,

Dich Herrin anerkennen, die sogleich

Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.

LYNCEUS (mit einer Kiste und Männer die ihm andere nachtragen).

Du siehst mich, Königin, zurück!

Der Reiche bettelt einen Blick,

9275

Er sieht dich an und fühlt sogleich

Sich bettelarm und fürstenreich.

Was war ich erst? was bin ich nun?

Was ist zu wollen? was zu tun?

Was hilft der Augen schärfster Blitz!

9280

Er prallt zurück an deinem Sitz.

Von Osten kamen wir heran

Und um den Westen war’s getan;

Ein lang und breites Volksgewicht,

Der Erste wusste vom Letzten nicht.

9285

Der Erste fiel, der Zweite stand,

Des Dritten Lanze war zur Hand;

Ein jeder hundertfach gestärkt,

Erschlagne Tausend unbemerkt.

Wir drängten fort, wir stürmten fort,

9290

Wir waren Herrn von Ort zu Ort;

Und wo ich herrisch heut befahl

Ein andrer morgen raubt’ und stahl.

Wir schauten, – eilig war die Schau;

Der griff die allerschönste Frau,

9295

Der griff den Stier von festem Tritt,

Die Pferde mussten alle mit.

Ich aber liebte zu erspähn

Das Seltenste was man gesehn,

Und was ein andrer auch besaß,

9300

Das war für mich gedörrtes Gras.

Den Schätzen war ich auf der Spur,

Den scharfen Blicken folgt ich nur,

In alle Taschen blickt ich ein,

Durchsichtig war mir jeder Schrein.

9305

Und Haufen Goldes waren mein,

Am herrlichsten der Edelstein:

Nun der Smaragd allein verdient

Dass er an deinem Herzen grünt.

Nun schwanke zwischen Ohr und Mund

9310

Das Tropfenei aus Meeresgrund;

Rubinen werden gar verscheucht,

Das Wangenrot sie niederbleicht.

Und so den allergrößten Schatz

Versetz ich hier auf deinen Platz,

9315

Zu deinen Füßen sei gebracht

Die Ernte mancher blut’gen Schlacht.

So viele Kisten schlepp ich her,

Der Eisenkisten hab ich mehr;

Erlaube mich auf deiner Bahn

9320

Und Schatzgewölbe füll ich an.

Denn du bestiegest kaum den Thron,

So neigen schon, so beugen schon

Verstand und Reichtum und Gewalt

Sich vor der einzigen Gestalt.

9325

Das alles hielt ich fest und mein,

Nun aber lose, wird es dein,

Ich glaubt es würdig, hoch und bar,

Nun seh ich, dass es nichtig war.

Verschwunden ist was ich besaß,

9330

Ein abgemähtes welkes Gras:

O gib mit einem heitern Blick

Ihm seinen ganzen Wert zurück!

FAUST. Entferne schnell die kühn erworbne Last,

Zwar nicht getadelt aber unbelohnt.

9335

Schon ist Ihr alles eigen was die Burg

Im Schoß verbirgt, Besondres Ihr zu bieten

Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz

Geordnet an. Der ungesehnen Pracht

Erhabnes Bild stell auf! Lass die Gewölbe

9340

Wie frische Himmel blinken, Paradiese

Von lebelosem Leben richte zu.

Voreilend ihren Tritten lass beblümt

An Teppich Teppiche sich wälzen, ihrem Tritt

Begegne sanfter Boden, ihrem Blick,

9345

Nur Göttliche nicht blendend, höchster Glanz.

LYNCEUS.    Schwach ist was der Herr befiehlt,

Tut’s der Diener, es ist gespielt:

Herrscht doch über Gut und Blut

Dieser Schönheit Übermut.

9350

Schon das ganze Heer ist zahm

Alle Schwerter stumpf und lahm,

Vor der herrlichen Gestalt

Selbst die Sonne matt und kalt,

Vor dem Reichtum des Gesichts

9355

Alles leer und alles nichts. (Ab.)

HELENA (zu Faust).

Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf

An meine Seite komm! der leere Platz

Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.

FAUST. Erst knieend lass die treue Widmung dir

9360

Gefallen, hohe Frau; die Hand die mich

An deine Seite hebt lass mich sie küssen.

Bestärke mich als Mitregenten deines

Grenzunbewussten Reichs, gewinne dir

Verehrer, Diener, Wächter all in Einem.

9365

HELENA. Vielfache Wunder seh ich, hör ich an,

Erstaunen trifft mich, fragen möcht ich viel.

Doch wünscht’ ich Unterricht, warum die Rede

Des Manns mir seltsam klang, seltsam und freundlich.

Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,

9370

Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,

Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.

FAUST. Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker

O so gewiss entzückt auch der Gesang,

Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.

9375

Doch ist am sichersten wir üben’s gleich,

Die Wechselrede lockt es, ruft’s hervor.

HELENA. So sage denn, wie sprech ich auch so schön?

FAUST. Das ist gar leicht, es muss vom Herzen gehn.

Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,

Man sieht sich um und fragt –

9380

HELENA.                                      Wer mit genießt.

FAUST.

Nun schaut der Geist nicht vorwärts nicht zurück,

Die Gegenwart allein –

HELENA.                            Ist unser Glück.

FAUST. Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand;

Bestätigung wer gibt sie?

HELENA.                               Meine Hand.

9385

CHOR.        Wer verdächt es unsrer Fürstin

Gönnet sie dem Herrn der Burg

Freundliches Erzeigen,

Denn gesteht, sämtliche sind wir

9390

Ja Gefangene, wie schon öfter, Seit dem schmählichen Untergang

Ilios’ und der ängstlich-

labyrinthischen Kummerfahrt.

Frau’n, gewöhnt an Männerliebe,

Wählerinnen sind sie nicht,

9395

Aber Kennerinnen.

Und wie goldlockigen Hirten,

Vielleicht schwarzborstigen Faunen,

Wie es bringt die Gelegenheit,

Über die schwellenden Glieder

9400

Vollerteilen sie gleiches Recht.

Nah und näher sitzen sie schon

Aneinander gelehnet,

Schulter an Schulter, Knie an Knie,

Hand in Hand wiegen sie sich

9405

Über des Throns

Aufgepolsterter Herrlichkeit.

Nicht versagt sich die Majestät

Heimlicher Freuden

Vor den Augen des Volkes

9410

Übermütiges Offenbarsein.

HELENA. Ich fühle mich so fern und doch so nah

Und sage nur zu gern: da bin ich! da!

FAUST. Ich atme kaum, mir zittert, stockt das Wort,

Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.

9415

HELENA. Ich scheine mir verlebt und doch so neu,

In dich verwebt, dem Unbekannten treu.

FAUST. Durchgrüble nicht das einzigste Geschick

Dasein ist Pflicht und wär’s ein Augenblick.

PHORKYAS (heftig eintretend).

Buchstabiert in Liebesfibeln,

9420

Tändelnd grübelt nur am Liebeln,

Müßig liebelt fort im Grübeln,

Doch dazu ist keine Zeit.

Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?

Hört nur die Trompete schmettern,

9425

Das Verderben ist nicht weit.

Menelas mit Volkeswogen

Kommt auf euch herangezogen;

Rüstet euch zu herbem Streit!

Von der Siegerschar umwimmelt,

9430

Wie Deiphobus verstümmelt

Büßest du das Frau’ngeleit.

Bammelt erst die leichte Ware,

Dieser gleich ist am Altare

Neugeschliffnes Beil bereit.

FAUST.

9435

Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein,

Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.

Den schönsten Boten Unglücksbotschaft hässlicht ihn;

Du Hässlichste gar nur schlimme Botschaft bringst du gern.

9440

Doch diesmal soll dir’s nicht geraten, leeres Hauchs

Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,

Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.

(Signale, Explosionen von den Türmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch gewaltiger Heereskraft.)

FAUST.       Nein gleich sollst du versammelt schauen

Der Helden ungetrennten Kreis:

Nur der verdient die Gunst der Frauen,

9445

Der kräftigst sie zu schützen weiß.

(Zu den Heerführern, die sich von den Kolonnen absondern und herantreten:)

Mit angehaltnem stillen Wüten,

Das euch gewiss den Sieg verschafft,

Ihr Nordens jugendliche Blüten,

Ihr Ostens blumenreiche Kraft.

9450

In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,

Die Schar die Reich um Reich zerbrach,

Sie treten auf, die Erde schüttert,

Sie schreiten fort, es donnert nach.

An Pylos traten wir zu Lande,

9455

Der alte Nestor ist nicht mehr,

Und alle kleine Königsbande

Zersprengt das ungebundne Heer.

Drängt ungesäumt von diesen Mauern

Jetzt Menelas dem Meer zurück;

9460

Dort irren mag er, rauben, lauern,

Ihm war es Neigung und Geschick.

Herzoge soll ich euch begrüßen

Gebietet Spartas Königin,

Nun legt ihr Berg und Tal zu Füßen,

9465

Und euer sei des Reichs Gewinn.

Germane du! Korinthus’ Buchten

Verteidige mit Wall und Schutz,

Achaia dann mit hundert Schluchten,

Empfehl ich Gote deinem Trutz.

9470

Nach Elis ziehn der Franken Heere,

Messene sei der Sachsen Los,

Normanne reinige die Meere

Und Argolis erschaff’ er groß.

Dann wird ein jeder häuslich wohnen,

9475

Nach außen richten Kraft und Blitz;

Doch Sparta soll euch überthronen

Der Königin verjährter Sitz.

All-einzeln sieht sie euch genießen

Des Landes dem kein Wohl gebricht;

9480

Ihr sucht getrost zu ihren Füßen

Bestätigung und Recht und Licht.

(Faust steigt herab, die Fürsten schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu vernehmen.)

CHOR.        Wer die Schönste für sich begehrt,

Tüchtig vor allen Dingen

Seh er nach Waffen weise sich um;

9485

Schmeichelnd wohl gewann er sich

Was auf Erden das Höchste;

Aber ruhig besitzt er’s nicht:

Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,

Räuber kühnlich entreißen sie ihm,

9490

Dieses zu hinderen sei er bedacht.

Unsern Fürsten lob ich drum,

Schätz ihn höher vor andern,

Wie er so tapfer klug sich verband

Dass die Starken gehorchend stehn

9495

Jedes Winkes gewärtig.

Seinen Befehl vollziehn sie treu,

Jeder sich selbst zu eignem Nutz

Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,

Beiden zu höchlichem Ruhmesgewinn.

9500

Denn wer entreißet sie jetzt

Dem gewalt’gen Besitzer?

Ihm gehört sie, ihm sei sie gegönnt,

Doppelt von uns gegönnt, die er

Samt ihr zugleich innen mit sicherster Mauer

9505

Außen mit mächtigstem Heer umgab.

FAUST.       Die Gaben, diesen hier verliehen –

An jeglichen ein reiches Land –

Sind groß und herrlich, lass sie ziehen!

Wir halten in der Mitte stand.

9510

Und sie beschützen um die Wette

Ringsum von Wellen angehüpft,

Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette

Europens letztem Bergast angeknüpft.

Das Land, vor aller Länder Sonnen

9515

Sei ewig jedem Stamm beglückt,

Nun meiner Königin gewonnen,

Das früh an ihr hinaufgeblickt.

Als, mit Eurotas’ Schilfgeflüster,

Sie leuchtend aus der Schale brach,

9520

Der hohen Mutter, dem Geschwister

Das Licht der Augen überstach.

Dies Land allein zu dir gekehret,

Entbietet seinen höchsten Flor;

Dem Erdkreis, der dir angehöret,

9525

Dein Vaterland o! zieh es vor.

Und duldet auch auf seiner Berge Rücken

Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,

Lässt nun der Fels sich angegrünt erblicken,

Die Ziege nimmt genäschig kargen Teil.

9530

Die Quelle springt, vereinigt stürzen Bäche,

Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.

Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche

Siehst Wollenherden ausgebreitet ziehn.

Verteilt, vorsichtig abgemessen schreitet

9535

Gehörntes Rind hinan zum jähen Rand,

Doch Obdach ist den sämtlichen bereitet,

Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.

Pan schützt sie dort und Lebensnymphen wohnen

In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,

9540

Und, sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen,

Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.

Alt-Wälder sind’s! Die Eiche starret mächtig

Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;

Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,

9545

Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.

Und mütterlich im stillen Schattenkreise

Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;

Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,

Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.

9550

Hier ist das Wohlbehagen erblich,

Die Wange heitert wie der Mund,

Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:

Sie sind zufrieden und gesund.

Und so entwickelt sich am reinen Tage

9555

Zu Vaterkraft das holde Kind.

Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:

Ob’s Götter, ob es Menschen sind?

So war Apoll den Hirten zugestaltet

Dass ihm der schönsten einer glich;

9560

Denn wo Natur im reinen Kreise waltet

Ergreifen alle Welten sich.

(Neben ihr sitzend.)

So ist es mir, so ist es dir gelungen,

Vergangenheit sei hinter uns getan;

O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,

9565

Der ersten Welt gehörst du einzig an.

Nicht feste Burg soll dich umschreiben!

Noch zirkt, in ewiger Jugendkraft

Für uns, zu wonnevollem Bleiben,

Arkadien in Spartas Nachbarschaft.

9570

Gelockt auf sel’gem Grund zu wohnen,

Du flüchtetest ins heiterste Geschick!

Zur Laube wandeln sich die Thronen,

Arkadisch frei sei unser Glück!

(Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschlossne Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher.)

PHORKYAS.

Wie lange Zeit die Mädchen schlafen weiß ich nicht,

9575

Ob sie sich träumen ließen was ich hell und klar

Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.

Drum weck ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;

Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,

Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.

9580

Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch;

Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so, und hört mich an!

CHOR.

Rede nur, erzähl erzähle was sich Wunderlichs begeben,

Hören möchten wir am liebsten was wir gar nicht glauben können,

Denn wir haben Langeweile diese Felsen anzusehn.

PHORKYAS.

9585

Kaum die Augen ausgerieben Kinder langeweilt ihr schon?

So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben

Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,

Unserm Herrn und unsrer Frauen.

CHOR.                                         Wie, da drinnen?

PHORKYAS.                                                     Abgesondert

Von der Welt, nur mich die Eine riefen sie zu stillem Dienste.

9590

Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,

Schaut ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und dorthin,

Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,

Und so blieben sie allein.

CHOR.

Tust du doch als ob da drinnen ganze Weltenräume wären,

9595

Wald und Wiese, Bäche, Seen, welche Märchen spinnst du ab!

PHORKYAS.

Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:

Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt ich sinnend aus.

Doch auf einmal ein Gelächter echot in den Höhlen-Räumen;

Schau ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoß zum Manne,

9600

Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel,

Töriger Liebe Neckereien, Scherzgeschrei und Lustgejauchze

Wechselnd übertäuben mich.

Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Tierheit

Springt er auf den festen Boden, doch der Boden gegenwirkend

9605

Schnellt ihn zu der luft’gen Höhe, und im zweiten dritten Sprunge

Rührt er an das Hochgewölb.

Ängstlich ruft die Mutter: Springe wiederholt und nach Belieben,

Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.

Und so mahnt der treue Vater: In der Erde liegt die Schnellkraft,

9610

Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe nur den Boden

Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.

Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante

Zu dem andern und umher so wie ein Ball geschlagen springt.

Doch auf einmal in der Spalte rauer Schlucht ist er verschwunden,

9615

Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet,

Achselzuckend steh ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!

Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande

Hat er würdig angetan.

Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,

9620

In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner Phöbus

Tritt er wohlgemut zur Kante, zu dem Überhang; wir staunen.

Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich ans Herz.

Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt ist schwer zu sagen,

Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft.

9625

Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend

Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodien

Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,

Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.

CHOR.        Nennst du ein Wunder dies,

9630

Kretas Erzeugte?

Dichtend belehrendem Wort

Hast du gelauscht wohl nimmer?

Niemals noch gehört Ioniens,

Nie vernommen auch Hellas’

9635

Urväterlicher Sagen

Göttlich-heldenhaften Reichtum?

Alles was je geschieht

Heutiges Tages

Trauriger Nachklang ist’s

9640

Herrlicher Ahnherrn-Tage;

Nicht vergleicht sich dein Erzählen

Dem was liebliche Lüge

Glaubhaftiger als Wahrheit

Von dem Sohne sang der Maja.

9645

Diesen zierlich und kräftig doch

Kaum geborenen Säugling

Faltet in reinster Windeln Flaum

Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck

Klatschender Wärterinnen Schar

9650

Unvernünftigen Wähnens.

Kräftig und zierlich aber zieht

Schon der Schalk die geschmeidigen

Doch elastischen Glieder

Listig heraus, die purpurne

9655

Ängstlich drückende Schale

Lassend ruhig an seiner statt.

Gleich dem fertigen Schmetterling

Der aus starrem Puppenzwang

Flügel entfaltend behendig schlüpft

9660

Sonnedurchstrahlten Äther kühn

Und mutwillig durchflatternd.

So auch er der Behendeste,

Dass er Dieben und Schälken,

Vorteil Suchenden allen auch

9665

Ewig günstiger Dämon sei.

Dies betätigt er alsobald

Durch gewandteste Künste.

Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt

Er den Trident, ja dem Ares selbst

9670

Schlau das Schwert aus der Scheide:

Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,

Wie dem Hephästos die Zange;

Selber Zeus’, des Vaters, Blitz

Nähm er, schreckt’ ihn das Feuer nicht;

9675

Doch dem Eros siegt er ob

In beinstellendem Ringerspiel.

Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kost,

Noch vom Busen den Gürtel.

(Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.)

PHORKYAS. Höret allerliebste Klänge,

9680

Macht euch schnell von Fabeln frei,

Eurer Götter alt Gemenge

Lasst es hin, es ist vorbei.

Niemand will euch mehr verstehen,

Fordern wir doch höhern Zoll:

9685

Denn es muss von Herzen gehen,

Was auf Herzen wirken soll.

(Sie zieht sich nach dem Felsen zurück.)

CHOR.         Bist du fürchterliches Wesen

Diesem Schmeichelton geneigt,

Fühlen wir, als frisch genesen,

9690

Uns zur Tränenlust erweicht.

Lass der Sonne Glanz verschwinden,

Wenn es in der Seele tagt,

Wir im eignen Herzen finden

Was die ganze Welt versagt.

HELENA, FAUST, EUPHORION in dem oben beschriebenen Kostüm.

9695

EUPHORION. Hört ihr Kindeslieder singen,

Gleich ist’s euer eigner Scherz;

Seht ihr mich im Takte springen,

Hüpft euch elterlich das Herz.

HELENA.    Liebe, menschlich zu beglücken

9700

Nähert sie ein edles Zwei,

Doch zu göttlichem Entzücken

Bildet sie ein köstlich Drei.

FAUST.        Alles ist sodann gefunden:

Ich bin dein und du bist mein;

9705

Und so stehen wir verbunden,

Dürft es doch nicht anders sein!

CHOR.        Wohlgefallen vieler Jahre

In des Knaben mildem Schein

Sammelt sich auf diesem Paare.

9710

O! wie rührt mich der Verein.

EUPHORION.  Nun lasst mich hüpfen,

Nun lasst mich springen,

Zu allen Lüften

Hinauf zu dringen

9715

Ist mir Begierde,

Sie fasst mich schon.

FAUST.          Nur mäßig! mäßig!

Nicht ins Verwegne,

Dass Sturz und Unfall

9720

Dir nicht begegne,

Zugrund uns richte

Der teure Sohn.

EUPHORION.  Ich will nicht länger

Am Boden stocken;

9725

Lasst meine Hände,

Lasst meine Locken,

Lasst meine Kleider,

Sie sind ja mein.

HELENA.        O denk! o denke

9730

Wem du gehörest!

Wie es uns kränke,

Wie du zerstörest

Das schön errungene

Mein, Dein und Sein.

9735

CHOR.             Bald löst, ich fürchte,

Sich der Verein!

HELENA und FAUST. Bändige! bändige!

Eltern zuliebe

Überlebendige

9740

Heftige Triebe!

Ländlich im Stillen

Ziere den Plan.

EUPHORION.  Nur euch zu Willen

Halt ich mich an.

(Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanze fortziehend.)

9745

Leichter umschweb ich hie,

Muntres Geschlecht.

Ist nun die Melodie,

Ist die Bewegung recht?

HELENA.        Ja, das ist wohlgetan,

9750

Führe die Schönen an

Künstlichem Reihn.

FAUST.          Wäre das doch vorbei!

Mich kann die Gaukelei

Gar nicht erfreun.

(EUPHORION und CHOR tanzend und singend bewegen sich in verschlungenen Reihen.)

9755

CHOR.           Wenn du der Arme Paar

Lieblich bewegest;

Im Glanz dein lockig Haar

Schüttelnd erregest,

Wenn dir der Fuß so leicht

9760

Über die Erde schleicht,

Dort und da wieder hin

Glieder um Glied sich ziehn,

Hast du dein Ziel erreicht

Liebliches Kind;

9765

All unsre Herzen sind

All dir geneigt.

(Pause.)

EUPHORION.   Ihr seid so viele

Leichtfüßige Rehe,

Zu neuem Spiele

9770

Frisch aus der Nähe,

Ich bin der Jäger

Ihr seid das Wild.

CHOR.           Willst du uns fangen

Sei nicht behende,

9775

Denn wir verlangen

Doch nur am Ende

Dich zu umarmen

Du schönes Bild.

EUPHORION.   Nur durch die Haine!

9780

Zu Stock und Steine!

Das leicht Errungene

Das widert mir,

Nur das Erzwungene

Ergetzt mich schier.

HELENA und FAUST.

9785

Welch ein Mutwill! welch ein Rasen!

Keine Mäßigung ist zu hoffen.

Klingt es doch wie Hörnerblasen

Über Tal und Wälder dröhnend,

Welch ein Unfug! welch Geschrei!

CHOR (einzeln schnell eintretend).

9790

Uns ist er vorbeigelaufen,

Mit Verachtung uns verhöhnend,

Schleppt er von dem ganzen Haufen

Nun die Wildeste herbei.

EUPHORION (ein junges Mädchen hereintragend).

Schlepp ich her die derbe Kleine

9795

Zu erzwungenem Genusse.

Mir zur Wonne, mir zur Lust

Drück ich widerspenstige Brust,

Küss ich widerwärtigen Mund,

Tue Kraft und Willen kund.

9800

MÄDCHEN. Lass mich los! In dieser Hülle

Ist auch Geistes Mut und Kraft,

Deinem gleich ist unser Wille

Nicht so leicht hinweggerafft.

Glaubst du wohl mich im Gedränge?

9805

Deinem Arm vertraust du viel!

Halte fest, und ich versenge

Dich den Toren mir zum Spiel.

(Sie flammt auf und lodert in die Höhe.)

Folge mir in leichte Lüfte,

Folge mir in starre Grüfte,

9810

Hasche das verschwundne Ziel.

EUPHORION (die letzten Flammen abschüttelnd).

Felsengedränge hier

Zwischen dem Waldgebüsch,

Was soll die Enge mir,

Bin ich doch jung und frisch.

9815

Winde sie sausen ja,

Wellen sie brausen da

Hör ich doch beides fern,

Nah wär ich gern.

(Er springt immer höher felsauf.)

HELENA, FAUST und CHOR.

Wolltest du den Gämsen gleichen?

9820

Vor dem Falle muss uns graun.

EUPHORION. Immer höher muss ich steigen,

Immer weiter muss ich schaun.

Weiß ich nun wo ich bin!

Mitten der Insel drin,

9825

Mitten in Pelops’ Land,

Erde- wie seeverwandt.

CHOR.           Magst du nicht in Berg und Wald

Friedlich verweilen,

Suchen wir alsobald

9830

Reben in Zeilen,

Reben am Hügelrand;

Feigen und Apfelgold.

Ach in dem holden Land

Bleibe du hold.

9835

EUPHORION.  Träumt ihr den Friedenstag?

Träume wer träumen mag.

Krieg ist das Losungswort

Sieg! und so klingt es fort.

CHOR.           Wer im Frieden

9840

Wünschet sich Krieg zurück

Der ist geschieden

Vom Hoffnungsglück.

EUPHORION.   Welche dies Land gebar

Aus Gefahr in Gefahr,

9845

Frei, unbegrenzten Muts

Verschwendrisch eignen Bluts.

Den nicht zu dämpfenden

Heiligen Sinn

Alle den Kämpfenden

9850

Bring’ es Gewinn!

CHOR.           Seht hinauf wie hoch gestiegen!

Und erscheint uns doch nicht klein.

Wie im Harnisch, wie zum Siegen,

Wie von Erz und Stahl der Schein.

9855

EUPHORION.   Keine Wälle, keine Mauern,

Jeder nur sich selbst bewusst;

Feste Burg, um auszudauern

Ist des Mannes eh’rne Brust.

Wollt ihr unerobert wohnen,

9860

Leicht bewaffnet rasch ins Feld;

Frauen werden Amazonen

Und ein jedes Kind ein Held.

CHOR.           Heilige Poesie,

Himmelan steige sie,

9865

Glänze, der schönste Stern,

Fern und so weiter fern,

Und sie erreicht uns doch

Immer, man hört sie noch,

Vernimmt sie gern.

9870

EUPHORION.  Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,

In Waffen kommt der Jüngling an;

Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,

Hat er im Geiste schon getan.

Nun fort!

9875

Nun dort

Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

HELENA und FAUST.

Kaum ins Leben eingerufen,

Heitrem Tag gegeben kaum,

Sehnest du von Schwindelstufen

9880

Dich zu schmerzenvollem Raum.

Sind denn wir

Gar nichts dir?

Ist der holde Bund ein Traum?

EUPHORION. Und hört ihr donnern auf dem Meere?

9885

Dort widerdonnern Tal um Tal,

In Staub und Wellen Heer dem Heere,

In Drang um Drang zu Schmerz und Qual.

Und der Tod

Ist Gebot,

9890

Das versteht sich nun einmal.

HELENA, FAUST und CHOR.

Welch Entsetzen! welches Grauen!

Ist der Tod denn dir Gebot?

EUPHORION. Sollt’ ich aus der Ferne schauen,

Nein! ich teile Sorg und Not.

9895

DIE VORIGEN. Übermut und Gefahr,

Tödliches Los.

EUPHORION. Doch! – und ein Flügelpaar

Faltet sich los!

Dorthin! Ich muss! ich muss!

9900

Gönnt mir den Flug!

(Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.)

CHOR.         Ikarus! Ikarus!

Jammer genug.

(Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Toten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.)

HELENA und FAUST.

Der Freude folgt sogleich

Grimmige Pein.

EUPHORIONS STIMME AUS DER TIEFE.

9905

Lass mich im düstern Reich

Mutter mich nicht allein!

(Pause.)

CHOR (Trauergesang).

Nicht allein! – wo du auch weilest,

Denn wir glauben dich zu kennen,

Ach! wenn du dem Tag enteilest

9910

Wird kein Herz von dir sich trennen.

Wüssten wir doch kaum zu klagen,

Neidend singen wir dein Los:

Dir in klar’ und trüben Tagen

Lied und Mut war schön und groß.

9915

Ach! zum Erdenglück geboren,

Hoher Ahnen, großer Kraft,

Leider! früh dir selbst verloren,

Jugendblüte weggerafft.

Scharfer Blick die Welt zu schauen,

9920

Mitsinn jedem Herzensdrang,

Liebesglut der besten Frauen

Und ein eigenster Gesang.

Doch du ranntest unaufhaltsam

Frei ins willenlose Netz,

9925

So entzweitest du gewaltsam

Dich mit Sitte, mit Gesetz;

Doch zuletzt das höchste Sinnen

Gab dem reinen Mut Gewicht,

Wolltest Herrliches gewinnen,

9930

Aber es gelang dir nicht.

Wem gelingt es? – Trübe Frage,

Der das Schicksal sich vermummt,

Wenn am unglückseligsten Tage

Blutend alles Volk verstummt.

9935

Doch erfrischet neue Lieder,

Steht nicht länger tief gebeugt;

Denn der Boden zeugt sie wieder,

Wie von je er sie gezeugt.

(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)

HELENA (zu Faust).

Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:

9940

Dass Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.

Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band,

Bejammernd beide, sag ich schmerzlich Lebewohl!

Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.

Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.

(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.)

PHORKYAS (zu Faust.)

9945

Halte fest was dir von allem übrig blieb.

Das Kleid lass es nicht los. Da zupfen schon

Dämonen an den Zipfeln, möchten gern

Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!

Die Göttin ist’s nicht mehr die du verlorst,

9950

Doch göttlich ist’s. Bediene dich der hohen

Unschätzbar’n Gunst und hebe dich empor,

Es trägt dich über alles Gemeine rasch

Am Äther hin, so lange du dauern kannst.

Wir sehn uns wieder, weit gar weit von hier.

(Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.)

PHORKYAS (nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proszenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht).

9955

Noch immer glücklich aufgefunden!

Die Flamme freilich ist verschwunden

Doch ist mir um die Welt nicht leid.

Hier bleibt genug Poeten einzuweihen,

Zu stiften Gild- und Handwerksneid;

9960

Und kann ich die Talente nicht verleihen,

Verborg ich wenigstens das Kleid.

(Sie setzt sich im Proszenium an eine Säule nieder.)

PANTHALIS.

Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,

Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang;

So des Geklimpers viel verworrner Töne Rausch,

9965

Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.

Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin

Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sei

Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.

Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.

9970

CHOR.        Königinnen freilich überall sind sie gern;

Auch im Hades stehen sie obenan,

Stolz zu ihresgleichen gesellt,

Mit Persephonen innigst vertraut;

Aber wir im Hintergrunde

9975

Tiefer Asphodelos-Wiesen,

Langgestreckten Pappeln,

Unfruchtbaren Weiden zugesellt,

Welchen Zeitvertreib haben wir?

Fledermaus gleich zu piepsen,

9980

Geflüster, unerfreulich, gespenstig.

CHORFÜHRERIN.

Wer keinen Namen sich erwarb, noch Edles will,

Gehört den Elementen an, so fahret hin!

Mit meiner Königin zu sein verlangt mich heiß;

Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person. (Ab.)

9985

ALLE.         Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,

Zwar Personen nicht mehr,

Das fühlen, das wissen wir,

Aber zum Hades kehren wir nimmer.

Ewig lebendige Natur

9990

Macht auf uns Geister,

Wir auf sie vollgültigen Anspruch.

EIN TEIL DES CHORS.

Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben,

Reizen tändlend, locken leise, wurzelauf des Lebens Quellen

Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüten überschwänglich

9995

Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.

Fällt die Frucht, sogleich versammeln, lebenslustig Volk und Herden

Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend;

Und, wie vor den ersten Göttern, bückt sich alles um uns her.

EIN ANDRER TEIL.

Wir an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel

10000

Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;

Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsingen, Röhrigflöten,

Sei es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;

Säuselt’s, säuseln wir erwidernd, donnert’s, rollen unsre Donner

In erschütterndem Verdoppeln, dreifach, zehnfach hintennach.

EIN DRITTER TEIL.

10005

Schwestern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;

Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge,

Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,

Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.

Dort bezeichnen’s der Zypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,

10010

Uferzug und Wellenspiegel, nach dem Äther steigende.

EIN VIERTER TEIL.

Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln, wir umrauschen

Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;

Dort zu aller Tage Stunden lässt die Leidenschaft des Winzers

Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.

10015

Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden,

Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.

Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,

Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.

Was zu seiner Träumereien halbem Rausch er je bedurfte,

10020

Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,

Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.

Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,

Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend Beerenfüllhorn aufgehäuft,

Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird’s lebendig,

10025

Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.

Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,

Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräft’gem Tanz;

Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren

Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich’s widerlich zerquetscht.

10030

Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken Erzgetöne,

Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;

Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,

Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus’ öhrig Tier.

Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,

10035

Alle Sinne wirbeln taumlich, grässlich übertäubt das Ohr.

Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,

Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,

Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!

Der Vorhang fällt.

PHORKYAS im Proszenium richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Kothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, insofern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentieren.