Fünfter Akt

Offene Gegend

WANDERER. Ja! sie sind’s die dunkeln Linden,

Dort, in ihres Alters Kraft.

11045

Und ich soll sie wiederfinden,

Nach so langer Wanderschaft!

Ist es doch die alte Stelle,

Jene Hütte, die mich barg,

Als die sturmerregte Welle

11050

Mich an jene Dünen warf!

Meine Wirte möcht ich segnen,

Hülfsbereit, ein wackres Paar,

Das, um heut mir zu begegnen

Alt schon jener Tage war.

11055

Ach! das waren fromme Leute!

Poch ich? ruf ich? – Seid gegrüßt!

Wenn, gastfreundlich, auch noch heute

Ihr des Wohltuns Glück genießt.

BAUCIS (Mütterchen, sehr alt).

Lieber Kömmling! Leise! Leise!

11060

Ruhe! lass den Gatten ruhn!

Langer Schlaf verleiht dem Greise

Kurzen Wachens rasches Tun.

WANDERER. Sage Mutter bist du’s eben,

Meinen Dank noch zu empfahn,

11065

Was du für des Jünglings Leben

Mit dem Gatten einst getan?

Bist du Baucis, die, geschäftig,

Halberstorbnen Mund erquickt?

DER GATTE tritt auf.

Du Philemon, der, so kräftig,

11070

Meinen Schatz der Flut entrückt?

Eure Flammen raschen Feuers,

Eures Glöckchens Silberlaut,

Jenes grausen Abenteuers

Lösung war euch anvertraut.

11075

Und nun lasst hervor mich treten,

Schaun das grenzenlose Meer;

Lasst mich knieen, lasst mich beten,

Mich bedrängt die Brust so sehr.

(Er schreitet vorwärts auf der Düne.)

PHILEMON (zu Baucis).

Eile nur den Tisch zu decken,

11080

Wo’s im Gärtchen munter blüht.

Lass ihn rennen, ihn erschrecken,

Denn er glaubt nicht was er sieht.

(Neben dem Wandrer stehend.)

Das Euch grimmig missgehandelt,

Wog auf Woge, schäumend wild,

11085

Seht als Garten ihr behandelt,

Seht ein paradiesisch Bild.

Älter, war ich nicht zuhanden,

Hülfreich nicht wie sonst bereit,

Und, wie meine Kräfte schwanden,

11090

War auch schon die Woge weit.

Kluger Herren kühne Knechte

Gruben Gräben, dämmten ein,

Schmälerten des Meeres Rechte

Herrn an seiner statt zu sein.

11095

Schaue grünend Wies an Wiese

Anger, Garten, Dorf und Wald. –

Komm nun aber und genieße

Denn die Sonne scheidet bald. –

Dort im Fernsten ziehen Segel!

11100

Suchen nächtlich sichern Port.

Kennen doch ihr Nest die Vögel,

Denn jetzt ist der Hafen dort.

So erblickst du in der Weite

Erst des Meeres blauen Saum,

11105

Rechts und links, in aller Breite,

Dichtgedrängt bewohnten Raum.

Am Tische zu drei, im Gärtchen.

BAUCIS. Bleibst du stumm? und keinen Bissen

Bringst du zum verlechzten Mund?

PHILEMON. Möcht er doch vom Wunder wissen,

11110

Sprichst so gerne, tu’s ihm kund.

BAUCIS. Wohl! ein Wunder ist’s gewesen!

Lässt mich heute nicht in Ruh;

Denn es ging das ganze Wesen

Nicht mit rechten Dingen zu.

11115

PHILEMON. Kann der Kaiser sich versünd’gen

Der das Ufer ihm verliehn?

Tät’s ein Herold nicht verkünd’gen

Schmetternd im Vorüberziehn?

Nicht entfernt von unsern Dünen

11120

War der erste Fuß gefasst,

Zelte! Hütten! – Doch, im Grünen,

Richtet bald sich ein Palast.

BAUCIS. Tags umsonst die Knechte lärmten,

Hack und Schaufel, Schlag um Schlag,

11125

Wo die Flämmchen nächtig schwärmten

Stand ein Damm den andern Tag.

Menschenopfer mussten bluten,

Nachts erscholl des Jammers Qual,

Meerab flossen Feuergluten;

11130

Morgens war es ein Kanal.

Gottlos ist er, ihn gelüstet

Unsre Hütte, unser Hain;

Wie er sich als Nachbar brüstet

Soll man untertänig sein.

11135

PHILEMON. Hat er uns doch angeboten

Schönes Gut im neuen Land!

BAUCIS. Traue nicht den Wasserboten,

Halt auf deiner Höhe stand.

PHILEMON.

Lasst uns zur Kapelle treten!

11140

Letzten Sonnenblick zu schaun.

Lasst uns läuten, knieen, beten!

Und dem alten Gott vertraun.

Palast

Weiter Ziergarten,
großer gradgeführter Kanal

FAUST im höchsten Alter wandelnd, nachdenkend.

LYNCEUS DER TÜRMER (durchs Sprachrohr).

Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe

Sie ziehen munter hafenein.

11145

Ein großer Kahn ist im Begriffe

Auf dem Kanale hier zu sein.

Die bunten Wimpel wehen fröhlich,

Die starren Masten stehn bereit,

In dir preist sich der Bootsmann selig,

11150

Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.

(Das Glöckchen läutet auf der Düne.)

FAUST (auffahrend).

Verdammtes Läuten! Allzu schändlich

Verwundet’s, wie ein tückischer Schuss,

Vor Augen ist mein Reich unendlich,

Im Rücken neckt mich der Verdruss,

11155

Erinnert mich durch neidische Laute:

Mein Hochbesitz er ist nicht rein,

Der Lindenraum, die braune Baute,

Das morsche Kirchlein ist nicht mein.

Und wünscht’ ich dort mich zu erholen,

11160

Vor fremden Schatten schaudert mir,

Ist Dorn den Augen, Dorn den Sohlen,

O! wär ich weit hinweg von hier!

TÜRMER (wie oben).

Wie segelt froh der bunte Kahn,

Mit frischem Abendwind heran!

11165

Wie türmt sich sein behender Lauf

In Kisten, Kasten, Säcken auf!

(Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit Erzeugnissen fremder Weltgegenden.)

MEPHISTOPHELES.
DIE DREI GEWALTIGEN GESELLEN.

CHORUS.   Da landen wir,

Da sind wir schon.

Glückan! dem Herren,

11170

Dem Patron!

(Sie steigen aus, die Güter werden ans Land geschafft.)

MEPHISTOPHELES.

So haben wir uns wohl erprobt,

Vergnügt wenn der Patron es lobt.

Nur mit zwei Schiffen ging es fort,

Mit zwanzig sind wir nun im Port.

11175

Was große Dinge wir getan

Das sieht man unsrer Ladung an.

Das freie Meer befreit den Geist,

Wer weiß da was Besinnen heißt!

Da fördert nur ein rascher Griff,

11180

Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,

Und ist man erst der Herr zu drei

Dann hakelt man das vierte bei.

Da geht es denn dem fünften schlecht,

Man hat Gewalt, so hat man Recht.

11185

Man fragt ums Was? und nicht ums Wie?

Ich müsste keine Schifffahrt kennen.

Krieg, Handel und Piraterie,

Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.

DIE DREI GEWALTIGEN GESELLEN.

Nicht Dank und Gruß!

11190

Nicht Gruß und Dank!

Als brächten wir

Dem Herrn Gestank.

Er macht ein

Widerlich Gesicht;

11195

Das Königsgut

Gefällt ihm nicht.

MEPHISTOPHELES. Erwartet weiter

Keinen Lohn,

Nahmt ihr doch

11200

Euren Teil davon.

DIE GESELLEN. Das ist nur für

Die Langeweil,

Wir alle fordern

Gleichen Teil.

11205

MEPHISTOPHELES. Erst ordnet oben

Saal an Saal

Die Kostbarkeiten

Allzumal.

Und tritt er zu

11210

Der reichen Schau,

Berechnet er alles

Mehr genau,

Er sich gewiss

Nicht lumpen lässt

11215

Und gibt der Flotte

Fest nach Fest.

Die bunten Vögel kommen morgen,

Für die werd ich zum Besten sorgen.

(Die Ladung wird weggeschafft.)

MEPHISTOPHELES (zu Faust).

Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick,

11220

Vernimmst du dein erhaben Glück.

Die hohe Weisheit wird gekrönt,

Das Ufer ist dem Meer versöhnt,

Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,

Das Meer die Schiffe willig an;

11225

So sprich dass hier, hier vom Palast

Dein Arm die ganze Welt umfasst.

Von dieser Stelle ging es aus,

Hier stand das erste Bretterhaus;

Ein Gräbchen ward hinabgeritzt

11230

Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.

Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß

Erwarb des Meers, der Erde Preis.

Von hier aus –

FAUST.                Das verfluchte Hier!

Das eben leidig lastet’s mir.

11235

Dir Vielgewandten muss ich’s sagen,

Mir gibt’s im Herzen Stich um Stich,

Mir ist’s unmöglich zu ertragen!

Und wie ich’s sage schäm ich mich.

Die Alten droben sollten weichen,

11240

Die Linden wünscht’ ich mir zum Sitz,

Die wenig Bäume, nicht mein eigen,

Verderben mir den Weltbesitz.

Dort wollt’ ich, weit umher zu schauen,

Von Ast zu Ast Gerüste bauen,

11245

Dem Blick eröffnen weite Bahn,

Zu sehn was alles ich getan,

Zu überschaun mit einem Blick

Des Menschengeistes Meisterstück,

Betätigend, mit klugem Sinn,

11250

Der Völker breiten Wohngewinn.

So sind am härtsten wir gequält

Im Reichtum fühlend was uns fehlt.

Des Glöckchens Klang, der Linden Duft

Umfängt mich wie in Kirch und Gruft.

11255

Des allgewaltigen Willens Kür

Bricht sich an diesem Sande hier.

Wie schaff ich mir es vom Gemüte!

Das Glöcklein läutet und ich wüte.

MEPHISTOPHELES. Natürlich! dass ein Hauptverdruss

11260

Das Leben dir vergällen muss.

Wer leugnet’s! Jedem edlen Ohr

Kommt das Geklingel widrig vor.

Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel

Umnebelnd heitern Abendhimmel,

11265

Mischt sich in jegliches Begebnis,

Vom ersten Bad bis zum Begräbnis,

Als wäre, zwischen Bim und Baum,

Das Leben ein verschollner Traum.

FAUST. Das Widerstehn, der Eigensinn

11270

Verkümmern herrlichsten Gewinn,

Dass man, zu tiefer grimmiger Pein,

Ermüden muss gerecht zu sein.

MEPHISTOPHELES. Was willst du dich denn hier genieren,

Musst du nicht längst kolonisieren.

11275

FAUST. So geht und schafft sie mir zur Seite! –

Das schöne Gütchen kennst du ja,

Das ich den Alten ausersah.

MEPHISTOPHELES.

Man trägt sie fort und setzt sie nieder,

Eh man sich umsieht stehn sie wieder;

11280

Nach überstandener Gewalt

Versöhnt ein schöner Aufenthalt.

(Er pfeift gellend.)

DIE DREI treten auf.

MEPHISTOPHELES. Kommt! Wie der Herr gebieten lässt,

Und morgen gibt ein Flottenfest.

DIE DREI. Der alte Herr empfing uns schlecht

11285

Ein flottes Fest ist uns zu Recht. (Ab.)

MEPHISTOPHELES (ad Spectatores).

Auch hier geschieht was längst geschah,

Denn Naboths Weinberg war schon da. (Regum I,21.)

Tiefe Nacht

LYNCEUS, DER TÜRMER (auf der Schlosswarte, singend).

Zum Sehen geboren,

Zum Schauen bestellt,

11290

Dem Turme geschworen

Gefällt mir die Welt.

Ich blick in die Ferne,

Ich seh in der Näh,

Den Mond und die Sterne,

11295

Den Wald und das Reh.

So seh ich in allen

Die ewige Zier

Und wie mir’s gefallen

Gefall ich auch mir.

11300

Ihr glücklichen Augen,

Was je ihr gesehn,

Es sei wie es wolle,

Es war doch so schön!

(Pause.)

Nicht allein mich zu ergötzen

11305

Bin ich hier so hoch gestellt;

Welch ein greuliches Entsetzen

Droht mir aus der finstern Welt!

Funkenblicke seh ich sprühen

Durch der Linden Doppelnacht,

11310

Immer stärker wühlt ein Glühen

Von der Zugluft angefacht.

Ach! die innre Hütte lodert,

Die bemoost und feucht gestanden,

Schnelle Hülfe wird gefodert,

11315

Keine Rettung ist vorhanden.

Ach! die guten alten Leute,

Sonst so sorglich um das Feuer,

Werden sie dem Qualm zur Beute!

Welch ein schrecklich Abenteuer!

11320

Flamme flammet, rot in Gluten

Steht das schwarze Moosgestelle;

Retteten sich nur die Guten

Aus der wildentbrannten Hölle.

Züngelnd lichte Blitze steigen

11325

Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;

Äste dürr, die flackernd brennen,

Glühen schnell und stürzen ein.

Sollt ihr Augen dies erkennen!

Muss ich so weitsichtig sein!

11330

Das Kapellchen bricht zusammen

Von der Äste Sturz und Last.

Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,

Schon die Gipfel angefasst.

Bis zur Wurzel glühn die hohlen

11335

Stämme, purpurrot im Glühn. –

(Lange Pause, Gesang.)

Was sich sonst dem Blick empfohlen,

Mit Jahrhunderten ist hin.

FAUST (auf dem Balkon, gegen die Dünen).

Von oben welch ein singend Wimmern?

Das Wort ist hier, der Ton zu spat;

11340

Mein Türmer jammert; mich, im Innern,

Verdrießt die ungeduld’ge Tat.

Doch sei der Lindenwuchs vernichtet

Zu halbverkohlter Stämme Graun,

Ein Luginsland ist bald errichtet,

11345

Um ins Unendliche zu schaun.

Da seh ich auch die neue Wohnung,

Die jenes alte Paar umschließt,

Das, im Gefühl großmütiger Schonung,

Der späten Tage froh genießt.

MEPHISTOPHELES und DIE DREIE (unten).

11350

Da kommen wir mit vollem Trab,

Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.

Wir klopften an, wir pochten an,

Und immer ward nicht aufgetan;

Wir rüttelten, wir pochten fort,

11355

Da lag die morsche Türe dort;

Wir riefen laut und drohten schwer,

Allein wir fanden kein Gehör.

Und wie’s in solchem Fall geschicht,

Sie hörten nicht, sie wollten nicht;

11360

Wir aber haben nicht gesäumt

Behende dir sie weggeräumt.

Das Paar hat sich nicht viel gequält

Vor Schrecken fielen sie entseelt.

Ein Fremder, der sich dort versteckt,

11365

Und fechten wollte, ward gestreckt.

In wilden Kampfes kurzer Zeit,

Von Kohlen, rings umher gestreut,

Entflammte Stroh. Nun lodert’s frei,

Als Scheiterhaufen dieser drei.

11370

FAUST.       Wart ihr für meine Worte taub!

Tausch wollt ich, wollte keinen Raub.

Dem unbesonnenen wilden Streich

Ihm fluch ich, teilt es unter euch!

CHORUS.    Das alte Wort, das Wort erschallt:

11375

Gehorche willig der Gewalt!

Und bist du kühn, und hältst du Stich,

So wage Haus und Hof und – Dich. (Ab.)

FAUST (auf dem Balkon).

Die Sterne bergen Blick und Schein,

Das Feuer sinkt und lodert klein;

11380

Ein Schauerwindchen fächelt’s an,

Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.

Geboten schnell, zu schnell getan! –

Was schwebet schattenhaft heran?

Mitternacht

VIER GRAUE WEIBER treten auf.

ERSTE. Ich heiße der Mangel.

ZWEITE.                              Ich heiße die Schuld.

DRITTE. Ich heiße die Sorge.

11385

VIERTE.                             Ich heiße die Not.

ZU DREI. Die Tür ist verschlossen wir können nicht ein,

Drin wohnet ein Reicher wir mögen nicht ’nein.

MANGEL. Da werd ich zum Schatten.

SCHULD.                                             Da werd ich zunicht.

NOT. Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

SORGE.

11390

Ihr Schwestern ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.

Die Sorge sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.

(Sorge verschwindet.)

MANGEL. Ihr graue Geschwister entfernt euch von hier.

SCHULD. Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.

NOT. Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

ZU DREI.

11395

Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!

Dahinten, dahinten! von ferne von ferne,

Da kommt er der Bruder, da kommt er der – – – –Tod. (Ab.)

FAUST (im Palast). Vier sah ich kommen, drei nur gehn,

Den Sinn der Rede konnt ich nicht verstehn.

11400

Es klang so nach als hieß es – Not

Ein düstres Reimwort folgte – Tod.

Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.

Noch hab ich mich ins Freie nicht gekämpft.

Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen

11405

Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen;

Stünd ich, Natur! vor dir ein Mann allein

Da wär’s der Mühe wert ein Mensch zu sein.

Das war ich sonst, eh ich’s im Düstern suchte,

Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.

11410

Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll

Dass niemand weiß wie er ihn meiden soll.

Wenn auch Ein Tag uns klar vernünftig lacht

In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht;

Wir kehren froh von junger Flur zurück,

11415

Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Missgeschick.

Von Aberglauben früh und spat umgarnt:

Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.

Und so verschüchtert stehen wir allein.

Die Pforte knarrt und niemand kommt herein.

(Erschüttert.)

Ist jemand hier?

11420

SORGE.                   Die Frage fordert Ja!

FAUST.

Und du wer bist denn du?

SORGE.                                   Bin einmal da.

FAUST. Entferne dich!

SORGE.                        Ich bin am rechten Ort.

FAUST (erst ergrimmt, dann besänftigt für sich).

Nimm dich in Acht und sprich kein Zauberwort.

SORGE.       Würde mich kein Ohr vernehmen

11425

Müsst es doch im Herzen dröhnen;

In verwandelter Gestalt

Üb ich grimmige Gewalt.

Auf den Pfaden, auf der Welle,

Ewig ängstlicher Geselle,

11430

Stets gefunden nie gesucht,

So geschmeichelt wie verflucht.

Hast du die Sorge nie gekannt?

FAUST. Ich bin nur durch die Welt gerannt.

Ein jed’ Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

11435

Was nicht genügte ließ ich fahren,

Was mir entwischte ließ ich ziehn.

Ich habe nur begehrt und nur vollbracht,

Und abermals gewünscht, und so mit Macht

Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig,

11440

Nun aber geht es weise, geht bedächtig.

Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.

Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;

Tor! wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,

Sich über Wolken seinesgleichen dichtet;

11445

Er stehe fest und sehe hier sich um;

Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm;

Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen;

Was er erkennt lässt sich ergreifen;

Er wandle so den Erdentag entlang;

11450

Wenn Geister spuken geh’ er seinen Gang,

Im Weiterschreiten find’ er Qual und Glück,

Er! unbefriedigt jeden Augenblick.

SORGE.       Wen ich einmal mir besitze

Dem ist alle Welt nichts nütze,

11455

Ewiges Düstre steigt herunter,

Sonne geht nicht auf noch unter,

Bei vollkommnen äußern Sinnen

Wohnen Finsternisse drinnen.

Und er weiß von allen Schätzen

11460

Sich nicht in Besitz zu setzen.

Glück und Unglück wird zur Grille,

Er verhungert in der Fülle,

Sei es Wonne sei es Plage

Schiebt er’s zu dem andern Tage,

11465

Ist der Zukunft nur gewärtig

Und so wird er niemals fertig.

FAUST.

Hör auf! so kommst du mir nicht bei!

Ich mag nicht solchen Unsinn hören.

Fahr hin! die schlechte Litanei

11470

Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

SORGE.       Soll er gehen, soll er kommen,

Der Entschluss ist ihm genommen;

Auf gebahnten Weges Mitte,

Wankt er tastend halbe Schritte.

11475

Er verliert sich immer tiefer,

Siehet alle Dinge schiefer,

Sich und andre lästig drückend,

Atem holend und erstickend;

Nicht erstickt und ohne Leben,

11480

Nicht verzweiflend, nicht ergeben.

So ein unaufhaltsam Rollen

Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,

Bald Befreien, bald Erdrücken,

Halber Schlaf und schlecht Erquicken

11485

Heftet ihn an seine Stelle

Und bereitet ihn zur Hölle.

FAUST. Unselige Gespenster so behandelt ihr

Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;

Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr

11490

In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.

Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,

Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;

Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß,

Ich werde sie nicht anerkennen.

11495

SORGE.       Erfahre sie, wie ich geschwind

Mich mit Verwünschung von dir wende!

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,

Nun Fauste! werde du’s am Ende.

(Sie haucht ihn an. Ab.)

FAUST (erblindet).

Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen

11500

Allein im Innern leuchtet helles Licht;

Was ich gedacht ich eil es zu vollbringen;

Des Herren Wort es gibt allein Gewicht.

Vom Lager auf ihr Knechte! Mann für Mann!

Lasst glücklich schauen was ich kühn ersann.

11505

Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!

Das Abgesteckte muss sogleich geraten.

Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß,

Erfolgt der allerschönste Preis;

Dass sich das größte Werk vollende

11510

Genügt Ein Geist für tausend Hände.

Großer Vorhof des Palasts

Fackeln

MEPHISTOPHELES (als Aufseher, voran).

Herbei herbei! herein herein!

Ihr schlotternden Lemuren,

Aus Ligamenten und Gebein

Geflickte Halbnaturen.

LEMUREN (im Chor).

11515

Wir treten dir sogleich zur Hand,

Und, wie wir halb vernommen,

Es gilt wohl gar ein weites Land

Das sollen wir bekommen.

Gespitzte Pfähle die sind da,

11520

Die Kette lang fürs Messen;

Warum an uns der Ruf geschah

Das haben wir vergessen.

MEPHISTOPHELES.

Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;

Verfahret nur nach eignen Maßen;

11525

Der Längste lege längelang sich hin,

Ihr andern lüftet rings umher den Rasen;

Wie man’s für unsre Väter tat,

Vertieft ein längliches Quadrat!

Aus dem Palast ins enge Haus,

11530

So dumm läuft es am Ende doch hinaus.

LEMUREN (mit neckischen Gebärden grabend).

Wie jung ich war und lebt und liebt,

Mich deucht das war wohl süße,

Wo’s fröhlich klang und lustig ging

Da rührten sich meine Füße.

11535

Nun hat das tückische Alter mich

Mit seiner Krücke getroffen;

Ich stolpert über Grabes Tür,

Warum stand sie just offen!

FAUST (aus dem Palaste tretend, tastet an den Türpfosten).

Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!

11540

Es ist die Menge, die mir frönet,

Die Erde mit sich selbst versöhnet,

Den Wellen ihre Grenze setzt,

Das Meer mit strengem Band umzieht.

MEPHISTOPHELES (beiseite).

Du bist doch nur für uns bemüht

11545

Mit deinen Dämmen deinen Buhnen;

Denn du bereitest schon Neptunen,

Dem Wasserteufel, großen Schmaus.

In jeder Art seid ihr verloren,

Die Elemente sind mit uns verschworen,

11550

Und auf Vernichtung läuft’s hinaus.

FAUST.

Aufseher!

MEPHISTOPHELES. Hier!

FAUST.                             Wie es auch möglich sei

Arbeiter schaffe Meng auf Menge,

Ermuntere durch Genuss und Strenge,

Bezahle, locke, presse bei!

11555

Mit jedem Tage will ich Nachricht haben

Wie sich verlängt der unternommene Graben.

MEPHISTOPHELES (halblaut).

Man spricht, wie man mir Nachricht gab,

Von keinem Graben doch vom Grab.

FAUST. Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,

11560

Verpestet alles schon Errungene;

Den faulen Pfuhl auch abzuziehn

Das Letzte wär das Höchsterrungene.

Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,

Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.

11565

Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde

Sogleich behaglich auf der neusten Erde,

Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,

Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.

Im Innern hier ein paradiesisch Land,

11570

Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,

Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,

Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.

Ja diesem Sinne bin ich ganz ergeben,

Das ist der Weisheit letzter Schluss:

11575

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,

Der täglich sie erobern muss.

Und so verbringt, umrungen von Gefahr,

Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.

Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,

11580

Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.

Zum Augenblicke dürft ich sagen:

Verweile doch, du bist so schön!

Es kann die Spur von meinen Erdetagen

Nicht in Äonen untergehn. –

11585

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück

Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.

FAUST (sinkt zurück, die LEMUREN fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden).

MEPHISTOPHELES.

Ihn sättigt keine Lust, ihm g’nügt kein Glück,

So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;

Den letzten, schlechten, leeren Augenblick

11590

Der Arme wünscht ihn festzuhalten.

Der mir so kräftig widerstand,

Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.

Die Uhr steht still –

CHOR.                  Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.

Der Zeiger fällt.

MEPHISTOPHELES. Er fällt, es ist vollbracht.

CHOR. Es ist vorbei.

11595

MEPHISTOPHELES. Vorbei! ein dummes Wort.

Warum vorbei?

Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei.

Was soll uns denn das ew’ge Schaffen,

Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen?

11600

Da ist’s vorbei! Was ist daran zu lesen?

Es ist so gut als wär es nicht gewesen,

Und treibt sich doch im Kreis als wenn es wäre.

Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.

Grablegung

LEMUR (Solo).

Wer hat das Haus so schlecht gebaut,

11605

Mit Schaufeln und mit Spaten?

LEMUREN (Chor).

Dir dumpfer Gast im hänfnen Gewand

Ist’s viel zu gut geraten.

LEMUR (Solo).

Wer hat den Saal so schlecht versorgt?

Wo blieben Tisch und Stühle?

LEMUREN (Chor).

11610

Es war auf kurze Zeit geborgt;

Der Gläubiger sind so viele.

MEPHISTOPHELES.

Der Körper liegt und will der Geist entfliehn,

Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; –

Doch leider hat man jetzt so viele Mittel

11615

Dem Teufel Seelen zu entziehn.

Auf altem Wege stößt man an,

Auf neuem sind wir nicht empfohlen;

Sonst hätt ich es allein getan,

Jetzt muss ich Helfershelfer holen.

Uns geht’s in allen Dingen schlecht.

11620

Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,

Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.

Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,

Ich passt ihr auf und, wie die schnellste Maus,

11625

Schnapps! hielt ich sie in fest verschlossnen Klauen.

Nun zaudert sie und will den düstern Ort,

Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen;

Die Elemente die sich hassen,

Die treiben sie am Ende schmählich fort.

11630

Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage

Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage,

Der alte Tod verlor die rasche Kraft,

Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;

Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder;

11635

Es war nur Schein, das rührte das regte sich wieder.

(Phantastisch-flügelmännische Beschwörungsgebärden.)

Nur frisch heran verdoppelt euren Schritt,

Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,

Von altem Teufelsschrot und -korne

Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.

11640

Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!

Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;

Doch wird man auch bei diesem letzten Spiele

Ins künftige nicht so bedenklich sein.

(Der greuliche Höllenrachen tut sich links auf.)

Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes

11645

Entquillt der Feuerstrom in Wut,

Und in dem Siedequalm des Hintergrundes

Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.

Die rote Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,

Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;

11650

Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne

Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn.

In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,

So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!

Ihr tut sehr wohl die Sünder zu erschrecken

11655

Sie halten’s doch für Lug und Trug und Traum.

(Zu den DICKTEUFELN vom kurzen, graden Horne.)

Nun wanstige Schuften mit den Feuerbacken!

Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;

Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken

Hier unten lauert ob’s wie Phosphor gleißt:

11660

Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,

Die rupft ihr aus so ist’s ein garstiger Wurm;

Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln

Dann fort mit ihr im Feuerwirbelsturm.

Passt auf die niedern Regionen,

11665

Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;

Ob’s ihr beliebte da zu wohnen,

So akkurat weiß man das nicht.

Im Nabel ist sie gern zu Haus,

Nehmt es in Acht sie wischt euch dort heraus.

(Zu den DÜRRTEUFELN vom langen, krummen Horne.)

11670

Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,

Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast;

Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,

Dass ihr die flatternde, die Flüchtige fasst.

Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus

11675

Und das Genie es will gleich obenaus.

GLORIE von oben, rechts.

HIMMLISCHE HEERSCHAR.

Folget Gesandte,

Himmelsverwandte,

Gemächlichen Flugs;

Sündern vergeben,

11680

Staub zu beleben,

Allen Naturen

Freundliche Spuren

Wirket im Schweben

Des weilenden Zugs.

MEPHISTOPHELES.

11685

Misstöne hör ich, garstiges Geklimper,

Von oben kommt’s mit unwillkommnem Tag;

Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,

Wie frömmelnder Geschmack sich’s lieben mag.

Ihr wisst wie wir, in tiefverruchten Stunden,

11690

Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;

Das Schändlichste was wir erfunden

Ist ihrer Andacht eben recht.

Sie kommen gleisnerisch die Laffen!

So haben sie uns manchen weggeschnappt,

11695

Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;

Es sind auch Teufel, doch verkappt.

Hier zu verlieren wär euch ew’ge Schande;

Ans Grab heran und haltet fest am Rande!

CHOR DER ENGEL (Rosen streuend).

Rosen, ihr blendenden,

11700

Balsam versendenden!

Flatternde, schwebende,

Heimlich belebende,

Zweiglein beflügelte,

Knospen entsiegelte,

11705

Eilet zu blühn.

Frühling entsprieße,

Purpur und Grün;

Tragt Paradiese

Dem Ruhenden hin.

MEPHISTOPHELES (zu den Satanen).

11710

Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?

So haltet stand und lasst sie streuen.

An seinen Platz ein jeder Gauch!

Sie denken wohl mit solchen Blümeleien

Die heißen Teufel einzuschneien;

11715

Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.

Nun pustet Püstriche! – Genug genug!

Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug. –

Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen.

Fürwahr ihr habt zu stark geblasen;

11720

Dass ihr doch nie die rechten Maße kennt.

Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorrt, es brennt!

Schon schwebt’s heran mit giftig klaren Flammen,

Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen!

Die Kraft erlischt, dahin ist aller Mut!

11725

Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.

ENGEL.        Blüten die seligen,

Flammen die fröhlichen,

Liebe verbreiten sie,

Wonne bereiten sie,

11730

Herz wie es mag.

Worte die wahren,

Äther im Klaren,

Ewigen Scharen

Überall Tag.

MEPHISTOPHELES.

11735

O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!

Satane stehen auf den Köpfen,

Die Plumpen schlagen Rad auf Rad

Und stürzen ärschlings in die Hölle.

Gesegn’ euch das verdiente heiße Bad!

11740

Ich aber bleib auf meiner Stelle. –

(Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend.)

Irrlichter fort! Du! leuchte noch so stark,

Du bleibst gehascht ein ekler Gallert-Quark.

Was flatterst du? Willst du dich packen! –

Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.

11745

ENGEL (Chor). Was euch nicht angehört

Müsset ihr meiden,

Was euch das Innre stört

Dürft ihr nicht leiden.

Dringt es gewaltig ein

11750

Müssen wir tüchtig sein.

Liebe nur Liebende

Führet herein.

MEPHISTOPHELES.

Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,

Ein überteuflisch Element!

11755

Weit spitziger als Höllenfeuer. –

Drum jammert ihr so ungeheuer

Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,

Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.

Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?

11760

Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite?

Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.

Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen,

Ich mag sie gerne sehn die allerliebsten Jungen;

Was hält mich ab dass ich nicht fluchen darf? –

11765

Und wenn ich mich betören lasse

Wer heißt denn künftighin der Tor?

Die Wetterbuben die ich hasse

Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor. –

Ihr schönen Kinder lasst mich wissen:

11770

Seid ihr nicht auch von Luzifers Geschlecht?

Ihr seid so hübsch, fürwahr ich möcht euch küssen;

Mir ist’s als kommt ihr eben recht.

Es ist mir so behaglich, so natürlich

Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn,

11775

So heimlich-kätzchenhaft begierlich;

Mit jedem Blick aufs Neue schöner schön.

O nähert euch, o gönnt mir Einen Blick!

ENGEL. Wir kommen schon, warum weichst du zurück?

Wir nähern uns und wenn du kannst so bleib.

(Die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.)

MEPHISTOPHELES (der ins Proszenium gedrängt wird).

11780

Ihr scheltet uns verdammte Geister

Und seid die wahren Hexenmeister;

Denn ihr verführet Mann und Weib. –

Welch ein verfluchtes Abenteuer!

Ist dies das Liebeselement?

11785

Der ganze Körper steht in Feuer,

Ich fühle kaum dass es im Nacken brennt. –

Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,

Ein bisschen weltlicher bewegt die holden Glieder;

Fürwahr der Ernst steht euch recht schön.

11790

Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn;

Das wäre mir ein ewiges Entzücken.

Ich meine so wie wenn Verliebte blicken,

Ein kleiner Zug am Mund so ist’s getan.

Dich langer Bursche dich mag ich am liebsten leiden,

11795

Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,

So sieh mich doch ein wenig lüstern an!

Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,

Das lange Faltenhemd ist übersittlich –

Sie wenden sich – Von hinten anzusehen! –

11800

Die Racker sind doch gar zu appetitlich.

CHOR DER ENGEL.

Wendet zur Klarheit

Euch liebende Flammen!

Die sich verdammen

Heile die Wahrheit;

11805

Dass sie vom Bösen

Froh sich erlösen,

Um in dem Allverein

Selig zu sein.

MEPHISTOPHELES (sich fassend).

Wie wird mir! – hiobsartig, Beul an Beule

11810

Der ganze Kerl, dem’s vor sich selber graut,

Und triumphiert zugleich wenn er sich ganz durchschaut,

Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;

Gerettet sind die edlen Teufelsteile,

Der Liebespuk er wirft sich auf die Haut;

11815

Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,

Und, wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen.

CHOR DER ENGEL. Heilige Gluten!

Wen sie umschweben

Fühlt sich im Leben

11820

Selig mit Guten.

Alle vereinigt

Hebt euch und preist,

Luft ist gereinigt

Atme der Geist.

(Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.)

MEPHISTOPHELES (sich umsehend).

11825

Doch wie? – wo sind sie hingezogen?

Unmündiges Volk du hast mich überrascht,

Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;

Drum haben sie an dieser Gruft genascht!

Mir ist ein großer einziger Schatz entwendet,

11830

Die hohe Seele die sich mir verpfändet

Die haben sie mir pfiffig weggepascht.

[ENGEL (indessen entschwebend).

11831a

Liebe, die gnädige,

Hegende, tätige,

Gnade die liebende

Schonung verübende

Schweben uns vor.

Fielen der Bande

Irdischer Flor,

Wolkengewande

11831i

Tragt ihn empor.

MEPHISTOPHELES.]

Bei wem soll ich mich nun beklagen?

Wer schafft mir mein erworbenes Recht?

Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,

11835

Du hast’s verdient, es geht dir grimmig schlecht.

Ich habe schimpflich missgehandelt,

Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan,

Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt

Den ausgepichten Teufel an.

11840

Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding

Der Klugerfahrne sich beschäftigt,

So ist führwahr die Torheit nicht gering

Die seiner sich am Schluss bemächtigt.

Bergschluchten

Wald, Fels, Einöde

HEILIGE ANACHORETEN gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften.

CHOR und ECHO. Waldung, sie schwankt heran,

11845

Felsen, sie lasten dran,

Wurzeln, sie klammern an,

Stamm dicht am Stamm hinan.

Woge nach Woge spritzt,

Höhle die tiefste schützt.

11850

Löwen sie schleichen stumm-

freundlich um uns herum,

Ehren geweihten Ort

Heiligen Liebeshort.

PATER ECSTATICUS (auf und ab schweifend).

Ewiger Wonnebrand,

11855

Glühendes Liebeband,

Siedender Schmerz der Brust,

Schäumende Gotteslust.

Pfeile durchdringet mich,

Lanzen bezwinget mich,

11860

Keulen zerschmettert mich,

Blitze durchwettert mich;

Dass ja das Nichtige

Alles verflüchtige,

Glänze der Dauerstern,

11865

Ewiger Liebe Kern.

PATER PROFUNDUS (tiefe Region).

Wie Felsenabgrund mir zu Füßen

Auf tieferm Abgrund lastend ruht,

Wie tausend Bäche strahlend fließen

Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,

11870

Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe,

Der Stamm sich in die Lüfte trägt,

So ist es die allmächtige Liebe

Die alles bildet alles hegt.

Ist um mich her ein wildes Brausen,

11875

Als wogte Wald und Felsengrund,

Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,

Die Wasserfülle sich zum Schlund,

Berufen gleich das Tal zu wässern;

Der Blitz der flammend niederschlug

11880

Die Atmosphäre zu verbessern

Die Gift und Dunst im Busen trug;

Sind Liebesboten, sie verkünden,

Was ewig schaffend uns umwallt.

Mein Innres mög es auch entzünden

11885

Wo sich der Geist, verworren kalt,

Verquält in stumpfer Sinne Schranken

Scharfangeschlossnem Kettenschmerz.

O Gott! beschwichtige die Gedanken

Erleuchte mein bedürftig Herz.

PATER SERAPHICUS (mittlere Region).

11890

Welch ein Morgenwölkchen schwebet

Durch der Tannen schwankend Haar;

Ahn ich was im Innern lebet?

Es ist junge Geisterschar.

CHOR SELIGER KNABEN. Sag uns Vater wo wir wallen,

11895

Sag uns Guter wer wir sind?

Glücklich sind wir, allen allen

Ist das Dasein so gelind.

PATER SERAPHICUS. Knaben! Mitternachts Geborne,

Halb erschlossen Geist und Sinn,

11900

Für die Eltern gleich Verlorne,

Für die Engel zum Gewinn.

Dass ein Liebender zugegen

Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;

Doch von schroffen Erdewegen

11905

Glückliche! habt ihr keine Spur.

Steigt herab in meiner Augen

Welt- und erdgemäß Organ,

Könnt sie als die euern brauchen,

Schaut euch diese Gegend an.

(Er nimmt sie in sich.)

11910

Das sind Bäume, das sind Felsen,

Wasserstrom, der abestürzt

Und mit ungeheurem Wälzen

Sich den steilen Weg verkürzt.

SELIGE KNABEN (von innen).

Das ist mächtig anzuschauen

11915

Doch zu düster ist der Ort,

Schüttelt uns mit Schreck und Grauen,

Edler, Guter lass uns fort.

PATER SERAPHICUS.

Steigt hinan zu höhrem Kreise

Wachset immer unvermerkt,

11920

Wie, nach ewig reiner Weise,

Gottes Gegenwart verstärkt.

Denn das ist der Geister Nahrung

Die im freisten Äther waltet,

Ewigen Liebens Offenbarung

11925

Die zur Seligkeit entfaltet.

CHOR SELIGER KNABEN (um die höchsten Gipfel kreisend).

Hände verschlinget

Freudig zum Ringverein,

Regt euch und singet

Heil’ge Gefühle drein;

11930

Göttlich belehret

Dürft ihr vertrauen,

Den ihr verehret

Werdet ihr schauen.

ENGEL (schwebend in der höhern Atmosphäre, FAUSTENS Unsterbliches tragend).

Gerettet ist das edle Glied

11935

Der Geisterwelt vom Bösen,

»Wer immer strebend sich bemüht

Den können wir erlösen.«

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben Teil genommen,

11940

Begegnet ihm die selige Schar

Mit herzlichem Willkommen.

DIE JÜNGEREN ENGEL.

Jene Rosen, aus den Händen

Liebend-heiliger Büßerinnen,

Halfen uns den Sieg gewinnen,

11945

Uns das hohe Werk vollenden,

Diesen Seelenschatz erbeuten.

Böse wichen als wir streuten,

Teufel flohen als wir trafen.

Statt gewohnter Höllenstrafen,

11950

Fühlten Liebesqual die Geister;

Selbst der alte Satansmeister

War von spitzer Pein durchdrungen.

Jauchzet auf! es ist gelungen.

DIE VOLLENDETEREN ENGEL.

Uns bleibt ein Erdenrest

11955

Zu tragen peinlich,

Und wär er von Asbest

Er ist nicht reinlich.

Wenn starke Geisteskraft

Die Elemente

11960

An sich herangerafft,

Kein Engel trennte

Geeinte Zwienatur

Der innigen beiden,

Die ewige Liebe nur

11965

Vermag’s zu scheiden.

DIE JÜNGEREN ENGEL. Nebelnd um Felsenhöh

Spür ich soeben,

Regend sich in der Näh,

Ein Geisterleben.

11970

Die Wölkchen werden klar,

Ich seh bewegte Schar

Seliger Knaben,

Los von der Erde Druck,

Im Kreis gesellt,

11975

Die sich erlaben

Am neuen Lenz und Schmuck

Der obern Welt.

Sei er zum Anbeginn,

Steigendem Vollgewinn,

11980

Diesen gesellt!

DIE SELIGEN KNABEN.

Freudig empfangen wir

Diesen im Puppenstand;

Also erlangen wir

Englisches Unterpfand.

11985

Löset die Flocken los

Die ihn umgeben,

Schon ist er schön und groß

Von heiligem Leben.

DOCTOR MARIANUS (in der höchsten, reinlichsten Zelle).

Hier ist die Aussicht frei,

11990

Der Geist erhoben.

Dort ziehen Frau’n vorbei,

Schwebend nach oben.

Die Herrliche, mitteninn’,

Im Sternenkranze,

11995

Die Himmelskönigin,

Ich seh’s am Glanze.

(Entzückt.)

Höchste Herrscherin der Welt

Lasse mich, im blauen,

Ausgespannten Himmelszelt,

12000

Dein Geheimnis schauen.

Billige was des Mannes Brust

Ernst und zart beweget

Und mit heiliger Liebeslust

Dir entgegen träget.

12005

Unbezwinglich unser Mut

Wenn du hehr gebietest,

Plötzlich mildert sich die Glut,

Wie du uns befriedest.

Jungfrau, rein im schönsten Sinn,

12010

Mutter, Ehren würdig,

Uns erwählte Königin,

Göttern ebenbürtig.

Um sie verschlingen

Sich leichte Wölkchen,

12015

Sind Büßerinnen,

Ein zartes Völkchen;

Um Ihre Knie

Den Äther schlürfend,

Gnade bedürfend.

12020

Dir, der Unberührbaren,

Ist es nicht benommen

Dass die leicht Verführbaren

Traulich zu dir kommen.

In die Schwachheit hingerafft

12025

Sind sie schwer zu retten;

Wer zerreißt aus eigner Kraft

Der Gelüste Ketten?

Wie entgleitet schnell der Fuß

Schiefem glattem Boden?

12030

Wen betört nicht Blick und Gruß,

Schmeichelhafter Othem?

MATER GLORIOSA schwebt einher.

CHOR DER BÜSSERINNEN. Du schwebst zu Höhen

Der ewigen Reiche,

Vernimm das Flehen

12035

Du Ohnegleiche,

Du Gnadenreiche!

MAGNA PECCATRIX (St. Lucae VII,36).

Bei der Liebe, die den Füßen

Deines gottverklärten Sohnes

Tränen ließ zum Balsam fließen,

12040

Trotz des Pharisäerhohnes;

Beim Gefäße das so reichlich

Tropfte Wohlgeruch hernieder,

Bei den Locken die so weichlich

Trockneten die heil’gen Glieder –

MULIER SAMARITANA (St. Joh. IV).

12045

Bei dem Bronn, zu dem schon weiland

Abram ließ die Herde führen,

Bei dem Eimer der dem Heiland

Kühl die Lippe durft berühren;

Bei der reinen reichen Quelle

12050

Die nun dorther sich ergießet,

Überflüssig, ewig helle,

Rings durch alle Welten fließet –

MARIA AEGYPTIACA (Acta Sanctorum).

Bei dem hochgeweihten Orte

Wo den Herrn man niederließ,

12055

Bei dem Arm der von der Pforte

Warnend mich zurücke stieß;

Bei der vierzigjährigen Buße

Der ich treu in Wüsten blieb,

Bei dem seligen Scheidegruße

12060

Den im Sand ich niederschrieb –

ZU DREI.

Die du großen Sünderinnen

Deine Nähe nicht verweigerst

Und ein büßendes Gewinnen

In die Ewigkeiten steigerst,

12065

Gönn auch dieser guten Seele

Die sich einmal nur vergessen,

Die nicht ahnte dass sie fehle,

Dein Verzeihen angemessen.

UNA POENITENTUM, sonst GRETCHEN genannt (sich anschmiegend).

Neige neige

12070

Du Ohnegleiche,

Du Strahlenreiche,

Dein Antlitz gnädig meinem Glück.

Der früh Geliebte

Nicht mehr Getrübte

12075

Er kommt zurück.

SELIGE KNABEN (in Kreisbewegung sich nähernd).

Er überwächst uns schon

An mächtigen Gliedern;

Wird treuer Pflege Lohn

Reichlich erwidern.

12080

Wir wurden früh entfernt

Von Lebechören,

Doch dieser hat gelernt

Er wird uns lehren.

DIE EINE BÜSSERIN, sonst GRETCHEN genannt.

Vom edlen Geisterchor umgeben

12085

Wird sich der Neue kaum gewahr,

Er ahnet kaum das frische Leben

So gleicht er schon der heiligen Schar.

Sieh! wie er jedem Erdenbande

Der alten Hülle sich entrafft,

12090

Und aus ätherischem Gewande

Hervortritt erste Jugendkraft.

Vergönne mir ihn zu belehren,

Noch blendet ihn der neue Tag.

MATER GLORIOSA.

Komm! hebe dich zu höhern Sphären,

12095

Wenn er dich ahnet folgt er nach.

DOCTOR MARIANUS (auf dem Angesicht anbetend).

Blicket auf zum Retterblick

Alle reuig Zarten,

Euch zu seligem Geschick

Dankend umzuarten.

12100

Werde jeder bessre Sinn

Dir zum Dienst erbötig;

Jungfrau, Mutter, Königin,

Göttin bleibe gnädig.

CHORUS MYSTICUS.

Alles Vergängliche

12105

Ist nur ein Gleichnis;

Das Unzulängliche

Hier wird’s Ereignis;

Das Unbeschreibliche

Hier ist es getan;

12110

Das Ewig-Weibliche

Zieht uns hinan.

FINIS.