12.4 Nichtlineare Differenzialgleichungen 2. Ordnung
Ein Fadenpendel besteht aus einer Masse m, die an einem Ende eines Fadens der Länge l befestigt wird. Der Faden ist an seinem anderen Ende an einer Wand oder einem Stativ befestigt. Abbildung 12.6 zeigt ein um den Winkel φ ausgelenktes Fadenpendel.
Abbildung 12.6 Fadenpendel
Durch die Auslenkung um den Auslenkwinkel φ nach links wird der Masse m des Pendels potenzielle Energie zugeführt. Nach dem Loslassen bewegt sich die Masse nach rechts. Ursache der Bewegung ist die Rückstellkraft Fs. Die potenzielle Energie wird in kinetische Energie umgewandelt. Im tiefsten Punkt hat die kinetische Energie ihren maximal möglichen Wert. Die potenzielle Energie hat hier den Wert 0. Bedingt durch die Trägheit bewegt sich die Masse so weit, bis sie die nahezu gleiche Höhe auf der rechten Seite erreicht hat. Die Bewegungsenergie hat jetzt den Wert 0, und die potenzielle Energie erreicht wieder ihren höchstmöglichen Wert. Der Vorgang wiederholt sich so lange, bis sich wegen der Reibung die Energien in Wärme umgewandelt haben. Das Pendel kehrt in seine Ruhelage zurück.
Bei der Pendelbewegung handelt es sich um eine beschleunigte Bewegung auf einer Kreisbahn. Die Beschleunigungskraft FB ist proportional zur Masse m und der Tangentialbeschleunigung a der Kreisbewegung:

Die Tangentialbeschleunigung ist proportional zur Pendellänge l und der Winkelbeschleunigung α, d. h. der ersten Ableitung der Winkelgeschwindigkeit ω'(t) oder der zweiten Ableitung des Auslenkwinkels φ''(t).
Die Masse m wird in Richtung der Ruhelage durch die Rückstellkraft

beschleunigt. Das Minuszeichen ist dadurch begründet, dass die Masse bei der ersten Auslenkung nach links bewegt wird, die Rückstellkraft wirkt aber nach rechts. Die Rückstellkraft hat immer die entgegengesetzte Richtung wie der Auslenkwinkel.
Es gilt also:

Auf beiden Seiten kann die Masse gekürzt werden, und man erhält die folgende DGL:

Diese DGL berücksichtigt nicht die Dämpfung der Pendelbewegungen. Die Dämpfung wird durch die Abklingkonstante D beschrieben. Sie ist proportional zur Winkelgeschwindigkeit ω = dφ/dt und hat die Einheit 1/s. Der Schwingungsverlauf eines gedämpften Fadenpendels lässt sich durch die DGL

beschreiben. Diese DGL ist nichtlinear, weil die abhängige Variable φ als Argument der nichtlinearen Sinusfunktion vorkommt. Bei dem Ausdruck g/l handelt es sich um das Quadrat der Kreisfrequenz (Eigenfrequenz), mit der das Pendel schwingt. Für die Kreisfrequenz gilt:

Daraus kann die Periodendauer

einer Schwingung berechnet werden.
Hinweis
Differenzialgleichungen höherer Ordnung können mit dem Euler-Verfahren nur gelöst werden, wenn sie in ein System aus Differenzialgleichungen 1. Ordnung umgewandelt werden.
Durch die Substitutionen

ergibt sich das DGL-System in expliziter Form:


Listing 12.7 löst dieses DGL-System durch Integration mit dem Summenalgorithmus (Zeilen 17 und 18). Es müssen zwei Anfangswerte vorgegeben werden: ein Wert für den Auslenkwinkel (Zeile 07) und ein Wert für die Anfangswinkelgeschwindigkeit (Zeile 12).
01 #07_plot_pendel1.py
02 from math import degrees,radians,sin
03 import matplotlib.pyplot as plt
04 g=9.81 #kgm/s^2
05 l=0.92 #Länge des Pendels in m
06 D=0.2 #Abklingkonstante in 1/s
07 phi=60 #Auslenkwinkel in Grad
08 phi=radians(phi)
09 n=500
10 t1,t2=0,5
11 dt=(t2-t1)/n
12 w=0 #Anfangswinkelgeschwindigkeit
13 w02=g/l
14 lt,lw,lphi =[],[],[]
15 for i in range(n):
16 t=t1+i*dt
17 phi=phi+w*dt
18 w=w-w02*sin(phi)*dt - D*w*dt
19 lt.append(t)
20 lw.append(w)
21 lphi.append(degrees(phi))
22 #Grafikbereich
23 fig,ax = plt.subplots(2,1)
24 #Auslenkung
25 ax[0].plot(lt,lphi,'r-')
26 ax[0].set_title("Fadenpendel")
27 ax[0].set_ylabel(r"$\varphi \left(t\right)$")
28 ax[0].grid()
29 #Winkelgeschwindigkeit
30 ax[1].plot(lt,lw,'b-')
31 ax[1].set_xlabel('t')
32 ax[1].set_ylabel(r"$\omega \left(t\right)$")
33 ax[1].grid()
34 plt.show()
Listing 12.7 Lösung einer nichtlinearen DGL für ein Fadenpendel
Ausgabe
Abbildung 12.7 Gedämpfte Schwingungen eines Fadenpendels
Analyse
In Zeile 05 können Sie die Länge des Pendels ändern und dadurch die Frequenz der Pendelschwingungen beeinflussen. Die Dämpfung können Sie in Zeile 06 ändern.
Die nichtlineare DGL 2. Ordnung wird mit zwei Summenalgorithmen gelöst. In Zeile 17 wird der Auslenkwinkel phi und in Zeile 18 wird die Winkelgeschwindigkeit w integriert. Die diskreten Teillösungen werden wieder in Listen lw und lphi abgespeichert (Zeile 20 und 21).
Die Nichtlinearität der Lösungskurve können Sie deutlich sichtbar machen, wenn Sie in Zeile 07 einen Auslenkwinkel von 179° eintragen. Dann müsste die Masse m der Kugel allerdings an einem Stab befestigt sein, dessen Masse gegenüber der Masse der Kugel sehr viel kleiner sein muss.