Simultaneität ist der lyrische Ausdruck der modernen Lebensauffassung und bezeichnet die Schnelligkeit und die Gleichzeitigkeit allen Seins und Tuns. Die Simultaneität war für die Futuristen die „… lyrische Exaltation, die bildliche Sichtbarmachung” der Geschwindigkeit. Sie ist das Ergebnis „… jener großen Ursachen des universellen Dynamismus.” Simultaneität ist auch Anliegen von Robert und Sonja Delaunay gewesen, doch interpretierten beide den Begriff Simultaneität in ganz anderer Weise. Als Guillaume Apollinaire den beiden Delaunays den Begriff zuschrieb, mussten diese sich von dem Futuristen Boccioni des Plagiats beschimpfen lassen. Boccioni war nicht bereit, diesen Schlüsselbegriff an andere abzutreten.

Die Delaunays verwendeten den Begriff nicht für einen Dynamismus. Sie beriefen sich nicht auf den Élan vital bei Bergson, sondern auf Chevreuls Theorie vom Gesetz der Simultankontraste, der Farben und der Zueinanderordnung farbiger Gegenstände von 1839, eine Lehre, die bereits bei den Impressionisten eine Rolle gespielt hatte und 1890 neu aufgelegt wurde. In den Contrastes simultanés hatte Sonia Delaunay den direkten Sprung in die Abstraktion gewagt. Sonias Malerei war bereits ein formales Bezugssystem farbiger Rhythmen, als ihr Mann Robert, aber auch Klee, Kandinsky, Mondrian und Picasso noch auf dem Weg waren, die Ablösung vom Gegenstand schrittweise zu vollziehen.

Robert Delaunay begründete den Orphismus. Wegen der Orchestrierung der Farben benannte Guillaume Apollinaire die Malerei Delaunays nach Orpheus, dem Sänger der griechischen Mythologie. Seine Bildfindung leitete sich aus dem Impressionismus, dem Analytischen Kubismus und von Cézanne her. Der 1898 errichtete Eiffelturm, das neue Wahrzeichen von Paris, faszinierte ihn. Dessen elegante Konstruktion wurde Thema seiner Serie Fenster. Die verwirrenden Ansichten des Turms, seine Fragilität der Konstruktion, der irrende Blick, der stets hindurchschaute und ihn doch immer wieder in neuen Perspektiven sah, malte er immer wieder in neuen Varianten, in neuen Brechungen, hellen und lichten Farbharmonien - auf der Basis von Farbwerten des prismatisch zerlegten Lichts.