Mit der Digitalisierung hat der Körper eine vollkommen neue Sichtbarkeit erlangt. Zum einen ermöglichen es die Kameras der Smartphones jedem Nutzer, sich zu filmen oder zu fotografieren, sich dabei zu inszenieren und das so entstandene Bild mit Filtern, Weichzeichnern und anderen Tools zu bearbeiten; zum anderen ist die Auflösung der Kameras inzwischen so hoch, dass auf einem Foto wesentlich mehr zu sehen ist als mit dem bloßen Auge in der Wirklichkeit. Nie war eine Fotografie ein Abbild der Welt, durch die nutzerfreundliche Postproduktion und die immer schärfere Bildauflösung wird die Kluft zwischen der Realität und ihrer fotografischen Reproduktion jedoch noch größer. Dadurch wächst der Druck, den realen Körper – mit all seinen in der Großaufnahme offenbar werdenden Makeln – dem digitalen bzw. idealen anzupassen. Dass in Deutschland mehr als zehn Millionen Menschen in einem Fitnessstudio angemeldet sind, ist nur zu verstehen, wenn neben den omnipräsenten biopolitischen Fitness- und Gesundheitsdiskursen auch die digitale Entwicklung berücksichtigt wird. Während der Podcast-Boom immer mehr »Stimmen ohne Körper« (Thomas Macho) hervorbringt, sind die Plattformen Instagram, Tiktok und Youtube auf den (Werbe-)Körper fixiert, und deren User sind von ihm besessen.
Ein körperloser Influencer ist nicht denkbar, ihm würde der Hauptaustragungsort, die Verkaufsfläche fehlen. Im Gegenzug sind Plattformen wie Instagram oder Tiktok buchstäblich geistlos. Das Denken wird zwar nicht zensiert, aber durch Nichtbeachtung marginalisiert. Dass eine Anekdote manchmal mehr als ein Roman erzählt, wissen wir von Kleist: Eine deutsche Influencerin wird an einem heißen Sommertag im Jahr 2020 ganz plötzlich ohnmächtig, worauf ihr sogleich Passanten zu Hilfe eilen. Schon aus dem Krankenhaus, in dem man sie gründlich untersucht hat, postet sie erste Fotos in ihrer Insta-Story, da doch ein solches Ereignis nicht alle Tage vorkommt und nicht ungenutzt bleiben will. Die Fans überschütten sie mit Genesungswünschen, die Influencerin gelobt, ihre stressige Lebensführung zu überdenken und an ihrer Work-Life-Balance zu arbeiten, schließlich könne auch das Negative ins Positive gewendet werden etc. (Für jeden Zwischenfall gibt es in der Welt der sozialen Medien längst einen ungeschriebenen Kanon von Reaktionen und Pathosformeln inklusive passender Emojis, damit ja keine Irritation entsteht und alles nach aufmerksamkeitsökonomischen Gesetzen eingehegt werden kann.) Wieder daheim, schildert die Influencerin noch einmal das Geschehen, welches letztlich glimpflich ausgegangen ist, da sie, wie sie erleichtert und ohne Ironie sagt, zum Glück nur auf den Kopf gefallen ist.
Nicht ohne Grund lautet ein Bonmot des US-amerikanischen Schriftstellers Ambrose Bierce: »Werbung ist der Versuch, das Denkvermögen des Menschen so lange außer Takt zu setzen, bis er genügend Geld ausgegeben hat.« Und das funktioniert am besten über den Körper. Der Influencer ist eine Art Vorkoster, der an seinem eigenen Körper beweisen soll, dass das atmungsaktive Funktionsshirt tatsächlich ein Must-Have ist und das vegane Make-up wirklich mattiert, ohne rissig zu werden. Die Influencer sind dabei freilich nur die extreme Ausprägung eines generellen Phänomens in der Mode: Mit dem Aufkommen der zur Schau getragenen Logos wird jeder Konsument zum Werbeträger – nur noch die klassische Herren- und Damenmode bleibt nach außen hin diskret und verrät das jeweilige Label nicht.
Der Körper des Influencers ist jedoch nicht bloß Litfaßsäule, er ist nicht allein als fleischgewordene Schaufensterpuppe zu verstehen, sondern er selbst kann zum Markenzeichen werden. Diese Entwicklung ergibt sich aus dem Medium heraus: Der sichtbare Mensch heißt Béla Balázs' bahnbrechende Theorie des Films aus dem Jahr 1924,1 in welcher er den entscheidenden Unterschied zwischen dem alten Medium Theater und dem neuen Medium Film benennt: Der Mensch kann durch die Großaufnahme (und die große Leinwand) auf neue Weise sichtbar werden, während das Theater, selbst in der ersten Reihe genossen, zwar durch die Liveness ein Präsenzmedium ist, jedoch gleichermaßen Distanzmedium bleibt. Die Mimik und der Charakter eines Gesichts werden im Film zum Ausdrucksmittel, und das Gesicht, das der Regisseur für eine Rolle auswählt, ist bereits ein Bedeutungsträger – man spricht von Typbesetzung. Auch der Körper erfährt durch das Kino eine Aufwertung, die Nahaufnahme führt seine Parzellierung herbei, die später von der feministischen Filmtheorie kritisiert wird: die Beine der Dietrich, der Waschbrettbauch von Brad Pitt, das Dekolleté von Anita Ekberg.
Um die vorherrschenden Körperbilder und ihre Wirkung auf die reale Welt nachzuvollziehen, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von Instagram unabdingbar. Kevin Systrom, der zuvor ein Jobangebot von Mark Zuckerberg abgelehnt hatte und sich später für eine Milliarde Dollar breitschlagen ließ, seine Firma an Facebook zu verkaufen, war keineswegs der einzige Unternehmer im Silicon Valley, der an einer Fotoplattform arbeitete. Tatsächlich existierten bereits Seiten, auf denen man ein Fotoalbum hochladen und kuratieren konnte. Auch gab es einige Apps, mit denen sich Fotos bearbeiten ließen. Instagram aber, das 2010 online ging, wollte kein weiteres Fotoarchiv werden, auf dem Menschen Hunderte Urlaubs- oder Kinderfotos ablegen, die sie sich hinterher nicht wieder ansehen.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sollte der eine entscheidende Moment stehen, den man festhält, um ihn anderen zu zeigen. »Instant« (»sofort«) steckt im Namen des Unternehmens, das durch die quadratische Fotoform die Möglichkeiten bewusst limitierte, um den Nutzern einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen sie sich kreativ austoben sollten. Es war, so der Gründungsmythos, Systroms Freundin, die gestand, sie wolle dort lieber keine Fotos hochladen, da das Handy oft eher unvorteilhafte Aufnahmen mache und die Realität, vor allem die Proportionen und die Haut, ungeschönt wiedergebe. Systrom fand den Einwand triftig und beauftragte einen Designer, spezielle Filter zu entwickeln, mit denen sich die Fotos vor dem Upload aufhübschen ließen. Das war der entscheidende Faktor, warum Instagram auch bei für ihre Eitelkeit berüchtigten Stars rasch Anklang fand. Inzwischen bieten viele erfolgreiche Influencer ihre eigenen Filter an. Ihr Einsatz ist derart selbstverständlich, dass unbearbeitete Fotos, die aussehen, als habe man nachgeholfen, eigens mit dem Hashtag #nofilter versehen werden. Beinahe hellsichtig ist da eine Szene aus der Komödie Crazy, Stupid, Love (2011), in der Ryan Gosling vor den Augen Emma Stones sein T-Shirt auszieht, worauf sie im Angesicht des braungebrannten, wohldefinierten Körpers sagt: »Seriously? It's like you're photoshopped!«
Mit der Instagram-App lässt sich spielend ein Körperideal formen, an dem die Natur nur scheitern kann, weshalb zunehmend in sie eingegriffen werden muss. Der Boom der Plastischen Chirurgie hat gerade erst richtig begonnen. Bereits die Boulevardformate der neunziger und nuller Jahre erzählten gern von Frauen mit riesigen Silikonbrüsten, manch einer wird sich an den tragischen Fall des Erotikstars Lolo Ferrari erinnern. Freunden des Trash-TV ist unvergessen, wie sich Dieter Bohlens Ex-Freundin Nadja (»Naddel«) Abd el Farrag 2001 in einer Sat1-Sendung die gemachten Brüste wiegen ließ. Auch in den siebziger Jahren sprachen vereinzelt Stars über ihre Schönheits-OPs, so sorgte Hildegard Knefs Lifting für Furore. Country-Ikone Dolly Parton meinte später einmal kokett, es habe sehr viel Geld gekostet, so billig auszusehen, und Comedy-Legende Joan Rivers wünschte nach unzähligen Eingriffen, sie hätte eine Zwillingsschwester, um zu wissen, wie sie naturbelassen aussähe.
Doch das waren Ausnahmen von der Regel, die zugleich selten nachahmenswert erschienen. Im Instagram-Zeitalter ändert sich dies fundamental. Wo suggeriert wird, dass jeder ein Star sein kann, ist auch mitgemeint, dass jeder wie einer aussehen sollte. Liftings, Fettabsaugungen, Brust- und Povergrößerungen, das Spritzen von Botox oder Hyaluron – die analogen Filtermöglichkeiten sind nicht nur preiswerter geworden, sondern durch ihre starke Präsenz auch gesellschaftlich weithin akzeptiert. Dennoch kann die Realität mit den virtuellen Körperbildern nicht immer mithalten, wie der Plastische Chirurg Kevin Brenner mit Blick auf seine anspruchsvollen Kunden erläutert: »Sie zeigen mir ein Foto von jemandem, der etwas hat machen lassen, und dabei ist ihnen nicht klar, dass das mithilfe eines Instagram-Filters verwandelt wurde.«2
Laut einer 2019 veröffentlichten Studie der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) konzentrieren sich 39,4 Prozent aller durchgeführten Behandlungen auf Faltenreduktion, auf Platz zwei liegt die Brustvergrößerung mit 8,3 Prozent, gefolgt von der Fettabsaugung mit 5,5 Prozent. »Soziale Medien als Einflussfaktor überzeugten nur 2,3 Prozent der von uns befragten Patient*innen«, heißt es zunächst beruhigend, doch gaben 61,7 Prozent der Befragten an, sich aufgrund eines »ästhetischen Leidensdrucks« für einen Eingriff entschieden zu haben.3 Doch woher kommt dieser Druck? Wer gesteht schon ein, dass er bloß Follower-starke Idole nachahmen will? Und grundsätzlicher gefragt: Wer kann überhaupt so genau sagen und wissen, warum er etwas tut? »Das Kino gibt uns nicht, was wir wünschen, sondern es sagt uns überhaupt erst, was wir begehren sollen«, stellt Slavoj Žižek in The Pervert's Guide to Cinema klar. Der Satz trifft ebenso auf Instagram & Co. zu, wie ein weiteres Ergebnis der Studie zeigt:
Foto-Apps mit Filtern ermöglichen es, Selfies aufzupeppen und einem digitalen Make-up zu unterziehen. Immer häufiger führen solche idealisierten Selbstbilder zu dem Wunsch, auch in der realen Welt wie die eigene Erscheinung auf dem Foto auszusehen. In einer unter den Mitgliedern der DGÄPC durchgeführten Umfrage gaben 59,1 Prozent der befragten Chirurgen an, dass bereits vereinzelt Patient*innen mit über Bildbearbeitungsprogrammen veränderten Selfies als Vorlage für eine Behandlung in ihre Praxis gekommen sind. 9,1 Prozent waren mit diesem Phänomen sogar bereits sehr häufig konfrontiert.4
Das Selfie ermöglicht es, ein neues Bild von sich selbst zu bekommen. Es funktioniert nicht wie ein Spiegel, bei dem der Blick noch immer als zum eigenen Selbst und Körper zugehörig empfunden wird. Das Selfie lädt dazu ein, sich selbst wie einen Fremden zu betrachten.
Gewiss lässt sich die Körpermodifizierung als Akt der Selbstermächtigung begreifen, als Sorge um sich selbst, als spielerischer Umgang mit der eigenen Identität, wie manche Zeitgenossen, die jegliche Kritik als Kulturpessimismus abqualifizieren, zu wissen glauben. Doch wie viel Selbst steckt in einer Ermächtigung, die hauptsächlich medial vermittelt wird und von gigantischen Wirtschaftsinteressen durchzogen ist? 2015 jedenfalls träumten viele Follower Kylie Jenners davon, ähnlich voluminöse Lippen zu haben wie der Instagram-Star. Teenagerinnen saugten deshalb ihre Lippen an Schnapsgläsern fest, um durch das Vakuum eine Schwellung hervorzurufen und anschließend Selfies für Instagram zu schießen. Doch selten erreichten die Posts die Perfektion von Kylie, die schließlich eingestehen musste, dass sie sich bereits mit ihren jugendlichen siebzehn Jahren die Lippen aufspritzen ließ, was die Öffentlichkeit schockierte. Einmal mehr war der Beweis erbracht, wie schädlich der Einfluss der Plattform auf die jugendliche Zielgruppe ist. Instagram wollte jedoch weiter wachsen, weshalb ein Shitstorm unbedingt verhindert werden musste. Wie das gelang, schildert Unternehmensbiografin Frier:
Liz Perle, die für Teenager zuständige Leiterin, hatte eine Idee, wie Instagram die Kontroverse als Einstieg nutzen könnte, um eine positivere Message zu verbreiten. Sie schickte Jenner eine Liste mit zehn Namen von Instagram-Nutzern, die sich lautstark über ihre diversen auf ihren Körper bezogenen Bedenken geäußert hatten. Ihre Idee war eine Kampagne, in deren Zuge Jenner auf ihrem Account solche Menschen unter dem Hashtag #iammorethan interviewte, was man beispielsweise zu »iammorethan my lips« vervollständigen konnte – »ich bin mehr als meine Lippen«.5
Das Prinzip »Den Bock zum Gärtner machen« wenden Instagram und die Influencer seitdem in jeder brenzligen Situation an. Äußert sich ein Influencer unbedacht etwa über Rassismus, werden gleich die Kritiker integriert, das heißt, durch eine Umarmung erdrosselt. Moderne Managementtheorien haben dieses Konzept der »Dialogie« entwickelt, damit der Widerstand in- oder außerhalb eines Unternehmens eingehegt und produktiv genutzt werden kann.6 Insbesondere im Fall von fragwürdigen Körperbildern, die die Influencer regelmäßig produzieren und als beispielhaft ausstellen, reagieren viele nach kritischen Fan-Reaktionen mit »Body Positivity«-Kampagnen, für die sich immer häufiger auch die Mode- und Kosmetikindustrie sowie progressiv-neoliberale Stiftungen interessieren. Inkludiert werden sollen auf diese Weise dissidente Positionen zu den perfektionierten Werbekörpern. Influencer zeigen sich dann in ungünstigen Posen oder ungeschminkt, was den Ruhm verlässlich steigert, gilt hier doch das alte Hollywood-Gesetz, dass mit einem Oscar rechnen darf, wer »Mut zur Hässlichkeit« beweist.
Aber auch Menschen mit Übergewicht oder Schönheitsfehlern versuchen – mitunter unabhängig von Konzerninteressen – unter dem Hashtag #bodypositivity ihr Glück, zum einen, um auf sich aufmerksam zu machen und sich zu vermarkten, zum anderen sollen so Körpernormen infrage gestellt werden. Der offensiv präsentierte Makel kann in seltenen Fällen sogar zu einem Unique-Selling-Point werden, doch gelingt so tatsächlich eine Trendumkehr? Schwerlich, denn auch die Body-Positivity-Posts bleiben in der Logik einer akzeptierten und vom Konsumkapitalismus zementierten Norm gefangen, gerade weil durch eine dezidierte Abgrenzung die Norm als solche anerkannt wird. In gewisser Weise sind Body-Positivity-Anhänger noch mehr vom Lookism besessen als jene, die seinen Anforderungen einfach entsprechen.
Vergessen wird bei den allenfalls gut gemeinten Aktionen die Essenz der Plattform und des Erfolgs der Influencer: Es geht im Grunde stets um das Ausstellen ansprechender Körper, die zum Konsum anregen sollen. Sex sells. Oder wie Eva Illouz festhält: »Das ökonomisch-sexuelle Subjekt ist das eigentliche Subjekt der Moderne.«7 Dass sich Modemagazine oder große Werbekampagnen mit sogenannten Plus-Size-Models oder »normalen« Frauen schmücken, muss als Marketingtrick gewertet werden, mit dem das Image aufpoliert werden soll, niemals aber auf Dauer Erfolg generiert werden kann. Als sich Prominente noch nicht hinter solch moralinsaurer Authentizität und verlogener Ehrlichkeit versteckten, war mitunter ein aufrichtiges Wort zum Business mit dem Körper zu vernehmen – so bemerkte Playmate Pamela Anderson einmal: »Meine Brüste hatten eine fabelhafte Karriere – ich bin einfach immer nur mitgetrottet.«
Der sichtbare Körper der Influencer ist einer, der im Gegensatz zu dem früherer Stars nicht einfach erscheint und, wenn der Vorhang fällt, wieder verschwindet, vielmehr wird ausgestellt, wie er mithilfe von Fitness-Apps und diversen Produkten bearbeitet wird. Selbst eine Paris Hilton bot zwar tiefe Einblicke, wenn sie ohne BH und Slip im kurzen Kleid auf dem roten Teppich posierte bzw. »erwischt« wurde, doch war sie damit noch ein Star vom alten Schlag, bei dem die Paparazzi etwas decouvrieren und anschließend publizieren mussten. Ihre Freundin Kim Kardashian sowie deren Schwestern und Mutter begriffen jedoch bald, dass das Geschäft um die Aufmerksamkeit im Internet völlig anders funktionieren würde.
Mutter Kris Jenner, Chefin des Familienimperiums, erhielt aufgrund der Instagram-Aktivitäten ihrer Familie 2013 plötzlich viele Anrufe von reichlich verwunderten Freunden aus der US-amerikanischen High Society, die sich an diesem Exhibitionismus störten:
Viele von ihnen dachten, ohne ein gewisses Maß an Privatsphäre und Geheimnistuerei wären sie nicht mehr so interessant. Sehr viele Menschen in der Unterhaltungsbranche wollten sich nur dann mitteilen, wenn sie ein richtiges Interview gaben oder im Fernsehen auftraten.8
Kris Jenner, deren Tochter Kylie knapp 200 Millionen Instagram-Follower hat, gab nichts auf diese Einwände, sie verstand intuitiv den radikalen Medienwandel und ahnte, dass ihre Töchter zu Trendsetterinnen werden könnten. Diese posteten, nachdem sie sich 2012 auf der Plattform angemeldet hatten, offenherzige Fotos, häufig aus privaten Räumlichkeiten; bereits Reality-TV-erprobt, nahmen sie jetzt mit ihrem Smartphone die Produktion selbst in die Hand. Sie wurden zur Influencer-Avantgarde, ihre Rundungen zu den bekanntesten Silhouetten der Medienwelt.
Vor allem Insta-Storys bestehen zu einem hohen Anteil aus Blicken hinter die Kulisse, aus Making-ofs zur Influencer-Perfektion. Auch Models wie Heidi Klum zeigen dort nun des Öfteren, wie sie sich unter den Fittichen von Maskenbildnern und Haarstylisten in den Star verwandeln, der sie im Alltag nicht sind. Das Illusionstheater, bei dem Richard Wagner im 19. Jahrhundert sogar das Orchester und somit die musikalischen Arbeiter und den Produktionsprozess verschwinden ließ, wechselt sich nun ab mit permanenten Brechungen und V-Effekten, wenn die Influencer Hautprobleme, Rasierpickel, Spliss oder Cellulite thematisieren, um den Werbekooperationen gerecht zu werden. Der Körper wird zum Projekt erklärt, an dem fortwährend gearbeitet werden muss. Am Ende einer Story steht immer nur ein vorläufiges Ergebnis, morgen geht es weiter, denn mit den neuen Werbeverträgen tauchen weitere Widrigkeiten auf, die bekämpft werden müssen.
Weibliche Influencer geben in ihren Storys täglich Hilfestellungen, wie man den Busen oder die Augen besser betonen kann, welche Kleidung angesagt ist und die Follower besonders sexy wirken lässt. Für eigene und fremde Kollektionen wird geworben, ununterbrochen ist auf Instagram Fashion Week, so dass die offiziellen Modenschauen nur noch deshalb relevant sind, weil die großen Labels mit den Influencern kooperieren. Das hat zur Folge, dass das Subtile in der Mode immer weniger repräsentiert wird, Kollektionen entstehen zunehmend unter dem Kriterium, ob die Kleidungsstücke Instagram-tauglich sind, was meint, ob sie einen hohen Wiedererkennungswert haben. Influencer müssen auffallen: mit extremen Körperformen, schriller Mode und häufig mit spleenigen Accessoires. Große bunte Ohrringe, blinkende Handtaschen und Gürtelschnallen sind die Leuchtreklamen des Plattformkapitalismus. Sneaker werden immer klobiger und mit immer größeren Applikationen versehen. Verantwortlich dafür ist auch der Smartphone-Screen, auf dem die meisten der Influencer-Posts betrachtet werden. Wesentlich kleiner als auf dem Fernsehschirm oder in Illustrierten wird die Mode präsentiert, die Liebe zum Detail, für die die Haute Couture einst stand, wird immer seltener erwidert.
Denn mehr ist mehr: Auf Youtube, Tiktok und Instagram neigen Influencer deshalb zu übergroßen Gesten und überdrehter Mimik, knallchargenhaft werden Augen gerollt und Lippen gespitzt. Körper werden lasziv verbogen, um Kurven und Muskeln zu betonen. Wenn das nicht ausreicht, hilft die sogenannte Shapewear weiter, die den Body in die gewünschte Form bringt, Fettpolster verschwinden lässt sowie Po und Brüste anhebt. Als Kim Kardashian 2019 eine eigene Linie mit stützender Unterwäsche herausbrachte, jubelten ihre Follower, dass sie sich so freimütig zum Korsett des 21. Jahrhunderts bekannte. Selbst netzfeministisch bewegte Autoren begrüßen so viel Ehrlichkeit bisweilen gar als mutigen Tabubruch, nicht sehend, dass das Bild zu Saïs längst seines Schleiers beraubt wurde, weil die Arbeit am Selbst und am Körper ein wichtiges Neuland der Kapitalakkumulation ist. Während das Silicon Valley durch Brainhacking-Projekte wie Elon Musks Neuralink das menschliche Gehirn erobern will, okkupiert die Schönheitsindustrie den Körper, dessen Bedürfnisse unstillbar sind, da Erschlaffung und Verfall unaufhaltsam voranschreiten. Nichts, was beim Yoga oder Zumba erarbeitet wurde, ist von Dauer, jede Morning-Routine lässt neue Baustellen zu Tage treten. Der Markt des Körpers ist – im Gegensatz zu vielen anderen Märkten – nie gesättigt. Akkumulation und Konsumtion bleiben beim Werbekörper unabgeschlossen.
Speziell männliche Fitness-Influencer arbeiten zur Dokumentation des Erreichten häufig mit Vorher/Nachher-Vergleichen. »Vom Lauch zum Alpha«, sind die Fotos dann untertitelt, von »Transformation« ist die Rede. »Heute wieder spontan 3 kg schwerer aufgewacht. Nicht das schönste Gefühl in der Diät. Aber man muss einfach realisieren, dass sowas nur Wassereinlagerungen sind!«, schreibt einer über seine aktuelle Diät, um sich möglichst bald sehnig und körperfettlos fotografieren zu können. Ein Gesinnungsgenosse kann stolz auf sich sein: »Leute, was eine Woche ich war diese Woche 6 mal im Training plus eine Trainingseinheit im Crossfit weggeballert Wie oft habt ihr die Woche Sport gemacht?«, »Nicht aufgeben, durchhalten und Kraft finden«, ist neben dem Foto eines anderen jungen Mannes, der seinen Bizeps flext, als Mutmacher zu lesen. Die Follower, in der Regel überwiegend Männer, spornen sich in den Kommentarspalten an und machen dem Influencer Komplimente: »Hammer Brust!«, »Du Tier!«, »Maschine!«, »Warrior!«, »Siehst aus wie ein Gott« – bisweilen wird mit dem Hashtag #nohomo die eigene Heteronormativität unterstrichen, wobei die Bewunderung von Männern für andere Männerkörper immer häufiger ohne eine solche Abgrenzung auskommt.
Der homosoziale Raum der Umkleide im Gym wird in die sozialen Medien erweitert, während der geoutete Influencer nach wie vor das Risiko eingeht, nur noch für die »Community« der Schwulen relevant zu sein. Einige heterosexuelle Influencer schweigen sich über ihre sexuellen Präferenzen aus, um die Zielgruppe möglichst groß zu halten, denn auch das LGBT-Publikum ist kaufkräftig und gibt sich keineswegs immer gleich mit Regenbogenfahne im Profil zu erkennen, höchstens kunsthistorische Bezüge in den Kommentarspalten – »Du bist Michelangelos David!« – lassen gewisse – zu Winckelmann zurückreichende – Schlüsse hinsichtlich der Neigung zu, wenngleich von »edler Einfalt« und »stiller Größe« in der Selbstvermarktungsbranche nichts geblieben ist. Vielmehr sehen wir die Körper der Leistungsgesellschaft: die Frau im Bikini, der Mann shirtless – jeweils mit Laptop in der Hand, immer muss gerade eine Excel-Tabelle ausgefüllt und müssen Erfolge neu »skaliert« werden. Die Haut und der Touchscreen sind gleich glatt.
Nichts darf irritieren, stören, rau oder uneben sein, kurzum: dem punctum wird der Garaus gemacht. Roland Barthes unterscheidet zwischen zwei Betrachtungsweisen von Fotografien, dem studium und dem punctum. Beim studium geht es um ein allgemeines Gefallen und Interesse für das Dargestellte: »Das studium bezieht sich auf das höchst ausgedehnte Feld der unbekümmerten Wünsche, des ziellosen Interesses, der inkonsequenten Neigung: ich mag / ich mag nicht, I like / I don't.«9 Barthes antizipierte damit die Instagram-Ästhetik, die freilich die Negation, das »I don't«, nicht mehr kennt. Negativitätserfahrung böte aber vor allem das punctum, das Barthes als etwas charakterisiert, das irritiert, das aus dem Foto heraussticht und den Betrachter wie ein spitzer Gegenstand trifft. Es ist der Zufall selbst, der sich auf das Foto schleicht und nicht komponierbar ist, erklärt Barthes. Mögen die Fotos der Influencer auch grell und effekthascherisch sein, giert das Schrille doch nur nach dem Like und ist lediglich Ausdruck einer Aufmerksamkeitsökonomie, die das Sensationelle, nicht aber das Herausragende belohnt. Zu sehen sind, wie Barthes sagen würde, »einförmige Photographien«.10 Gleichmäßige Oberflächen, über die der Daumen der Nutzer wischt, ohne hängenzubleiben. Die Fotos sind wie die Influencer-Körper, die im wahrsten Sinne des Wortes fit sind, heißt dies doch ursprünglich nichts anderes als »passend«.
Dieser Passförmigkeit entspricht der Influencer-Tag, der mit der Morning-Routine beginnt, anschließend folgt ein Update zum Frühstück, das so zu sein hat, dass man den Hashtag #healthy dazu posten kann. Dieser verschlagwortet Aspekte der Gesundheit, Diät, der körperlichen und »mentalen« Fitness. Mit Essen hat das wenig zu tun. Laut dem 2020 veröffentlichten Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums wollen 98 Prozent der Deutschen, dass das Essen schmeckt. Verwundert fragt man sich, wer nur die restlichen zwei Prozent sind – und erhält die Antwort bei Instagram, wo Influencer täglich bunte Pampen anrühren und auslöffeln. Der Trend des sogenannten Superfoods, das bei regelmäßigem Verzehr die Leistungsfähigkeit eklatant erhöhen soll, wird von den Instagram-Stars maßgeblich gestützt. Was gewöhnliche Menschen täglich verzehren: ein Brot mit Käse oder Wurst, Fischstäbchen mit Kartoffelpüree, Frikadellen, Currywurst mit Pommes, Linsen- oder Erbseneintopf, scheinen Influencer nicht zu essen. Jeder wird zum Food-Designer, das Essen muss dem Medium angepasst werden, dabei sind drei Aspekte entscheidend: Gegessen wird, was schön, leistungssteigernd und gesund ist. Diese Kombination aus Ästhetik, Arbeitsethos und Biopolitik spiegelt sich in der gesamten Existenzweise des Influencers wider.
Schaut man stundenlang Insta-Storys, stellt sich irgendwann die Frage, ob es außer den lancierten Werbungen noch ein weiteres verbindendes Sujet gibt. Wir sehen Menschen, die aufwachen, frühstücken, sich schminken, sich rasieren, Sport machen, etwas kochen, sich eincremen, sich sonnen, sich frisieren, zwischendurch ruhen, wieder kochen, wieder essen, sich abschminken, zu Bett gehen. Es ist die totale Reduktion auf den Körper und dessen Funktionen, womit gleichzeitig die größtmögliche Zielgruppe überhaupt adressiert werden kann: der Mensch. Dessen Existenz, wird den biopolitischen Anforderungen nicht entsprochen, bedroht ist. Der »Daumen runter«-Button bei Youtube, der Kommentar-Shitstorm bei Instagram, vor allem aber die unsichtbare Macht der Algorithmen, in die man die Körper einprogrammiert hat, sind Selektionsmechanismen, die das präsentierte »nackte Leben«, wie Giorgio Agamben sagen würde, zu einem stets gefährdeten machen.
Hin und wieder darf allerdings ein wenig über die Stränge geschlagen werden, manchmal ist ein Croissant oder süßes Baklava erlaubt. Nicht fehlen sollte dann jedoch der Hashtag #nothealthyatall. Fitness-Influencer sprechen hingegen vom Cheat-Day, wenn sie während ihrer Low-Carb-Diät an einem Tag der Woche schummeln und ihren Gelüsten nachgehen. Ein besonders auffälliges Phänomen stellt der Genuss von Schokolade verbunden mit Weiblichkeit dar: »So wie Rosa zu einer Farbe geworden ist, die sowohl Freiheit als auch sexuelle Verfügbarkeit symbolisiert, eine merkwürdige Form hygienischer Nacktheit […], so ist Schokolade heute ein Zeichen dafür, dass die Frau, die sie nascht, ein kleines bisschen, naja, eben ›ungezogen‹ ist«, schreibt die feministische Theoretikerin Nina Power.11 Praktiziert werde auch von erwachsenen Frauen eine infantile Mädchenhaftigkeit – wann immer sie nach ihren Vorlieben gefragt würden, erklärt Power, fügten sie am Ende einer Aufzählung hinzu »und Schokolade!«. Ebenso ist die Dominanz von Rosa auf Instagram ungebrochen: Nicht nur der Bikini und Lippenstift, das Plumeau und die Süßigkeit, diese kleine Sünde, sind oft rosa, auch die Körper erscheinen in Zartrosa. Das ist keine neue Entwicklung, vielmehr reicht die Traditionslinie über Édith Piaf zurück bis ins Angestellten-Milieu der Weimarer Republik. »Entscheidend«, zitiert Siegfried Kracauer einen Herrn aus der Personalabteilung eines Berliner Warenhauses, sei »die moralisch-rosa Hautfarbe«, um angepasst zu sein und angestellt zu werden. Die Moral soll nach Wunsch der Personalabteilung »rosa gefärbt« und das »Rosa moralisch gefärbt« sein, damit die »keineswegs rosige Wirklichkeit verhüllt« bleibt. Schon damals konstatiert Kracauer unter den Angestellten eine Uniformierung: »Sprache, Kleider, Gebärden und Physiognomien gleichen sich an, und das Ergebnis des Prozesses ist ebenjenes angenehme Aussehen, das mithilfe von Photographien umfassend wiedergegeben werden kann.«12 Die mediale Reproduktion ist entscheidend für das Äußere der neuen Klasse, die gern sauber ist. Der Körper des Influencers ist hyperhygienisch – innerlich und äußerlich. Von äußeren und inneren Reinigungen, von einem »cleanen« Körper wird ebenso gesprochen, zusätzlich wird Psychohygiene betrieben: Die Coaches empfehlen, nur noch positive Gedanken und Menschen an sich heranzulassen, alles optimistisch zu sehen, gerade auch die Schicksalsschläge. Und die Insta-Story verwandelt sich immer wieder in einen Beichtstuhl. Einmal mehr, wissen die glossy Lippen zu berichten, war der Wille zwar stark, das Fleisch jedoch schwach.
Da hilft nur noch mehr Selbstüberwachung und -kasteiung: der Fitness-Tracker als digitale Geißel,13 die nicht mehr schmerzt, sondern das zu optimierende Subjekt in die richtige Richtung stupst. Die sozialen Medien setzen gleichfalls auf Nudging, denn wer möchte nicht, dass sich die Herzchen rot färben bei einem Like, und wer ist nicht neugierig und klickt, wenn man ein Instagram-Profil aufruft und sich Momente später ein lila-orangefarben changierender Kreis um das Profilfoto bildet, der eine neue Insta-Story ankündigt? Immer gibt es etwas zu sehen: Manche Männer führen ihren Ernährungs- und Trainingsplan auf, andere bieten ihn zum Verkauf an, Nahrungsergänzungsmittel und Sportleibchen werden beworben, meist getarnt als Hilfestellung für jene, die das Ziel, das, wie die Philosophen unter den Influencern gelegentlich betonen, eigentlich doch der Weg ist, noch lange nicht erreicht haben. Besonders in englischsprachigen Hashtags wie #work, #hardwork oder #workout fallen Arbeit und Training zusammen, die Muskelmasse wird zum Beweis des beruflichen Erfolgs, wenngleich kaum ein Follower noch einer körperlichen Arbeit nachgeht, sondern allein im Fitnessstudio und gegen Gebühr eine industrielle Atmosphäre erleben kann. Viele dieser Influencer betreiben Onlineshops, erzählen von ihren Aktiendepots oder sind im ominösen Coaching-Milieu tätig: allesamt Sektoren, die keine physische Kraft verlangen, was die propagierte Kausalität – dicke Muskeln gleich dickes Portemonnaie – irrwitzig erscheinen lässt. Der Kampf gegen das Fett ist lukrativ: Nicht nur Politiker wie Friedrich Merz warnen in Bestsellern vor der Verfettung des Volkes, generell werden Menschen, die nicht der Norm des Body-Mass-Indexes entsprechen, herabgesetzt:
Systematischer Fett-Hass […] durchkreuzt viele gesellschaftliche Bereiche. […] In dieser Ideologie werden »fettleibige« Menschen als ekelhaft, animalisch, faul, willensschwach, hässlich, asexuell, zügellos und gefräßig betrachtet. Sie sind nicht nur von weichem und undiszipliniertem Fett umgeben, sie sind dieses Fleisch und ihr Körper ist sichtbares und unleugbares Zeichen ihrer Unbeherrschtheit und Disziplinlosigkeit.14
Wenngleich sie alle sportlich sind, herrscht bei männlichen Influencern keineswegs ein einheitliches Körperbild vor. Untrainierte oder gar dicke Männer sind allerdings absolute Ausnahmen und höchstens in der Sparte Comedy zu finden, weil Humor seit der antiken Komödie zumeist am Körper verhandelt wird. Der Rest joggt und pumpt, wobei der Bodybuilder-Leib zwar keine Randerscheinung mehr darstellt, aber dennoch nicht gänzlich im Mainstream angekommen ist. Die Tendenz zum Körperpanzer ist allerdings unübersehbar. Inkorporiert ist bereits, dass die Gesellschaft mit den Schwachen kein Erbarmen hat, dass sie vom Staat drangsaliert, von den Medien desavouiert werden, weshalb nichts hinweisen soll auf fehlende Disziplin oder Mangel an Willen. Die Leistungsgesellschaft, deren tragisches Ende in den vergangenen drei Jahrzehnten zu erleben war, feiert auf Instagram ihre Wiederaufführung als Farce mit teils bizarren Figuren – Köpfe groß wie Erbsen auf Schultern breit wie Wandschränke.
Doch manchmal ist Freizeit angesagt, des Öfteren nun #metime genannt, als habe man nicht schon die ganze Zeit nur um sich selbst gekreist. Auf Liegestühlen oder im Pool auf Luftmatratzen oder Schwimmringen liegen dann häufig die braunen, prallen, pornografischen Körper, erholen sich vom Tagwerk, und ihre Besitzer erzählen im Begleittext, dass sie gerade »die Zeit genießen«. Ja, wenn sie nur wüssten, was Genuss meinen kann. Was aber tun mit der antrainierten und -operierten Sexyness, mit den Alpha-Muskeln und Schlauchbootlippen? Die Influencer und ihre Follower wissen es selbst nicht. Es ist mit den Körpern wie mit den meisten Luxusprodukten: Man kauft sie, hat sie, hegt und pflegt sie, nur wirklich etwas damit anfangen kann man nicht. Erotik oder gar libidinöse Abgründe verheißen diese Körper so wenig wie die aufblasbaren Gummiflamingos, von denen sie über Wasser gehalten werden. Gewiss, auf Instagram und Facebook sind bis heute keine entblößten weiblichen Brüste erlaubt, und Youtube bewertet Videos schlechter, in denen auch nur über diese gesprochen wird. Einen Ausweg, den inzwischen immer mehr Influencer wählen, bietet Onlyfans. Auf der auf pornografische Inhalte spezialisierten Plattform können gegen eine monatliche Gebühr einzelne Creators abonniert werden, die dann in Live-Streams, Videos und auf Fotos die Hüllen fallen lassen. Wer allerdings auf den konventionellen Plattformen erfolgreich werben will, muss den absurd prüden Regeln der Netzgiganten sich unterwerfen – wer sich gegen sie auflehnt, wird mit Sperren belegt, die eine ganze Existenz kosten können. Doch selbst wenn diese Vorgaben nicht bestünden, würden die Bilder mit hoher Wahrscheinlichkeit von derselben Sterilität und Prüderie strotzen, wie sie es schon heute tun. Der Warenkörper »penetriert«, wie es im Marketingsprech heißt, zwar unentwegt die Konsumenten, doch bleibt er lustfeindlich. Noch immer gilt: »Kunstwerke sind asketisch und schamlos, Kulturindustrie ist pornographisch und prüde.«15