Welche Prozesse sind bei Diabetes im Stoffwechsel gestört und wo liegen die Ansatzpunkte für deren ganzheitliche Behandlung? Das erfahren Sie auf den nächsten Seiten. Denn nur wer über Diabetes grundlegend Bescheid weiß, kann die Erkenntnisse der Forschung einordnen und sein Leben so umstellen, dass Heilung möglich ist.
Obwohl Diabetes den Alltag von acht Millionen Menschen hierzulande bestimmt, ist das Wissen über diese Krankheit immer noch erschreckend gering. Das erfahre ich in meiner Praxis immer wieder. Die Ursache liegt – paradoxerweise – in der (vermeintlich) guten Behandelbarkeit der Krankheit mithilfe von Tabletten und Insulin. Einfach ein Medikament geben, den Blutzucker senken und gut! So denken nicht nur viele Betroffene, sondern auch erschreckend viele Ärzte. Gut hundert Diabetespatienten behandelt jeder Hausarzt in Deutschland und meist greifen die Mediziner umstandslos zum Rezept. Dabei zeigen Forschung und Statistik: Diese Behandlung ist zwar wirksam, aber nicht langfristig gut. Das belegt etwa die Tatsache, dass der weitaus größte Teil der Diabetiker an schlimmen Folgeerkrankungen leidet und ihre Lebenserwartung deutlich verkürzt ist. Um das zu ändern, braucht es vor allem Wissen. Wissen darüber, was Menschen in die Krankheit hineinführt … und was ihnen wieder heraushilft. Erlauben Sie mir daher an dieser Stelle einen kurzen Abriss über die körperlichen Grundlagen des Diabetes. Denn nur dann werden Sie von den weiteren Kapiteln dieses Buches profitieren und nach der letzten Seite beginnen können, Ihr Leben in Richtung »diabetesfrei« zu ändern.
Diabetes mellitus ist ein Oberbegriff für Störungen im Stoffwechsel, die zu einer sogenannten chronischen Hyperglykämie (»Überzuckerung«) des Blutes führen. Das ist der Grund, warum Diabetes auch »Zuckerkrankheit« heißt. Neben dem Zuckerstoffwechsel geraten zugleich meist auch der Fett- und der Eiweißstoffwechsel aus dem Takt. Die Ursache: Diabetikern mangelt es an dem Hormon Insulin. Dieses wird in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse produziert und steuert sämtliche Stoffwechselprozesse mit. Unter anderem bildet der Botenstoff eine Art Schlüssel, der die Zellen für die Zuckermoleküle öffnet, sodass diese dort als Energiequelle bereitstehen.
Experten unterscheiden zwei Hauptformen der Krankheit: Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2. Bei der ersten Variante handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die meist im Kindes-, Jugend- oder frühen Erwachsenenalter beginnt. Sie betrifft drei bis vier von tausend Menschen: Bei ihnen zerstört das körpereigene Abwehrsystem die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. In der Folge produziert der Körper kein Insulin mehr und der Zucker kann nicht in die Zellen gelangen. Daher müssen Typ-1-Diabetiker peinlich genau auf ihre Zuckerwerte achten und sich mehrfach täglich die passende Insulindosis spritzen. Nur damit können sie ihren Glukosespiegel stabil halten, um so Spätfolgen zu verhindern oder diese zumindest deutlich zu verzögern. Bei einem Typ-2-Diabetes dagegen produziert die Bauchspeicheldrüse mit Fortschreiten der Krankheit immer weniger Insulin. Zudem ist die Wirkung des Insulins auf die Zellen vermindert. Diese Diabetesvariante entwickelt sich schleichend und hat eine Vorstufe, den Prädiabetes. Typ-2-Diabetes tritt meist im Zusammenspiel mit weiteren Problemen auf, wie etwa Bluthochdruck und erhöhten Blutfetten. Der stärkste Risikofaktor ist jedoch Übergewicht: 80 Prozent der Typ-2-Diabetiker sind fettleibig (»adipös«), haben also einen BMI von mehr als 30.
INSULINWIRKUNG
Die Ursachen für den Typ-1-Diabetes werden noch erforscht: Es besteht eine gewisse genetische Veranlagung, auch Umweltfaktoren sowie Infektionen spielen eine Rolle. Wer den Typ-2-Diabetes verstehen will, muss dagegen auf unsere moderne Lebensweise schauen. Sie ist der Grund, weshalb so viele Menschen daran erkranken. Dabei gibt es vor allem zwei Hauptprobleme: Die meisten von uns nehmen täglich deutlich mehr Energie auf, als sie durch Bewegung verbrennen, und essen zu viele schnell verdauliche (oder auch: »leere«) Kohlenhydrate. So bezeichnen Experten Zuckerstoffe, die aus maximal zwei Molekülen bestehen, wie Glukose, Fruktose, Laktose und Saccharose (Haushaltszucker). Diese Stoffe liefern nichts außer schnell verfügbarer Energie. Leere Kohlenhydrate stecken vor allem in Produkten aus raffiniertem Mehl, wie etwa Pasta und Weiß- und Mischbrot, in geschältem Reis, Mais (Cornflakes) – und natürlich in allen Süßigkeiten und den meisten verarbeiteten Lebensmitteln. Ein ehrlicher Blick auf den eigenen Speiseplan dürfte bei den meisten ergeben: Diese Produkte machen den Löwenanteil der konsumierten Nahrung aus!
ÜBLE SPÄTFOLGEN
Die diabetestypischen Gefäßablagerungen sorgen bei fast allen Patienten früher oder später für Folgeerkrankungen. So gehen etwa 40 000 Amputationen pro Jahr, vor allem der Füße, auf Diabetes zurück. 2 000 Menschen erblinden infolge ihrer Erkrankung. Bis zu 40 Prozent aller Diabetiker leiden unter Nierenschäden – mehr als 2 000 von ihnen werden pro Jahr dialysepflichtig, brauchen also eine künstliche Blutwäsche. Auch häufig: Sexualstörungen und Neuropathie, eine Nervenkrankheit, die sich in Schmerzen, Missempfindungen und Taubheitsgefühlen äußert. Vor allem aber erhöht Diabetes das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt um das Doppelte bis Dreifache: Hieran sterben drei von vier Diabetespatienten vorzeitig.
Die Blutzucker-Grenzwerte im Überblick
NORMAL |
PRÄDIABETES |
DIABETES |
|
Blutzucker, nüchtern (mg/dl) |
≤ 100 |
100–125 |
≥ 126 |
HbA1c (%), Langzeitblutzucker |
≤ 5,6 |
5,7–6,4 |
≥ 6,5 |
Blutzucker, 2 Stunden nach Zuckerbelastung |
≤ 139 |
140–199 |
≥ 200 |
Warum steht die schnell verfügbare Energie am Ausgang des Diabetes, sofern dieser nicht genetisch bedingt ist? Das beruht auf einer körperlichen Fähigkeit, die unseren Vorfahren bis vor hundert Jahren das Überleben sicherte: Wenn wir die rasch verfügbare Energie aus Kohlenhydraten nicht direkt verbrennen, wandelt die Leber einen Großteil davon in Fett um. Dieses speichert sie zunächst in organeigenen Fettdepots. Sind diese gefüllt, landen die Fette in speziellen Speicherzellen am Bauch, darüber hinaus erhöhen sich die Blutfette. So konnten unsere Ahnen Hungerperioden überstehen, die über Jahrtausende so zuverlässig zum Leben gehörten wie Sonne zum Sommer.
Der moderne Mensch nun erfährt in den meisten Gegenden der Welt jedoch nicht nur keine Mangelphasen mehr – sondern lebt, historisch betrachtet, in einem unglaublichen Überfluss, sichtbar an prall gefüllten Supermarktregalen. Auf die dadurch möglich gewordene Kohlenhydratschwemme ist unser Körper jedoch nicht vorbereitet – braucht es doch Jahrtausende, ehe er sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann. Und so hört die Leber selbst dann nicht auf, Energie in Speicherfett umzuwandeln, wenn alle normalen Depots längst gefüllt sind. Dann lagert sich das Fett nicht nur in der Bauchhöhle an, sondern in den Organen selbst. Und zwar in allen. Am Anfang ist es die Leber, die verfettet. Das erklärt, weshalb 85 Prozent aller stark Übergewichtigen und Diabetiker an einer nichtalkoholischen Fettleber erkranken – die im Extremfall zu mehr als doppelter Größe anwachsen und in der Folge ihre Funktionsfähigkeit komplett einbüßen kann. An zweiter Stelle verfettet die Bauchspeicheldrüse und die reagiert darauf besonders empfindlich: Steigt der Fettanteil um nur zwei Prozent, schwächt das bereits die Funktion der Beta-Zellen, die das Insulin herstellen.
Das große Übel: Leber und Bauchspeicheldrüse nehmen nicht nur jeweils für sich allein Schaden. Sie stehen darüber hinaus in engen Wechselbeziehungen zueinander, was die Entwicklung eines Diabetes beschleunigt und, wenn er bereits besteht, seine Ausprägung verschlimmern kann.
»JEDER ZWEITE DIABETIKER ERHÄLT DIE DIAGNOSE DURCH EINEN ZUFALLSBEFUND.«
DR. MATTHIAS RIEDL
Erforscht hat diese Prozesse vor allem der Diabetologe Ron Taylor. Er entwickelte die »Twin-Cycle-Theorie« (Zwillings-Zyklus), die die Bedeutung der Ernährungsmedizin in der Diabetesbehandlung deutlich erhöht hat. Taylor beschrieb zum Beispiel Folgendes: Sobald die Leber zu verfetten beginnt, produziert sie ein Eiweiß, »Fetuin-A«, das zu einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse führt. Dadurch kann diese noch schlechter arbeiten. Gleichzeitig ist sie aber durch den hohen Kohlenhydratkonsum auf Dauerbetrieb gestellt: Denn dadurch schwimmen stets Zuckerstoffe im Blut, die mithilfe von Insulin in die Zellen geschleust werden müssen. In der Konsequenz ist auch von diesem Hormon viel zu viel im Blut. Die Folge: Der Körper reagiert bald weniger gut auf das Hormon, er wird »insulinresistent«. Dadurch wiederum werden nicht mehr alle Zellen für den Zucker geöffnet – und der Teufelskreis schließt sich zunehmend: Immer mehr Glukosemoleküle bleiben im Blut, der Blutspiegel steigt weiter an, der Fettstoffwechsel samt den Blutfetten verschlechtert sich. Das wiederum führt zu einer zusätzlichen Verfettung der Leber – und das, Sie ahnen es, schwächt in der Folge die Bauchspeicheldrüse noch mehr. Der Twin-Cycle mit seiner üblen Negativspirale erklärt damit auch, weshalb die sogenannten »dicken Dünnen« ebenfalls ein erhöhtes Diabetesrisiko haben – jene Menschen, die zwar einen normalen BMI aufweisen, bei denen sich das Körperfett aber vor allem an der Körpermitte sammelt. Wer also bereits eine Fettleber, einen erhöhten Bauchumfang oder einen Prädiabetes diagnostiziert bekommen hat und weiter isst wie bisher, der landet unweigerlich im manifesten Typ-2-Diabetes. Denn irgendwann ist der Schaden an der Bauchspeicheldrüse so groß, dass sie erschöpft die Arbeit mehr oder weniger einstellt. Dann produziert das Organ nur noch sehr wenig Insulin, mitunter gar keines mehr. Das sorgt für einen teilweise extrem erhöhten Blutzucker – und dieser wiederum zieht, wie die fortschreitende Verfettung des Körpers auch, alle anderen Organe in Mitleidenschaft, besonders Herz, Augen und Nieren.
Kurzum: Das Zuviel an Energie, insbesondere aus »leeren« Kohlenhydraten, das wir uns tagtäglich einverleiben, bringt sämtliche Stoffwechselprozesse aus dem Takt. Unser Körper kann diese Störungen allerdings lange kompensieren, weshalb Diabetiker häufig auch keine Beschwerden haben. Erst, wenn der Blutzucker permanent extrem stark erhöht ist, zeigen sich die typischen Symptome, wie etwa stetiger Harndrang und starker Durst: Beides zeigt an, dass der Körper versucht, den Zucker über den Urin auszuscheiden – weshalb dieser bei Diabetikern süß schmeckt. Daher stammt auch der Name: »Diabetes mellitus« bedeutet übersetzt so viel wie »honigsüßer Durchfluss«. Weitere typische Symptome: eine hohe Infektanfälligkeit, schlecht heilende Wunden sowie plötzlicher Gewichtsverlust.
Das große Problem: Während sich ein Typ-1-Diabetes meist innerhalb weniger Wochen entwickelt, die Symptome sehr drastisch ausfallen und die Diagnose über den Nachweis bestimmter Antikörper leicht zu stellen ist, bemerken mindestens 50 Prozent aller Typ-2-Diabetiker nichts von ihrer Krankheit. Weil sie beispielsweise keinen verstärkten Durst empfinden. Bei ihnen ist die Diagnose dann ein Zufallsbefund – und ein Folgeschaden, beispielsweise eine verminderte Sehkraft infolge geschädigter Kleinstgefäße, ist meist schon eingetreten. Deshalb rate ich allen, die übergewichtig sind, einen erhöhten Bauchumfang haben und/oder sich ständig müde fühlen, einen Blutzuckertest beim Arzt machen zu lassen. Denn das Symptom Müdigkeit zeigen beinahe alle Betroffenen. Der Grund: Die Leber und das Blut bilden eine Art Industriegebiet des Körpers. Das meiste der Nährstoffe und des Baumaterials, das wir brauchen, wird dort hergestellt, recycelt und über das Blut verteilt. Sind die Abläufe gestört, stockt der Nachschub – und dem Körper geht die Energie aus. Dies erklärt die Müdigkeit. Jetzt, da Sie wissen, was Diabetes bedeutet und wie er entsteht, kommen wir zum Erfreulicheren: der ernährungsmedizinischen Forschung. Diese hat in den letzten Jahren spannende Erkenntnisse gewonnen, die Diabetikern Hoffnung machen, und zwar auf Heilung.
DIABETESSTATISTIK: DAS DESASTER IN ZAHLEN
8 Millionen Menschen leiden in Deutschland aktuell an Diabetes; dazu kommen schätzungsweise 2 Millionen, bei denen die Erkrankung noch unerkannt ist.
Circa 341 000 Betroffene haben einen angeborenen Diabetes Typ 1, der große Rest, etwa 95 Prozent, den lebensstilbedingten Diabetes Typ 2.
Verfünffacht hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes Typ 2. Der Auslöser ist meist Fettleibigkeit, die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter.
600 000 Menschen erkranken pro Jahr neu an Diabetes Typ 2 – das entspricht 1 600 pro Tag. Damit liegt Deutschland im europaweiten Vergleich auf Platz 2.
Im Jahr 2040 werden hierzulande wahrscheinlich etwa 12 Millionen Diabetiker leben.
8 Jahre lang leben Patienten im Schnitt mit dem Diabetes, ehe er diagnostiziert wird.
Mindestens 6 Jahre ist die Lebenserwartung von Diabetikern verkürzt verglichen mit Nichtdiabetikern.
40–50 Prozent der Typ-2-Diabetiker erhalten blutzuckersenkende Tabletten, mehr als 1,5 Millionen Insulin.
Jeder 9. Euro deutscher Krankenversicherungsausgaben wird für Diabetes verwendet; insgesamt liegen die Kosten bei 16,1 Milliarden Euro.
Schon als jungem Mediziner in der Facharztausbildung war mir klar: Die Behandlung, wie Diabetiker sie damals erfuhren und mehr noch heute erfahren, ist eine einzige Respektlosigkeit. »Stellen Sie den mal auf Insulin ein – und geben Sie ihm ein Buch zum Abnehmen. Aber schlanker wird der sowieso nicht«, wies mich etwa ein Chef in den 80er-Jahren an, kurz nachdem er einen Patienten mit der Diagnose Typ-2-Diabetes konfrontiert hatte. Natürlich hätte dieser stark übergewichtige Betroffene kein Gewicht verloren – schließlich war längst bekannt, dass Insulin Menschen leichter zu- und schwerer abnehmen lässt. Doch auf den Umkehrschluss, erst das Übergewicht als Ursache der allermeisten Diabeteserkrankungen zu bekämpfen, anstatt direkt die Insulinkeule auszupacken, kam niemand. Zu bequem und vermeintlich wirkmächtig schien die medikamentöse Therapie mit Tabletten und Insulinspritzen. Und das, obwohl bereits damals schon viele Wissenschaftler ahnten, dass eine angepasste Ernährung zumindest den Typ-2-Diabetes langfristig zurückdrängen könnte. Für mich ist es daher ein großes Glück, beinahe täglich neue Studien zu lesen, die zeigen, dass Insulin – anders als die Ernährungstherapie – nur eine letzte Option für schwere und fortgeschrittene Fälle sein sollte und nicht der Normalfall. Und die aufräumen mit typischen Ratschlägen, die mit dem Wissen von heute teilweise anmuten wie Körperverletzung – etwa der Empfehlung, Diabetiker sollten mit Fruchtzucker süßen. Mittlerweile ist klar: Fruktose ist der für Diabetiker ungünstigste Zuckerstoff überhaupt!
SCHWIERIGE FORSCHUNG
Kritiker werfen mir oft vor, ernährungsmedizinische Studien könnten keine endgültigen Wahrheiten erbringen. Stimmt. Denn die »kontrolliertrandomisierten Studien«, der Goldstandard der Forschung, sind hier ethisch unmöglich. Um etwa zu beweisen, dass ein hoher Fleischkonsum Diabetes begünstigt, müsste man einer von zwei Probandengruppen über Jahre hinweg denselben verordnen. Hinzu kommt: Ernährungsforschung ist häufig von der Industrie (mit)finanziert – was deren Ausgang nicht selten beeinflusst. Und dennoch: Die Zahl der qualitativ hochwertigen Arbeiten ist in den vergangenen 15 Jahren derart rasant gestiegen, dass kein ernst zu nehmender Mediziner mehr die Hinweise darauf ignoriert, welche Ernährung uns krank macht – und welche uns lang gesund hält.
Weil die aktuelle Forschung so spannend und Mut machend ist, stelle ich Ihnen einige wissenschaftliche Untersuchungen vor – alle zur Frage, wie sich die Entstehung von Diabetes aufhalten und eine manifeste Erkrankung über den Lebensstil behandeln lässt.
Menschen mit Prädiabetes können die Wahrscheinlichkeit, dass sich daraus ein echter Diabetes entwickelt, beinahe halbieren – wenn sie nur geringe Lebensstiländerungen vornehmen. So lautet das Ergebnis der Norfolk Diabetes Prevention Study (NDPS), der größten Studie zur Diabetesprävention der vergangenen 30 Jahre. Für die Untersuchung teilte ein englisches Forscherteam rund tausend, meist adipöse Probanden mit Prädiabetes in drei Gruppen ein. Die erste bekam Schulungen mit alltagstauglichen Tipps zur gesünderen Lebensführung, die zweite wurde zusätzlich von Mentoren unterstützt, die dritte erhielt keine besondere Behandlung. Ergebnis der Kontrolluntersuchung nach mindestens zwei Jahren: Verglichen mit den Teilnehmern der dritten Gruppe konnten die Probanden aus den Interventionsgruppen ihr Risiko für Diabetes um 40 bis 47 Prozent reduzieren.
»EURE NAHRUNGSMITTEL SOLLEN EURE HEILMITTEL SEIN.«
HIPPOKRATES
Viele Studien haben es lange angedeutet – schwedische Wissenschaftler konnten nun mit einer groß angelegten Metastudie bestätigen: Schlafmangel ist ein eigenständiger Risikofaktor für Diabetes. Für ihre Analyse sichteten die Forscher 238 Studien. Dabei zeigte sich unter anderem: Die Wahrscheinlichkeit für Typ-2-Diabetes erhöhte sich um 17 Prozent, wenn die Menschen wenig und schlecht schliefen. Mögliche Erklärungen liefern andere Studien. So essen Menschen, die weniger als sieben Stunden Schlaf bekommen, im Schnitt ungesünder und unregelmäßiger als Personen, die sieben oder acht Stunden pro Nacht schlummern. Auch stört schlechter Schlaf Stoffwechselprozesse: Muskeln ziehen benötigte Energie dann eher aus Proteinen als aus Glukose, was den Blutzuckerspiegel erhöht. Zudem verstärkt Schlafmangel eine Insulinresistenz und befördert Schwankungen im Glukosespiegel. Ein Grund: Bei schlechten Schläfern ist der Spiegel des Stresshormons Cortisol erhöht – einem Botenstoff, der die Wirkung von Insulin abschwächt und zugleich Heißhunger provoziert.
Auch Stress und Depressionen sorgen dafür, dass der Cortisolspiegel nachts nicht wie normal abfällt, sondern permanent hoch ist. Das erhöht nicht nur das Risiko, an Diabetes zu erkranken, sondern erschwert auch die Einstellung des Blutzuckers, wenn Menschen bereits erkrankt sind. Verschiedene Studien zeigen aber: Lernen Typ-2-Diabetiker, Achtsamkeitsübungen zum Teil ihrer täglichen Routine zu machen, ihre Aufmerksamkeit bewusst zu lenken und damit Stress zu reduzieren, lässt sich damit der Langzeitblutzuckerwert HbA1c schon innerhalb von drei Monaten deutlich senken. Darüber hinaus kann ein sechsmonatiges Meditationsprogramm bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit nicht nur den HbA1c-Wert, sondern zudem den Nüchternblutzucker verbessern. Dass sich diese Ergebnisse der Herzpatienten auf Diabetiker übertragen lassen, davon bin ich überzeugt! Das Tolle: Der Forschung zufolge verbessern alle Maßnahmen, die helfen, Stress zu reduzieren, das Diabetesmanagement – egal, ob Yoga, ein Spaziergang oder das Lesen eines Buchs. Hauptsache, es macht den Personen Freude und sie tun es regelmäßig.
Am allerliebsten beschäftige ich mich von Berufs wegen natürlich mit Studien, die sich mit der Rolle von Lebensmitteln bei der Diabetesbehandlung befassen. Inzwischen gibt es Hunderte hochwertiger Untersuchungen, die meine Erfahrungen aus der Praxis theoretisch unterfüttern. Und zeigen: Wer seine Ernährung anpasst, reduziert nicht nur die Wahrscheinlichkeit, an Diabetes zu erkranken, sondern kann ein bereits bestehendes Leiden signifikant verbessern. Im Folgenden eine Auswahl besonders faszinierender Studien – großer wie kleiner.
Barbara Pregger (55) ist eine »Süße«, wie sie sagt: Lange konnte sie das Naschen nicht lassen. Bis der Diabetes kam und damit der Druck, ihre Ernährung zu ändern.
Das Verlangen nach Süßem begleitet mich seit meiner Kindheit. Für gute Noten bekam ich ein Eis. Gummibärchen sorgten für Trost und beruhigten mich, wenn ich aufgeregt war. Natürlich versuchte ich als Erwachsene, meinen Zuckerkonsum zu reduzieren – aber ich war einfach süchtig. Wie ein Alkoholiker Flaschen versteckt, bunkerte ich Süßigkeiten in der Handtasche, aß sie außer Haus und warf die leeren Tüten in öffentliche Mülleimer. Vor etwa drei Jahren ging es mir körperlich immer schlechter. Als der Arzt sagte, mein Langzeitblutzuckerwert läge bei 7,2 Prozent, und mir Metformin empfahl, brach ich in Tränen aus. So weit war es gekommen: Ich hatte mich in den Diabetes genascht!
So heftig die Diagnose ist, so strikt fällt die Therapie aus
Wenig später ging ich beruflich nach Hamburg. Eine Apothekerin erzählte mir von Dr. Riedls Ernährungstherapie. Ich schrieb eine Mail ans medicum und hatte kurz vor Weihnachten – ausgerechnet! – meinen ersten Beratungstermin. Danach dachte ich: Oh je, du darfst ja gar nix mehr essen. Zugleich wusste ich: Das muss der Weg sein! Du bist über die Ernährung in den Diabetes hineingerutscht, du kommst darüber auch wieder heraus. Außerdem hat mich überzeugt, wie viele Studien es zum Thema schon gibt, die zeigen, dass diese Therapie wirklich wirkt. Das Ernährungsprotokoll zu Beginn zeigte mir schwarz auf weiß, was ich mir da jeden Tag antat. Also strich ich alles Süße. Aß nur noch zwei Mahlzeiten, morgens Porridge mit ein wenig Granola, abends oft Gemüse mit etwas Eiweißreichem – oder selbst gemachte Vollkornpasta. Wenn ich naschte, dann vor allem Nüsse, mal eine Dattel oder einen selbst gemachten Schokopudding aus Avocado, Banane und Kakao.
Den Erfolg sehe ich jeden Tag
Natürlich: Anfangs war das der Horror! Aber die regelmäßigen Telefonate mit meiner Ernährungsberaterin haben mich motiviert. Inzwischen bin ich an diese Ernährung mit wenig Kohlenhydraten gewöhnt. Ein Trick, der mir hilft: Wenn ich merke, hui, heute ist kein guter Tag, du hast Lust auf Gummibärchen, kaufe ich Lebensmittel online ein – um im Supermarkt nicht plötzlich wieder in Versuchung zu geraten. Den Erfolg sehe ich jeden Tag im Spiegel – und in den Arztbriefen. Ich habe 18 Kilo abgenommen und wiege seit zwei Jahren stabil etwa 64 Kilo bei einer Größe von 1,64 Metern. Mein Langzeitblutzucker: gesunde 5,8 Prozent. Auch meine Schilddrüsen- und Leberwerte haben sich normalisiert. Das Beste aber: Ich weiß zwar, dass das Verlangen nach Süßem mein Leben lang bleiben wird. Ich weiß aber auch, dass ich es absolut im Griff habe.
Kaum leere Kohlenhydrate, dafür viel Gemüse, Vollkorn, jede Menge Nüsse und gesunde Öle: Dass dieser traditionelle Speiseplan des Mittelmeerraums heute hilft, Diabetes zu bessern, hat eine systematische Übersichtsarbeit gezeigt. Für ihre Studie analysierten Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung zusammen mit europäischen Kollegen 56 Studien, um die Auswirkung von neun unterschiedlichen Ernährungsstilen auf den Zuckerstoffwechsel von Typ-2-Diabetikern zu untersuchen. Ergebnis: Die kohlenhydratreduzierte Ernährung (Low Carb) verbesserte den Langzeitzucker am besten, dicht gefolgt von einem Speiseplan gemäß der Mittelmeerdiät. Letztere senkte zudem den Nüchternzucker am effektivsten. Entsprechend empfiehlt auch der Konsensbericht eines internationalen Forscherteams die mediterrane Ernährung als optimal für Prä- wie Typ-2-Diabetiker.
Hülsenfrüchte und Nüsse sind typisch für die Mittelmeerkost – und außerdem reich an pflanzlichen Eiweißen. Dieser Nährstoff verzögert die Magenentleerung, sättigt gut und verhindert, dass der Blutzucker allzu rasch ansteigt. Dass pflanzliche Proteine eine Erklärung dafür sein könnten, weshalb die Mittelmeerkost uns Menschen und insbesondere Diabetikern so guttut, hat nun ein internationales Forscherteam bestätigt. Die Wissenschaftler werteten Gesundheitsdaten von mehr als 100 000 Frauen aus. Dabei zeigte sich: Wer besonders viel tierisches Eiweiß zu sich nahm, hatte eine verkürzte Lebenserwartung – infolge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Frauen dagegen, die besonders viel pflanzliches Eiweiß konsumierten, lebten länger. Weil sie nicht nur seltener an kardiovaskulären Erkrankungen litten, sondern auch an anderen potenziell tödlichen Krankheiten. Das Spannende: Dieser Effekt war unter jenen Probanden, die mindestens einen Risikofaktor aufwiesen – wie etwa Diabetes –, besonders ausgeprägt. Öfter mal die Frikadelle aus Hackfleisch gegen einen Linsenburger auszutauschen, reduziert also nicht nur Heißhunger und erleichtert so die Gewichtsabnahme, sondern erhöht zudem die Lebenserwartung.
HOFFNUNGSTRÄGER NR. 1: UNSER MIKROBIOM
Die Darmflora von Übergewichtigen und Diabetespatienten weist oft eine ungünstige Zusammensetzung von Bakterienarten auf. Daher betrachten Forscher individuell auf ärztlichen Rat angemixte Prä- und Probiotika, die die Balance der Darmflora wiederherstellen, als vielversprechende Therapie für die Zukunft. Noch besser sind natürliche Bakterien: je vielfältiger unsere Nahrung, je reicher an Ballaststoffen und fermentierten (milchsauer vergorenen) Lebensmitteln, desto gesünder das Mikrobiom. Fertigprodukte und ihre Zusatzstoffe, wie etwa Süßstoffe, dagegen töten die günstigen Bakterien ab und fördern die unguten.
Nicht nur ist widerlegt, dass Fett fett macht, inzwischen ist sogar das Gegenteil bewiesen: Gutes Fett hält schlank – und hilft so gegen Übergewicht als Hauptursache von Diabetes. Das zeigte etwa die sogenannte Predimed-Studie, eine groß angelegte Vergleichsuntersuchung, für die spanische Forscher mehr als 7 000 Menschen über Jahre hinweg begleiteten. Mit beeindruckendem Ergebnis: Probanden, die viel gutes Fett zu sich nahmen, etwa aus Mandeln und Olivenöl, hatten ein deutlich geringeres Risiko für Übergewicht, Diabetes, Herzinfarkt und Krebs – verglichen mit jenen Studienteilnehmern, die sich fettarm ernährten.
Wer alle Studien zu den Segenswirkungen von Gemüse, (zuckerarmem) Obst, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten lesen wollte, bräuchte dafür Jahre. Hier zwei kleine, dafür sehr spannende Studien: Finnische Forscher fanden heraus, dass Schwarze Johannisbeeren den Anstieg des Blutzuckers nach einer Mahlzeit reduzieren und auch dessen anschließenden Abfall verzögern. Schon kleine Portionen (75 Gramm) genügen für diesen günstigen Effekt. Er beruht wahrscheinlich auf den sogenannten Anthocyanen, sekundären Pflanzenstoffen, die den Beeren ihre Farbe verleihen – und die Aufnahme von Glukose aus dem Dünndarm verlangsamen.
Die Wirkung von Ballaststoffen untersuchten Forscher vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Für ihre OptiFit-Studie ließen sie 89 Patienten mit einem Prädiabetes über zwei Jahre hinweg zweimal täglich ein Ballaststoffpräparat trinken. Die anschließende Analyse der Gesundheitsdaten zeigte: Durch die erhöhte Ballaststoffzufuhr konnten die Probanden ihre Langzeitblutzuckerwerte stabilisieren. Bei jenen, die nur ein Placebo erhalten hatten, erhöhten sich die Werte dagegen.
Sie sehen: Über den Lebensstil können Diabetiker viel bewirken. Mitunter brauchen sie dennoch auch Medikamente. Zum Glück hat sich auch in diesem Bereich viel getan.
Laut einer Studie aus Finnland kann der Verzehr von Schwarzen Johannisbeeren helfen, die Blutzuckerkurve flach zu halten.
Mehr als 2,2 Milliarden Euro geben die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr für Diabetesmedikamente aus. Was das im Alltag bedeutet, sehe ich gut, wenn langjährige Diabetespatienten das erste Mal zu mir in die Praxis kommen: Nicht selten nehmen sie mehr als fünf verschiedene Medikamente ein – und die Insulindosierung rangiert bei einem Vielfachen des Normalbedarfs. Diabetes ist mehr und mehr zu einer Medikamentenschlacht geworden. Galten vor 30 Jahren 30 Einheiten Insulin noch als viel, werden jetzt manchmal bis zu 500 Einheiten eingesetzt, um den Blutzucker einigermaßen zu drosseln. Das Üble dabei: Viele Patienten wissen über die Wirkweise von Medikamenten und die Wirkweise im Körper nur sehr wenig. Und erfahren so zuverlässig über die Jahre eine Steigerung ihrer Medikation: Reicht das eine Medikament nicht mehr, gibt es ein weiteres obendrauf.
Sind die Patienten irgendwann bei mir in der Sprechstunde, mache ich mit dieser Praxis direkt Schluss! Sicher: Von hundert auf null setze ich in Sachen Medikation kaum eine Patientin oder einen Patienten – schließlich braucht eine Ernährungstherapie Zeit, um wirken zu können. Aber ich gestalte die Therapie zielgerichteter. Denn wir Diabetologen haben in den vergangenen zehn Jahren neue Wirkstoffe dazubekommen, die eine sehr individuelle Behandlung erlauben.
DEN TURBO ZÜNDEN
Die »intensivierte konventionelle Insulintherapie« kombiniert Verzögerungsinsuline, die eine Grundversorgung über den Tag sichern, mit kurzwirksamen Insulinen, die Blutzuckerspitzen nach Mahlzeiten verhindern. Diese Behandlung ermöglicht es Patienten, die Insulingaben via Pen oder Pumpe je nach Tagesablauf flexibel zu steuern. Ein kürzlich zugelassenes ultraschnelles Insulin (»ultra rapid lispro«, URLi) verbessert diese Therapie: Es hilft, nach einer Mahlzeit rascher den gewünschten Blutzucker-Korridor zu erreichen. Zudem hatten Probanden mit diesem Insulin zwei Stunden nach der Mahlzeit bessere Blutzuckerwerte als mit anderen Turbo-Insulinen.
Im Folgenden möchte ich Ihnen eine kurze Übersicht über Altbewährtes und Neues liefern. Sollten Sie ein Medikament einnehmen, das ich hier nicht aufführe und das aber schon lange auf dem Markt ist, sollten Sie unbedingt einen Spezialisten aufsuchen. Denn dann gibt es sehr wahrscheinlich eine moderne, bessere Therapie für Sie.
Diabetikern fehlt das Hormon Insulin – oder dessen Wirkung ist abgeschwächt. Da liegt es nahe, das Hormon einfach zu ersetzen. Bei Typ-1-Diabetikern ist das tatsächlich alternativlos, da ihre Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produzieren (s. >). Auch für schlanke Typ-2-Diabetiker ist Insulin häufig das Mittel der Wahl, weil die Krankheit bei ihnen oft ähnlich ausgeprägt ist wie bei Typ-1-Diabetikern. Bei allen Patienten mit Übergewicht indes bedeutet die Insulintherapie, Öl ins Feuer zu gießen: Das Hormon bremst das Verbrennen von Fett und fördert dessen Einlagerung. Das sorgt dafür, dass Leber und Bauchspeicheldrüse weiter verfetten und die Ursachen des Typ-2-Diabetes also zusätzlich verschlimmert werden.
Unter den Medikamenten in Tablettenform ist Metformin der mit Abstand am häufigsten verordnete Wirkstoff – von allen Arzneimitteln, die neben Insulin verschrieben werden, macht Metformin 60 Prozent aus. Der Wirkstoff hemmt die Zuckerneubildung in der Leber, außerdem nimmt der Darm unter dieser Medikation weniger Zucker auf.
»GLIFLOZINE SIND REVOLUTIONÄR FÜR DIE THERAPIE VON TYP-2-DIABETES.«
DR. MATTHIAS RIEDL
Beides senkt den Glukosespiegel im Blut. Positiver Nebeneffekt: Metformin beeinflusst laut Studien die Darmflora positiv. Zudem dämpft es den Appetit: Das hilft Patienten nicht nur abzunehmen, sondern auch, das neue Gewicht gut zu halten. Zudem kann Metformin wahrscheinlich einige vorzeitige Todesfälle und herzbedingte Folgeschäden von Diabetes verhindern sowie das Darmkrebsrisiko senken. Aus all diesen Gründen stand Metformin lange Zeit in der Therapiestrategie an erster Stelle und löste die Sulfonylharnstoffe (s. >) als Medikament der ersten Wahl ab.
Diese Wirkstoffe greifen in den Insulinhaushalt ein. Sie beeinflussen den Kalzium-Kalium-Haushalt in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. In der Folge kann das Organ mehr Insulin ausschütten, wodurch der Blutzuckerspiegel sinkt. Sulfonylharnstoffe waren lange Zeit ein häufig verschriebenes Kombinationsmedikament als Ergänzung zu Metformin. Sie wirken zwar gut, sollten aber dennoch nur in Ausnahmefällen verschrieben werden. Denn zum einen tritt der Effekt dieser Medikamente sehr rasch ein: Wer nach Einnahme der Tabletten dann nicht schnell genug etwas isst, beispielsweise, weil überraschend ein Nachbar klingelt, kann leicht in eine Unterzuckerung rutschen. Außerdem nehmen Patienten mit dieser Behandlung im Durchschnitt drei Kilo zu, da Insulin, wie erwähnt, die Fetteinlagerung anregt. Und: Die Wirkung von Sulfonylharnstoffen lässt nach ein paar Jahren stark nach.
In den letzten Jahren sind mehrere neue Wirkstoffklassen dazugekommen. Sie haben die Therapie auf ein neues Level gehoben.
Gliflozine sind die einzigen Antidiabetika, die unabhängig vom Insulinstoffwechsel wirken. Als Forscher die Studienergebnisse zu dieser neuen Wirkstoffgruppe auf einer Tagung vorstellten, gab es von den versammelten Diabetologen Standing Ovations. Zu Recht! Gliflozine hemmen zum einen ein Protein (SGLT-2), das für den Rücktransport von Glukose aus dem Harn in den Blutkreislauf zuständig ist. Das senkt die Blutzuckerwerte und bewirkt einen Gewichtsverlust – werden doch Kalorien von bis zu 70 Gramm Zucker pro Tag quasi ausgeschwemmt.
Zum anderen – und fast genauso wichtig: Bei Patienten mit bestehenden Vor- oder Folgeerkrankungen senken Gliflozine das Risiko für Herzschwäche, Herzinfarkt, Schlaganfall und Niereninsuffizienz. Worauf genau dieser Effekt beruht, ist noch unklar. Offenbar addieren sich verschiedene Einzelwirkungen – wie etwa eine gewisse Antientzündlichkeit. Sicher ist: Gliflozine erfüllen den Traum aller Diabetologen, ein Medikament möge nicht nur den Blutzucker stabilisieren, sondern zugleich die Wahrscheinlichkeit für Folgeerkrankungen reduzieren, an denen Diabetiker meist sterben. Diese präventive Wirkung war in Studien so überzeugend, dass Gliflozine in immer mehr Ländern eine eigenständige Zulassung bekommen haben zur Behandlung von Patienten, die »nur« an Herzinsuffizienz leiden. Weitere Zulassungen für Nierenkranke und Menschen mit Arterienverkalkungen sind zu erwarten oder schon erfolgt. Für Diabetiker sind Gliflozine ideal in Kombination mit Metformin und auch mit Insulin. Als Monotherapie sind sie erlaubt bei Patienten, die Metformin nicht vertragen. Auch Typ-1-Diabetiker können profitieren: Sie haben dank Gliflozinen erst mal die Möglichkeit, die gewichtssteigernden Insulingaben zumindest zu reduzieren und die Zuckerwerte zu stabilisieren. Derzeit gibt es allerdings keine Zulassung für Typ-1-Diabetiker. Aufgrund ihrer Wirkungsvielfalt stellen Gliflozine die größte Innovation in meiner 30-jährigen Laufbahn dar – zusammen mit den Glutiden.
Übersicht über die gängigen Diabetesmedikamente
Vorzeitige |
Folge- |
Unter- |
Gewicht |
Blutzucker |
Anmerkungen |
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Metformin |
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▼▼ |
nicht bei starker Nieren- zu Beginn Magen-Darm-Besch- |
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Gliflozine |
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Empagliflozin |
▼ |
▼ |
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▼ |
▼▼ |
Genital-Infek- |
Dapagliflozin |
■ |
▼ |
■ |
▼ |
▼▼ |
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Dapagliflozin bei Herzschwäche |
▼ |
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■ |
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▼▼ |
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Canagliflozin |
■ |
▼ |
■ |
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▼▼ |
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Glutide |
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Liraglutid |
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▼ |
■ |
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▼▼ |
Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauch- Medikament wird meist gespritzt |
Exenatid |
▼ |
■ |
■ |
▼ |
▼▼ |
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Semaglutid |
■ |
▼ |
■ |
▼ |
▼▼ |
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Lixisenatid |
■ |
■ |
■ |
▼ |
▼▼ |
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Albiglutid |
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Dulaglutid |
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Sulfonylharnstoffe |
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DPP-4-Hemmer |
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Entzündung der Bauchspei- |
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Insulin |
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Medikament wird gespritzt, verdicktes Fettgewebe an der Einstichstelle („Spritzhügel“) |
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▼ senkt | ▼▼ senkt stark | ■ kein Unterschied oder nicht untersucht | ▲ erhöht | ▲▲ erhöht stark |
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Quelle: © ÄZQ, BÄK, KBV und AWMF, 2021 |
Diese Wirkstoffe gibt es seit etwa zehn Jahren. Sie ahmen zwei Hormone nach (GIP und GLP-1), die in der Darmschleimhaut vorkommen und eine Blutzuckersenkung bewirken. Zum einen fördern Glutide die Insulinausschüttung (GLP-1). Zum anderen hemmen sie die Produktion von Glukagon – einem Hormon, das in der Leber die Neubildung von Glukose anregt (GIP). Aktuell gut im Markt eingeführt sind die GLP-1 nachahmenden Glutide (Inkretin-Mimetika): Auch sie können Herz- und Nierenschäden verhindern oder verlangsamen. Eine weitere positive Nebenwirkung: Glutide helfen, effektiv Gewicht zu verlieren – besonders im Bauchraum und in der Leber, wo das sogenannte viszerale Fett am gefährlichsten für den Stoffwechsel ist.
Wie natürliches GLP-1 verzögern Glutide die Magenentleerung und bremsen so den Hunger – aber auch über die direkte Wirkung auf das Sättigungszentrum. Dieser Effekt ist durch Studien so deutlich belegt, dass Glutide inzwischen auch für die Behandlung von Adipositas zugelassen sind. Von den damit therapierten, schwer übergewichtigen Diabetikern nimmt ein Viertel der Patienten 15 Kilo oder mehr ab – pro Jahr. Zum Vergleich: Bei einer Insulintherapie ist eine Gewichtszunahme von 20 Kilo in zwölf Monaten nicht selten. Ähnlich wie Gliflozine empfehlen sich Glutide als Präparat für eine Kombinationstherapie, meist mit Metformin. Als Monotherapie sind sie für Patienten zugelassen, die Metformin nicht einnehmen können, etwa wegen einer schweren Niereninsuffizienz. Typ-1-Diabetiker profitieren leider nicht. Einen Nachteil haben Glutide: Sie müssen meistens täglich oder wöchentlich gespritzt werden. Immerhin: Für Patienten, die gleichzeitig Insulin bekommen, gibt es Fixkombinationen – Arzneimittel, die beide Wirkstoffe enthalten.
Diese Wirkstoffgruppe verzögert den Abbau von GLP-1 – jenem Darmhormon, das die Ausschüttung von Insulin fördert. Dadurch erhöhen Gliptine den Insulinspiegel und reduzieren so den Zuckergehalt im Blut. Die Tabletten werden meist ansonsten gesunden Diabetikern verschrieben – wenn Metformin allein nicht genügt, um den Wert zu normalisieren. Allerdings haben sie in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, weil Gliflozine und Inkretin-Mimetika einfach deutlich mehr Vorteile haben.
In den letzten 15 Jahren hat die medikamentöse Behandlung, vor allem von Typ-2-Diabetikern, den größten Sprung gemacht. Wir können heute nicht nur das Symptom, nämlich den erhöhten Blutzucker, normalisieren, sondern zudem Übergewicht als die häufigste Ursache behandeln und das Risiko für Folgeerkrankungen reduzieren. In der Praxis versuche ich primär, bei insulintherapierten Patienten die Dosis des Hormons zu senken oder am besten ganz abzusetzen. Dass das gelingt, ist am wahrscheinlichsten, wenn wir eine Ernährungstherapie – die immer im Zentrum stehen muss – mit modernen Medikamenten kombinieren, die für Rückenwind in Sachen Gewichtsabnahme sorgen.
Als sein Hund krank wird, dreht Thomas Schurig (56) dessen Ernährung auf artgerecht. Bis er das Gleiche bei sich unternimmt, braucht es eine üble Diagnose. Aber der Erfolg kommt.
Was für eine Ironie: Seit 2016 produziere ich artgerechtes, frisches Hundefutter – doch an meine eigene Ernährung dachte ich erst, als 2019 bei mir Diabetes festgestellt wurde. Da lag mein Blutzuckerwert über 300 mg/dl. Ich wog damals gut 100 Kilo bei 1,78 Metern Körpergröße und bekam gleich Insulin. Zum Weltdiabetestag sah ich Matthias Riedl im TV. Und da wir bei uns im sächsischen Plauen keinen Diabetologen hatten, dachte ich: Ok, dann fährst du direkt zu den Experten. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich aß zu dieser Zeit sehr deftig mit viel Fleisch – komme ich doch aus einer Metzgerfamilie, bin selbst Metzgermeister und Souschef. Morgens gab es also Brötchen mit Salami, eine Frikadelle oder zwei, dazu Kaffee mit Zucker. Zwischendurch Bockwurst und Cola. Abends Spaghetti Bolognese, vor dem Fernseher Chips und durchaus mal vier Flaschen Bier. Kurz: ein Desaster!
Die Lösung: viel Disziplin – und sehr wenige Kohlenhydrate
Nach der ersten Ernährungsberatung habe ich Süßes, Alkohol und Weißbrot gestrichen. Bei allem anderen hieß es: »Friss die Hälfte«. Fleisch gab es weiterhin, aber in Maßen. Also eine Scheibe Salami statt fünf – auf dunklem Roggenbrot. Zwischen Frühstück und Abendbrot habe ich gefastet, abends mehr Gemüse und Hülsenfrüchte gegessen. Zudem arbeitete ich körperlich schwerer: Ich gab meinen Posten an der Maschine einem Mitarbeiter – um selbst Kisten zu schleppen. Sicher: Wenn ich abends mit noch ein wenig Kohldampf ins Bett ging, war das hart. Aber die Disziplin hat sich ausgezahlt! Nach einem Dreivierteljahr wog ich nur noch 82 Kilo. Und mein Blutzuckerwert war so weit gesunken, dass ich das Insulin absetzen konnte und nur noch wenig Metformin als Tablette nehmen musste.
Langfristig ohne Metformin
Aktuell wiege ich 85 Kilo und möchte bald das angehen, was ich »Phase zwei« nenne: Ich will noch mal fünf, sechs Kilo abnehmen – und den Langzeitzuckerwert unter 6 Prozent bekommen. Denn dann werde ich auch noch das Metformin absetzen können. Um das zu schaffen, werde ich mir ganz gewiss wieder ein paar Stunden professionelle Ernährungsberatung gönnen. Damit ist es leichter, zum einen mein Wissen aufzufrischen, etwa dazu, welche Gemüsesorte noch mal am günstigsten war. Zum anderen helfen mir die festen Termine alle paar Wochen, nicht in alte ungesunde Gewohnheiten zurückzufallen. Denn wenn die Ernährungsberaterin am Telefon fragt, ob ich mich an den Plan gehalten und abgenommen habe, möchte ich nicht sagen müssen: »Leider nicht, ich esse halt wieder zwischendrin Steakbrötchen.« Ich will vielmehr berichten können: »Klar habe ich abgenommen! Und noch mehr Gemüse gegessen als angedacht!«
Einmal zuckerkrank, immer zuckerkrank: Mit diesem Urteil sind Millionen Patienten über Jahrzehnte hinweg durchs Leben gegangen – und viele glauben es noch immer. Dass Sie persönlich schon einen Schritt weiter sind, belegt allein die Tatsache, dass Sie dieses Buch lesen. Und tatsächlich: Mehr als die Hälfte der Typ-2-Diabetiker, so schätzt die Deutsche Diabetes-Hilfe, könnte mithilfe von Lebensstiländerungen langfristig ohne Medikamente auskommen. Ich lege noch einen drauf: Wenn ich die Tausende von Patienten zusammenrechne, die ich in den vergangenen gut 30 Jahren in meiner Praxis therapiert habe, dann komme ich auf eine größere Zahl. Zwei von drei Typ-2-Diabetikern, so meine Erfahrung, könnten ihren Diabetes zurückdrängen und normale Zuckerwerte über Jahre halten – wenn sie ihren Ess- und Lebensstil nachhaltig änderten. Dass Menschen eine solche »Remission« (s. Kasten >) ihres Diabetes wirklich erleben, sehe ich täglich. Und die Tatsache, dass heute selbst renommierte Fachorganisationen die Wirkung von Ernährungsumstellung und Stressmanagement nicht mehr wegdiskutieren, zeigt, was in der Diabetesbehandlung geschehen ist: ein echter Paradigmenwechsel. Also ein Wechsel von einer wissenschaftlichen Annahme zu einer anderen. Wer heute noch sagt, Diabetes sei Schicksal, macht sich lächerlich.
WAS BEDEUTET DAS WORT »DIABETESREMISSION«?
Mit dem Begriff Remission bezeichnen Mediziner einen Status, in dem die Symptome einer Krankheit derart zurückgedrängt sind, dass sich die Patienten mit ihren Werten nicht mehr von Gesunden unterscheiden. Bei Typ-2-Diabetikern ist für mich – wie für die meisten Kollegen – eine Remission dann erreicht, wenn der Langzeitzuckerwert (HbA1c) zwei Monate lang unter 6,5 Prozent liegt – ohne dass der Patient Antidiabetika einnimmt. Aber Achtung: Da Diabetes eine chronische Krankheit ist, bleibt diese Form der Heilung nur dann dauerhaft bestehen, wenn der Patient den geänderten Lebens- und Ernährungsstil beibehält, der zur Remission geführt hat.
Ich muss gestehen: Die wichtigste neue Untersuchung habe ich Ihnen im Kapitel zu aktuellen Forschungserkenntnissen verschwiegen. Einfach, weil sie einen prominenten Platz an dieser Stelle verdient hat. Denn diese Studie, die Diabetes Remission Clinical Trial (DiRECT) aus dem Jahr 2017, räumte als erste umfassend mit dem Vorurteil auf, Diabetesremissionen seien eine Seltenheit – und Zufall. Für seine Untersuchung teilte ein britisches Forscherteam knapp 300 (noch) nicht insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker – die allermeisten fettleibig – in zwei Gruppen auf. Gruppe 1 erhielt die übliche, leitliniengerechte Behandlung durch den Hausarzt; Gruppe 2 nahm über drei bis fünf Monate an einem intensiven, betreuten Abnehmprogramm teil. Dabei erhielten die Probanden ausschließlich standardisierte Nährlösungen mit etwa 850 Kalorien pro Tag. Außerdem mussten sie alle blutzucker- und blutdrucksenkenden Medikamente absetzen.
Im Anschluss an diese strikte Phase wurden die Teilnehmer von Ernährungsberatern über zwei bis acht Wochen hinweg an eine kalorienarme, gesunde Ernährung herangeführt, außerdem zu Bewegung motiviert. Und: Sie bekamen eine psychologische Verhaltenstherapie. Sicher: Eine solche Intervention ist garantiert hart und nicht leicht durchzuhalten. Doch nach zwölf Monaten zeigte sich das Ergebnis: Unter den Teilnehmern aus der zweiten Gruppe kam es bei knapp jedem zweiten zu einer Diabetesremission! In der Hausarztgruppe war das nur bei vier Prozent der Probanden der Fall.
Diese Studie im Fachmagazin Lancet war für viele Fachleute nicht weniger als eine Revolution, für mich nur eine folgerichtige wissenschaftliche Unterfütterung meiner täglichen Erfahrungen in der Praxis. Im Detail aber hat die Studie auch meine Arbeit vorangebracht. So zeigte sich, dass die Höhe der Gewichtsabnahme entscheidend war für den Erfolg der Behandlung:
Nahmen die Probanden im Untersuchungszeitraum weniger als sieben Kilo ab, lag die Wahrscheinlichkeit für eine Diabetesremission bei nur sieben Prozent.
Verloren die Studienteilnehmer dagegen mehr als 15 Kilo, war der Diabetes nach einem Jahr bei 86 Prozent verschwunden.
Die DiRECT-Studie ist allerdings nicht der einzige Beleg dafür, dass sich Typ-2-Diabetes heilen lässt: Der bekannte Diabetologe Roy Taylor hatte bereits 2013 mit einer kleinen Studie zeigen können, dass sich die für Typ-2-Diabetes ursächliche Organverfettung mithilfe einer radikalen Ernährungsumstellung normalisieren ließ.
HEILMITTEL FASTEN
Die 850 Kalorien, die die Teilnehmer der DiRECT-Studie pro Tag erhielten, stammten aus Formula-Produkten – eiweißreichen Pulver-Shakes etwa, die dem Körper alle nötigen Nährstoffe liefern, aber kaum Kohlenhydrate. Dadurch schaltet der Körper auf Fastenmodus: Er gewinnt die nötige Energie dann nicht mehr aus Zucker, sondern aus Fettreserven, die er mobilisiert und die in der Leber zu sogenannten Ketonen abgebaut werden. Aus ihnen können die Kraftwerke in den Zellen Energie ziehen. Das Gute an dieser »Ketose«: Die Zellen lernen, wieder sensibler auf Insulin zu reagieren. Vor allem aber werden Leber und Bauchspeicheldrüse entfettet – also die Ursachen des Diabetes direkt bekämpft.
Die bahnbrechende DiRECT-Studie ist nicht ohne Folgen geblieben. Zum einen gewinnt die Ernährungstherapie inzwischen – spät genug! – immer mehr an Bedeutung in der Diabetestherapie. Zum anderen werden nun massive Fehler im Gesundheitssystem immer offenbarer, aufgrund derer Diabetiker nicht die bestmögliche Behandlung erfahren (s. Kasten >). Diese Fehler führen etwa dazu, dass aktuell 30 Prozent der Typ-2-Diabetiker direkt im Anschluss an ihre Diagnose auf Insulin eingestellt werden, ohne zuvor mit Tabletten oder, noch besser, einer Ernährungstherapie behandelt worden zu sein. Diese Fehlbehandlung ist nicht nur aufgrund der gewichtssteigernden Wirkung von Insulin fatal, sondern auch, weil immer mehr Studien belegen: Entscheidend für eine Diabetesremission ist neben einem hohen Gewichtsverlust ein möglichst früher Beginn der Lebensstiländerungen. Teilnehmer der DiRECT-Studie hatten maximal sechs Jahre vor Untersuchungsbeginn von ihrer Krankheit erfahren – innerhalb dieses Zeitfensters ist Schätzungen zufolge eine Heilung des Diabetes gut machbar. Abgesehen von der verfrühten Insulingabe müssen daher zwei weitere Fehler im System unbedingt rasch geändert werden. Erstens die Tatsache, dass das Disease-Management-Programm (DMP) mit Schulungsmaßnahmen – auch zur Ernährung – nur Patienten offensteht, die bereits manifest an Diabetes erkrankt sind, nicht aber Prädiabetikern. Und zweitens der Missstand, dass Gewichtsoptimierung in der deutschen Diabetestherapie bislang leider so gut wie keine Rolle spielt (mehr dazu s. Kasten >).
FATALE FÖRDERUNG: JE KRÄNKER, DESTO BESSER?
Es klingt unglaublich, aber aktuell ist es so: Je früher ein Diabetiker Insulin bekommt, desto stärker profitieren die Krankenkassen. Durch den sogenannten Risikostrukturausgleich erhalten sie gut 2 200 € für jeden Patienten, der mit Insulin therapiert wird – deutlich mehr als bei anderen Behandlungsmethoden. In der Theorie ist dieser Ausgleich eine gute Sache, weil die Krankenkassen niemanden ablehnen dürfen. Durch die Ausgleichszahlungen für chronisch kranke Versicherte sollen faire Wettbewerbsbedingungen für die Kassen gewährleistet werden. Gäbe es sie nicht, würden jene Kassen benachteiligt, bei denen viele chronisch Kranke Mitglied sind. In der Praxis aber sorgt der Risikostrukturausgleich häufig für Fehlanreize. Leitet bei einem Typ-2-Diabetiker der Hausarzt eine Insulintherapie ein, wird er dafür üppig vergütet von den Krankenkassen, die sich in der Folge über die Risikoausgleichszahlung freuen können. Regt der Arzt Patienten dagegen an, ihren Lebensstil zu ändern, verordnet ein Ernährungsprogramm, um die Ursachen des Diabetes zu bekämpfen, und begleitet sie in der Folge dabei, erhält er dafür extrem viel weniger. Zudem ist das Budget für solche Maßnahmen gedeckelt, anders als für Insulin, bei dem die verschriebene Menge nicht beschränkt ist durch die Krankenkassen. Die Schulung, in der ein Arzt dem Patienten zeigt, wie man Insulin spritzt, wird ebenfalls hoch vergütet.
Alles zusammengenommen führt dazu, dass Hunderttausende Menschen deutlich zu schnell und deutlich zu viel Insulin bekommen. Und nie, oder nur durch Zufall, von der Wirksamkeit einer Ernährungstherapie erfahren.
Bis die Mängel im System behoben sind, müssen Patienten viel Eigenengagement zeigen, um die bestmögliche Versorgung zu erhalten.
»UM SICH SELBST ZU ERKENNEN, MUSS MAN HANDELN.«
ALBERT CAMUS
Das Gute: Dieses Buch wird Ihnen auf den folgenden Seiten zeigen, wie Sie wesentliche Bestandteile einer idealen Therapie selbst umsetzen können. In der Praxis gelingt eine Diabetesremission oder -besserung meist in drei Schritten:
An erster Stelle steht für Typ-2-Diabetiker eine – möglichst deutliche – Gewichtsabnahme. Da unsere Ernährung enorm von Gewohnheiten bestimmt ist und es eine gewisse Zeit dauert, ungünstige Routinen durch günstige zu ersetzen, kann es bei Fettleibigkeit sinnvoll sein, die Therapie mithilfe einer Formula-Diät zu starten. So verlieren Sie nicht nur viel Gewicht und senken Ihren Blutzucker. Sie entfetten zudem, wie gesehen, Ihre Organe – und sensibilisieren nebenbei auch gleich noch Ihre Geschmacksnerven. Sodass eine Cola danach wieder so schmeckt, wie sie für jeden schmecken müsste: unerträglich übersüßt (mehr ab >).
Sobald Patienten gut abgenommen haben, gilt es, gesunde Mahlzeiten langfristig in den Alltag zu integrieren. Mein Konzept der artgerechten Ernährung bietet dafür die ideale Grundlage: Es zeigt auf, welcher Lebensmittel-Mix unserem Körper alles liefert, was er braucht – und ihm das vorenthält, was ihn krank macht. Einmal angeeignet, stellen die Prinzipien dieses Konzepts sicher, dass Leber und Bauchspeicheldrüse nicht aufs Neue verfetten und die Diabetesheilung von Dauer bleibt (mehr ab > bzw. >).
Wie erläutert lässt bei Diabetikern ein Zuviel am Stresshormon Cortisol den Blutzucker Achterbahn fahren – und sie leichter Gewicht zulegen. Sport und weitere Anti-Stress-Routinen wie Meditieren schenken dem Körper Entspannungspausen und senken so den Cortisolspiegel. Positiver Nebeneffekt des Sports: Regelmäßiges Training erhöht unseren Kalorienverbrauch auch im Ruhezustand und hilft so, ein neues Gewicht zu halten (mehr ab > bzw. >).
Ich verhehle es nicht: Eine Diabetesbehandlung mit dem Ziel einer Remission ist nichts für Bequeme. Indes, so meine Erfahrung: Wer als Typ-2-Diabetiker einmal erkennt, wie gut es tut, seinem Körper wieder ein echter Partner zu werden, der schafft die Lebensstiländerungen auch. Zumal, das werden die nächsten Seiten zeigen, dank meiner 20 : 80-Methode schon kleine Schritte genügen …
Der Lohn? Ist immens! Denn den Diabetes zu heilen, bedeutet ja nicht nur, wieder normale Blutzuckerwerte aufzuweisen. Sondern auch: nicht mehr an Schwindelanfällen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen zu leiden. Darüber hinaus – und das ist für meine Patienten stets das Beste – erhalten Sie das unbezahlbare Gefühl zurück, einfach das Leben genießen zu können – ohne den Tag um Mahlzeiten herum planen und an Medikamente denken zu müssen.
Was Diabetes bedeutet, weiß Egon Woyda (66) genau – viele Familienmitglieder litten daran. Als auch er die Diagnose erhält, unternimmt er alles, um die Krankheit in Schach zu halten.
Meine Eltern hatten beide Diabetes, mein Bruder bekam die Diagnose mit Ende 40. Er musste dann vor jedem Essen Blut abnehmen, über eine Tabelle ermitteln, was er essen durfte, und Insulin spritzen. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt – ich wollte nie in eine solche Situation kommen, aller familiären Vorbelastung zum Trotz. Als mein Hausarzt 2006 erhöhte Zuckerwerte feststellte, verzichtete ich fortan komplett auf Süßes, achtete noch disziplinierter auf mein Gewicht. Und: Ich bewegte mich wieder mehr. Bis zum Alter von 35 hatte ich in Amateurligen Fußball gespielt. Doch als ich aus beruflichen Gründen immer mehr reisen musste, ließ ich den Sport schleifen. Das änderte ich nun. Zusammen mit den Tabletten konnte ich den Blutzucker für lange Zeit stabil halten. Doch vor etwa vier Jahren dann bekam ich immer mal wieder Schwindelgefühle, weil ich unterzuckert war, fühlte mich insgesamt schlechter – und mein Langzeitzuckerwert überschritt bei den Kontrollen häufig die 7-Prozent-Marke. Da war mir klar: Ich muss zum Spezialisten.
Der neue Speiseplan: viel Fisch, viel Gemüse – und keine Snacks
Die Ernährungsberatung im medicum Hamburg hat mir dann gezeigt, dass ein reduzierter Zuckerkonsum allein nicht reichte, ich insgesamt weniger leere Kohlenhydrate und mehr Ballaststoffe essen musste. Meine Frau, die bei uns kocht, hat daraufhin Diabeteskochbücher gekauft – und es ging los. Seither esse ich morgens Vollkornbrot mit Lachs, mittags gibt es meist Gemüse, etwa als Sauerkrautauflauf mit ein klein wenig magerem Kasseler, abends noch mal Brot, wieder gern mit Fisch, dazu Tomatensalat. Oft machen wir auch etwas mit Kichererbsen, die ich inzwischen liebe. Das Überraschende: Diese Mahlzeiten machen so satt, dass mir die Umstellung total leichtfiel – und das Verlangen nach Snacks verschwand.
Der Erfolg ist deutlich
Mit 75 Kilo bei einer Größe von 1,83 Metern habe ich beinahe mein Kampfgewicht aus der Zeit als Fußballer erreicht. Mein Langzeitzuckerwert ist von 9,0 Prozent beim ersten Besuch im medicum auf inzwischen 6,1 Prozent gesunken und ich nehme deutlich weniger Medikamente. Langfristig möchte ich unter 6 Prozent kommen und die letzten Medikamente auch noch loswerden. Wie gut mir die angepasste Ernährung tut, merke ich nicht nur am Zuckerwert. Infolge meiner ersten Untersuchung bei Dr. Riedl wurden ein Darmtumor festgestellt sowie Engstellen in den Herzgefäßen. Beides wurde operativ behoben – und die Kontrolluntersuchungen sind alle gut gewesen. Dieses Gefühl, meinem ganzen Körper etwas Gutes zu tun, ist wirklich schön. Wie auch die Sicherheit, sehr wahrscheinlich nie Insulin spritzen zu müssen.
Wer eine Ernährungstherapie beginnt, will seine Gewohnheiten meist von jetzt auf gleich um 180 Grad drehen. Und wird scheitern. Aus einfachem Grund: Automatisierte Handlungen, wie das Salamibrötchen-Schmieren am Morgen, kosten unser Gehirn viel weniger Energie als neue, gesündere Entscheidungen – wie der Griff zu den Haferflocken. Daher setzt das Gehirn alles daran, uns auf den Pfad alter Routinen zurückzuführen. Das Gute: Mit Mini-Veränderungen lässt sich unser Gehirn überlisten. Gehen wir kleine Schritte, diese aber regelmäßig, klappt eine Verhaltensänderung garantiert. Auf dieser Erkenntnis basiert mein 20 : 80-Prinzip: Setzen Sie nur 20 Prozent der empfohlenen Maßnahmen um, feiern Sie 80 Prozent Erfolg! Das Prinzip hat inzwischen Tausende Menschen an ihr Ziel gebracht. Und wird auch Ihnen helfen, den Diabetes zu bessern – oder sogar zu heilen. Vier Schritte bilden den Anfang …
BITTE HANDSCHRIFTLICH!
Auf den folgenden Seiten gebe ich Ihnen jede Menge Anregungen für gesunde Mikrogewohnheiten, sogenannte »Tiny Habits«. Wo immer Sie sich wiederfinden – notieren Sie sich die vorgeschlagenen Tiny Habits auf einem Blatt Papier oder, schöner, in einem Journal, das Sie sich eigens für Ihre Ernährungsumstellung anschaffen. Denn was wir mit der Hand aufschreiben, merken wir uns besser. Aus diesen Notizen basteln Sie sich im Anschluss einen Aktionsplan: Dieser ist dann auf Sie persönlich zugeschnitten – und damit ein Garant für Ihren Erfolg!
Jeder von uns hegt bestimmte Verhaltensmuster und Vorlieben in Sachen Ernährung. Dadurch ergeben sich Esstypen: Wer weiß, zu welchem er selbst gehört, versteht sein Ernährungsverhalten besser und kann es leichter in Richtung »diabetesfrei« drehen. In meiner Praxis arbeiten wir mit fünf Esstypen, wobei Mischtypen möglich und auch die Regel sind:
DER ESSPRAKTIKER
Das sagt er: »Essen? Hauptsache, es schmeckt – und geht schnell. Ich kaufe möglichst günstig ein, gern Fertiggerichte, To-go-Mahlzeiten oder was vom Imbiss.«
Das hilft ihm: Selbst kochen! Gerichte sind dann oft günstiger und stets gesünder. Und langsamer essen: Das sättigt gut, senkt den Cortisolspiegel und das Diabetesrisiko.
DER FEINSCHMECKER
Das sagt er: »Kochen, essen – ich liebe es! Ich kaufe hochwertige Lebensmittel, genieße Mahlzeiten oft mit einem Glas Wein. Auch ins Restaurant gehe ich gern und häufig. Das optimale Nährstoffverhältnis? Ist mir egal!«
Das hilft ihm: Das Tellerprinzip beachten (s. >) und Alkohol reduzieren, beides reduziert Heißhunger. Süßes nur einmal am Tag, am besten nach einer Mahlzeit.
DER NATÜRLICH-ESSER
Das sagt er: »Meine Gesundheit geht mir über alles. Ich weiß Bescheid über gesunde Ernährung, Lebensmittel sowie wichtige Nährstoffe – und koche meist selbst.«
Das hilft ihm: Verstehen: Bio ist nicht automatisch gesund. Mehr gesunde Fette und Proteine essen, weniger Kohlenhydrate. So sättigen Mahlzeiten besser. Dazwischen mindestens vier Stunden Pause einlegen.
DER KALORIENSPARER
Das sagt er: »Ich weiß, welche Lebensmittel wie viel Energie liefern, und versuche, Dickmacher zu meiden. Der Jo-Jo-Effekt ist mein ständiger Begleiter, ich kenne alle Diäten.«
Das hilft ihm: Kalorienzählen stoppen und drei wirklich sättigende Mahlzeiten nach dem Tellerprinzip genießen. Das ist erlaubt – ganz ohne schlechtes Gewissen!
DER GEWOHNHEITSESSER
Das sagt er: »Ich esse, wie ich es von früher kenne, mit Kaffee und Kuchen, Chips vorm Fernseher, Bier oder Wein zum Entspannen. Im Supermarkt kaufe ich meist das Gleiche.«
Das hilft ihm: Alle Maßnahmen, die die anderen Esstypen umsetzen sollten. Dazu: statt Snacks zu futtern, öfter einfach mal ein Glas Wasser trinken. Und: zum Kaffee Nüsse naschen, zum Fernsehen Rohkost.
Wie die Esstypologie soll Ihnen auch die folgende Checkliste dabei helfen, sich jene persönlichen Essensmuster und Vorlieben bewusst zu machen, die Sie in den Diabetes haben rutschen lassen. Lesen Sie alle fett gedruckten Sätze einmal – und notieren Sie sich jene, bei denen Sie sich wiederfinden. Lesen Sie anschließend die angekreuzten Sätze nochmals, diesmal samt den darunter stehenden erprobten Anti-Diabetes-Maßnahmen. Notieren Sie diese auf Ihrem Blatt Papier oder in Ihrem Journal. Diese Maßnahmen bilden später zentrale Punkte Ihres Aktionsplans, mit dem Sie Ihre Zuckerwerte in der Folge langsam, aber kontinuierlich auf Normalniveau sinken lassen …
Ich konsumiere häufig Süßigkeiten.
Bereits ein 250-ml-Glas Cola liefert mehr als die Tageshöchstmenge an Zucker (25 g).
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich lasse Softdrinks (auch solche mit Süßstoff) weg, wo immer möglich. Trinke ich sie doch, dann nur die halbe der sonst üblichen Menge.
Ich leide unter Heißhunger, oft abends.
Häufige Ursache: ein tagsüber zu niedriger Eiweißkonsum. Oder schlicht Gewohnheit.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich checke, ob jede Mahlzeit die nötigen 20 bis 30 Gramm Eiweiß enthält. Falls nicht, justiere ich nach.
Ich esse mehr als dreimal pro Tag.
Zu viele Mahlzeiten und Snacks lassen den Blutzucker Achterbahn fahren – sind also eine der wichtigsten Diabetesursachen!
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich esse maximal drei Mahlzeiten am Tag.
Ich verbiete mir Lebensmittel.
Verbote machen uns das Gehirn zum Feind. Daher scheitert diese Strategie zuverlässig.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich sage mir immer wieder: Ich darf alles essen. Nichts ist verboten – die Dosis macht das Gift.
Ich konsumiere ab und an oder regelmäßig alkoholische Getränke.
Alkohol ist kalorienreich, steigert den Appetit und kann bei Diabetikern mit Unterzuckerungsgefahr (Insulintherapie!) im Extremfall tödliche Hypoglykämien auslösen.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich trinke so wenig Alkohol wie möglich. Wenn doch, dann die halbe der sonst üblichen Menge.
Ich fühle mich oft traurig, lustlos, unkonzentriert und matt.
Das können Anzeichen für eine Depression sein, die häufig zu Übergewicht führen kann – und in der Folge zu Diabetes.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich vereinbare einen Termin mit einem Psychotherapeuten.
Ich muss Medikamente einnehmen.
Arzneimittel wie Insulin, Glimepirid, Psychopharmaka, Cortisolpräparate und Betablocker machen dick und fördern Diabetes.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich frage einen Facharzt nach Alternativen.
Ich leide unter chronischem Stress.
Überlastungen im Alltag erhöhen den Cortisolspiegel. Das macht dick und sorgt gleichzeitig für schlechtere Blutzuckerwerte.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich suche mir Techniken gegen den Stress, die mir Spaß machen – und erlerne sie (s. >).
Ich schlafe schlecht und/oder schnarche.
Schlechter Schlaf erhöht den Cortisolspiegel, macht Heißhunger und beeinflusst so den Blutzucker (besonders am Morgen) und das Gewicht negativ.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich gestalte feste Abendroutinen für besseren Schlaf (s. >). Schnarche ich, versuche ich abzunehmen und suche einen Lungenfacharzt auf.
Ich leide unter Mundgeruch und/oder Zahnfleischblutungen.
Beides weist auf eine Parodontitis hin: Drei von vier Diabetikern leiden daran. Sie kann Diabetes mitverursachen und verschlimmern.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich vereinbare eine professionelle Zahnfleischbehandlung.
Ich habe Sodbrennen und/oder Reflux.
Fließt Magensäure in die Speiseröhre, wird das oft als Hunger fehlinterpretiert. Wer nun snackt, löst Blutzuckerschwankungen aus.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich mache einen Termin beim Hausarzt oder Gastroenterologen, um die Beschwerden zu behandeln.
Ich leide unter Hormonbeschwerden.
Unsere Hormone sind eng mit Stoffwechselprozessen verknüpft. Menschen mit Schilddrüsenunterfunktion, Hashimoto-Thyreoiditis oder Testosteronmangel halten ihr Gewicht und den Blutzucker schwerer in der Norm.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich lasse beim Endokrinologen meinen Hormonstatus überprüfen – besonders, wenn ich aus unerfindlichen Gründen einfach nicht abnehme.
Ich stehe nachts auf, um zu essen.
Etwa jeder 50. leidet am sogenannten Night Eating Syndrom (NES), das heißt, er isst mitten in der Nacht meist schnell und sehr viel. Das führt oft zu Gewichtsproblemen, schlechteren Zuckerwerten – und einem schlechten Gewissen. NES ist noch kaum erforscht, psychotherapeutische Maßnahmen können aber helfen.
Anti-Diabetes-Maßnahme: Ich reserviere mir eine psychotherapeutische Sprechstunde.
Sammeln Sie alle Maßnahmen, die auch auf Sie zutreffen, auf einem Zettel. Daraus wird später Ihr persönlicher Aktionsplan.
Jeder von uns ernährt sich im Alltag unterschiedlich, entsprechend verschieden sind auch unsere ungünstigen Essmuster. Um sie aufzuspüren, hilft ein Ernährungstagebuch. Schreiben Sie dafür über vier Wochen hinweg auf, was genau Sie essen und trinken – und in welchen Situationen Sie es tun. Das Ernährungsprotokoll zeigt Ihnen dann schwarz auf weiß, wie häufig Sie wirklich essen, ob Sie ausreichend Eiweiß zu sich nehmen, zu viel Süßes – und aus welchen Motiven heraus Sie essen. Wichtig: Seien Sie beim Notieren der Mahlzeiten und kleinen Snacks ehrlich und konsequent. Jedes Stück Fruchtgummi, jeder Schluck Cola zählt. Führen Sie das Tagebuch am besten direkt nach jeder Mahlzeit – unsere Erinnerung trügt uns beim Thema Essen gern. Nur ein penibel geführtes Ernährungstagebuch erlaubt Ihnen anschließend jenen aufschlussreichen Blick auf Ihr Essverhalten, den es braucht, um mithilfe von spezifischen Anpassungen den Diabetes bessern zu können.
Anhand des Tagebuchs sollten Sie jene Fehler identifizieren und ebenfalls schriftlich notieren, die Sie wahrscheinlich mit in den Diabetes geführt haben und die Ihre Zuckerwerte aktuell negativ beeinflussen. Gewohnheiten und Vorlieben also, die im Widerspruch stehen zur artgerechten Ernährung (s. Kasten >). Die meisten meiner Diabetespatienten beobachten bei sich etwa sechs bis acht ungünstige Ernährungsmuster, beispielsweise diese:
»Ich esse 100 Gramm Zucker täglich.«
»Auf 400 Gramm Gemüse am Tag komme ich nie. Eher auf nur 100 Gramm.«
»Ich esse kaum Vollkorn – und zu viele Kohlenhydrate, meist aus Weißmehl.«
»Ich esse oft zwischen den Mahlzeiten.«
»Der Eiweißanteil meiner Mahlzeiten beträgt weniger als 20–30 Gramm.«
»Ich esse häufig Fertigprodukte.«
»Linsen kommen kaum auf den Tisch.«
»Ich esse zu oft Fleisch und Wurst.«
Notieren Sie nun konkrete Maßnahmen, die Ihre jeweiligen Fehler korrigieren könnten:
»Ich esse von jetzt an nur noch 25–50 Gramm Zucker täglich.«
»Ich verdopple meinen Gemüsekonsum.«
»Ich ersetze Weißmehlnudeln und -brot ab sofort durch die Vollkornvariante.«
»Ab heute esse ich nur noch drei satt machende Mahlzeiten am Tag.«
DIGITALES COACHING
In zweijähriger Arbeit habe ich mit meinem Team die App »myFoodDoctor« entwickelt – die erste ernährungsmedizinische App Europas. Damit können Sie ein digitales Ernährungstagebuch führen, erhalten eine professionelle Auswertung (Anteil von Zucker, Eiweiß etc.) und werden dann von der App gecoacht – so, wie wir es auch im medicum Hamburg machen. Motivierende Tipps und Nachrichten erleichtern das Durchhalten. Dazu hilft ein Selbstlernkernkurs, Wissen zu festigen: Haben Sie diesen absolviert, bekommen Sie die Kosten für die App von der Krankenkasse als Präventionsleistung erstattet. Die Basis-Version ist kostenlos.
BASISWISSEN: DIE 9 REGELN ARTGERECHTER ERNÄHRUNG
Alles auf Gemüse: Essen Sie zu jeder Mahlzeit Gemüse – 400, besser 500 Gramm sollten es täglich sein.
Schlechte Fette einsparen: Wurst, Kekse, TK-Pizza, Pommes und Co. liefern ungünstige Transfettsäuren. Essen Sie davon so wenig wie möglich.
Viel gute Fette konsumieren: Essen Sie täglich ungesättigte Fettsäuren, etwa aus Lein-, Hanf-, Oliven-, Raps- und Nussöl. Dazu fetten Bio-Seefisch (max. zwei 50-g-Portionen pro Woche).
Deutlich weniger schnelle Kohlenhydrate essen: Meiden Sie Softdrinks, Kuchen und Süßigkeiten so weit wie irgend möglich.
Beilagen reduzieren: Halbieren Sie die Menge an Kartoffeln, Nudeln und Reis. Wählen Sie die Vollkornvariante.
Mehr Hülsenfrüchte essen: Bohnen, Erbsen und Co. sollten als Eiweiß- und Ballaststoffquelle täglich auf den Teller.
Genug Eiweiß aufnehmen: 1–1,2 Gramm Protein pro Kilo Normalgewicht sollte jeder essen. Besonders günstig sind Eiweiße aus pflanzlichen Quellen. Fleisch sollte höchstens zweimal pro Woche auf den Tisch.
Viel trinken: Unser Flüssigkeitsbedarf liegt bei etwa 30 Millilitern pro Kilo Körpergewicht. Ca. 800 Milliliter liefert die Nahrung, den Rest sollten Sie möglichst über Wasser und ungesüßte Tees decken.
Mit Alkohol geizen: Das Nervengift schwächt unsere Willenskraft, macht Appetit und schadet der Leber. Gesundheitlich gerade noch akzeptabel sind pro Tag 10 Milligramm für Frauen (125 Milliliter Wein oder 250 ml Bier) – für Männer gilt das Doppelte.
Esspausen einhalten: Versuchen Sie, zwischen 2–3 großen Mahlzeiten Pausen von 4–5 (oder 6) Stunden zu legen.
Auf Ihrem Blatt sollten, folgend aus Esstyp-Analyse, Basis-Check und Ernährungstagebuch, viele Maßnahmen stehen, mit denen Sie Ihr Ernährungsverhalten verbessern und so den Diabetes lindern können. Sortieren Sie diese jetzt danach, welche Ihnen am leichtesten fallen dürften. Und versuchen Sie dann, sich in der nächsten Woche an die ganz oben stehende Maßnahme zu halten. Gelingt das leicht, nehmen Sie sich in der Woche darauf die nächste Maßnahme der Liste vor – und in der übernächsten Woche eine weitere … Entscheidend ist: Gehen Sie langsam vor! Fällt Ihnen ein Schritt schwer, unterteilen Sie ihn in mehrere Unterschritte. Statt »Ich ersetze Weißmehlnudeln und -brot durch die Vollkornvariante« nehmen Sie sich vor: »Ich ersetze das Weizenbrötchen am Morgen durch eine Scheibe Vollkornbrot.«
Am Ausgang von Diabetes stehen wie erläutert Störungen der Bauchspeicheldrüse. Bei Typ-2-Diabetikern ist eine übergewichtsbedingte Verfettung von Leber und Bauchspeicheldrüse in den allermeisten Fällen Ursache dafür, dass weniger Insulin produziert wird – und gleichzeitig die Wirkung des Hormons auf die immer unempfindlicher werdenden Zellen nachlässt. Das bedeutet umgekehrt: Wer Kilos abbaut – besonders am Bauch – und sein Essverhalten so organisiert, dass er Leber und Bauchspeicheldrüse Auszeiten verschafft, der kann die Organe entfetten, den Insulinhaushalt günstig beeinflussen und so die Grundlage für eine Diabetesremission schaffen. Die folgenden Strategien helfen dabei. Fangen Sie am besten mit einer an, die Ihnen leichtfällt – und steigern Sie sich dann.
Das Fettgewebe in der Bauchmitte bildet ein eigenes Organ – produziert es doch unzählige Botenstoffe, die Prozesse im ganzen Körper beeinflussen. Einige etwa befördern chronische Entzündungsreaktionen und verschlimmern damit inflammatorische Krankheiten wie Diabetes, aber auch Rheumatoide Arthritis, Bluthochdruck und wohl sogar Krebs. Ein weiteres Problem: Menschen mit viel Bauchfett weisen viele Adipozyten auf, spezielle Zellen, die das Fett speichern. In diesen Zellen wird das Sättigungshormon Leptin hergestellt – weshalb der Leptin-Blutspiegel von Adipositas-Patienten ständig erhöht ist. Dadurch kommt es mit der Zeit zu einer Resistenz: Das Gehirn sendet nicht mehr wie normal ausreichend Sättigungssignale. Die Folge: Übergewichtige fühlen sich hungriger und essen mehr – was den Teufelskreis von Übergewicht und Diabetes nur verschlimmert.
Ein Keks hier, ein paar Trockenfrüchte da: Wer immer wieder snackt, stellt seine Bauchspeicheldrüse auf Dauerbetrieb und programmiert sie auf zunehmende Erschöpfung. Er nimmt zudem eine Menge Kohlenhydrate auf, die kein moderner, im Sitzen arbeitender Mensch verbrennt. Die überschüssige Energie speichert der Körper dann bevorzugt als Diabetes befeuerndes Bauchfett (s. Kasten >). Um den fatalen Prozess zu unterbrechen, sollten Sie klare Esspausen zum Teil ihres Ernährungsalltags machen. Das heißt: Machen Sie zwischen den Mahlzeiten unbedingt vier bis fünf Stunden Pause – und essen Sie dann wirklich gar nichts, auch kein Stück Rohkost. Diese Nahrungspausen sind die Pflicht – die drei folgenden Varianten bilden die Kür. Um eine Diabetesremission zu erzielen, werden Sie auch diese brauchen.
Die nächtliche Essenspause auf zwölf, besser 16 Stunden zu verlängern, zwingt den Körper, vermehrt Fettreserven anzugreifen, um den Stoffwechsel am Laufen zu halten. Regelmäßig angewandt (idealerweise jeden Tag!), hilft Intervallfasten damit, Leber und Bauchspeicheldrüse zu entfetten – und die schädlichen Fettdepots am Bauch abzubauen. Positiver Nebeneffekt: Wer eine Mahlzeit ausfallen lässt – bei Diabetikern sollte es möglichst das Abendbrot sein –, kommt rasch auf ein mitunter großes Energiedefizit und nimmt so noch besser ab. Denn Esspausen hemmen die Aktivität bestimmter Immunzellen, die Entzündungsreaktionen auslösen. Und verstärken zugleich die Aktivität von Sirtuinen, bestimmten Enzymen, die offenbar den Zelltod verzögern können.
Eine weitere, äußerst günstige Möglichkeit, den Körper in eine Art von Fastenmodus zu bringen, sind sogenannte Hafertage:
»DU MUSST NICHT NUR MIT DEM MUNDE, SONDERN AUCH MIT DEM KOPFE ESSEN.«
FRIEDRICH NIETZSCHE
Dazu dreimal täglich 75 Gramm Haferflocken in 300–500 Millilitern Wasser aufkochen und 5 Minuten quellen lassen. 50 Gramm Beeren pro Tag sowie Gewürze und Kräuter sind zusätzlich erlaubt. Mindestens ein Hafertag pro Woche wäre ideal. Denn Hafer und Beeren können darüber hinaus den Blutzuckerverlauf glätten.
Diese Variante ist ideal zum Start in eine Ernährungstherapie gegen Typ-2-Diabetes. Dabei nehmen Patienten dreimal täglich Formula-Produkte zu sich – etwa Shakes. Diese liefern viel Eiweiß und alle sonstigen, lebenswichtigen Nährstoffe, aber kaum Kohlenhydrate. Auf diese Weise nehmen Patienten nur 800 bis 1 200 Kalorien pro Tag zu sich, versorgen den Körper ausreichend mit allem Wichtigen und entfetten Leber und Bauchspeicheldrüse zuverlässig. Eine solche Kur kann mehrere Wochen gehen – und so den Stoffwechsel normalisieren, wie die DiRECT-Studie beeindruckend gezeigt hat. Wichtig: Lassen Sie sich dabei unbedingt von einem Ernährungsmediziner begleiten! Formula-Produkte aus dem Supermarkt haben oft eine ungünstige Zusammensetzung. Zudem droht in Eigenregie Unterzuckerung, etwa, wenn die Medikamente nicht angepasst wurden. Typ-1-Diabetiker sollten sich vorab mit ihrem Diabetologen besprechen.
Zuckerreiches bedeutet Schwerstarbeit für die Bauchspeicheldrüse. Daher sollten Diabetiker die tägliche Zuckermenge reduzieren und möglichst auf Fruktose verzichten. Denn: Fruchtzucker wird ohne Insulin in der Leber verstoffwechselt, dabei zum Großteil in Fettsäuren umgewandelt – und direkt in den Organen oder am Bauch gespeichert. Zudem stört Fruktose die Signalwege von Sättigungshormonen wie Leptin, weshalb nach dem Genuss von Fruchtzucker keine Sättigung einsetzt. Beides verschlimmert Übergewicht und die diabetische Stoffwechsellage. Besonders fruktosereich sind:
Fertigprodukte (besonders Backwaren, Müslis, Produkte mit dem Etikett »light« oder »für Diabetiker«; Fruchtgummi)
Limonaden, Säfte, Wellness-Getränke
Zuckerreiche Obstsorten wie Trauben, Bananen, Süßkirschen und Mangos; ebenso Trockenfrüchte. Achtung: Konzentrierter Fruchtzucker verbirgt sich auch hinter Substanzen mit Namen wie Maissirup (Corn Syrup bzw. HFCS) oder Agavendicksaft. Haushaltszucker (Saccharose) und Isoglukose bestehen zu 50 Prozent aus Fruktose.
Studien haben gezeigt: Unsere Stoffwechselrate ist morgens und mittags am besten, der Körper setzt aufgenommene Energie dann effektiver um als abends. Daher sollten Sie die letzte Mahlzeit des Tages möglichst früh zu sich nehmen, diese eher schmal halten – und dabei vor allem an Kohlenhydraten sparen. Das stabilisiert den Glukosespiegel im Blut auf niedrigem Niveau und befeuert die Fettverbrennung über Nacht.
Zum Thema Abnehmen geistern viele Halbwahrheiten und Mythen umher. Der folgende Fragenkatalog klärt, welche davon stimmen und welche Sie getrost vergessen dürfen.
Macht langsam essen schlank?
Ja – das haben inzwischen mehrere Studien bewiesen. Übergewichtige schlingen deutlich stärker als Menschen mit normalem BMI. Da es gut 20 Minuten dauert, ehe eine Sättigung eintritt, sollte jeder möglichst lange kauen.
Braucht unser Gehirn Zucker?
Ja – aber die 140 Gramm Glukose, die das Gehirn als Treibstoff benötigt, kann der Körper aus gesunden Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten und Gemüse ziehen oder über die Leber mittels Eiweißabbau bilden. Süßes ist als Nervennahrung überflüssig.
Gibt es »Zero Calorie Food«?
Nein. Häufig mischen Hersteller solchen Produkten Zusatzstoffe bei, etwa Farb- und Konservierungsmittel. Diese braucht der Körper nicht nur nicht, sie können ihm auch nachweislich schaden. Während mit künstlichen Lightprodukten niemand gesund abnimmt, hält die Natur jede Menge ultragesunde Low Calorie Food bereit: zum Beispiel Radieschen und Gurken. Diese füllen den Magen, ohne das Energiekonto zu belasten.
Ist Übergewicht angeboren?
Jein. Es gibt Genmutationen, die die Neigung dafür erhöhen – weil sie etwa bewirken, dass Körperzellen schneller und damit insgesamt mehr Glukose aufnehmen können. Extra-Energie, die der Körper dann als Fett speichert. Zudem bestimmt der Lebensstil unserer Eltern, wie aktiv einige unserer Gene sind – etwa jene, die die Stoffwechselrate steuern. Doch all das heißt nicht, dass Menschen mit dieser Vorbelastung dick sein oder bleiben müssen.
Schadet wenig Schlaf der Figur?
Ja. Wer wenig schläft, hat mehr Zeit, etwas zu essen – und nimmt im Schnitt 385 Kalorien zusätzlich auf. Zudem beeinflussen kurze Nächte den Hunger-Sättigungs-Regelkreis ungünstig, wir haben mehr Appetit. Und: Wenig Schlaf stört Stoffwechselprozesse, sodass Muskeln sich die nötige Energie eher aus Proteinen als aus Glukose holen. Das erhöht den Blutzucker und die Fetteinlagerung.
Diabetes haben nur alte Leute?
Leider nein. Typ-1-Diabetes manifestiert sich seit jeher bei der Mehrzahl der Patienten bis zum Jugendalter. Typ-2-Diabetes traf früher tatsächlich vor allem alte Menschen, weshalb er den Beinamen „Alterszucker“ bekam. Heute werden die Patienten stetig jünger. Der Grund: Die Hauptrisikofaktoren – ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung und Übergewicht – treten bei immer mehr jungen Menschen auf, selbst bei Kindern und Jugendlichen.
Nun komme ich ausführlicher auf mein Lieblingsthema zu sprechen: die Frage, mit welcher Ernährungsweise genau sich die Blutzuckerwerte bessern lassen – um im besten Fall eine Diabetesremission zu erreichen. Drei Strategien sind es vor allem, mit denen Sie mein Konzept der artgerechten Ernährung (s. >) Stück für Stück in Ihrem Alltag verankern sollten. Beginnen Sie dabei dem 20 : 80-Prinzip gemäß mit der Strategie, die Ihnen spontan am meisten zusagt. Ich verspreche Ihnen: Egal, welche Anregung Sie als erste aufgreifen, Sie werden Ihren Zuckerstoffwechsel damit positiv beeinflussen. Und das bald nicht nur an den Blutwerten ablesen können, sondern auch daran, dass Sie sich nach vier bis sechs Wochen leistungsfähiger, konzentrierter und wacher fühlen.
Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide und Nüsse sind Ihre besten Verbündeten im Kampf gegen den Diabetes. Denn sie tragen eine wahre Wunderwaffe in sich: Ballaststoffe. Die komplexen Verbindungen aus Zuckermolekülen gehören zwar zu den Kohlenhydraten – bilden dabei aber eine eigene Kategorie. Denn: Anders als schnell verdauliche Kohlenhydrate, etwa in Süßigkeiten und Weißmehl, können unsere Verdauungsenzyme im Dünndarm diese Faserstoffe nicht aufspalten. Lediglich wenige Bakterienarten im Dickdarm vermögen es, einige Ballaststoffe zu verwerten, daher liefern diese kaum Energie. Dafür haben sie umso mehr Gesundwirkungen. Am spannendsten für Diabetiker: Da wasserlösliche Ballaststoffe Flüssigkeit binden, vergrößert sich das Volumen des Nahrungsbreis im Magen, die Magenwand wird gedehnt und die Produktion von Sättigungshormonen angeregt. Zudem verzögert sich die Magenentleerung. Der Blutzuckeranstieg nach einer Mahlzeit verlangsamt sich also. In der Folge muss die Bauchspeicheldrüse weniger Insulin herstellen – und der geringere Insulinspiegel verhindert wiederum, dass der Körper überschüssige Energie allzu leicht als Fett einlagern kann.
Aber Ballaststoffe können noch mehr: Sie erhöhen die bakterielle Vielfalt der Darmflora, senken die Cholesterinwerte und erleichtern das Abnehmen. All das wirkt zusätzlich Diabetes entgegen (s. > bzw. >).
Aktuell nehmen Menschen hierzulande etwa 23 Gramm Ballaststoffe pro Tag zu sich. Diabetiker sollten auf mindestens 30, besser 40 Gramm kommen – und den Tagesbedarf vor allem aus zuckerarmen Quellen decken (s. Kasten >). Ein Zuviel gibt es nicht, außer zu Beginn der Ernährungsumstellung: Wer versucht, von jetzt auf gleich vom Imbissfood-Fan zum Gemüse-Junkie zu werden, handelt nicht nur an seinen Gewohnheiten vorbei und überfordert sich, sondern muss zudem mit Verdauungsbeschwerden rechnen. Schleichen Sie Ballaststoffe daher wie ein Medikament ein – indem Sie die Tageszufuhr pro Woche um etwa fünf Gramm steigern.
So klappt‘s: Weißmehlnudeln gegen Hülsenfrüchte-Pasta tauschen. Zum Frühstück Vollkornhaferflocken, Rohkost und Nüsse essen. Zu jeder Mahlzeit einen kleinen Beilagensalat reichen. Gesunde Toppings wie Kleie und Leinsamen über Gerichte streuen. Das Wichtigste: Möglichst viel Gemüse essen!
Leinsamen, ungeschält: 36 g
getr. weiße Bohnen: 23 g
getr. Kichererbsen: 21 g
Erdmandeln, getr. Erbsen sowie Schwarzwurzeln: 17 g
Mandeln: 14 g
getr. Linsen und Topinambur: 12 g
Mandeln: 14 g
Vollkornhaferflocken: 10 g
Kürbiskerne, Pumpernickel: 9 g
Vollkornnudeln, -Roggenbrot: 8 g
Walnüsse: 6 g
Himbeeren; grüne Erbsen, gegart: 5 g
jeweils pro 100 g;
Quelle: Die große GU Nährwert-Kalorien-Tabelle, 2022/23
Einige Lebensmittel beeinflussen den Zuckerstoffwechsel besonders negativ. Lesen Sie, welche das sind, warum sie uns schaden und welche Mengen gerade noch akzeptabel sind.
Krankmachende Durstlöscher: Limonaden & Säfte
Der Zucker darin geht umstandslos ins Blut – Diabetiker müssen Medikamente aufdosieren und nehmen leichter zu, was die Stoffwechsellage verschlimmert. Ein 200-ml-Glas pro Tag sollte daher das Maximum sein – wenn nichts anderes Süßes dazukommt.
Feiner Feind: Weißmehl
Ob in Nudeln, Brot oder Kuchen: Raffinierte Mehle lassen den Blutzucker Achterbahn fahren und sorgen für Heißhunger. Daher für den Anfang die Menge halbieren. Grundsätzlich gilt: je unberührter das Korn (und je höher die Mehltype), desto besser!
Ungute Proteinquelle: Fleisch
Auch wenn Eiweiß auf dem Teller eigentlich wünschenswert ist, manche Fleischfans nehmen extrem viel tierisches Eiweiß auf. Das verschärft, so eine Langzeitstudie, eine Insulinresistenz – ein Problem, das 90 Prozent der Diabetiker aufweisen. Schweinefleisch befeuert zudem bei Diabetes bestehende chronische Entzündungen.
Süß_fettige Sünden: Industrielle Backwaren
Wer häufig Croissants, Kekse und Co. isst, wird die Krankheit kaum heilen. Das liegt am Zucker und an Transfettsäuren, die den Stoffwechsel ungünstig beeinflussen. Backwaren gehören neben Wurst und Süßgetränken zu den drei lebensverkürzendsten Nahrungsmitteln. Daher: Hände weg!
Versteckte Zuckerbomben: Fertigprodukte
Industriell hergestellte »Lebensmittel« gleichen oft Süßigkeiten: Da Zucker ein Geschmacksträger ist, steckt er in fast allen Fertigprodukten – selbst in Herzhaftem wie Pizza oder Wurst. Diabetiker sollten sie höchstens einmal pro Woche essen, besser seltener!
Falsche Freunde: Lightprodukte
Laut Studien bringen künstliche Süßstoffe wie Aspartam den Zuckerstoffwechsel so durcheinander, dass der Glukosespiegel nach den Mahlzeiten übermäßig stark ansteigt. Zudem verschlechtern einige Süßstoffe die Darmflora, was das Diabetesrisiko insgesamt erhöht. Wie bei normal gesüßten Limonaden gilt: Am besten komplett streichen!
Diese Lebensmittel schonen die Bauchspeicheldrüse und haben weitere positive Wirkungen auf den Körper. Erfahren Sie, was sie können und wie sie sich in der Küche einsetzen lassen.
Perfekte Frühstückszutat: Haferflocken
Sie enthalten Beta-Glucane, spezielle Ballaststoffe, die den Glukosespiegel stabil halten und Studien zufolge den HbA1c-Wert senken können. Mein Tipp: Ein Porridge aus 60 g Haferflocken, einmal kurz aufgekocht in 200 ml (Pflanzen-)Milch, mit 1 Handvoll Beeren und nach Belieben gewürzt und gesund gesüßt, sättigt mehrere Stunden.
Kerniger Sattmacher: Eiweißbrot
Nussmehle, Nüsse, Körner und Samen ersetzen hier das Weißmehl. Dank dieser Zutaten steigt der Protein- und Ballaststoffgehalt des Brotes deutlich. Dadurch macht Eiweißbrot für viele Stunden satt – und ungünstige Blutzuckerspitzen bleiben aus. Backen Sie doch mal die proteinreichen Haferkleiebrötchen (s. >).
Knackiges Superfood: Pistazien, Mandeln, Walnüsse
Sie gehören zu den Lieblingsobjekten der Ernährungsmedizin, denn das Trio liefert alle Nährstoffe, die für Diabetiker günstig sind, im perfekten Verhältnis. 30 g Nüsse pro Tag sind ideal und senken nachweislich das Risiko für Diabetes, Übergewicht, Infarkte und Krebs.
Grünes Spitzengemüse: Brokkoli
Die Röschen liefern jede Menge Sulforaphan, einen sekundären Pflanzenstoff, der die Zuckerneubildung in der Leber bremst. Dadurch kann Brokkoli den Blutzucker senken und die Wirkung von Medikamenten bei schlecht eingestellten Diabetikern unterstützen. Wichtig: Sulforaphan wird beim Kochen abgebaut – daher Brokkoli nicht zu lang garen.
Runde Nährstoffbomben: Erbsen, Linsen und Co.
Hülsenfrüchte stecken voller Ballaststoffe und Pflanzenproteine. Von beidem essen Diabetiker oft zu wenig – dabei profitiert ihr Zuckerstoffwechsel besonders. Gegart und püriert wird aus ihnen ein toller Brotaufstrich, auch Frikadellen lassen sich gut daraus zaubern.
Farbenprächtige Süß-Minis: Beeren
Ob Heidel-, Him- oder Brombeeren: Die Früchte enthalten sekundäre Pflanzenstoffe, die den Blutzucker stabilisieren und die Verbrennung von Bauchfett anregen. Wann immer Diabetiker Süßes essen wollen, sollten sie zu Beeren greifen – etwa beim Dessert.
»DER WEG ZUR GESUNDHEIT FÜHRT DURCH DIE KÜCHE, NICHT DURCH DIE APOTHEKE.«
SEBASTIAN KNEIPP
Schnell verdauliche oder auch »leere« Kohlenhydrate sind die bösen Gegenspieler der ultragesunden Ballaststoffe. Die Zucker verursachen eine extrem hohe Insulinausschüttung: Der Blutzuckerspiegel steigt erst rasant an und fällt anschließend ähnlich rasant wieder ab. Die Folge: Der Körper produziert vermehrt Hungerhormone – wir spüren Heißhunger-Attacken. Dazu sättigen isolierte Kohlenhydrate grundsätzlich kaum, da der Dünndarm sie leicht verdauen kann. Wer regelmäßig viele Kohlenhydrate isst, hat daher einen dauerhaft erhöhten Insulinspiegel und damit eine gebremste Fettverbrennung. Das begünstigt die Fetteinlagerung in den Organen und am Bauch – was die diabetische Stoffwechselproblematik verschlimmert und zu schlechten Blutfettwerten führt. Groß angelegte Studien haben entsprechend gezeigt: Ein hoher Kohlenhydratkonsum verkürzt die Lebenserwartung von Diabetespatienten zusätzlich. Umgekehrt gilt: Wer einer kohlenhydratarmen Ernährung (meist Low Carb genannt) folgt, profitiert als Zuckerkranker besonders. Mehr als 120 Gramm Kohlenhydrate sollten es am Tag für Diabetiker nicht werden. Weniger gern!
So klappt‘s: Mindestens die Hälfte klassischer Beilagen durch Gemüse ersetzen. In Pürees, Suppen und Aufläufen die Kartoffeln mit Möhren, Brokkoli oder Kürbis tauschen. Statt Limonaden und Säften aromatische Tees, etwa aus Früchten, trinken. Beim Backen ein Drittel des Weißmehls durch Mandelmehl ersetzen und ansonsten möglichst auf Vollkorn setzen. Im Rezeptteil finden Sie einen Pizzateig mit Bohnen. Anstelle von Paniermehl gemahlene Haferflocken oder ebenfalls Mandeln nutzen.
Proteine sind weitere natürliche Zuckersenker. Auch sie erhöhen die Verweildauer von Nahrung im Magen: Das bremst den Blutzuckeranstieg nach einer Mahlzeit, senkt so den Insulinspiegel und regt den Fettabbau an. Zudem sättigen Proteine schnell und lang: Das Sättigungsgefühl ist an die Proteinaufnahme geknüpft – erst, wenn wir 20 bis 30 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit konsumiert haben, sendet der Körper Satt-Signale.
Außerdem helfen Proteine beim Abnehmen: Um die komplexen Moleküle aufzuspalten, verbraucht unsere Verdauung ein Viertel der Kalorien, die Eiweiße liefern. Dazu nutzt der Organismus sie als Heizstoff – und wandelt viel der gelieferten Energie in Wärme um anstatt in Fett. Und schließlich: Eiweiße bremsen Belohnungsreaktionen im Gehirn beim Essen und wir können eine Mahlzeit leichter beenden. 1–1,2 Gramm pro Kilo Normalgewicht sollten es pro Tag sein.
So klappt‘s: In jedes Gericht können Sie bewusst Eiweißreiches integrieren, idealerweise aus pflanzlichen Quellen – wie etwa Hülsenfrüchte (ergibt prima Veggieburger), Nusskerne, Samen oder verarbeitete Produkte wie Tofu oder Tempeh. Laut Studien lässt sich gerade bei Diabetikern das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken, wenn sie Fleisch gegen eiweißreiche pflanzliche Produkte tauschen. Besonders gut: Statt Süßem lieber mal Nüsse und Kerne naschen. Klassische Beilagen durch proteinreiche Pseudogetreide wie Buchweizen oder Quinoa ersetzen. Anstelle von Konfitüre und süßer Nuss-Nugat-Creme ein reines ungesüßtes Nussmus verwenden.
MIKRONÄHRSTOFFE: KLEINE HELFER MIT GROSSER WIRKUNG
Antioxidantien: Dauerhaft erhöhte Zuckerwerte setzen die Zellen unter sogenannten »oxidativen Stress«, der chronische Entzündungen befeuert. Viele sekundäre Pflanzenstoffe, insbesondere Farbstoffe (Flavonoide), wirken dem entgegen, sind also antioxidativ – und stabilisieren den Blutzucker. Gute Quellen: alle intensiv farbigen Gemüsesorten und Beeren.
B-Vitamine: Sie spielen als Co-Enzyme eine Hauptrolle im Zuckerstoffwechsel. Diabetiker haben einen erhöhten Bedarf, scheiden B-Vitamine aber vermehrt aus. Gute Quellen: Weizenkeime, Kleie, Milch, Hefe, Lachs, Eier, Hülsenfrüchte, grünes Gemüse.
Vitamin C: Erhöhte Blutzuckerspiegel hemmen die Aufnahme. Deshalb auf ausreichende Zufuhr achten. Gute Quellen: Paprika, Johannisbeeren, Brokkoli, Fenchel und Zitrusfrüchte.
Chrom: Das Spurenelement hilft, den Insulinspiegel zu regulieren. Diabetiker scheiden es vermehrt aus, was die Einstellung des Blutzuckers erschweren kann. Gute Quellen: Pilze, Vollkornprodukte, Fleisch, Weizenkeime.
Vitamin E: Schützt den Körper vor zellschädigenden Kettenreaktionen durch freie Radikale – und so die stark gefährdeten Gefäße von Diabetikern vor Schäden. Gute Quellen: pflanzliche Fette, Nüsse, grünes Blattgemüse.
Magnesium: Diabetiker leiden häufig an einem Mangel. Das erschwert die Blutzuckereinstellung, erhöht die Insulinresistenz und begünstigt Schäden am Auge. Gute Quellen: Nüsse, Soja, Vollkornprodukte, Kakao, Spinat.
Omega-3-Fettsäuren: Schlechte Blutfettwerte sind bei Diabetikern häufig – und ein Risikofaktor für Herzinfarkt. Daher profitieren Zuckerkranke besonders von der blutfettsenkenden, gefäßschützenden Wirkung der Omega-3-Fettsäuren. Gute Quellen: fette See- und Flussfische, Algenpräparate, Lein-, Raps-, Hanf- und Walnussöl sowie Nüsse und Samen.
Zink: Viele Diabetiker, insbesondere jene mit Bluthochdruck, weisen ein Defizit an dem Spurenelement auf. Das verringert die Wirkung von Insulin. Gute Quellen: Kerne, Samen, Haferflocken, Hülsenfrüchte, Walnüsse.
Unsere Ahnen waren echte Superläufer: Mitunter liefen sie in der Savanne stundenlang einem Beutetier hinterher, bis es erschöpft und leicht zu erlegen war. Auch ein paar Samen und Früchte waren Anlass genug für lange Wege. Unsere Großeltern liefen als Kinder häufig kilometerweit zur Schule und verrichteten deutlich weniger Tätigkeiten im Sitzen. Und wir heute? Wir legen oft nur die paar Meter zwischen Bett, Küche, Bad, Auto und Büro zurück; und nach der Arbeit geht es meist ab aufs Sofa. Viele Menschen kommen so nicht mal auf 2000 Schritte am Tag. Um zu erkennen, dass dieser radikale Bruch mit der Jahrhunderttausende alten, buchstäblich bewegten Menschheitsgeschichte uns schadet, braucht es kein Medizinstudium. Aber wer seinen Diabetes lindern oder heilen will, muss verstehen, wie Sport den Stoffwechsel unterstützt. Dann ist er motiviert, Bewegung und gesundes Essen in das Leben zu integrieren.
ZUCKERSENKER MUSKELN
Gut 650 Muskeln gibt es im menschlichen Körper. Die sogenannte glatte Muskulatur ist für uns nicht kontrollierbar. Sie hilft unseren Organen – lässt etwa den Darm kontrahieren. Anders bei den quergestreiften Muskeln (oder »Skelettmuskeln«): Diese können wir an- und entspannen. Sie enthalten drei verschiedene Arten von Muskelfasern – jede davon regelt unterschiedliche Bewegungen. Besonders günstig für Diabetiker ist jener Typ, der bei hohen Belastungen aktiv und über Krafttraining gestärkt wird. Denn diese Muskelfasern verbrennen selbst dann, wenn sie nicht arbeiten, noch mehr Energie als jene Muskeln, die wir für Ausdauersport und schnelle Bewegungen benötigen. Und helfen, den Blutglukosespiegel zu senken.
Der erste, offensichtliche Vorteil: Wenn wir uns bewegen, verbrennen wir mehr Energie. Das extra Tolle: Sport greift, wenn wir länger als eine halbe Stunde trainieren, besonders das Körperfett an, vor allem jenes am Bauch. So kann dieses weniger schädliche Hormone herstellen, die die Insulinsensitivität der Zellen herabsetzen. Zudem sind die Botenstoffe der Muskulatur so etwas wie die natürlichen Gegenspieler der schädlichen Bauchfett-Hormone. Das Myokin Interleukin 15 etwa hilft, das viszerale Bauchfett zu reduzieren. Und damit die Wirksamkeit des Insulins wieder zu erhöhen. Da sich dieser Effekt nach zwei Tagen reduziert, ist es so wichtig, regelmäßig zu trainieren. Entsprechend haben Studien gezeigt: Treiben insulinpflichtige Diabetiker pro Woche zusammengenommen mindestens 150 Minuten Sport, können sie die Insulindosis reduzieren und Medikamente mitunter ganz absetzen.
Doch das ist nicht alles: Sport hilft zudem, den Satt-Hunger-Regelkreis zu normalisieren, der bei übergewichtigen Diabetikern aus dem Takt geraten ist. Laut einer Studie genügt bereits ein 30-minütiger Spaziergang am Tag, um eine Resistenz gegen das Sättigungshormon Leptin zu lindern.
Es gibt noch einen psychologischen Grund, warum sportlich aktive Diabetiker weniger hungrig sind. Denn wenn wir uns regelmäßig bewegen, senkt das nicht nur langfristig unseren Spiegel der Stresshormone – sodass wir seltener gegen den Stress anessen müssen. Kurzfristig löst Sport zudem ein Glücksgefühl aus. Woher dieses rührt, ist noch nicht restlos geklärt. Es hängt vermutlich mit der Freisetzung von Wachstumsfaktoren und Botenstoffen im Gehirn zusammen. Dieses Bewegungs-High beeinflusst indirekt unser Essverhalten, indem es einen guten Ersatz für Chips, Schokolade und Co. darstellt. Der Hintergrund: Wenn wir Hochkalorisches zu uns nehmen, setzt der Körper Botenstoffe wie Dopamin frei, die der Volksmund »Glückshormone« nennt. Daher essen wir häufig nicht, um unseren Hunger zu stillen, sondern um uns zu trösten, Ärger zu kompensieren, uns gegen Stress zu wappnen oder sonstige negative Gefühle herunterzuregulieren. Indem Sport uns ein ähnliches Hochgefühl verschafft, lindert es diesen sogenannten hedonistischen Hunger.
2 + 2 = diabetesfrei: So lautet die Formel zum perfekten Training für Zuckerkranke. Um Muskeln aufzubauen, sollten Sie zweimal pro Woche 30 Minuten Krafttraining und zweimal pro Woche 45-minütige Ausdauereinheiten betreiben. Gehen Sie es dabei bezüglich der Intensität langsam an! Denn bei untrainierten, übergewichtigen Menschen benötigt der Körper etwa drei Wochen, um sich an die neuen Trainingsreize zu gewöhnen – vom Herz-Kreislauf-System bis zu den Sehnen. Unsere Muskeln versuchen anfangs auch, vorhandene Fasern besser zu nutzen statt neue aufzubauen. Daher sind Sportneulinge im ersten Monat oft schon nach wenigen Minuten erschöpft. Wer den frustrierenden Start durchsteht, bemerkt rasch Erfolge. Denn ab Woche vier kommt es zur sogenannten Hypertrophie: Die Muskeln bemerken, dass der regelmäßige Trainingsreiz größer ist als ihre aktuelle Leistungsfähigkeit und bilden neue Muskeln.
WORKOUT-QUICKIE FÜR JEDE GELEGENHEIT
Als Ausdauersportarten sind für den Anfang Nordic Walking, Schwimmen (Kraulen!), Aquafitness, Radfahren oder Tanzen ideal. Später wären zusätzlich Aquajogging möglich und für Diabetiker mit nur geringem Übergewicht und ohne Gelenkprobleme auch Jogging, Spinning oder Rudern. Für den Anfang günstige Kraftsportarten sind Yoga, Pilates, Theraband-Übungen, (Rücken-)Gymnastik, Gerätetraining, Functional Training (Übungen mit dem Eigengewicht wie Liegestütze und Kniebeugen). Später zusätzlich möglich (für Diabetiker ohne Gelenkbeschwerden): CrossFit, Poledance, Ballett, Kampfsport. Das wichtigste Kriterium bei der Wahl eines Sports ist jedoch der Spaß! Wer sich nur deshalb für ein Training entscheidet, weil es günstig für Diabetiker sein soll, wird das Vorhaben, sich mehr zu bewegen, schnell aufgeben. Wollen Sie eigentlich nur Tischtennis spielen, wie früher als Kind? Dann tun Sie das! Hauptsache, Sie kommen in Bewegung. Einzig ein wenig Krafttraining sollte jeder als verpflichtend betrachten, weil die Auswirkungen so extrem positiv sind. Lediglich übergewichtige Hochdruckpatienten sollten auf Krafteinheiten verzichten, bis sie ein gesundes Gewicht erreicht haben, um das Herz nicht zu belasten. Bei einem Blutdruck von mehr als 160/95 mmHg sollten sie erst auch auf Ausdauertraining verzichten, versuchen, die Werte medikamentös einzustellen und bis dahin über die Ernährung abzunehmen. Das Gute: Für absolut untrainierte Menschen genügt schon eine halbe Stunde Spazierengehen alle drei Tage, um neue Muskeln aufzubauen‚ am besten mit anderen: Denn Aktivitäten, die in der Gruppe stattfinden, sind wirksamer.
AUF GEHT‘S: SO STEIGERN SIE IHRE ALLTAGSAKTIVITÄT SPIELEND
Recken und strecken Sie sich nach dem Aufstehen ausgiebig. Noch besser: Machen Sie wie die Großeltern 5 Minuten Gymnastik vorm Fenster.
Nutzen Sie die Zeit beim Zähneputzen für ein, zwei, drei Kniebeugen.
Parken Sie das Auto weiter vom Büro weg als normalerweise – und laufen Sie so ein paar Meter vor Arbeitsbeginn. Sie sind im Homeoffice oder in Rente? Gehen Sie nach dem Frühstück eine Runde um den Block.
Benutzen Sie anstelle eines (Büro-)Stuhls einen Gymnastikball.
Verabreden Sie sich zu einem Spaziergang mit der Freundin / dem Freund – anstelle eines Kaffeetrinkens. Oder kombinieren Sie beides.
Legen Sie beim Wohnungsputz ein paar Tanzschritte ein. Und übernehmen Sie die besonders anstrengenden Aufgaben, wie etwa das Bodenwischen.
Laufen Sie beim Telefonieren langsam durch die Wohnung.
Wo immer Sie warten müssen: Spannen Sie bewusst so viele Muskeln wie möglich an, und entspannen Sie sie wieder – und wiederholen Sie das Ganze ein paar Mal.
Ob Tagesschau oder Krimi: Machen Sie beim Fernsehen auf dem Sofa Mini-Übungen. Wie: Arme zur Seite strecken und so lang wie möglich kreisen.
Sie wissen jetzt, wie Sie Ihre Ernährung ganz individuell anpassen und mehr Bewegung in den Alltag integrieren können, um so die Zuckerwerte zu verbessern. Eine wichtige Säule für die Diabetesremission fehlt aber noch – der Abbau von Stress. Sobald ich in Patientengesprächen auf dieses Thema komme, höre ich oft etwas abfällig Sätze wie: »Ach, soll ich jetzt Yoga machen oder meditieren, oder was?« Ja, genau! Erklären meine Patienten dann, dass das einfach nicht gehe – die Kinder, die Arbeit, der blöde Chef etc. pp. –, erwidere ich oft ketzerisch, dass sie dann direkt weiter Pommes und Fruchtgummi essen könnten, da es mit der Diabetesheilung bei chronischem Stress schwierig würde. Die Forschung ist hier eindeutig: Wer – wie die meisten von uns – gegen seine innere Uhr lebt und kein aktives Stressmanagement betreibt, belastet seinen Körper enorm. Studien zeigen etwa:
Chronischer Stress und schlechter Schlaf – beides tritt oft gemeinsam auf – erhöhen das Risiko für fast alle Zivilisationskrankheiten (Diabetes, Adipositas und Bluthochdruck) und verschlimmern deren Symptome.
Menschen, die in Schichten arbeiten, insbesondere nachts, werden eher übergewichtig, leiden häufiger an Diabetes, psychischen Erkrankungen und einigen Krebsarten.
WAS IST DIE INNERE UHR?
Mit diesem Begriff wird die Tatsache bezeichnet, dass bestimmte körperliche (Stoffwechsel-)Prozesse zeitlich organisiert ablaufen und sich in festen Rhythmen wiederholen. Die Taktgeber sind häufig äußere Einflüsse, wie etwa Licht und Temperatur. Ein bekanntes Beispiel ist der Tag-Nacht-Zyklus: Stimmen innere Uhr und äußere Taktgeber nicht mehr überein, etwa aufgrund eines Fernflugs, kommt es zu den typischen Jetlag-Problemen. Ein für Diabetiker spannendes Beispiel konnten Forscher in der Leber beobachten: Über Tag baut sie den Kohlenhydratspeicherstoff Glykogen aus zugeführten Nährstoffen auf. Abends baut sie diesen wieder zu Glukose ab, um den Körper mit Energie zu versorgen. Essen wir spätabends noch, macht die Leber beides gleichzeitig – was den Zuckerstoffwechsel stört. Essen wir dagegen eher früh und leicht zu Abend, leben wir im Einklang mit unserer inneren Uhr.
Im Grunde ist Stress etwas Gutes – er ist ein echter Überlebenshelfer. Denn bei außergewöhnlichen Belastungen produziert unser Körper viel Stresshormon Cortisol: Der Botenstoff sorgt etwa für eine schnellere Herzfrequenz, erhöht den Blutdruck und bremst die Insulinwirkung, hält also den Blutzucker hoch. All das macht uns kurzfristig reaktionsschneller und leistungsfähiger. Wird Stress allerdings chronisch, bildet der dann dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel ein großes Problem – besonders für Diabetiker. Denn durch die cortisolbedingt abgeschwächte Wirkung des Insulins schwimmt dann extraviel davon im Blut. Da der Zuckerhaushalt sowieso bereits aus dem Takt geraten ist, befeuert chronischer Stress die diabetische Stoffwechselproblematik zusätzlich.
Und sicher kennen Sie die Lust auf Süßes bei Stress? Eine erhöhte Cortisolkonzentration verursacht Heißhunger auf Hochkalorisches! Auch lässt es den Körper noch leichter Fett einlagern – erschwert also den Kampf gegen Übergewicht als Hauptursache der Zuckerkrankheit. Sie sehen: Stressabbau ist unumgänglich für alle, die ihren Diabetes heilen wollen.
Das Gute: Wie bereits gesehen, belegen immer mehr Studien, dass diese Maßnahme tatsächlich hilft, die Stoffwechselstörung in den Griff zu bekommen.
Es gibt drei Entspannungstypen. Um zu erkennen, zu welchem Typ Sie gehören, kreuzen Sie jene Sätze an, die auf Sie zutreffen. Die dominante Farbe verrät, wie Sie am besten relaxen.
Trifft zu
○ Spa, Sauna, Massagen, Whirlpool – ich liebe alles. Am besten kombiniert bei einem Wellness-Wochenende.
○ Ich arbeite vor allem mit meinem Kopf – an irgendetwas denke ich eigentlich immer.
○ Lässt mich jemand warten, nervt mich das so sehr, dass ich irgendwann beinahe aggressiv werde.
○ Wenn mich jemand verwöhnt, genieße ich das sehr und kann mich dann auch richtig fallen lassen.
○ Wenn um mich herum gar nichts zu hören ist, kann ich mich am besten entspannen.
○ Wenn ich mit meinem Körper so richtig an die Grenzen gegangen bin, fühle ich mich danach herrlich entspannt.
○ Ich fühle mich besonders ruhig und ausgeglichen an Orten, an denen es gut riecht und einfach angenehm ist.
○ Ich entspanne mich eigentlich nur dann so richtig, wenn ich alles um mich herum ausblenden kann.
○ Selbst im Urlaub brauche ich volles Programm, sonst werde ich hibbelig und manchmal sogar unausstehlich.
○ Nach der Arbeit? Will ich nur noch aufs Sofa.
○ Mit Freunden essen gehen oder zusammen kochen, das ist für mich jedes Mal ein echtes Highlight.
○ Kann ich mich mal ein paar Tage nicht so richtig viel bewegen, werde ich schnell zickig und ungerecht.
○ Habe ich Ärger im Job, hilft es mir, kurz vor die Tür zu gehen und einen schnellen Spaziergang einzulegen.
○ Am Meer sitzen und einfach mal wirklich gar nichts tun – für mich ist das das Himmelreich!
○ Wenn ich abends im Bett liege, dreht sich das Gedankenkarussell meistens trotzdem weiter.
○ Habe ich ein paar Stunden frei, bleibe ich trotzdem im Aktivitätsmodus – und suche mir irgendetwas zu tun.
○ Hatte ich viel Stress, löst er sich bei einem Vollbad so zuverlässig auf wie der Badeschaum.
○ Nach einem anstrengenden Arbeitstag Musik hören, das könnte ich nie – das stresst mich nur noch zusätzlich.
○ Stehe ich an der Kasse in einer langen Schlange, würde ich am liebsten alle Einkäufe zurückstellen – und gehen.
○ Am Ende eines Tages lese ich am liebsten ein gutes Buch oder schaue eine Folge meiner Lieblingsserie.
Die Auswertung
Der Genießer-Typ Sie sind viel beschäftigt und auf jeder Party zu Hause. Alle Aufgaben mal abzugeben und sich so richtig verwöhnen lassen – das ist Ihr Entspannungsgarant. Ihnen fallen viele Wege ein, um zu relaxen: Massagen oder Kosmetikbehandlungen, manchmal reicht schon eine Duftkerze, ein Buch oder Klaviermusik. Allerdings: Weil Sie Aufgaben gern an sich reißen, nehmen Sie sich diese Auszeiten zu selten. Und: Sie machen in der Regel zu wenig Sport. Ideal für Sie wären bewusst geplante aktive Pausen mit Bewegungsarten, die beim Runterkommen helfen, wie Pilates, Yoga, Tai-Chi oder auch Boxen.
Der Power-Typ Sie lieben Bewegung – deshalb ist Sport Ihr bester Anti-Stress-Helfer, vom Joggen bis zum Krafttraining. Grundsätzlich super, aber: Wenn Sie sporteln, muss es wehtun. Und das bedeutet Stress für den Körper. Ersetzen Sie daher die Hälfte der intensiven Trainingseinheiten durch gemäßigten Ausdauersport. Und lassen Sie den Puls dabei nur so hoch gehen, dass Sie noch ruhig singen könnten. Denn dann schüttet der Körper Glückshormone statt Stressbotenstoffe aus. Und: Integrieren auch Sie Sportarten mit Entspannungsanteil wie Yoga. Es darf dann auch ruhig die Power-Variante sein.
Der Denker-Typ Als intellektuellem, sensiblem Menschen fällt Ihnen Abschalten schwer. Ihr Kopf ist ständig in Aktion, Ihre Sinne sind meist ein wenig überreizt und Sie selbst nervös. Sie sollten mit Atemübungen und Meditationstechniken versuchen, Ihren Geist zu fokussieren, um gelassener durch den Alltag zu kommen. Auch autogenes Training, Muskelrelaxation nach Jacobson helfen. Und: Obwohl Massagen nicht so das Ihre sind – eine Kopfmassage sollten Sie ausprobieren – die meisten Denker mögen sie.
»SCHLAF IST DOCH DIE KÖSTLICHSTE ERFINDUNG.«
HEINRICH HEINE
Einen wichtigen Schritt zu mehr Entspannung können Sie im nächsten Urlaub gehen. Nehmen Sie sich bewusst wenig vor, achten Sie auf Signale Ihres Körpers und geben Sie diesen nach: Wie fühlen Sie sich physisch und psychisch am Vormittag, am Mittag, am Nachmittag und am Abend? Wann sind Sie geistig besonders aufnahmefähig – und in welchen Momenten wollen Sie sich bewegen? Wann möchten Sie dringend ins Bett? Und um wie viel Uhr wachen Sie morgens auf, wenn kein Wecker klingelt? Notieren Sie sich Ihre Beobachtungen unbedingt schriftlich, idealerweise über drei bis vier Tage hinweg. Sie haben dann eine gute Grundlage, um zumindest zu versuchen, den Alltag ein wenig Ihrer inneren Uhr anzupassen. Etwa, indem Sie eine Stunde früher oder später zur Arbeit gehen oder dann sporteln, wenn es Ihnen am leichtesten fällt.
Yoga, Meditation, Lesen, 20 Minuten Mittagsschlaf, Mandalas zeichnen oder ein abendlicher Spaziergang mit dem besten Freund / der besten Freundin: Welche Entspannungstechniken Sie wählen, ist den Studien zufolge egal. Hauptsache, diese machen Ihnen Freude, Sie starten langsam damit – und integrieren die neuen Gewohnheiten, wie bei der Ernährung, konsequent in Ihren Alltag. Wie es nicht geht: Überengagiert drei Kurse buchen – und nach einer Woche abbrechen, weil die Relax-Technik nur für neuen Stress sorgt.
Eine gute Möglichkeit, Hektik gegen Entspannung zu tauschen, sind unsere Mahlzeiten. Nehmen Sie sich zu Anfang für eine am Tag mindestens 30 Minuten Zeit, genießen Sie Ihr Essen bewusst – und in Ruhe. Gönnen Sie sich eine Serviette, zünden Sie eine Kerze an und versuchen Sie, mindestens eine Mahlzeit am Tag im Familienkreis beziehungsweise mit der Partnerin / dem Partner einzunehmen. Klingt albern? Von wegen! Geteilte Mahlzeiten am Feuer standen am Ausgang der Erfolgsgeschichte Mensch: Wer sein Essen teilt, fühlt sich als Teil einer Gemeinschaft. Und soziale Bande zu erfahren, senkt den Cortisolspiegel enorm. Positiver Nebeneffekt: Zu versuchen, das Essen mit allen Sinnen zu genießen, animiert zum Selberkochen. Denn ein selbst fabrizierter Gemüseauflauf lässt sich einfach besser zelebrieren als eine Currywurst vom Schnellimbiss oder Supermarkt.
Ähnlich hilfreich: regelmäßig 5 Minuten bewusst durchatmen. Anfangs alle 3 Stunden, später stündlich.
Und so geht‘s:
Setzen Sie sich dafür aufrecht hin, legen Sie Ihre Handrücken auf die Oberschenkel. Schließen Sie die Augen und atmen Sie tief ein und aus. Spüren Sie nach, wie der Atem durch die Nase ein- und wieder hinausfließt.
Extra-Übung: Zählen Sie dabei – und beginnen Sie stets aufs Neue bei »eins« zu zählen, wenn Sie merken, Ihre Gedanken schweifen ab. Sie kommen anfangs nur bis »zwei«? Das ist absolut normal! Auch wenn es paradox klingt – ich stelle mir selbst für diese Entspannungsroutine den Wecker im Smartphone, um sie in der Alltagshektik nicht zu vergessen. Je nachdem, welcher Entspannungstyp Sie sind, sollten Sie sich zusätzlich mindestens 3 Stunden pro Woche Zeit nehmen für typgerechte Auszeiten. Egal, ob Sie am liebsten per Vollbad, Krafttraining oder autogenem Training relaxen – notieren Sie sich dafür feste Termine im Kalender. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit enorm, sich tatsächlich Zeit für die Entspannnung zu nehmen.
GUTE NACHT! DIESE ROUTINEN FÖRDERN GESUNDEN SCHLAF
Leichte Kost: Fleisch, Frittiertes, Rohkost und Hülsenfrüchte bedeuten Schwerstarbeit für die Verdauung und verhindern so ruhigen Schlaf. Besser: Drei bis vier Stunden vorm Insbettgehen nur Leichtes essen, etwa eine Gemüsesuppe. Dann ist die Verdauung erledigt, wenn es ans Einschlafen geht.
Kein Alkohol: Ein Glas Rotwein lässt uns zwar leichter wegschlummern – nachts aber auch öfter aufwachen. Denn ist das Nervengift nach vier Stunden abgebaut, leidet der Körper unter einer Art Mini-Entzug. Die Folge: eine Übererregung, die den Schlaf stört.
Digital Detox: Schalten Sie mindestens eine Stunde vorm Schlafgehen alle Bildschirme aus. Der hohe Blaulicht-Anteil in Displays verhindert sonst, dass das Schlafhormon Melatonin angemessen ansteigen kann.
Licht anpassen: Statten Sie die Wohnung mit dimmbaren Leuchtmitteln aus, die sich auch in der Lichtfarbe verändern lassen. So können Sie den natürlichen Helldunkel-Rhythmus simulieren. Tagsüber ideal ist sehr helles, kaltweißes Licht (mindestens 500 Lux und 5 000 Kelvin), ab dem Nachmittag dunkles, warmgelbes Licht (höchstens 130 Lux und 2 000 Kelvin).
Für Konstanz sorgen: Gehen Sie stets zur gleichen Zeit ins Bett. Das fördert guten Schlaf besonders effektiv.
Kein Training nach 19 Uhr: Beim Sport schüttet der Körper Wachhormone aus – das macht spätes Training zum Schlafkiller. Besser tagsüber, möglichst draußen und zu ähnlichen Zeiten sporteln. Das unterstützt den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Sie können nur abends Sport treiben? Dann bitte lediglich leichte Ausdauereinheiten.
Die ideale Umgebung schaffen: Ruhig, dunkel, 18 bis 20 Grad – so ist das ideale Schlafzimmer. Sorgen Sie für eine solche Atmosphäre, etwa mit einer Schlafbrille. Dass wir bei offenem Fenster besser schlafen, ist ein Mythos. Nur, wenn dadurch Ruhe und Dunkelheit nicht gestört sind, befördert die erhöhte Sauerstoffzufuhr guten Schlaf.
Bei meinen Patienten erlebe ich immer wieder, dass es den meisten zu Beginn leichtfällt, sich an die Empfehlungen zu halten. Doch auf der Langstrecke straucheln viele, weil es nicht leicht ist, die neuen Verhaltensweisen in wirklich dauerhafte Gewohnheiten zu verwandeln, über die wir nicht mehr nachdenken müssen. Sodass wir uns morgens wie ferngesteuert Porridge anrühren, in der Mittagspause stramm spazieren gehen, jede Stunde fünf Minuten Atemübungen machen und abends eine Gemüsesuppe kochen. Genau diese gesunden Routinen sind aber die Voraussetzung für eine nachhaltige Diabetesremission. Immerhin: Die Wissenschaft kennt inzwischen viele Kniffe, mit denen sich der Rückfall in alte Gewohnheiten verhindern lassen kann.
KURVENKNICK
Bei jeder Ernährungsumstellung kommt es nach acht bis zwölf Wochen zu einer evolutionär angelegten Reaktion des Körpers. Der Organismus merkt: Die neuen Essgewohnheiten werden zum Dauerzustand. Das wertet er als vermeintlich bedrohlichen Mangelzustand und versucht, uns mit biochemischen Prozessen zum Essen »wie früher« anzuregen. Zudem drosselt er den Stoffwechsel und verteidigt Fettreserven noch stärker als bisher. Die Folge: Blutzuckerwerte und Gewicht sinken nicht mehr oder steigen sogar – egal, was Sie tun. Das Gute: Nach spätestens vier Wochen verschwindet dieser Effekt und die Werte fallen wieder, sofern Sie die artgerechte Ernährung weiter durchziehen. Allein, von diesem Kurvenknick zu wissen, hilft meist schon, ihn zu überstehen …
Mit den folgenden Tipps machen Sie sich Ihre Psyche zum Freund – und damit zum besten Helfer im Anti-Diabetes-Kampf. Malen Sie sich ganz konkret aus, wie Ihr Alltag aussehen würde, wenn Sie Ihren Diabetes mithilfe des vorgestellten Programms gebessert oder geheilt hätten. Formulieren Sie so, als wäre die Vision schon Realität. Etwa: »Ich bin 20 Kilo leichter. Ich brauche kein Insulin mehr. Und kann endlich mit meiner Enkelin in Urlaub fahren, ohne zu überlegen, was ich wann essen muss und ob ich alle Medikamente dabeihabe. Ich fühle mich herrlich unbeschwert und frei.« Visionen wie diese helfen, in schwierigen Momenten Impulse besser zu kontrollieren. Weil das langfristige Ziel dann verlockender ist als der sofortige Lustgewinn durch Essen. Zumindest manchmal – und das ist viel!
Mantras sind knappe Sätze, die im Buddhismus zum Beispiel während der Meditation immer wieder rezitiert werden und sich so in uns festsetzen. Diese Praxis lässt sich nutzen, um persönliche Ziele im Unterbewusstsein zu verankern, uns damit auf »Erfolg« zu programmieren und so die Umsetzung der Ratschläge zu erleichtern. Formulieren Sie auch diese Sätze so, als sei ihr Inhalt bereits Realität. Beispiele könnten sein:
»Ich wiege 68 Kilo.«
»Ich habe ganz normale Zuckerwerte.«
»Ich fühle mich gesund und leistungsfähig.«
Wiederholen Sie diese Mantras dann so oft wie möglich. Entweder laut – etwa während der Autofahrt ins Büro und im Bett vorm Einschlafen. Oder nur in Gedanken – etwa in der Schlange an der Kasse.
Wichtig: Vermeiden Sie Verbote wie »Ab heute esse ich kein Gramm Zucker mehr« oder »Toastbrot kommt mir nie wieder auf den Teller«. Sie sorgen Studien zufolge nur dafür, dass unsere Gedanken permanent um die Themen Essen und Figur kreisen. Das macht Appetit. Irgendwann geben wir dem Verlangen nach und essen das vermeintlich Verbotene. Gewöhnen Sie sich daher an, Vorhaben sanfter zu formulieren. Etwa so: »Ich esse so wenig Zucker wie möglich« oder: »Wenn ich es selbst in der Hand habe, esse ich möglichst oft Vollkornbrot«. Das lässt sich zum einen leichter umsetzen und gewährt zum anderen Verhaltensspielräume: Essen Sie auf einem Fest beispielsweise doch ein Stück Kuchen, bedeutet das nicht gleich ein Scheitern – und verhindert so, dass Sie drei weitere Stücke essen nach dem Motto »Jetzt ist eh alles egal«. Die flexible Ernährungskontrolle garantiert, dass wir von unserem Ideal abweichen dürfen und das Ziel trotzdem im Auge behalten.
Die folgenden Tipps, abgeleitet aus der artgerechten Ernährung, können Ihnen helfen, den Essensalltag auch weiterhin zu optimieren:
Um die Insulin- und Blutzuckerwerte langfristig niedrig zu halten, ist es wichtig, sich zu den Mahlzeiten richtig satt zu essen. Außerdem benötigt der Körper einen idealen Nährstoff-Mix, der nicht sofort wieder Hunger aufkommen lässt. Das gelingt mit dem Tellerprinzip. Demzufolge sollten Sie Ihren Teller wie folgt füllen:
50 Prozent Gemüse,
30 Prozent Eiweißreiches (Hülsenfrüchte, Fisch, Eier, Milchprodukte, Tofu),
20 Prozent Fette und Kohlenhydrate (Öle, Kartoffeln, Vollkornnudeln, -reis und -brot).
Die meisten Diabetiker sind daran gewöhnt, häufig zu essen – und zwar große Portionen. Um nicht in diese Gewohnheiten zurückzufallen, sollten Sie die über den Tag aufgenommene Energie auch weiterhin im Blick behalten, wenn Sie mithilfe einer Ernährungsumstellung bereits ausreichend abgenommen haben. Kalorien sparen sollten Sie dabei vor allem an Fertigprodukten und Süßigkeiten. Bei gesunden, energiereichen Nahrungsmitteln wie Nüssen brauchen Sie auf die Kalorien nicht zu schauen. Diese sättigen so gut, dass Sie sich daran nicht überessen können. Außerdem enthalten sie wenig Kohlenhydrate – was die Bauchspeicheldrüse entlastet und Heißhunger verhindert. So können Sie leichter Ihr Energiedefizit aufrechterhalten.
Wenden Sie mindestens einmal am Tag die japanische Regel »Hara hachi bu« an: Diese besagt, so langsam und achtsam zu essen, dass man merkt, wenn erste Sättigungssignale einsetzen. Und dann aufzuhören, anstatt bis zum Völlegefühl weiterzufuttern. Die Regel eignet sich super fürs Essen bei Freunden oder für Restaurantbesuche, wo es häufig keine große Auswahl an artgerechten Gerichten gibt.
Wir essen häufig, um negative Gefühle herunterzuregulieren. Diesen Appetit von echtem Hunger, also dem Bedürfnis nach sättigender Nahrung, unterscheiden zu können, ist Grundvoraussetzung für ein natürliches Sattempfinden – und dafür, langfristig artgerecht zu essen. Echter Hunger lässt sich unter anderem erkennen an Magenknurren, das länger als fünf Minuten dauert. Appetit, die einfache Lust aufs Essen, wird dagegen meist durch einen Trigger ausgelöst – den Gedanken an ein Stück Käse, den Duft aus einer Bäckerei oder ein negatives Gefühl wie Frust, das wir mit Schokolade loswerden wollen.
POSITIVE PSYCHOLOGIE: DIE SEELE ZUM HELFER MACHEN
Vertreter der Positiven Psychologie wissen: Fühlen sich Verhaltensänderungen gut an, halten wir sie langfristig durch. Wer über die artgerechte Ernährung seinen Diabetes heilen will, sollte daher immer wieder versuchen, über bewusstes Genusserleben zu positiven Gefühlen zu finden. Diese Strategien helfen:
Teilen Sie clpositive Genussmomente, etwa die eines selbst gekochten Essens, mit anderen – beispielsweise, indem Sie Freunden davon erzählen.
Fotografieren Sie genussreiche Erlebnisse geistig, um sie positiv abzuspeichern.
Haben Sie artgerecht gegessen? Seien Sie stolz auf sich und beglückwünschen Sie sich bewusst selbst dazu!
Konzentrieren Sie sich beim Essen auf genau das – das Essen. So lernen Sie, achtsamer zu genießen.
Vergleichen Sie aktuelle schöne Erlebnisse, etwa eine wohlschmeckende, gesunde Mahlzeit, mit negativen Situationen und Gefühlen.
Sie haben es gerade richtig schön, wie Sie da so Gemüse schnippeln und dazu Musik hören? Geben Sie sich bewusst in diesen Moment hinein und verweilen Sie darin, ohne Ablenkung.
Wann immer Sie etwas genießen – bringen Sie es deutlich zum Ausdruck. Etwa, indem Sie lachen oder aber etwas sagen wie: »Ist das lecker!«
Ein aus dem Gleichgewicht geratenes Mikrobiom ist ein Grund für einen gestörten Zuckerstoffwechsel – und auch für den Jo-Jo-Effekt, wie immer mehr Studien zeigen. Essen Sie daher möglichst darmfreundlich. Besonders hilfreich: Ballaststoffe, aber auch sekundäre Pflanzenstoffe, die vor allem in leuchtend farbigem Gemüse und Obst wie Tomaten und Beeren stecken. Präbiotika finden sich in Gemüse wie Chicorée, Artischocken oder Pastinaken. Zudem sollten Sie oft Fermentiertes bzw. milchsauer vergorene Nahrungsmittel essen – wie Sauerkraut, Joghurt, Buttermilch, Kefir oder Tempeh. Sie liefern Stoffe, die günstige Darmbakterien als Futter benötigen – sowie Milchsäurebakterien, die unser Mikrobiom ebenfalls positiv beeinflussen.
Mit den folgenden Tipps überstehen Sie herausfordernde Situationen, denen die meisten Diabetiker während einer Ernährungsumstellung zuverlässig begegnen. Überlegen Sie, ob Sie den einen oder anderen Tipp gleich mit in das Journal schreiben.
In der Alltagshektik fehlt oft die Zeit, sich eine gesunde Mahlzeit zuzubereiten, sodass wir allen Vorsätzen zum Trotz doch wieder zur TK-Pizza greifen. Um das zu vermeiden, kochen Sie am besten stets die doppelte Menge und frieren Sie eine Hälfte ein. Bei den meisten Gerichten funktioniert das ganz einfach. Und: Blocken Sie ab und zu ein paar Stunden im Kalender, etwa einen Samstagvormittag im Monat, um sich an den Herd zu stellen. Kochen Sie dann mehrere Gerichte auf einmal, um Ihren Vorrat aufzustocken. So können Sie bequem etwas Leckeres aus dem Tiefkühlfach ziehen, wenn Sie erschöpft nach Hause kommen.
Menschen helfen gern, denn Kooperation ist als Überlebensstrategie evolutionär in uns angelegt. Nutzen Sie dies, indem Sie sich andere Diabetiker suchen, die auch gerade ihre Ernährung umstellen. Unterstützen Sie sich gegenseitig als Tandempartner, etwa mit Rezepten und Motivationstipps. Bitten Sie auch Partner und Familienmitglieder um Hilfe. Etwa darum, gemeinsam mit Ihnen zu kochen oder keine Chips zu mümmeln, wenn Sie versuchen, weniger zu naschen. Studien zeigen: Wer sich ein Unterstützer-Netzwerk aufbaut, ist langfristig erfolgreich.
»Ach komm, dieses eine Stück Kuchen/Brot/Currywurst macht doch nichts!« Solche Sätze erschweren das Durchhalten extrem. Reagieren Sie darauf, indem Sie offen von Ihrem Vorhaben berichten, den Diabetes über eine veränderte Ernährung loszuwerden. Die meisten werden Sie dann eher unterstützen wollen als weiter zu ungünstigem Essen verleiten. Wenn Sie aber aus eigenem Antrieb etwas vom nicht artgerechten Büfett probieren wollen – kein Problem, schließlich sind Verbote verboten! Gleichen Sie den Luxus einfach aus. Etwa, indem Sie vor dem Schlemmeranlass einen Hafertag einlegen (s. >) oder nach dem Fest eine zusätzliche Einheit Sport.
Extra-Tipps: Gegen akute Lust auf Kuchen, Süßigkeiten und Co. wirken Bittertropfen aus der Apotheke – einfach ein bis zwei Tropfen über den Handrücken einnehmen. Kalorienarme Getränke oder Snacks wie Rohkost und Salat füllen abends den Magen schon vor, sodass man schneller satt ist.
NOCH MEHR SPORT!
Während einer Gewichtsabnahme ist die Ernährung wichtiger als die Bewegung – weil sich darüber leichter ein Energiedefizit herbeiführen lässt. Doch auf der Langstrecke gewinnt Sport an Bedeutung. Denn: Nehmen wir ab, sinkt die Energie, die wir im Ruhezustand verbrauchen (Grundumsatz). Diesen Effekt kann intensiviertes Training ausgleichen, da zusätzliche Muskeln den Grundumsatz erhöhen und damit den Blutzuckerspiegel über Tag stabilisieren. Wie viel Sport es braucht, um Gewicht und Zuckerwerte auf Normalniveau zu halten, ist individuell verschieden. Doch es gibt wissenschaftlich bestätigte Anhaltspunkte. Gut wären: pro Tag 90 Minuten mäßig anstrengende Bewegung (Spazieren, gemütliches Radfahren) oder aber 45 Minuten anstrengende Bewegung (Joggen, Schwimmen, schnelles Radfahren). Dazu pro Woche drei mindestens 30-minütige Einheiten Krafttraining (Geräte, Functional Training, CrossFit).
Essen ist die ideale Belohnung, schließlich verschafft es uns zuverlässig ein gutes Gefühl. Diese enge Verknüpfung muss jeder lösen, der sich gesünder ernähren will. Überlegen Sie sich daher alternative Belohnungsstrategien, idealerweise solche, die mit Bewegung zu tun haben. Ein Blick in die Kindheit hilft meist: Für mich war ein Besuch im Freibad das Tollste. So fühlt sich Schwimmen bis heute an wie ein Geschenk! Bei anderen ist es Schlittschuhlaufen, eine lange Radtour oder das Gefühl, den Gegner im Judo auf die Matte zu legen. Versuchen Sie, diese Bewegungsarten zu ritualisieren, etwa über einen festen Sportkurs. Bewegung sorgt für regelmäßige Dopaminausstöße, die Sie das Essen als Belohnung vergessen lassen. Zudem verringert sie Hunger und stabilisiert den Blutzucker. Auch bewegungsärmere Alternativen helfen – Hauptsache, sie machen Spaß! Gewöhnen Sie sich an, sich damit etwas Gutes zu tun. Je öfter Sie das schaffen, desto mehr verliert Hochkalorisches als Belohnung an Bedeutung.
Eines der Hauptprobleme während einer Ernährungsumstellung ist für Diabetiker die ständige Verfügbarkeit von Nahrung, insbesondere von hochkalorischen Lebensmitteln. All das reizt unser Gehirn, immer wieder »Zugreifen!« zu funken. Schließlich war Süßes und Fettiges jahrhunderttausendelang eine Seltenheit und damit ein Überlebensgarant. Verbannen Sie Leckereien wie Schokolade und Kekse daher einfach aus Ihrer Wohnung und kaufen Sie stattdessen nur Nüsse – die sollten immer im Haus sein. Dann essen Sie nichts einfach nur, weil Sie gerade daran vorbeilaufen – haben aber, wenn Sie wirklich hungrig sind, mehr Gesundes zur Verfügung, das Ihnen guttut. Tipp: Bauen Sie Essbarrieren auf! Wenn Schokolade, dann am besten nur aus dem Kühlschrank und gelutscht statt gekaut – so können Sie diese viel langsamer genießen. Verwenden Sie außerdem nur ungeknackte Nüsse und Obst, das noch geschält werden muss. Das senkt die Wahrscheinlichkeit, sich an Gesundem zu überessen, was durchaus auch möglich sein kann.
Eine kurze Auszeit in der Natur ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine gute Belohnungsalternative zu ungesundem Naschen und Süßem.
Abschließend möchte ich Ihnen ein paar Studienergebnisse präsentieren – als weitere Anregungen für winzige Schritte, die Sie die Langstrecke leichter bewältigen lassen.
Mehrere Studien haben gezeigt: Wer sich jeden Tag auf die Waage stellt, hält ein neues Gewicht leichter. Die Erklärung: Die regelmäßige Kontrolle dokumentiert schwarz auf weiß, welche Folgen schon wenige exzessive Schlemmertage haben – etwa über Weihnachten. Entsprechend kann diese Taktik Diabetiker unterstützen, die artgerechte Ernährung konsequent durchzuhalten und den verbesserten oder sogar normalisierten Blutzuckerwert langfristig zu bewahren. Grundsätzlich gilt: Keine Panik, wenn die Kurve mal nach oben zeigt! Dies kann an Wassereinlagerungen liegen – oder an kleinen Rückschlägen, die zum Leben gehören. Eine sachliche Analyse hilft, am nächsten Tag wieder erfolgreich weiterzumachen.
Während wir trainieren, schüttet der Körper weniger vom Hungerhormon Ghrelin aus. Daher sollten Sie die Sporteinheiten so legen, dass direkt danach eine Mahlzeit ansteht. Sie werden dann zwar Hunger haben, aber vergleichsweise wenig – und sich sehr viel schneller satt fühlen, also weniger essen.
Wenn wir frieren, wird das sogenannte beige Fettgewebe aktiviert: Dieses wirkt wie eine Art körpereigene Heizung, da es, anders als das schädliche weiße Fettgewebe, Energie eher verbrennt als einlagert und so den Energieverbrauch erhöht. Darüber hinaus hilft beiges Fett, den Blutzucker zu regulieren. Kalte Duschen sind ideal, um diesen natürlichen Stoffwechselturbo anzuschalten, Temperaturen unter 19 Grad im Wohn- und Schlafzimmer eignen sich ebenso. Tipp: Auch über Capsaicinoide, die gesunden Scharfstoffe in der Chili, lässt sich beiges Fett aktivieren.
Reaktivieren Sie das Prinzip des Wocheneinkaufs! Und: Sparen Sie beim Gang durch den Supermarkt die Regale mit Snacks und Süßem bewusst aus. Wer auf dem Wochenmarkt einkauft, umgeht diese Verlockung. All das verringert die Häufigkeit, mit der Sie sich den Versuchungen des Überflusses aussetzen. Auf diese Weise shoppen Sie unter Garantie weniger Ungesundes – und was gar nicht erst im Haus ist, das können Sie auch nicht essen. Extra-Tipp: Gehen Sie zwischen 13 und 16 Uhr einkaufen. Zu dieser Zeit, so die Forschung, können wir Verlockungen besonders gut widerstehen.
Vielen fällt es schwer, sich das Snacken abzugewöhnen. Wissenschaftler konnten zeigen: Rechnen wir um, wie viel Bewegung nötig wäre, um den Energiegehalt von Snacks zu verbrennen, essen wir weniger. Einige Beispiele: Für 200 g Chips müssten Sie 120 Minuten schnell radeln. Für einen Krapfen 15 Minuten seilspringen. Und für einen halben Liter Cola 35 Minuten Boden schrubben.
GESUNDER VORRAT: DAS SOLLTEN SIE STETS IM HAUS HABEN
Speisekammer
Raps-, Oliven-, Walnussöl
Aceto balsamico
Oliven
Kidneybohnen, weiße Bohnen, Kichererbsen (aus Dose oder Glas)
getrocknete rote Linsen oder andere getrocknete Hülsenfrüchte
getrocknete Tomaten
stückige oder passierte Tomaten (aus dem Glas)
Buchweizen, Hirse, Quinoa
Hülsenfrüchte- und Vollkornpasta
Eiweiß- oder Vollkornbrot (bei Letzterem: Vollkornschrot oder -mehl an erster Stelle bei den Zutaten, mindestens 8 g Ballaststoffe pro 100 g)
diverse Nusssorten, naturbelassen
Kühlschrank
Milch (1,5 % Fett), Buttermilch, Naturjoghurt, Quark (bis 20 % Fett), Skyr
Kräuterquark, körniger Frischkäse, Frischkäse (bis 16 % Fett)
Harzer Käse, Parmesan, Feta und Mozzarella (jeweils bis 45 % Fett i.Tr.)
saure Sahne (10 % Fett), Kochsahne (pflanzlich, bis 15 % Fett), Butter
pflanzliche Milchersatzprodukte
frisches, fruchtzuckerarmes Obst (Beeren, Äpfel, Papaya, Pfirsich, Orange)
Gemüse (Tomaten, Gurke, Radieschen, Möhren, Paprika, Pilze, Brokkoli)
magerer Geflügelaufschnitt
mageres Fleisch
Eier, kalt gepresstes Leinöl
Tiefkühlfach
TK-Gemüse (z. B. Brokkoli, Blumenkohl, Spinat, Zuckerschoten, Erbsen; TK-Mischungen ohne Zusätze wie Sahne oder Gewürze)
TK-Fischfilets, naturbelassen
TK-Kräuter, auch Mischungen
TK-Beerenobst (z. B. Heidelbeeren, Himbeeren, Erdbeeren)
Jetzt wissen Sie, wie Sie die bahnbrechenden Erkenntnisse der Diabetesforschung im Alltag umsetzen sollten. Und haben hoffentlich Lust, sich direkt an den Herd zu stellen. Denn, wie gesehen: Die Heilung Ihrer Krankheit beginnt in der Küche. Im Folgenden habe ich Ihnen mit meinem medicum-Team über 80 leckere Rezepte zusammengestellt – für den idealen Start in ein diabetesfreies Leben …