Anhang

Nachbemerkung der Übersetzerin

Miriam Mandelkow

 

Einige Gedanken zur Übersetzung
rassistischer Begriffe in Ein anderes Land

 

»›Rufus‹, hatte Leona gesagt, immer wieder, ›da ist doch nichts bei, ein Farbiger zu sein.‹« Dieser Satz der weißen Südstaatlerin Leona reizt den Schwarzen Jazzschlagzeuger Rufus so sehr, dass er seine Freundin schlägt, immer wieder. James Baldwin schildert die Gewalt, und er erzählt, wie Rufus an der rassistischen Gesellschaft zerbricht – und er macht die Gewalt spürbar, die in Leonas scheinbar unschuldigen Worten steckt.

Wie Variationen auf ein Thema werden in Ein anderes Land Beziehungskonstellationen durchgespielt, die in einem komplexen Geflecht aus Scham und Schuld, Liebe und Wut um Rufus’ Selbstmord kreisen und deutlich machen, dass der Rassismus ausnahmslos in alle Lebensbereiche hineinwirkt. Nicht zuletzt in die Sprache.

Leona verknüpft ihren naiv wohlmeinenden und gerade dadurch herablassenden Zuspruch mit dem Begriff »colored«, der aus ihrem Mund den Rassismus der Südstaaten transportiert. »Colored« war zwar ebenso wie »Negro« in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren noch eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen in den USA und wird auch in diesem Roman noch vielfach so benutzt, doch zeichnete sich bereits ein begrifflicher Wandel ab: Beide Wörter wurden im Lauf der Sechzigerjahre von »black« abgelöst,[1] und Baldwin legt sie seinen Figuren in entscheidenden Momenten bewusst in den Mund; so nennt Leona Rufus nicht »black«, sondern »colored« – was Rufus später mit dem Hinweis, Leona liebe »die Farbigen ach so sehr«, entsprechend bissig kommentiert. Aber nicht nur die Südstaatlerin wird durch die Verwendung dieses Begriffs charakterisiert, in ähnlicher Weise bezeichnet der New Yorker Fernsehproduzent Ellis Rufus’ Schwester Ida, die er von der ersten Begegnung an als Beute betrachtet, Dritten gegenüber als »colored girl« – eine doppelte Herablassung, die den Blick des weißen Mannes auf die Schwarze Frau markiert. Dort, wo »colored« in der Figurenrede eine rassistische Haltung kenntlich macht, steht nun im Deutschen das Wort »farbig«.

An unmarkierten Stellen hingegen wäre dies gerade keine »wörtliche« Übersetzung. »Farbig« war im deutschen Sprachraum schon immer eine kolonialrassistische Zuschreibung[2]; als Selbstbezeichnungen haben weder »colored« noch »Negro« im Deutschen eine Entsprechung, weshalb beide Begriffe hier meist mit »schwarz« übersetzt werden[3] – es sei denn, der Kontext verlangt nach einer diskriminierenden Zuschreibung, deren Gebrauch die Sprecherin oder den Sprecher charakterisiert. Eine schematische Eins-zu-eins-Übertragung von Begrifflichkeiten bietet sich nicht an, wohl aber unter Umständen der Verzicht auf eine Übertragung: Die Schimpfwörter »darkie«, »spook« und »spade«, durchweg von Schwarzen als polemisches Zitat benutzt, um den Weißen ihren Rassismus zu spiegeln, bekämen durch notwendige Neuschöpfungen im Deutschen eine komische Note, die in diesem Roman fehl am Platz wäre. Hier schien ein Ausweichen auf Umschreibungen und ein Kompensieren durch Ton und Syntax angemessener.

Auch das englische N-Wort taucht in Baldwins Roman fast ausnahmslos als polemisches Zitat in der Figurenrede auf, als Ausdruck tiefster Wut und Verzweiflung. Damit diese Passagen nichts an emotionaler Wucht und Aussagekraft einbüßen, sollte das Wort genau so auch im Deutschen stehen – so der erste Gedanke. Und der zweite: Welche Wirkung hat die Reproduktion des englischen Wortes im deutschen Text? Ein »Stehenlassen« von Wörtern ist ja auch immer eine Übersetzung. Diese Frage muss von Fall zu Fall, für jede Textstelle neu beantwortet bzw. gestellt, verhandelt und entschieden werden. Ich danke Temye Tesfu für den gemeinsamen Blick auf den Text, den Austausch und weitere Fragen.