Das Telefonat blieb vertraulich, bis Gotti Tedeschi im Herbst 2013 anlässlich einer Vernehmung durch die Justiz im Zusammenhang mit laufenden Verfahren entsprechende Andeutungen machte. Der Bankier vertraute sich ebenfalls einigen Mailänder Kollegen an. Darunter befanden sich auch die Personen, die ich angesprochen habe, um diese Hintergründe zu rekonstruieren.
Cesare Geronzi ist am 15. Februar 1935 in Marino bei Rom geboren. Nach einer Zeit bei der Banca d’Italia und der Banco di Napoli wurde er 1982 zum Generaldirektor der Cassa di Risparmio di Roma. Geronzis Expansionspolitik in den 1980er-Jahren führte zur Übernahme zahlreicher Kreditinstitute Mittelitaliens durch die Cassa. 1989 überließ die staatliche Holding IRI den Banco di Santo Spirito der Cassa di Risparmio, die dann 1992 mit der Banco di Roma fusionierte und fortan unter dem Namen Banca di Roma fortgeführt wurde. 2002 entstand daraus die Bankengruppe Capitalia. Geronzi stand damit an der Spitze von Banken, denen schon immer eine besondere Nähe zum Vatikan nachgesagt wird. Er schuf gewissermaßen eine Clearingstelle für jene Milieus der Erben Andreottis, der Adligen, Lobbyisten und Staatsbeamten, die den wunden Punkt der Hauptstadt bildeten.
Alle fünf Jahre, bei Ablauf von Caloias Mandat, gab es dunkle Machenschaften mit dem Ziel, ihn abzusetzen. Am auffälligsten geschah dies 1999, als im Vatikan der vormalige Präsident der Bundesbank Hans Tietmeyer als Kandidat für die Nachfolge gehandelt wurde. Großer Fürsprecher des deutschen Bankiers war der amerikanische Kardinal und Präsident der Präfektur für die ökonomischen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls, Edmund Casimir Szoka. Dank der Unterstützung des persönlichen Sekretärs von Papst Wojtyła, Stanisław Dziwisz, machte Caloia das Rennen.
Scaletti war es gelungen, alle Stürme zu überstehen und Beförderung um Beförderung die höchste Stufe zu erklimmen: Er wurde im Mai 1995 zum Generaldirektor ernannt, als die von Caloia angestoßene ›Erneuerung‹ langsam ausklang.
Zu diesem Anlass gab der Heilige Stuhl eine ungewöhnliche Pressemitteilung heraus, in der er ihn lobte und seine uneingeschränkte Wertschätzung zum Ausdruck brachte. In der Tat sollte Scaletti »den Titel als emeritierter Generaldirektor behalten und dem IOR weiterhin wertvolle Dienste erweisen«, hieß es darin.
Die IT-Abteilung war schon immer die heikelste Abteilung des IOR. Der frühere Olivetti-Ingenieur Paolo Scarabelli hatte die Datenbank der Vatikanbank, das sogenannte Ced, aufgebaut. Als Vertrauter von Marcinkus und De Bonis, die ihn 1981 zum Abteilungsleiter ernannt hatten, blieb er bis 1996 in der Bank. Er kündigte nach förmlichen Abmahnungen wegen mangelnden Arbeitseifers.
Beim Lesen mancher Passagen dieser Enzyklika wird verständlich, warum Benedikt XVI. gerade Gotti Tedeschi zu seinem Berater gewählt hat, und vor allem, welch radikalen Wandel er in den Beziehungen zwischen Kirche, Macht und Geld durchsetzen wollte. Dieser Auszug liefert ein ziemlich klares Bild von Ratzingers Denken über das Kapital: »Korruption und Illegalität gibt es leider im Verhalten wirtschaftlicher und politischer Vertreter der alten und neuen reichen Länder ebenso wie in den armen Ländern selbst. Manchmal sind es große transnationale Unternehmen oder auch lokale Produktionsgruppen, welche die Menschenrechte der Arbeiter nicht respektieren. Die internationalen Hilfen sind oft durch Verantwortungslosigkeiten sowohl in der Kette der Geber als auch in der der Nutznießer zweckentfremdet worden. Auch im Bereich der nicht materiellen oder der kulturellen Ursachen der Entwicklung bzw. der Unterentwicklung können wir die gleiche Aufteilung der Verantwortung finden. Es gibt übertriebene Formen des Wissensschutzes seitens der reichen Länder durch eine zu strenge Anwendung des Rechtes auf geistiges Eigentum, speziell im medizinischen Bereich. Zugleich bestehen in einigen armen Ländern kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche Verhaltensnormen fort, die den Entwicklungsprozess bremsen.« Zitiert nach der offiziellen vatikanischen Fassung in deutscher Sprache, online unter: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate.html [Zugriff: 28.05.2018].
Sein Vorgänger, der amerikanische Kardinal Edmund Casimir Szoka, hatte sich Brokern anvertraut, die vor der Finanzkrise von 2007 Investitionen in den USA forciert hatten. Szoka glaubte an den Dollar und an die Investitionen in die amerikanischen Aktienmärkte. Damit waren die beiden Fonds auf den amerikanischen Märkten und dem Dollar gegenüber überschuldet. Die Lage spitzte sich zu, als 2007 Finanzanlagen unter dem Management von Goldman Sachs, BlackRock und UBS einbrachen.
Bereits am 29. Dezember 2000 waren mit der Unterzeichnung der Währungsvereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl (für den Staat Vatikanstadt) und der Republik Italien (im Namen der Europäischen Union) die Grundlagen für die Veränderung gelegt worden. Am 17. Dezember 2009 unterzeichnete der kleine Staat eine weitere Vereinbarung mit der Europäischen Union, um den Euro als eigene Währung einzuführen. Art. 8 der Vereinbarung besagt: »Der Staat Vatikanstadt verpflichtet sich, durch direkte Umsetzung oder etwaige gleichwertige Schritte alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, damit die im Anhang dieser Vereinbarung aufgeführten EU-Rechtsakte und -Vorschriften in folgenden Bereichen umgesetzt werden: […] Verhinderung von Geldwäsche, Betrug und Fälschung von Bargeld und bargeldlosen Zahlungsmitteln.« Damit übernahm der Vatikan auch die förmliche Verpflichtung, die europäischen Vorschriften zu Finanzinstrumenten und zum Zahlungsverkehr zu übernehmen. Dies geschah aber nicht, was den Unmut unter den Beobachtern und den Brüsseler Beamten weiter anwachsen ließ.
Der Personalwechsel erstreckte sich auch auf den Aufsichtsrat des IOR, dessen Funktion dem eines Vorstands gleichkommt und in dem vier Mitglieder neu bestellt wurden: Carl Anderson, Großmeister der US-amerikanischen Kolumbusritter, ein unergründlicher Mensch; der ehemalige Vorstand der Deutschen Bank Ronaldo Hermann Schmitz, der über einflussreiche Beziehungen auf dem alten Kontinent verfügt; der spanische Bankier Manuel Soto Serrano; und der Vorstand des Credito Valtellinese, der Italiener Giovanni De Censi.
Der Professor für Bankenrecht und Anwalt beim Kassationsgerichtshof sowie Berater der Banca d’Italia war auch Mitglied der italienischen Delegation in der FATF, der internationalen Financial Action Task Force gegen die Geldwäscherei und somit des Gremiums, das den Antrag des Heiligen Stuhls auf Aufnahme in die sogenannte White List zu beurteilen hat, die Liste der Länder mit transparentem Finanzwesen. Vom Januar 2011 bis zum Mai 2014 war er auf Weisung Benedikts XVI. Mitglied im Vorstand der Vatikanischen Finanzinformationsbehörde AIF.
Condemi und De Pasquale sind die Verfasser des Leitfadens, den die Banca d’Italia 2008 genau zu diesem Thema veröffentlicht hatte: Lineamenti della disciplina internazionale di prevenzione e contrasto del riciclaggio e del finanziamento del terrorismo [Grundzüge der internationalen Regelwerke zur vorbeugenden Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung]. Das Buch setzte in der italienischen Finanzwelt Maßstäbe. Zwei Jahre später fertigte der stellvertretende Leiter der Unione Cristiana Imprenditori Dirigenti [Christliche Union leitender Unternehmer] daraus ein Handbuch für Bankangestellte an, das vom italienischen Bankenverband ABI herausgegeben wurde.
Nicora ist 1937 in Varese geboren und schloss 1959 an der Università Cattolica in Mailand sein Jurastudium ab. Darauf trat er in das Priesterseminar der Erzdiözese Mailand ein. Nach der Priesterweihe am 27. Juni 1964 studierte er Theologie und wurde bald zum Bischof ernannt. In den 1980er-Jahren, zu Zeiten der Regierung von Bettino Craxi, unterzeichnete er die Konkordatserneuerung zwischen der katholischen Kirche und dem italienischen Staat. Er wurde zum Bischof von Verona und anschließend zum Präsidenten der APSA ernannt, der Güterverwaltung des Kirchenstaates. Johannes Paul II. hob ihn 2003 in den Kardinalsstand. Er nahm an den Konklaven von 2005 (Wahl Ratzingers) und 2013 (Wahl Bergoglios) teil. Nicora stand in besten Beziehungen zum damaligen italienischen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti, dem gegenüber er sich stets herzlich zeigte, was für einen sonst eher zurückhaltenden und einsilbigen Kardinal wie ihn recht ungewöhnlich war.
Zu ihnen gehörte auch der italoamerikanische Anwalt Jeffrey Lena, der sich geschickt zwischen den Geistlichen zu bewegen wusste. Nicora wunderte sich über Lenas Selbstsicherheit. Bei einem befreundeten Mitarbeiter des Staatssekretariats erkundigte er sich nach der Berechtigung, mit der dieser Anwalt sich um Termine mit sämtlichen hochgestellten Persönlichkeiten der Kurie bemühte und sich Informationen über die AIF zu beschaffen versuchte. Wer hat ihn geschickt, und vor allem: zu welchem Zweck? Offiziell kommt Lena ebenso wie sein Kollege Marco Briamonte, Ciprianis Verteidiger, von der Anwaltskanzlei Grande Stevens, einer der größten in Italien. Früher stand diese Kanzlei dem Heiligen Stuhl sehr nahe und betreute auf dessen Mandat heikle Angelegenheiten. Von Bertone erhält Lena den förmlichen Auftrag, Nachforschungen anzustellen, um herauszufinden, wer sich Anfang des Jahres 2012 an Vatileaks beteiligt hatte, als erstmals interne Papiere in der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano erschienen waren. Lena führt eigenständige Nachforschungen durch, ruft aber in der überschaubaren vatikanischen Gemeinschaft Verwunderung hervor, teils wegen seiner plumpen Cowboy-Manieren, teils wegen seines Akzents.
An einem Beispiel lässt sich dieser Schachzug besser verdeutlichen. In Italien wird die Arbeit der Banken im Einlagen- und im Kreditgeschäft sowie bei Investitionen von der Banca d’Italia überwacht. Diese Institution ist eigentlich von der politischen Macht unabhängig. Doch Pleiten und Skandale italienischer Kreditinstitute aus jüngster Zeit, Monte dei Paschi di Siena, Banca Etruria und Banca Popolare di Vicenza, haben Zweifel daran aufkommen lassen, wie unabhängig die Inspektionen der Bankenaufsicht von den politischen Machthabern tatsächlich sind. Wenn man im Vatikan versucht, die Aufgaben der AIF einzufrieren und diese neue Behörde direkt dem Staatssekretariat zu unterstellen, ist das, als würde man die Banca d’Italia der Kontrolle durch den Regierungschef unterordnen. Damit würde die Zentralbank ihre Aufgabe nicht mehr eigenständig und unabhängig wahrnehmen können. Dabei handelt es sich um einen unausweichlichen Kerngrundsatz: Die Zentralbank hat nämlich zu überwachen, dass der Schatzminister keine öffentlichen Ausgaben tätigt, die zu einem höheren Haushaltsdefizit und zur Geldschöpfung führen. Wenn das Staatssekretariat – das das Leben am Heiligen Stuhl bestimmt – den Überwacher überwacht, entsteht der klassische Kurzschluss: Der Überwachte prüft das Vorgehen der Überwacher und nimmt möglicherweise darauf Einfluss.
Diesen Kreditinstituten hat man die Genehmigung ihrer jeweiligen Zentralbank entzogen, die Zusammenarbeit mit der Vatikanbank fortzusetzen. Seit zwei Jahren lässt das IOR beispielsweise die Fragen von J. P. Morgan zu einem bei einer seiner Filialen eröffneten Konto unbeantwortet.
Der am 30. Oktober 1938 in Porto Alegre in Brasilien geborene Ronaldo Hermann Schmitz ist Manager und Bankier in Deutschland. Nach dem Studium der politischen Ökonomie an der Universität Köln und einem Master in Business Administration beim Insead in Fontainebleau übernahm er verschiedene Führungspositionen in Vorständen von Unternehmen wie BASF und der Metallgesellschaft. Bei der Deutschen Bank war er von 1991 bis 2000 Vorstandsmitglied und Vizepräsident. Er ist Mitglied globaler Thinktanks wie des Institute for Advanced Study und der Trilateralen Kommission.