Keine Frage, verlassene oder menschenleere Straßen und Plätze haben ihren eigenen Reiz, auch für unsere Zeichnungen. Doch Menschen interessieren sich für Menschen, auch in Zeichnungen. Die Stimmung ist eine andere, ob du eine Szenerie mit oder ohne Personen zeigst. Und wenn schon nicht Menschen – ein kleiner Vogel hat bereits eine große Wirkung. Deshalb möchte ich dir ein paar Tipps an die Hand geben, wie du mit etwas Übung und wenigen Strichen Lebendigkeit in deine Zeichnungen bringen kannst.
Menschen und Tiere haben allerdings eine Eigenschaft, die vor allem Neulinge schnell ins Trudeln bringt: Sie bewegen sich auch mal. Und vor allem dann, wenn wir noch nicht fertig sind mit der Skizze!
Deshalb empfehle ich dir, dich vorher mit verschiedenen Körperhaltungen und -proportionen vertraut zu machen und mit einigen Trockenübungen zu beginnen. Schau dir an, wie Menschen aussehen, die gehen, stehen oder sitzen. Beobachte ihre Körperhaltungen. Dasselbe gilt für Tiere. Du kannst auch nach Fotos zeichnen, sie sogar durchpausen, um ein Gefühl für die menschlichen Proportionen zu bekommen.
Nach dem Beobachten versuche im zweiten Schritt, sie zu skizzieren, vielleicht zunächst am Küchentisch zu Hause. Damit wirst du dich draußen sicherer fühlen und kannst ruckzuck eine Zeichnung vervollständigen, wenn dein Modell schon über alle Berge ist.
1. Um menschliche Körper zu visualisieren, genügen für den Anfang bereits einfache Formen wie Kreise, Rechtecke und Dreiecke. Guck mal, ungefähr so:
2. Aus diesen Grundformen lassen sich verschiedene Personen gestalten. Eine zieht vielleicht einen Rollkoffer, eine andere hat eine Umhängetasche oder einen Blumenstrauß hinterm Rücken versteckt. Denk dir etwas aus, es ist ganz leicht.
3. Eine andere Variante, die du ausprobieren kannst, sind diese Strichfiguren, die fast ausschließlich aus einer stark vereinfachten Silhouette bestehen.
Achtung Kopf! Fast alle, die das noch nie geübt haben, zeichnen ihn zu groß. Der Mensch ist kein Lolli. Ganz im Gegenteil. Der Kopf passt von seiner Länge her etwa sieben bis acht Mal (bei extrem großen, schlanken Menschen) in die gesamte Körperlänge. Denke deshalb vielleicht eher beim Zeichnen an eine Stecknadel mit ihrem winzigen Kopf.
Hier ist eine weitere Hilfe, mit der es dir gelingt, harmonische Skizzen von Menschen anzufertigen. Die Zeichnung zeigt dir drei Figuren mit einer Unterteilung in zwei Hälften. (Unsere Körpermitte befindet sich etwa im Schritt.) Die obere Hälfte lässt sich wiederum in drei Drittel teilen, wobei uns davon nur das oberste interessiert. Dieses macht die Länge von Kopf plus Hals aus.
Natürlich ist das eine sehr schematische Herangehensweise. Wir alle kennen Menschen, die untersetzt sind, ellenlange Beine, einen kurzen oder einen besonders langen Hals haben usw. Aber als Richtschnur für unsere Zeichnungen, insbesondere die aus dem Kopf, ist das ein hilfreicher Gedanke.
Ob Mensch oder Tier, lege dir ein paar »Kürzel« zu. Ich meine damit schnelle Skizzen, die du auswendig beherrschst, um selbst da, wo gerade niemand ist, deine Zeichnung zu verstärken.
Vielleicht probierst du auch verschiedene Stile aus?
Großen Spaß macht es, sich an die Motive »heranzukritzeln«. Ich lasse den Stift bei dieser Methode konsequent auf dem Papier und versuche gleichzeitig, die Person (oder das Tier) in kreisenden Bewegungen einzufangen. So vermeide ich, dass meine Figuren wie Holzpuppen durchs Bild staksen. An Lebewesen gibt es nun mal keine geraden Linien! Am leichtesten fällt es meistens, stehende Menschen zu skizzieren. Deshalb beginne am besten mit ihnen. Dazu zeichne ich immer zuerst den Kopf und im Anschluss den Körper.
Kritzeln funktioniert auch mit Tieren. Die Variationsbreite ist in der Stadt nicht allzu groß, daher ist ein kleines Repertoire an Hunden, Katzen und Vögeln sicherlich machbar. Bei den Hunden und Katzen hat es mir riesigen Spaß gemacht, sie etwas skurril darzustellen, während die Enten so harmonisch und rund im Gras hockten.
Bei diesen bunten Frauen habe ich mit der Außenkontur begonnen, wodurch sich ihre Proportionen auf interessante Art verschoben haben. Einige habe ich koloriert, andere nicht. Die Gesichter sind komplett ausgespart. Da sie sehr auffällig gekleidet sind, könnten sie Zuschauerinnen bei einer Modenschau sein.
Kommen wir zu Menschen in Bewegung und was dabei zu beachten ist. Ein Merkmal beim Gehen ist, dass unsere Arme dabei leicht mitschwingen, und zwar entgegengesetzt zur Bewegung unserer Beine. Somit lassen sich Menschen in Bewegung einfach durch ein zurückgenommenes Bein visualisieren, das auf unserer Zeichnung im Gegensatz zum vorderen verkürzt ist. Gleiches gilt für den nach hinten schwingenden Arm auf der gegenüberliegenden Seite.
Mit der Zeit bekommst du ein Gefühl für die entsprechenden Körperhaltungen. Es wird dir zunehmend leichter fallen, sie mit einigen Linien einzufangen und kann deinen Zeichnungen mehr Würze geben. (Ich wende das gern in Zeichnungen an, die mir noch ein wenig nichtssagend vorkommen. Ein Hund, ein Mensch oder ein Käfer können ausreichen – und schon wendet sich das Blatt!)
Seit ich den Bogen raus habe, sind bei Menschen in Bewegung die radfahrenden mein Lieblingsmotiv. Ja, wirklich! Besonders, wenn die Personen auf uns zu oder von uns wegfahren. Denn was können wir beobachten? Wir sehen einen Reifen, der einem Strich gleicht. Darauf setzen wir den Lenker wie eine Gabel mit zwei Zacken. Von dem Menschen auf dem Fahrrad sind über dem Lenker Kopf, Oberkörper und Hände zu sehen. Die Beine sind durch das Treten der Pedale unterschiedlich lang, aber ebenso einfach wie alles andere mit jeweils einem Strich darzustellen.
Um mir die Position oder Bewegung einer Figur zu verdeutlichen, hilft mir die Konzentration auf eine imaginäre Kontur, die sich durch die entsprechende Bewegung ergibt. Ich habe dir das hier anhand einer eingezeichneten roten Linie verdeutlicht.
Hier habe ich weitere Menschen in Alltagssituationen gesammelt – beim Joggen, beim Hund ausführen, Spazierengehen ... Dafür kannst du es dir auf einer Bank in belebter Umgebung bequem machen. Versuche, deine Linien sparsam zu setzen und nicht zu sehr ins Detail zu verfallen.
Akzente kannst du später mit Farben setzen, so wie ich das hier bei einigen getan habe. Wichtig für die Form ist hierbei wieder das Lasieren sowie das Aussparen der hellsten Stellen.
1. Kommen wir noch einmal zurück zu den Tieren. Enten im Gras sind ein dankbares Motiv, da sie oft lange stillhalten. Ich beginne mit einem Oval für den Körper und setze dann Hals und Kopf an.
2. Sparsame Lasuren auf der lichtabgewandten Seite sowie ein paar Zeichnungen auf dem Gefieder folgen.
3. Ergänzt habe ich die Zeichnungen durch einige Striche mit Fineliner, wobei ich mich wieder an der Schattenseite orientiert habe. Abschließend kamen ein paar grüne Flächen mit Aquarellfarbe hinzu, auf die ich nach dem Trocknen mit Buntstift Striche gesetzt habe.
1. Wir haben hier bis jetzt mit Linien gearbeitet, aber das Zeichnen von Menschen funktioniert auch flächig. Vielleicht probierst du es einfach mal aus, denn damit werden deine Menschen »organisch rund« und wirken wie von selbst natürlich. Du verwendest eine wässerige Lösung einer Farbe deiner Wahl und tastest dich mit dem Pinsel an die Formen heran. Je verdünnter die Farbe ist, umso besser lässt sie sich gegebenenfalls noch korrigieren durch Anlösen und Wegtupfen.
2. Je nach Bildkomposition kann dies schon ausreichen, um deine Zeichnung zu beleben. Für mehr Ausdruck kannst du aber auch im zweiten Schritt Linien ergänzen und so deine Modelle noch besser formen. Zum Beispiel fand ich die Beine der Frau rechts etwas zu wuchtig, was ich mit dem Stift korrigiert habe.
Mit der Fläche zu beginnen, funktioniert besonders gut bei sich bewegenden Menschen wie zum Beispiel diesen beiden Radfahrenden. Nach einem großzügigen Klecks brauchte es nur noch ein paar Hilfslinien. Entscheidend sind die unterschiedlich langen Beine zur Verdeutlichung der Tretbewegung.
Oder diese beiden gehenden Frauen unten links. Siehst du, wie sie ins Gespräch vertieft sind? Sie kommen auch gut ohne zusätzliche Linien aus.
Unten rechts habe ich eine ganze Gruppe erst flächig mehrfarbig angelegt und anschließend mit ein paar Buntstiftstrichen verfeinert. Durch das Setzen von Hauttönen und farbiger Kleidung ist der Eindruck noch lebendiger.
Wie viel Mensch oder Tier darf es denn im Sinne von detaillierter Wiedergabe sein? Ich würde sagen, es kommt drauf an. Zum Beispiel auf deine Bildkomposition. Ist sie eher locker und skizzenhaft, könnte eine exakt ausgearbeitete Studie merkwürdig wirken, oder? Genauso umgekehrt: Du hast eine Szene voller Einzelheiten gezeichnet, in der nun schemenhafte Wesen herumgeistern.
Doch alles ist relativ. Frage dich am besten: Worauf lege ich meinen Schwerpunkt? Indem wir etwas detailgetreu zeigen oder eben nicht, gewichten wir auch unterschiedlich. Und das womöglich völlig absichtlich. Schau dir beispielsweise meine Zeichnung der New Yorker Fähre an, auf der die Menschen um den Fotografen herum nur angedeutet sind.
Manche Situationen wollen wir einfach unbedingt mit dem Stift festhalten: Wie sich Verkäuferin und Kunde am Marktstand unterhalten, einen Vater, der seinem Kind die Butterstulle auspackt, oder Menschen, die in einem Café sitzen.
Du merkst schon, hier spielt nicht nur der Ort eine Rolle, sondern auch die Menschen, die sich dort aufhalten. Aber Personen aus der Nähe zeichnen …? Und wenn die das auch noch merken?
Frag dich doch einfach, wie das für dich wäre. Du sitzt in einem Restaurant, und am Nebentisch hat jemand das Skizzenbuch aufgeschlagen und zeichnet offensichtlich dich. Fühlst du dich beobachtet und würdest vorher gern gefragt werden? Machst du dir Sorgen, dein Porträt könnte in den sozialen Medien auftauchen? Oder bist du neugierig und würdest gern mal gucken?
Also, eins sollte klar sein: Alles, was mit Ähnlichkeit zu tun hat, veröffentlichen wir ungefragt nirgends und wahren die Persönlichkeitsrechte. Ansonsten finde ich das Zeichnen von Personen ok, solange wir sie nicht in eine unangenehme Situation bringen oder aufdringlich wirken. Nett fragen kann da schon helfen.
Im Übrigen gibt es die guten alten Tricks, sich unsichtbar zu machen. Du kannst eine Sonnenbrille tragen, dich verdeckt in eine Ecke setzen und vor allen Dingen: das beiläufige Gucken trainieren. Dein Blick schweift beim Skizzieren also immer mal so hierhin und dahin …
Zum Glück für uns Zeichnende sind die meisten Menschen mit ihren Smartphones beschäftigt und bekommen wenig von ihrer Umwelt mit. Dieser Mann zum Beispiel. Ich habe ihn mit wenigen Bleistiftstrichen skizziert und anschließend sparsam koloriert.
Für einen natürlich aussehenden hellen Hautton verwende ich Rot und Gelb (zum Beispiel Lasurdunkelrot und Chinacridongoldton) und vermische die beiden Töne mit viel Wasser. Nicht erschrecken, wenn das zu rötlich erscheint. Auf dem Papier wirkt es anders. Ansonsten ergänze mit mehr Rot oder Gelb, je nachdem.
Das Paar mit dem Kinderwagen, die Joggerin und den Radfahrer kennst du bereits von meinen Skizzen oben. Hier habe ich sie noch einmal farbig ausgearbeitet.
In New York sind mir diese beiden ins Gespräch vertieften Polizisten aufgefallen. Ich habe ein Foto gemacht und es später in eine Zeichnung umgesetzt. Ich denke, sie vor Ort zu zeichnen, hätte für mich ganz schön unangenehm werden können.
Inmitten vieler anderer Mitfahrenden steht ein Tourist auf, um die Freiheitsstatue auf Liberty Island, im New Yorker Hafen, von der Fähre aus zu fotografieren. Diese puristische Zeichnung hat mir besonderen Spaß gemacht, da ich hier hemmungslos gekritzelt habe. Nach einer Vorstudie mit Bleistift habe ich mit ein paar Buntstiften Akzente gesetzt.
Es kam mir darauf an, genau diese beiden Motive – Tourist und Freiheitsstatue – in den Fokus zu nehmen und die anderen Menschen an Bord in den Hintergrund treten zu lassen. Dies gelingt wunderbar, indem sie unkoloriert bleiben. Ebenso habe ich vermieden, den Himmel zu zeichnen und das Wasser nur am Ufer durch ein paar Spiegelungen angedeutet.
1. Indem wir Menschen also in einen Kontext bringen, erzählen wir eine Geschichte. Die Figuren auf dieser Doppelseite kennst du bereits. Aber das Paar mit dem Kinderwagen geht nun mit seinem Hund am Rhein spazieren, der auf eine appetitanregende Möwe trifft. Der Rhein in Nahaufnahme findet sich auf der rechten Seite wieder, was zusammen ein stimmiges Ganzes ergibt.
2. Im zweiten Schritt habe ich die Zeichnungen mit Headlines und Texten ergänzt. Der Fernsehturm, als beliebtes Wahrzeichen von Düsseldorf mit rotem Herzchen versehen. Der Hund mit eindeutiger Denkblase, das Wort »Rhein« mit passender Wellensymbolik. Auf der rechten Seite sollte der Text nicht zu dominant erscheinen, daher in Bleistift. Die Möwe habe ich in ihren Konturen noch verstärkt und ein paar Vögel am Himmel fliegen lassen. (Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin!) Zufällig passen die Motive auf beiden Seiten auch noch farblich sehr harmonisch zusammen.
Nicht alle meine Skizzenbuchseiten sehen so ordentlich und durchchoreografiert aus wie in diesem Beispiel. Und das muss auch gar nicht sein. Wenn du aber ab und zu Lust auf eine »schöne Seite« hast, gibt es Möglichkeiten, im Vorfeld zu testen, ob dir eine Gestaltung gefällt. Zum Beispiel, indem du Textausschnitte oder farbige Papierschnipsel in entsprechender Größe auf deiner Seite platzierst und probeweise hin und her schiebst. Oder du verwendest eine digitale Gestaltungsapp wie Procreate. Damit hast du die Möglichkeit, mit Anordnung, Größe und Ausschnitten deiner Zeichnungen zu experimentieren.