SEHENSWÜRDIGKEITEN SIND LANGWEILIG

Das ist ja wohl eine steile These, was? Und es handelt sich hier wirklich auch nur um meine private Meinung, die ich gleich wieder relativieren werde.

Ich oute mich als Reisende, die in Paris nicht ansatzweise in der Nähe des Eiffelturms gewesen ist und in Florenz den Uffizien keinen Besuch abgestattet hat. (Dafür war ich nur für Klees Goldfisch in der Hamburger Kunsthalle.) Es gibt mir nichts, etwas nur deshalb zu tun, weil man das so macht und dafür auch noch stundenlang anzustehen. Viel lieber gehe ich dahin, wo es ums Essen geht: Markthallen, Kneipen, sogar Supermärkte interessieren mich im Ausland brennend. Dann habe ich das Gefühl, Land, Leute und ihre Besonderheiten besser kennenzulernen und Neues zu entdecken.

Was ich damit sagen will: Erlaube dir doch bitte auch beim Zeichnen dem nachzugehen, was dich interessiert. Ich will dir nicht reinreden, solltest du das Bedürfnis haben, zum Beispiel eine Seite mit den »Must-Sees« einer Stadt zu füllen. (Eine tolle Idee übrigens.) Aber man wird das »typisch Zürcherische« auch ohne das Grossmünster in deinen Zeichnungen erkennen. Womit wir wieder beim Essen wären …

Damit kriegt man mich immer. Meine Tochter lacht schon, wenn ich in Zürich unbedingt eine Cervelat essen muss. (Das hat nichts mit der deutschen Cervelatwurst in Scheiben zu tun, sondern ist eine Grillwurst mit einem knusprigen Bürli (Brötchen) dazu.) Solche Gerichte, und sind sie noch so einfach, sind Highlights für mich und deshalb besonders, weil ich sie nur an diesem Ort oder in diesem Land bekomme.

Dazu gehört auch das Käsefondue. Es schmeckt mir in der Schweiz am besten, auch wenn es bereits überall in Deutschland zu bekommen ist. Jedenfalls das Abgepackte im Supermarkt. In der Schweiz gibt es »Hausmischungen« einzelner Geschäfte, oder man lässt sich gleich seine eigene Mischung frisch herstellen.

(Falls du dich fragst, was ein Rindfleisch-Curry mit der Schweiz zu tun hat: Das hat mir meine Tochter dort gekocht, daher gehörte es mit auf die Schweizer Doppelseite.)

Aber bevor ich mich weiter in Kulinarischem verliere – Ruchbrot (unten links) ist übrigens auch etwas, das ich in Deutschland noch nie gesehen habe – kommen wir doch noch einmal zurück zur Gestaltung.

Wie du siehst, habe ich meine Mahlzeiten mit Aquarellfarben koloriert und mit Fineliner beschriftet. Ein weiteres Stilmittel sind die eingestreuten unkolorierten Details wie Besteck, ein Käsestück, ein Brot usw. Sie beleben die beiden Seiten, schaffen zusätzliche inhaltliche Verbindungen zu den Motiven und veranschaulichen sie. Gleichzeitig wollte ich damit ein Überladen der Seiten vermeiden. Es sollte noch etwas Luft zirkulieren.

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Hier eine weitere Doppelseite mit Lieblingsgerichten, die ich unterwegs und auf Reisen gerne esse. Du kennst das vielleicht, dich auf Gerichte zu freuen, die du schon einmal an einem bestimmten Ort genossen hast. Bist du wieder dort, brauchst du gar keinen Blick in die Speisekarte zu werfen, weil du bereits weißt, was du essen möchtest. Oder es geht dir wie mir bei dieser Zeichnung. Du entdeckst die leider so selten gewordenen Königsberger Klopse auf der Karte, eins deiner Lieblingsgerichte, bestellst sie und … Tja. Schmeckt eben doch nicht wie bei meiner Oma. Oder meinem Mann, der die vegane Variante perfekt drauf hat. Ein Fall fürs Skizzenbuch. Und so habe ich mir meine idealen Klopse gezeichnet.

Genauso wie den perfekten Hamburger, bei dem ich nie verstehen werde, was das mit dem Brötchen soll. Sieht zwar schön aus, schmeckt aber leider meistens nicht. Das Ossobuco werde ich immer mit meiner Sprachreise nach Florenz verbinden. Ich bemühte mich, meine Bestellung auf Italienisch aufzugeben – und der Kellner antwortete mir auf Englisch!

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Siehst du, das meinte ich mit der Überschrift »Sehenswürdigkeiten sind langweilig«. Es gibt so viel mehr als das, was im Reiseführer steht: deine Erlebnisse, Erinnerungen und was du mit bestimmten Orten in Verbindung bringst. Und das kann manchmal eine einfache Bratwurst sein.

Gegessen wird auch in den USA: oft, reichlich und bei jeder Gelegenheit. Im New Yorker Jazzclub Blue Note fand dies tatsächlich während des Konzerts statt. Die ganze Zeit war Besteckgeklapper zu hören! Ich saß an der Bar mit Blick auf den Speiseraum und war sprachlos. Daran erinnert mich immer wieder diese kleine Skizze. Manchmal reichen eben schon ein, zwei Stifte, um eine Erinnerung festzuhalten.

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Jetzt aber Schluss mit dem Essen und hin zu den Sehenswürdigkeiten.

Für den Düsseldorfer und die Düsseldorferin gibt es – besonders beim Heimkommen nach längerer Abwesenheit – nichts Herzerwärmenderes als der Blick auf den Fernsehturm. Und da ich hier einige Jahre verbracht habe, möchte ich dieses Bedürfnis natürlich auch entsprechend würdigen.

Ich habe dafür eine etwas ungewöhnliche Perspektive gewählt: Eine Straßenlaterne mit Vögeln steht im Vordergrund. Da sie lediglich als Outline gezeichnet ist, überlässt sie dem Fernsehturm – der sich ihr liebevoll zuneigt – dennoch die Bühne. Einen Farbklecks bringt das an der Laterne befestigte Schild mit hinein.

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TIPP

Schiefe Bauwerke können aus der Not heraus auf unserem Papier entstehen, wenn kein Platz mehr ist und wir sie uns zurechtbiegen. Oder einfach nur so, weil es unserer Zeichnung etwas Lockerheit gibt.

Der Kirchturm von Sankt Georg in Hattingen ist allerdings tatsächlich schief.

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Hier siehst du die Düsseldorfer Tonhalle und seitlich rechts davon das NRW-Forum im Ehrenhof, ein Ausstellungs- und Veranstaltungsort. Ich habe zunächst wieder flächig gearbeitet, um im zweiten Schritt Details der Gebäude, Menschen und die Fahnen einzufügen. Auf dem linken Rasenstreifen siehst du ein paar weiße Streifen, wo vorher ein paar Flanierende gezeichnet waren, die perspektivisch nicht so ganz auf Kopfhöhe waren. Wir sprachen darüber beim Thema Perspektive.

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An dieser Reiterskulptur, dem Ulanendenkmal am Düsseldorfer Joseph-Beuys-Ufer, hat mich die Sicht von unten nach oben stark gereizt. Durch die 15 Meter hohe Stele können wir dem Pferd auf den Bauch und unter die Hufe schauen. Die insgesamt sechs Beine (wovon zwei kaum zu sehen sind) in die richtige Anordnung zu bringen, war ein großes Vergnügen.

TIPP

Vermeide beim Zeichnen Gedanken wie »Das ist kompliziert«. Sieh es lieber als Experiment, und nutze immer wieder Gelegenheiten, Motive aus ungewöhnlichen Blickwinkeln zu studieren.

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Meine Lieblingsskulptur in Düsseldorf steht auf dem Burgplatz. Es ist die »Stehende Frau«von Hannelore Köhler. Vor einigen Jahren wurde sie mutwillig zerstört, konnte aber zum Glück wieder restauriert werden. Ihre harmonische Form und ihr freundliches Lächeln sind eine Bereicherung für die Altstadt. Ich habe sie schon oft gezeichnet und bestimmt nicht zum letzten Mal.

1. Hier habe ich einen Fineliner und einen Brush Pen verwendet. Die Skulptur ist mit Aquarellfarbe koloriert. Ich habe ein Violett verwendet, um einfach mal vom üblichen steingrau abzuweichen. Im Hintergrund ist der Schlossturm zu sehen.

2. Für die weitere Gestaltung habe ich erst überlegt, nur an der Skulptur zu arbeiten und Menschen sowie Schlossturm als Linien unkoloriert stehen zu lassen. Die Wirkung fand ich wenig überzeugend. Wahrscheinlich, weil die »Stehende Frau«dafür zu mittig auf meiner Seite platziert ist und dadurch langweilig wirken würde. Durch die farbliche Gestaltung von Turm und Bäumen verschiebt sich der Schwerpunkt nach rechts und macht es interessanter.

Nun war da noch der gepflasterte Platz im mittleren Bereich mit einer gewissen Leere. Die Grautönung als Lasur half noch nicht. Steine zu zeichnen hätten es mir zu unruhig gemacht. Also habe ich ein Stück Rasen dazu erfunden, dessen Grün sich gut in Beziehung zu den Bäumen setzt.

Unten links siehst du eine weitere Version, die ich sehr mag. Sie ist während eines Urban Sketcher Treffens entstanden, zu erkennen an meiner Mitzeichnenden im Hintergrund.

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Dort entstand auch die Zeichnung des Radschläger-Brunnens. Die Skizzen passen von ihrem Strich und ihrer Farbgebung gut zusammen. Es ist ihnen irgendwie anzusehen, dass sie am selben Tag entstanden sind, oder?

Wo wir schon bei Skulpturen sind, zeige ich dir noch zwei andere, die ich beide bei meinem Spaziergang am Rhein entdeckt habe. Die Plastik »Großer Kopf« von Trude Esser versteckt sich fast im Gebüsch und zeigt uns einen männlichen Kopf, dessen Gesicht auf interessante Art zu groß für seinen Schädel ist. Ich habe ihn seitlich und von vorn porträtiert.

Die Frau, die ein Gefäß auf dem Kopf balanciert, ist Teil eines Brunnens, der sich im Rheinpark befindet.

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TIPP

Zur Andeutung des Materials bei steinernen Skulpturen setze ich gern ein paar Pünktchen, die das Poröse wiedergeben. Wenn ich sie nicht gerade violett koloriere, verwende ich gern Grau-, Grün- oder Beigetöne.

So könnte eine Doppelseite mit Denkmälern und Skulpturen in Düsseldorf aussehen. Zweimal habe ich dasselbe Objekt, »Stehende Frau« und »Großer Kopf«, aus verschiedenen Blickwinkeln gezeichnet. Wenn du an so etwas Spaß hast, lassen sich auch noch mehr Details finden wie angebrachte Schilder, steinerne Nasen, Ohren und Münder – eben alles, was dein zeichnerisches Interesse weckt. Variiere die Proportionen und setze beispielsweise ein großes Detail neben eine kleinere Gesamtansicht deines Motivs.

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An diesem Bauwerk, der Washington Bridge in New York, haben mich der Aufbau und die Struktur gereizt. Ich habe die Brücke zeichnerisch nah herangezoomt und versucht, mit meinem Stift die Konstruktion zu verstehen. Der dazugehörige Fluss hat es deshalb nicht aufs Bild geschafft. Er wurde mit Namen und Symbolen daneben vermerkt – auch hier wieder als gestalterisches Element. Und auch wenn es nur ein kleiner angedeuteter Fisch ist, bringt er Leben ins Bild.

Auf eine andere Art schafft es auch das vor dem Moulin Rouge in Paris parkende Baufahrzeug, mehr Spannung ins Motiv zu bringen. Man sollte meinen, so etwas Profanes habe dort im Bild nichts zu suchen. Ich finde: »Doch!« und mixe gern Alltägliches mit dem Schönen. Krümel auf der Tischdecke, eine Fliege auf dem Kuchen, Mülltonnen neben einem Restaurant ... (Und ich bin schon wieder beim Essen!)

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1. Machen wir nun einen Ausflug nach Paris. Die Basilika Sacré-Cœur auf dem Montmartre ist für diese Stadt eines der Wahrzeichen schlechthin. Aber keineswegs abgegriffen für uns Zeichnende! Wenn du dich an unsere Torten-Übung erinnerst, kommst du hier voll auf deine Kosten. Türme, Kuppeln, Fenster – und von allem reichlich.

Ich war vor einiger Zeit mit meiner Tochter dort und habe sie gleich mit ins Bild genommen. Im ersten Schritt siehst du, dass das Kirchengebäude dabei in den Hintergrund tritt. Durch meine Tochter vorn und einige weitere Menschen auf den Treppenstufen entsteht Räumlichkeit. Erste Lasuren sorgen für Farbe.

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2. Dann ging es an die Details des Gebäudes mit schwarzem Fineliner. Dabei habe ich mich an der Anzahl der Türme orientiert und die Fensteranzahl passend dazu gemacht. Es folgten Linien für die Treppen und ein paar mehr Menschen. Die tun einer Zeichnung immer gut.

3. Hab keine Angst, du könntest bei solch komplexen Motiven etwas falsch machen. Mit deinen Zeichnungen entsteht auch immer deine Interpretation der Wirklichkeit. Niemand wird ein Foto daneben legen und kontrollieren, ob das alles der Realität entspricht. Was zählt, ist die Stimmigkeit des Gesamteindrucks. Beim Betrachten eines Bauwerks zählen wir auch nicht die Fenster.

4. Im letzten Schritt bekam die Basilika einige sparsame Farbakzente. Es hingen dort rote Plakate, die sich als Kontrast sehr gut machten, vor allem zu dem Blau des Mantels und den blonden Haaren meiner Tochter im Vordergrund. Die Kuppeln habe ich grau lasiert, und ein wenig Türkis und Hellblau am Gebäude und den Statuen ergänzt. Auch die Menschen weit hinten treten farblich zurück. Einige sind farblos geblieben, um das Bild nicht zu überladen. Einzig der Mann mit Rucksack ist noch ausgestaltet und schafft damit eine Überleitung zwischen Vorder- und Hintergrund.

Beim Bildaufbau gab es für mich ähnliche Überlegungen wie bei der »Stehenden Frau«. Zu starke Symmetrie wirkt schnell langweilig. Durch die Platzierung meiner Tochter als Hauptmotiv rechts neben der Bildmitte habe ich dem vorgebeugt.

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Als ich neulich in einer Stadt, deren Namen ich nicht nennen werde, auf den Bus wartete, dachte ich: Ist das hässlich hier! Und schon hatte ich wieder ein Motiv für mein Skizzenbuch. Nichts ist perfekt, das darf sich auch in unseren Zeichenmotiven widerspiegeln. Und ich wette, gerade diese Objekte werden dir besonders großen Spaß machen.

1. Doch im ersten Schritt konzentrierte ich mich mit meinem Fineliner auf Linien und Winkel. Alle Motive habe ich stark vereinfacht und damit das Statische betont.

2. Ich empfand die Atmosphäre durch die Ansammlung von Beton und Stein als berauschend trostlos. Da bot sich Grau geradezu als Grundfarbe an; mit einer ersten Aquarelllasur in Grau bei vereinzelten Elementen sowie dem Setzen des Schattens im Vordergrund. An der Mauer unterhalb des Autos erkennst du ein angedeutetes Graffiti in Weiß. Dort hatte ich vor dem Lasieren etwas weißen Wachsmaler (ein weißer Kerzenstummel geht auch) aufgetragen. Das Fett lässt die wässerige Farbe abperlen und das mit Wachs gezeichnete Motiv hervortreten.

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3. Ich ergänzte die Zeichnung mit gebrochenen Grün- und Blautönen, um den trüben Eindruck, den ich von dieser Ansicht hatte, zu verstärken. Wie du vielleicht im vorherigen Schritt gesehen hast, entstand rechts oben durch die Bildkomposition ein leeres Dreieck, das die Stromleitung in Verbindung mit dem anstoßenden Dach bildete. Ich habe es mit blauem Himmel gefüllt und so ein Gegengewicht geschaffen.

Was hältst du davon, mit ein paar Strichen für mehr Struktur und mit einer Katze für eine gewisse Niedlichkeit zu sorgen? Ich habe es einfach ausprobiert. Damit wirkt die Szenerie gar nicht mehr so trostlos, oder?

TIPP

Für die gebrochenen Töne mische ich die reinen Farben mit »Palettenschmutz«, also Farbmischungen, die sich in meinem Farbkastendeckel angesammelt haben.

Ich wasche den Deckel fast nie, denn diese Farbtöne sind hilfreich, um Natürlichkeit zu erzielen. Farben direkt aus deinen Näpfchen sind dagegen strahlend, wirken aber manchmal recht künstlich. Was natürlich durchaus beabsichtigt sein kann.

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4. Hier ein weiteres Experiment, für das die »rosa Brille« zum Einsatz kam. Ich habe die Zeichnung aus dem ersten Schritt noch einmal neu koloriert. Was Farbtöne doch für unterschiedliche Wirkungen erzielen können. Dazu noch ein paar lockere Striche und Bögen auf den Häusern und Dächern als Gestaltungselemente. Und hast du die kleinen Vögel gesehen, die von den Dächern zwitschern?

TIPP

Einen rosafarbenen Himmel setze ich gern ein, wenn ich mein Bild etwas in der Wirkung pushen möchte. Die Wirkung ist jedes Mal spektakulär (vor allem mit Opernrosa) und für Betrachtende unerwartet. Genauso kannst du andere poppige Farben einsetzen wie Türkis, Maigrün, Zitronengelb usw.

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