Über kaum einen Berliner Stadtteil zerreißen sich die Medien so das Maul wie über Prenzlauer Berg, eines der schönsten Gründerzeitviertel der Stadt.
„Bionade-Biedermeier“, „Pregnancy Hill“, „Latte-Macchiatisierung“, „Gutmenschenbiotop“, „Mutti-Spießertum“ - Lifestyle-Journalisten aus ganz Deutschland schmückten ihre Beschreibungen zu Prenzlauer Berg in den letzten Jahren mit immer gewagteren Wortschöpfungen. Und das Stadtmagazin Zitty prüfte gar schon die gängigen Klischees über die hiesigen Familien mit der Überschrift „Anatomie eines Feindbildes“.
Der Stadtteil hat im Laufe seiner Existenz erstaunliche Wandlungen durchlebt. Aus dem traditionellen Arbeiterviertel wurde zu DDR-Zeiten ein Rückzugsort der Unangepassten und Bürgerrechtler, die in verfallenen Altbauten, oft ohne Bad und nur mit Außentoilette, lebten, liebten und debattierten. Zu ihnen gesellten sich nach der Wende - ähnlich wie in Friedrichshain - all jene, die die Abenteuer der Jugend suchten, dazu die nachts aktive und tags verkaterte Boheme. Sie ließen sich in den maroden Altbauwohnungen nieder - mit oder ohne Mietvertrag. Es war eine aufregende Zeit, improvisierte Kneipen eröffneten an allen möglichen und unmöglichen Orten, manche nur über Dächer oder Kellerlöcher erreichbar, weil der eigentliche Hauseingang zugemauert war.
Das alles ist passé. Der Gentrifizierungshammer hat in „Prenzlberg“ so zugeschlagen wie nirgendwo sonst in der Stadt. Die meisten Straßenzüge des im Krieg von Bomben weitestgehend verschonten Stadtteils wurden saniert und aufpoliert. Steigende Mieten führten zu einem fast kompletten Austausch der Bevölkerung. Die wenigen verbliebenen Altbewohner haben heute Nachbarn, die man stereotyp so skizzieren kann: Akademiker, um die 40, politisch korrekt, Hornbrille, das neueste Smartphone und Kind im Designerbuggy. „Wir sind ein Volk! Und Ihr seid ein anderes“ wurde schon gegen die Zugezogenen plakatiert. „Stuttgart-Sindelfingen: 600 Kilometer. Ostberlin wünscht gute Heimfahrt“: Solche Shirtaufdrucke sind kein Witz! Vor allem in den Schwaben sehen viele Ossi-Urgesteine die westdeutsch-spießbürgerliche Vereinnahmung des Stadtteils personifiziert. Dass tatsächlich aber mehr Sachsen oder Niedersachsen in Prenzlauer Berg leben, interessiert dabei nicht.
Gewiss, Prenzlauer Berg ist in den letzten Jahren immer ruhiger, schicker und braver geworden. Man entspannt mit Yoga und gönnt dem Vierbeiner Bio-Hundekekse. Aber hausbacken? Sicher nicht. Prenzlauer Berg ist, v. a. rund um den Kollwitzplatz, den Helmholtzplatz und entlang der Kastanienallee, in erster Linie charmant. Hier lehnt man sich zurück in Cafés und Bars mit fantasievollen Namen, geht shoppen in Lädchen junger Berliner Designer und besucht Restaurants mit außergewöhnlichen kulinarischen Konzepten. Eines aber fehlt dem am dichtesten besiedelten Viertel Berlins: schöne Grünflächen.