185Nachwort des Herausgebers

Die nackte Wahrheit im Kontext der Metaphorologie Blumenbergs

Die Metaphorologie ist eines der zentralen Projekte in Hans Blumenbergs Philosophie, heute vielleicht sogar das prominenteste und wissenschaftlich folgenreichste. Ursprünglich ist es im Umfeld seiner Arbeiten zu einer Geistesgeschichte der Technik entstanden. Ludwig Landgrebe gegenüber hat Blumenberg noch im Mai 1958 die »begriffsgeschichtlichen und metaphorologischen Dinge« sogar als bloße »Hilfsarbeiten zu diesem Projekt« bezeichnet.[1] Daher findet sich die erste kurze metaphorologische Notiz auch in dem Vortrag »Technik und Wahrheit«, den Blumenberg zunächst 1952 vor Kollegen in Kiel, dann im August 1953 auf dem XI. Internationalen Kongreß der Philosophie in Brüssel gehalten hat und der noch im selben Jahr in den Kongreßakten erschienen ist.

Manfred Thiel, der Redakteur von Studium generale, jener interdisziplinären Zeitschrift, in der Blumenberg im Laufe der 1950er Jahre seine ersten wichtigen Fachartikel veröffentlicht hat, plante 1955 ein Heft mit dem Schwerpunkt »Sehen« und suchte dafür unter anderem nach Autoren zum Thema »Lichtsymbolik«. In diesem Zusammenhang fragte er seinen inzwischen bewährten Autor, ob er nicht solch einen Artikel für die Philosophie übernehmen könnte. Thiel verwies dabei explizit auf die Überlegungen in »Technik und Wahrheit«, die ihn zu seiner Anfrage angeregt hätten. Blumenberg sagte umgehend zu, und 1957 erschien im 10. Heft des Jahrgangs sein erster ausführlicher Text zur Metaphorologie: »Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung«. Schon im Jahr darauf stellte er bei der Senatskommission 186für Begriffsgeschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Entwurf für eine umfangreichere Arbeit vor, deren Druckfassung dann 1960 unter dem Titel »Paradigmen zu einer Metaphorologie« in Archiv für Begriffsgeschichte veröffentlicht wurde.[2] Die Resonanz war zunächst verhalten, auch wenn gerade dieser Text später zu einer von Blumenbergs meistrezipierten Arbeiten geworden ist.

In den folgenden Jahren schoben sich zwar andere Themen in den Vordergrund, dennoch wurde die Metaphorologie nicht ganz aufgegeben. So überarbeitete und erweiterte Blumenberg zum Beispiel das vorletzte Kapitel der Paradigmen – »Metaphorisierte Kosmologie« – für den abschließenden Teil seines ersten eigentlichen Buchs, der Aufsatzsammlung Die kopernikanische Wende, die 1965 erschien. Zentrale Texte wurden in den Folgejahren dann auch die »Beobachtungen an Metaphern« von 1973 und ein 1976 erschienener Aufsatz zur Philosophie Georg Simmels, »Geld oder Leben«.[3]

Schon seit den späten 1960er Jahren dachte Hans Blumenberg über eine ausführliche Neufassung seiner Metaphorologie nach; so schreibt er im Februar 1967 an Harald Weinrich, daß er, sobald die »Paradigmen« vergriffen seien, an eine überarbeitete Version gehen wolle, da er zu dem ursprünglichen Ansatz inzwischen ein distanziertes Verhältnis habe. Und im November 1971 erwähnt er auch gegenüber Fritz Schalk diesen Plan und konkretisiert ihn sogar so weit, daß er nicht nur noch einmal auf die Licht-Thematik zurückkommen wolle, sondern zudem ein neues Kapitel zur Zuschauer-Metaphorik im Auge habe.[4]

Seit dieser Zeit versah er die Metaphorologie darüber hinaus stärker mit anthropologischen Vorzeichen und erweiterte den 187Fokus gleichzeitig mit dem Ziel einer allgemeinen Theorie der Unbegrifflichkeit, wovon eine im Sommersemester 1975 an der Universität Münster gehaltene Vorlesung Zeugnis gibt.[5] Auf dieser Grundlage kam es dann ab 1976 zu Verhandlungen mit dem Suhrkamp Verlag über die Frage, wie eine Aktualisierung der Metaphorologie in Buchform aussehen könnte. Weil andere Arbeiten seine Zeit stark beanspruchten, sah sich Blumenberg nicht in der Lage, in einem Zug an der Neufassung zu arbeiten. Man einigte sich daher auf eine Publikation in mehreren Fortsetzungen, wobei pro Jahr ein Band erscheinen sollte.[6]

Parallel dazu trat Ende der 1970er Jahre der Ullstein Verlag mit der Idee einer Neuauflage der »Paradigmen« in der Reihe »Materialien« an Blumenberg heran. Er zog das zunächst ernsthaft in Erwägung, fühlte sich aber verpflichtet, seinen eigentlichen Verleger, Siegfried Unseld, zu fragen, ob etwas gegen eine solche Publikation spräche. Unseld hatte keine prinzipiellen Einwände gegen die Idee, fand sie sogar sehr gut, hätte den Band nur lieber im Suhrkamp Verlag selbst publiziert. Diese Anregung wollte Blumenberg aber nicht aufnehmen, denn die Distanz zu dem alten Text war eher noch gewachsen, eine Wiederauflage war nur unter sehr bestimmten, eingeschränkten Bedingungen für ihn denkbar. In einem anderen Verlag hätte der Paradigmen-Band einen dokumentarischen Charakter und damit auch einen historischen Index erhalten. Bei Suhrkamp wäre aber die Anmutung einer aktuellen Arbeit nicht zu vermeiden gewesen und der Reprint in Konkurrenz zum Neuansatz geraten. So ließ Blumenberg die Idee einer Neuauflage insgesamt fallen.[7]

Die mit Siegfried Unseld vereinbarte Neufassung der Metaphorologie sollte schließlich drei Bände umfassen.[8] Der erste Band erschien 1979 als Schiffbruch mit Zuschauer, eine verhältnismäßig schmale Studie, die aber mit einem verallgemeinernden »Ausblick 188auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit« abschließt, dem theoretischen Kondensat seiner Ideen, das Blumenberg ursprünglich für den von Anselm Haverkamp herausgegebenen Sammelband Theorie der Metapher geschrieben hatte.[9] Da sich das Erscheinen dieses Readers, für den er ausnahmsweise doch den Nachdruck einiger Passagen aus den »Paradigmen« erlaubte (und so seine Theorie in einer Art Vorher-Nachher-Bild präsentierte), aber verzögerte, hatte sich Blumenberg vorausschauend den anderweitigen Gebrauch des Texts vorbehalten. So konnte er ihn in den ersten Band seiner neuen Metaphorologie in Gestalt eines Anhangs mit aufnehmen und das alte Projekt nicht nur praktisch, sondern in einer ersten Skizze auch theoretisch reformulieren.

Als zweiter Band der geplanten Trilogie erschien 1981 – nun schon deutlich umfangreicher – Die Lesbarkeit der Welt. Ein dritter Band sollte kurz darauf folgen. Für dessen Thema gab es aber wechselnde Kandidaten. Zunächst ist in der Korrespondenz mit dem Verlag ein Band zum Bereich der nackten Wahrheit in der Diskussion.[10] Später tritt dann etwas zur Metaphorik von Quellen und Strömen in den Vordergrund, wovon Blumenberg etwa 1981 in einem Brief an Hans-Georg Gadamer spricht.[11] Dieses Metaphernfeld hatte er schon in einem Abschnitt seines Aufsatzes »Beobachtungen an Metaphern« untersucht.[12]

Keiner der beiden Bände ist jedoch zu Lebzeiten erschienen, ohne daß die Gründe dafür deutlich geworden sind. Blumenberg hatte die Idee jedoch nicht ad acta gelegt, sondern weiter an dem Projekt gearbeitet; einige Indizien sprechen dafür, daß er dabei die Konzeption noch einmal verändert hat und nun sogar von einem auf fünf Bände erweiterten Projekt ausging. Als sein amerikanischer Übersetzer Robert Wallace, nachdem er die großen wissenschaftshistorischen Hauptwerke von Blumenberg ins Englische übertragen hatte, 1985 darüber nachdachte, ob er nun eine englische Version der Lesbarkeit der Welt folgen lassen sollte, berichtete er seinem Autor von dieser Idee in einem Brief, verbun189den mit der Überlegung, zur Einstimmung der angelsächsischen Leserschaft einen anderen Band vorzuschalten: eine Sammlung mit verschiedenen kleineren Texten. Im Zentrum sollte eine Version der »Paradigmen« stehen, gekoppelt vielleicht mit dem Aufsatz »Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik«[13] und dem kurzen Buch »Schiffbruch mit Zuschauer« mit dem darin enthaltenen »Ausblick«.

Blumenberg winkt aber nicht zuletzt wegen der »Paradigmen« ab; er erwähnt Wallace gegenüber seine Ablehnung einer Neuauflage im Suhrkamp Verlag, an die er sich nun auch mit Blick auf andere Verlage gebunden fühlt. Sein inhaltliches Urteil über die alte Arbeit fällt inzwischen sogar noch schärfer aus: »Nicht nur, daß dieser Text überholt ist – nach einem Vierteljahrhundert! –, er ist auch schlecht.« Dann aber weiht er Wallace in den Stand seiner Pläne ein: Er will den »Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit« zum Ausgangspunkt »einer erneuerten Metaphorologie im Rahmen der Theorie der Unbegrifflichkeit […] machen. Aber anders als für den Leser, wie Sie sein Interesse an vorausgehender Information über die Theorie sehen, möchte der Autor zuerst mehr konkrete Stücke des Konzepts erarbeitet und vorgelegt haben, ehe er ›seine‹ Theorie daraus zieht. Mein Plan ist daher, zunächst (1986) die ›Höhlenausgänge‹ drucken zu lassen (die nahezu fertig sind), dann ›Quellen und Ströme‹ (1987) – bereits als Vorlesung fertig –, schließlich den großen Komplex der ›Wahrheitsmetaphorik‹ (1988), der auch in kleineren Portionen in den Hörsaal gekommen ist (und wo der Rückstand der ›Paradigmen‹ von 1960 peinlich spürbar wird). Danach wäre es so weit, die theoretische Summe dieser Arbeiten zu ziehen und die ›Paradigmen‹ endgültig zu ersetzen.«[14]

Als Blumenberg 1985 im Brief an Wallace sein Vorhaben skizzierte, war der Band über die Wahrheitsmetaphorik also noch am wenigsten weit fortgeschritten. Er hat die Arbeit daran aber in den folgenden Jahren weiter vorangetrieben. Im Nachlaß findet sich ein umfangreiches Typoskript von 161 Seiten mit der Sigle DNW, das nun dieser Edition zugrunde gelegt ist.

Wie üblich hat Blumenberg wohl auch für diesen Text seine 190Gedanken zunächst vor Publikum ausprobiert. Zur »Metaphorologie« hat er in Münster eine Zeitlang jeden zweiten Winter eine Vorlesung angeboten: die erste im Wintersemester 1978/79, dann 1980/81 und schließlich 1982/83. An Wallace schrieb Blumenberg, daß er in dieser Vorlesung »in kleineren Portionen« auch schon über die nackte Wahrheit gesprochen habe. Das war vermutlich im Wintersemester 1982/83 der Fall, denn auf den Rückseiten der Karteikarten, auf denen er sein Material sammelte und die die Vorstufe zu dem Manuskript bilden, stehen als Benutzungsvermerk Daten, die in diese Zeit fallen. Diese Karteikarten verweisen auf ein nicht überliefertes kürzeres Manuskript von 32 Seiten, das auch schon die Sigle DNW getragen haben muß. Die dort im einzelnen besprochenen Autoren sind im wesentlichen dieselben, die im späteren, längeren – und hier zugrunde gelegten – Manuskript behandelt werden, sogar in derselben Reihenfolge der Kapitel. So beginnen die Vermerke auf den Karteikarten im August 1982 mit vier Seiten zu Nietzsche, werden im September mit vier Seiten Freud fortgesetzt und erstrecken sich dann kontinuierlich über die Wintermonate bis in den Februar 1983, für den zwei Seiten zu Voltaire verzeichnet sind. Im Juli 1984 folgt als Nachzügler sogar eine Seite zu Kierkegaard. Nur die im endgültigen Typoskript enthaltenen Kapitel über Kafka, Pascal und Lessing haben in der Karteikartensammlung noch keine Spuren hinterlassen. Das mag aber einfach daran liegen, daß die entsprechenden Karten dazu an einer anderen Stelle absortiert sind, etwa weil Blumenberg sie noch für einen weiteren Kontext benutzen wollte, denn für die Seiten DNW 10/11 und 19/20 gibt es keine Vermerke auf den Karteikarten. Plausibel ist hingegen, daß sich noch nichts zu Lichtenberg finden läßt, denn alles deutet darauf hin, daß Überlegungen zu diesem Abschnitt in der Tat erst in eine spätere Zeit fielen.

Zu den Datierungen auf den Karteikarten passen allerdings die Angaben in den Produktionslisten nicht. Blumenberg führt zwischen 1971 und 1985 tag- und seitengenau Buch über den Fortgang seiner Manuskripte. In diesem Verzeichnis sind die ersten Vermerke für DNW auf den 13. 9. 1982 datiert, also einen Monat später als auf den Karteikarten. Auch an dem dort verzeichneten Manuskript arbeitet Blumenberg in Abständen immer wieder bis zum 14. 1. 1983, danach folgen nur noch vereinzelte Einträge: 21. 3. 1983, 23. 7. 1984, 1. 8. 1984 und 7. 8. 1984.

191Man kann also vermuten, daß es zunächst ein kürzeres Manuskript für den Gebrauch in den Vorlesungen gab – wie weit es ausformuliert war, bleibt unklar –, Blumenberg sich aber nur wenig später an die Abfassung des längeren, uns überlieferten Manuskripts gesetzt hat. Demnach hätte er bis zum 30.12.1982 am Nietzsche-Kapitel gearbeitet, ab Januar 1983 dann am Freud-Teil, wenn auch nun mit geringerer Intensität. Wann die ausformulierten Passagen der späteren Fassung entstanden sind, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, da die Produktionslisten im Oktober 1985 enden.

Unklar ist auch, inwieweit es sich bei dem vorliegenden Typoskript um eine definitive Endfassung handelt. Denn keinen der Pläne und kein Briefzitat Blumenbergs darf man für die absolut gültige Formulierung eines in Stein gemeißelten Vorhabens halten. Eines der Hauptprobleme bei Editionen aus Blumenbergs Nachlaß besteht darin, daß der Autor unaufhörlich mit seinen Texten experimentierte, sie auch immer wieder neu zusammengestellt und jeweils in anderen Kontexten erprobt hat. Dennoch scheint die Wallace gegenüber erwähnte Reihung der letzte Stand eines konkreten Plans gewesen zu sein, auch wenn es noch weitere Texte zu anderen Metaphernfeldern im Nachlaß gibt.

Daß Blumenberg seine neue Theorie der Unbegrifflichkeit nach einigen konzeptuellen Revisionen am Ende doch wieder mit einem Band zur Wahrheitsmetaphorik abgeschlossen hätte, ist auch methodisch naheliegend. Denn in dieser Thematik wird das Projekt der Metaphorologie auf besondere Weise sich selbst zum Gegenstand und verweist in vielen Passagen schon auf die »theoretische Summe«, die Blumenberg gegenüber Wallace erwähnt, aber wohl nie separat ausformuliert hat. Dieses Metaphernfeld ist auch das einzige, das er aus den »Paradigmen« wieder aufnimmt, weiter ausformuliert und in der Gesamtstruktur umakzentuiert. Schon in dem älteren Text hat der Abschnitt zur nackten Wahrheit die Funktion, die Frage nach der Relevanz der Metaphorologie selbstreflexiv, also seinerseits im Feld der Metapher zu stellen. Denn da für Blumenberg Wahrheit nicht etwas Absolutes ist, sondern ein pragmatisches Mittel, um in den Wirklichkeiten, in denen wir leben, zu bestehen, und die oft zu Unrecht verachtete Rhetorik in diesem Zusammenhang ihre neue Aktualität und Berechtigung hat, ist es nur konsequent, diese zu pragmatischen Zwecken rhetorisch gekleidete Wahrheit und ihren Gegenpol, die nackte Wahr192heit, vor allem auch in ihrer metaphorischen Dimension zu untersuchen.

Bemerkenswert ist der Aufbau des überlieferten Typoskripts. Folgt er schon einem bewußten Kompositionsprinzip wie die zu Lebzeiten publizierten Bände, oder ist er noch von den Kontingenzen der Materialsammlung bestimmt? Denn anders als in dem entsprechenden Abschnitt in den »Paradigmen«, der zwar einige prägnante Positionen vorwegnimmt, im Wesentlichen aber eine ideengeschichtliche Denkentwicklung skizziert, folgt die Argumentation im vorliegenden Text keiner historischen Chronologie. Man kann in der fortwährenden Brechung der historischen Linie ein Indiz für Blumenbergs zunehmende Skepsis gegenüber der Annahme linearer Entwicklungen sehen oder auch nach einer anderen Darstellungslogik suchen. Der Aufbau scheint jedenfalls einer bewußten Entscheidung zu folgen und nicht das kontingente Ergebnis von sich über mehrere Jahre erstreckenden Lektüren zu sein, denn schon die in einem Zug geschriebene Vorfassung aus dem Winter 1982/83 zeigt dieselbe Struktur.

Der Text bedarf sicher im einzelnen noch intensiver Interpretationsarbeit, festhalten läßt sich aber, daß mit seiner Publikation nun zum ersten Mal sichtbar wird, wie die Gesamtidee einer von Blumenberg geplanten Neufassung seiner Metaphorologie ausgesehen haben könnte. Nach der Edition von Quellen, Ströme, Eisberge liegt nun mit Die nackte Wahrheit der Schlußstein dieser neuen Metaphorologie vor – jedenfalls soweit Blumenbergs Überlegungen dazu gediehen waren.

Überlieferung des Typoskripts

Das Typoskript mit dem Titel Die nackte Wahrheit und der Sigle DNW ist im Deutschen Literaturarchiv Marbach in zehn Mappen archiviert. Die ersten drei Mappen enthalten ein durchpaginiertes Typoskript, das ursprünglich in einem blauen Schuber aufbewahrt war. Die Seiten des Konvoluts tragen die Siglen DNW 1 bis DNW 136, ergänzt durch einige eingeschobene Zusatzseiten. Das letzte Kapitel (»Lichtenberg«, DNW 137-149) fehlt hier, findet sich allerdings in einer anderen Mappe, die den Titel »Lichtenberg« trägt, dort zusammen mit weiteren – meist kürzeren – Texten über den 193Aufklärer.[15] Es ist zudem in Mappe 7 beziehungsweise 10 als Kopie enthalten. Die Mappen 5 bis 7 (ursprünglich grauer Aktendeckel) beziehungsweise 8 bis 10 (ursprünglich roter Aktendeckel) enthalten insgesamt Kopien des Typoskripts in einem früheren Korrekturstadium. Der Edition liegt die am weitesten korrigierte Fassung, die der Mappen 1 bis 3 und das Lichtenberg-Kapitel aus dem Konvolut »Lichtenberg« (beziehungsweise aus den textidentischen Fassungen der Mappen 7 und 10), zugrunde.

In Mappe 4 finden sich zwei Fassungen eines Inhaltsverzeichnisses. Die erste verzeichnet die Kapitel des Typoskripts bis zu »Die Aufklärung«, in der zweiten sind die letzten beiden Kapitel (»Kierkegaard« und »Lichtenberg«) handschriftlich ergänzt. In der zweiten Fassung ist außerdem nach dem Kapitel »Kafka« handschriftlich »UNF 2044« hinzugefügt. Das ist die Sigle für den Text »Die Wahrheitsnackten und die Wölfe im Schafspelz«; die Seite ist auch ins Manuskript ohne zusätzliche DNW-Paginierung eingegliedert und wird hier daher als eingeschobenes Kapitel mitediert.

In Mappe 4 befinden sich außer dem Inhaltsverzeichnis noch einige Materialien, so vor allem eine Reihe von Zeitungsausschnitten, aber auch noch Kurztexte aus den späten »Unerlaubten Fragmenten«:

Außerdem findet sich in Mappe 4 ein Hinweisblatt: »DNW Freud / UNF 598/600 Selbstundurchsichtigkeit (Nietzsches Kurzgeschichte vom Selbstentblößungswahn als Vorgeschichte der 194PSA)«. Da es sich bei dem vorliegenden Typoskript aber insgesamt um einen geschlossenen Text handelt, sind die Beilagen, deren Status unklar bleibt, nicht mitediert worden.

Das Inhaltsverzeichnis ohne die handschriftlichen Ergänzungen zeigt außerdem als hineinkopierte Abbildung die Zeichnung eines nicht benannten älteren Mannes. Das Bild ist aber signiert; es handelt sich danach um eine Zeichnung von Karl Doerbecker. Auf diesem Wege ist auch rekonstruierbar, daß es sich bei dem Abgebildeten um den Neukantianer Hermann Cohen handelt, und zwar um ein Bild, das dem ersten Band von dessen Aufsatzsammlung Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte[16] vorangestellt ist.

Das ist einigermaßen merkwürdig, weil Cohen in dem Typoskript an keiner einzigen Stelle erwähnt wird. Auch sonst erscheint dieser Autor im Werk von Blumenberg nur selten. Warum kopiert Blumenberg das Bild hier also in sein Inhaltsverzeichnis hinein? Gibt es einen Bezug zum Topos der nackten Wahrheit? Philipp Stoellger hat im Rahmen der Analyse der diese Figur betreffenden Stellen in den »Paradigmen« darauf hingewiesen, daß die Metaphorik in Cohens Religion der Vernunft aus der Quelle des Judentums in einer vergleichbaren Funktion erwähnt wird.[17] Blumenberg bezieht sich aber nirgends aktiv auf diese Schrift.

Wie die meisten der späteren Typoskripte, ist auch dieses von Blumenberg zunächst diktiert und dann von seiner Sekretärin abgetippt worden. Davon zeugen noch die Bleistiftnotizen am Rand, die angeben, wann ein neues Band begonnen hat. Das so erstellte Typoskript ist offensichtlich mehrmals korrigiert worden. In einem ersten Gang sind einige wenige, meist nur in einem Wort bestehende Ergänzungen mit der Maschine der Sekretärin gemacht worden. Eingeschobene Blätter finden sich nur wenige, sind aber mit derselben Maschine wie der Haupttext geschrieben. Von diesem Manuskriptzustand hat sich Blumenberg die beiden Kopien anfertigen lassen, die ohne weitere Bearbeitungsspuren im Archiv überliefert sind.

195In einer zweiten Korrekturrunde hat Blumenberg umfangreichere Änderungen und Ergänzungen vorgenommen, teils handschriftlich, teils aber auch mit seiner eigenen – an der kleineren Type erkennbaren – Maschine. Dabei handelt es sich um längere Einschübe, zuweilen über mehrere Seiten mit separater Paginierung. Diese Korrekturen sind allerdings nicht mehr durchgehend. Ihren Stand erkennt man nicht nur an den Einfügungen im Text selbst, sondern auch an den Seitenzahlen, die, wenn die Seite korrigiert worden ist, mit einem Häkchen versehen worden sind. Auf solche Art gekennzeichnet sind die Kapitel über Nietzsche, Freud, Kafka, Pascal, Fontenelle, Aktaion und der Anfang des Abschnitts »Die Aufklärung«, so daß der Textbestand dieser Passagen als ziemlich gesichert, das heißt von Blumenberg autorisiert, gelten kann. Da es manchmal offensichtlich zu Hörfehlern bei der Sekretärin kam,[18] sind kleinere inhaltliche Fehler also vor allem in den unkorrigierten Teilen nicht ganz auszuschließen. An einigen wenigen Stellen waren solche Hörfehler evident und sind stillschweigend korrigiert worden.

Blumenberg schrieb natürlich noch nach alter Rechtschreibung, allerdings verfuhr er hier nicht immer konsequent, auch dort nicht, wo er das Typoskript schon durchkorrigiert hat. Für die vorliegende Ausgabe ist Blumenbergs eigener Text durchgehend in alter Rechtschreibung wiedergegeben. Die Zitate sind, soweit es möglich war, an den von Blumenberg benutzten Ausgaben überprüft worden und folgen diesen in Orthographie und Interpunktion. Weicht Blumenberg im Typoskript davon ab, so ist das in der Regel stillschweigend korrigiert worden, es sei denn Blumenberg hat sich dazu ausdrücklich verhalten (etwa durch den Vermerk »Schreibung normalisiert«).

Insgesamt wurde versucht, die Eigenheiten der Blumenberg’schen Schreibungen und Konventionen zu erhalten, ihn aber nicht unnötig zu musealisieren. Die Texte sollen immer auch als Beiträge zu einer sachlichen Thematik lesbar sein. Daher war es in einigen Fällen wünschbar, den von Blumenberg benutzten, teilweise kaum noch zugänglichen Ausgaben heute gängige Ausgaben an die Seite zu stellen. In wenigen Fällen war nicht ermittelbar, welche Ausgabe Blumenberg genau zitiert hat. Dann wurde nach einer gängigen 196Ausgabe nachgewiesen. Insgesamt sind alle Passagen in eckigen Klammern Ergänzungen des Herausgebers.

Die eingeschobenen Seiten (im Typoskript mit a, b etc. paginiert) wurden so in den Fließtext integriert, wie Blumenberg das vermerkt hatte. An drei Stellen war allerdings aus den Angaben nicht ersichtlich, ob diese längeren Passagen ebenfalls in den Text eingeschoben oder als Anmerkungen gedruckt werden sollten. Zwar sind längere Fußnoten eher Ausnahmen in Blumenbergs Texten, dennoch sind die fraglichen Passagen hier doch nicht in den Textfluß eingefügt worden,[19] da der weitere Verlauf der Argumentation im Anschluß an den jeweiligen Einschub unmotiviert gewirkt hätte, so daß es um einiges plausibler erscheint, die Ergänzungen als Anmerkungen zu lesen.[20]