Eine Geschichte der rassistischen Fetischisierung
Sir Mix-a-Lots Smash-Hit »Baby Got Back« von 1992 war eine ironische Verbeugung vor den Körpern Schwarzer Frauen – ein akustisches Fuck you! an all die superdünnen weißen Frauen, die das westliche Schönheitsideal bestimmten. Das Video beginnt mit zwei weißen Mädels, die den Körper einer Schwarzen Frau kritisieren und sie mit einer »Prostituierten« vergleichen.[1] Auch wenn »Baby Got Back« oft als alberner Spaß-Rap abgetan wurde, gelang es dem Song doch, die Aufmerksamkeit auf zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit Herkunft, Sexualität und Frauen zu lenken, die auch sechsundzwanzig Jahre später noch ungeklärt sind: die Dominanz weißer Menschen in der Beauty-Industrie, die Marginalisierung der Schwarzen Stimme und die Hypersexualisierung von Women of Colour, allen voran die Schwarzer Frauen.
Der Hauptfokus liegt in diesem Kapitel auf der historischen Sexualisierung Schwarzer Frauen durch weiße Siedler. Ich bin eine weiße Frau und nicht in der Position, über die Erfahrungen Schwarzer Frauen zu sprechen. Ich weiß nicht, wie es ist, eine Schwarze Frau in einer Welt zu sein, die Schwarze Körper fetischisiert. Aber ich bin Historikerin, und ich sehe Parallelen in der Sprache, die weiße Siedler nutzten, um über Women of Colour zu sprechen (und sie zu entmachten), und modernen Bootylicious-Narrativen. In diesem Kapitel soll weder die Fetischisierung von Women of Colour fortgeführt noch irgendeine Art Statement zu Schwarzer Kultur abgesetzt werden. Hier geht es darum, wie weiße Menschen im Lauf der Geschichte die Körper Schwarzer Frauen betrachtet, kommentiert und in Besitz genommen haben, insbesondere in Bezug auf deren Genitalien.
Als die ersten Menschen aus Europa nach Afrika kamen, stießen sie auf eine Kultur, die sich von der ihren in so gut wie jeder Hinsicht unterschied. Aber eines, das den sexuell unterdrückten römisch-katholischen Entdecker*innen sofort auffiel, war die Tatsache, dass die Afrikaner*innen ihre Du-sollst-nicht-Doktrin nicht teilten.
Heinrich der Seefahrer (1394 – 1460) erreichte im Jahr 1441 von Portugal aus die westafrikanische Küste. Er war in einer zutiefst repressiven Kultur aufgewachsen, wo Frauen, deren Männer sie des Ehebruchs angeklagt hatten, zum Tode verurteilt wurden.[2] Afrikanische Frauen hingegen tanzten, trugen kaum verhüllende Kleidung und kannten keine sexuelle Scham. Für die zugeknöpften Europäer*innen konnte das nur bedeuten, dass sie einen gesteigerten Geschlechtstrieb haben mussten. Schwarze Frauen wurden nicht nur stark erotisiert, sie wurden auch als sexuell ungezähmt betrachtet, als Frauen, die kontrolliert werden mussten – von weißen Männern, so befand man. In A New Voyage to Guinea (1744) beschrieb William Smith afrikanische Frauen als »Damen von hitziger Natur«: »Sie verpassen keine Gelegenheit und erfinden unausgesetzt Strategien, um einen Liebhaber zu gewinnen. Wenn sie einen Mann treffen, legen sie ihn umgehend untenrum frei, werfen sich auf ihn und drohen, sie würden es sofort ihrem Ehemanne melden, wenn er sie nicht befriedigen würde.«[3] Ein britischer Bericht über den Sklavenhandel aus dem Jahr 1789 findet den Grund für die niedrige Geburtenrate bei Schwarzen Frauen in der »Prostitution aller Frauen in deren jungen Jahren, wo sie nachts von einer Siedlung zur nächsten gehen und Unruhe stiften […]«[4] Diese Texte suggerierten, Schwarze Frauen seien von Natur aus promiskuitiv, und ihre Körper schienen alle Beweise zu liefern, die weiße Siedler*innen brauchten, um das als wissenschaftliche Tatsache anzuerkennen.
Der traurige Fall der Sarah (auch Sara, Saartje oder Saartjie) Baartman (ca. 1789 – 1815) ist zum Inbegriff der Obsession weißer Westlicher mit dem Körper Schwarzer Frauen und deren schlussendlicher Kommerzialisierung geworden.[5] Baartman war eine südafrikanische Khoikhoi, die 1810 von William Dunlop, einem schottischen Militärarzt, und ihrem Dienstherren Hendrik Cesars nach London gebracht und dort als »Hottentotten-Venus«* ausgestellt wurde.
* Das Wort »Hottentotten« stammt aus dem späten 17. Jahrhundert und war die Bezeichnung der weißen Europäer*innen für die Khoikhoi in Südafrika.
Baartman war eine von mehreren Khoikhoi-Frauen, die in ganz Europa ausgestellt wurden, damit ein weißes Publikum sie begaffen konnte, aber sie wurde zur bekanntesten unter ihnen. Noch 1840 wurde eine Schwarze Engländerin namens Elizabeth Magnas in Leeds als »Hottentotten-Venus« vorgeführt, bis sie, nach sechs Jahren, an Alkoholismus starb.
Was fanden die weißen Europäer*innen so faszinierend an diesen Frauen? Das waren ihre Körper, besonders ihre Gesäße und ihre Genitalien. Die Steatopygie ist eine genetische Besonderheit, die sich häufig bei den Khoisan (Bevölkerungsgruppen, zu denen die Khoikhoi und die San gehören, Anm. d. Ü.) in Südafrika findet. Dabei sammeln sich beträchtliche Mengen an Fett um Gesäß und Schenkel an. In den Augen weißer Europäer*innen hatten Frauen wie Sarah Baartman und Elizabeth Magnas übermäßig große Hintern, und das reichte als Rechtfertigung dafür, sie in Freakshows zu stecken.
Als sei es eine Rechtfertigung für die Behauptung, Schwarze Frauen seien sexuell freizügig, beschrieben Reiseschriftsteller wie François Le Vaillant (1753 – 1824) und Sir John Barrow (1764 – 1848) afrikanische Frauen als mit großen Gesäßbacken und hypertrophen, hervorragenden Vulvalippen ausgestattet, die man auch »Hottentotten-Schürze« nannte. François Le Vaillant berichtete ausführlich von seinen Versuchen, südafrikanische Frauen dazu zu bringen, ihm ihre Genitalien zu zeigen: »Verwirrt, verlegen und zitternd bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen, ließ zu, dass ihr Schurz gelöst wurde, und erlaubte mir, nach Belieben zu betrachten, was meine Leser selbst in den exakten Abbildungen, die ich angefertigt habe, sehen werden.«[6] In seinen Travels into the Interior of Southern Africa (1806) beschreibt Barrow das Gesäß und die Schenkel einer Khoisan als »Vorsprung, der aus Fett besteht, und wenn die Frau lief, sah es so albern aus, wie man es sich nur vorstellen kann, jeder Schritt begleitet von einem Zittern und Beben, als hätte man hinten zwei Berge Wackelpudding befestigt«[7].
Solch einem Publikum wurde Sarah Baartman vorgeführt. Auf der Bühne trug Sarah enge, fleischfarbene Kleidung, Halsketten aus Perlen und Federn und im Mund eine Pfeife. The Times berichtet 1810: »Sie trägt eine Farbe, die der ihrer Haut so stark wie möglich ähnelt. Ihre Kleidung soll die Form ihres Körpers genau nachzeichnen, und die Zuschauer werden sogar eingeladen, dessen Besonderheiten genau zu untersuchen.«[8] Auch damals schon verursachte die Vorstellung, eine Frau würde wegen ihres Hinterns ausgestellt, einen Aufruhr, und viele Menschen setzten sich für Sarahs Freiheit ein. Zachary Macaulay (1768 – 1838), Aktivist in der Antisklavereibewegung, und die African Association schafften es, Sarahs Fall 1810 vor Gericht zu bringen, wo ein Anwalt sie über mehrere Stunden lang einem Kreuzverhör unterzog, um herauszufinden, ob sie ihrer Behandlung zustimmte. William Dunlop, der Militärarzt, der sie für die Ausstellungen nach London gebracht hatte, durfte während Sarahs Aussage im Gerichtssaal bleiben, und er förderte sogar einen Vertrag zwischen ihm und Sarah zu Tage, in dem sie sich als mit ihren Arbeitsbedingungen einverstanden erklärt hatte.[9] Wir werden nie erfahren, ob Dunlops Anwesenheit Sarah daran hinderte, sich anders zu äußern, aber sie sagte dem Gericht, sie stehe unter »keinerlei Zwang« und sei »glücklich in England«.[10] Der Fall wurde zu den Akten gelegt.
Sarah wurde weder jemals nackt ausgestellt, noch erlaubte sie es französischen Chirurgen, ihre Genitalien zu untersuchen, als man sie 1814 ans Palais Royal verkaufte. Nach ihrem Tod mit sechsundzwanzig Jahren aber sezierte Georges Cuvier (1773 – 1838) Sarahs Leichnam und veröffentlichte im Anschluss einen detaillierten Bericht über dessen Anatomie. Dieser Bericht ist weithin bekannt, genau wie dessen ausführliche, voyeuristische Beschreibung von Sarahs Vulva, ihres Gesäßes und Gehirns – das er mit dem eines Affen verglich.[11]
Cuvier konservierte ihr Gehirn und Skelett und steckte ihre Genitalien in ein Probenglas. Von Baartmans Körper wurden mehrere Gipsabgüsse angefertigt, genau wie ein Wachsabdruck ihrer Vulva, die alle bis 1974 im Muséum national d’Histoire naturelle ausgestellt waren. Nelson Mandela, ehemaliger Präsident von Südafrika, sorgte im Jahr 2002 für die Rückführung von Baartmans Körper und der diversen Abgüsse von Frankreich nach Südafrika, und so fand Sarah in der kleinen Stadt Hankey in der Provinz Ostkap schließlich ihre letzte Ruhe.
Die Hottentotten-Venus
In einem der Räume des Muséum national d’Histoire naturelle wird nun ein Gipsabguss der Hottentotten-Venus angefertigt, die vorgestern an einer Krankheit verstarb, die nur drei Tage angedauert hatte. Ihr Körper zeigte keine sichtbaren Spuren dieser Krankheit, lediglich einige rötlich braune Flecken an Mund, Beinen und Körperseiten. Ihr Umfang und die enormen Wucherungen sind unvermindert, und ihr stark gelocktes Haar wurde nicht verlängert, wie es die Neger normalerweise bei Krankheit oder Tod tun. Das Sezieren dieser Frau wird einen Beitrag zu diesem extrem merkwürdigen Kapitel in der Geschichte über die Vielfalt der menschlichen Spezies liefern.
Belfast Commercial Chronicle, 15. Januar 1816.
Das 19. Jahrhundert war das goldene Zeitalter der Physiognomie, eine erfreulicherweise inzwischen widerlegte Praxis, bei der der Charakter eines Menschen durch dessen äußerliche Erscheinung »gelesen« wird. Frühe Kriminologen wie Cesare Lombroso (1835 – 1909) vertraten die These, dass kriminelle Tendenzen durch die Untersuchung physischer Eigenschaften vorhergesagt werden könnten. Einer dieser »kriminellen« Charakterzüge, den Physiologen meinten, am Körper eines Menschen ablesen zu können, war die Hinwendung zur Prostitution. Wissenschaftler wie Adrian Charpy (1848 – 1902) führten umfangreiche Recherchearbeiten zu den Genitalien von Sexarbeiterinnen durch, die mit denen Schwarzer Frauen verglichen wurden, um daraus ableiten zu können, ob es sich hier um Frauen mit starkem Geschlechtstrieb handelte.[12] Charpy behauptete, dass sowohl Prostituierte als auch »Hottentotten« hypertrophe Vulvalippen hätten, was auf eine minderwertige Sexualität hindeute. In seinem Buch La donna delinquente von 1893 vergleicht Lombroso die Abbildungen von Körpern Schwarzer Frauen mit denen von Prostituierten, um die abartige, animalische Natur beider zu beweisen.[13]
Auch wenn es in diesem Kapitel in erster Linie um die Inbesitznahme der Genitalien Schwarzer Frauen geht, ist es dennoch wichtig anzumerken, dass Europäer*innen in gleichem Maße fasziniert (und eingeschüchtert) von den Genitalien Schwarzer Männer waren. Der Mythos des »großen schwarzen Schwanzes« oder auch BBC (big black cock), wie die entsprechende Kategorie heutiger Pornoseiten lautet, hat seine Wurzeln ebenfalls in frühester kolonialer Propaganda, Schwarze Männer seien sexuell wild, animalisch und gefährlich.** So wie die Genitalien und Gesäßbacken Schwarzer Frauen als Beweis für deren Promiskuität angesehen wurden, so belegte der Penis des Schwarzen Mannes eindeutig dessen hypersexuelle, tierische Natur. 1904 veröffentlichte Dr. William Lee Howard in der Zeitschrift Medicine den Artikel »The Negro as a Distinct Ethnic Factor in Civilization«. Dort führt Howard aus, dass die »beträchtliche Größe des Penis des afrikanischen Mannes« verhindert, dass dieser jemals so »zivilisiert« oder »moralisch« werden könne wie der weiße Mann. Er vermutet außerdem, dass die geistige Entwicklung beim Schwarzen Mann in der Pubertät endet und von da an »genetische Instinkte der dominierende Faktor in seinem Leben« wären. »Er wandelt nachts mit einem von Krankheit geschwollenen Penis durch die Gassen und infiziert seine zukünftige Braut mit derselben Nonchalance, die er eine Stunde später zur Schau stellt, wenn er mit dem niedersten seiner Rasse zusammenkommt.«[14]
** Für mehr Details zur Geschichte von Herkunft und Penis, siehe David M. Friedman, A Mind of Its Own (London: Hale, 2001).
Große Gesäßbacken und hervortretende Vulvalippen werden in dieser italienischen Studie zur weiblichen Kriminalität aus dem 19. Jahrhundert mit Promiskuität und ethnischer Minderwertigkeit in Zusammenhang gebracht.
Die Wirkung, die dieser pseudowissenschaftliche Rassismus hatte, war weitreichend und diente als Rechtfertigung für die brutale Behandlung und sexuelle Ausbeutung Schwarzer Männer und Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Militär-Propagandakampagnen der Zwanziger- und Dreißigerjahre bedienten sich aktiv dieser etablierten sexuellen Stereotypen von Frauen in den Kolonien, um europäische Männer in die dortigen Armeen zu locken.
Die Postkarten aus den Kolonien dieser Zeit betonen Brüste, ausgeprägte Gesäße und Nacktheit der Women of Colour, um deren sexuelle Verfügbarkeit für europäische Männer zu verdeutlichen. Die Frauen auf diesen Postkarten sind reine Dekoration – Requisiten, die die Kolonialmacht untermauern sollen. Sie sind auf ihre Erscheinung reduziert, genau wie es Sarah Baartman war: Gebrauchsgüter für eine weiße Abnehmerschaft.
Und es waren nicht nur Schwarze Körper, die von Europäer*innen sexualisiert wurden. Da Afrika, Asien und Amerika kolonisiert wurden, fand auch dort der Prozess der sexuellen Ausgrenzung nichtweißer Frauen als »exotisch« statt.
Postkarte aus Deutschland. Aus: Inge Oosterhoff, Greetings from the Colonies: Postcards of a Shameful Past.
Solche Postkarten verraten mehr über die kolonialen Fantasien des Fotografen als über die fotografierte Frau. Aus: Malek Alloula, The Colonial Harem.
Sarah Baartmans eigene Meinung ist nicht dokumentiert. Viele sprachen für sie oder über sie, aber ihre eigene Stimme ist uns verloren. Wir werden nie erfahren, was sie über ihr Leben, ihren Körper, ihre Situation dachte. Leider wurden uns alle Befunde über sie von weißen Männern vermittelt. Baartmans Erfahrungen mögen schockieren, aber sie sind nur ein Teil der größeren Geschichte der Sexualisierung von Women of Colour – und der Inanspruchnahme ihrer Körper zur Legitimierung ihrer Unterdrückung. Wir werden nie wissen, welche Wahl Sarah hatte, aber heute können Frauen sehr wohl entscheiden, ob sie Teil einer Geschichte sein wollen, die sie fetischisiert. Viele Frauen empfinden es als bestärkend, sich ihre Sexualität nach ihren eigenen Bedingungen zurückzuerobern, und arbeiten daran, ihre Geschichte entsprechend eben dieser Bedingungen neu zu schreiben. Doch es ist wichtig, wirklich zu begreifen, welche Geschichte es war, die den Entscheidungen von heute vorausgegangen ist.