Eine Geschichte der britischen Sexanzeige
Das Handeln mit Sex ist so alt wie die Menschheit selbst, und seit Menschen sexuelle Gefälligkeiten kaufen und verkaufen, seitdem versuchen Obrigkeiten, dies zu reglementieren – üblicherweise durch Kriminalisierung und Bestrafung. Über Jahrhunderte hinweg wurden Sexarbeiterinnen mit Geldbußen belegt, ins Gefängnis gesteckt, exkommuniziert, verbannt, verstümmelt und sogar zum Tode verurteilt. Meistens beinhaltete diese Bestrafung öffentliche Demütigungen, sie sollten die Menschen beschämen und sie so zu einem sittlicheren Verhalten bekehren. Im Augsburg des 14. Jahrhunderts beispielsweise schnitt man Prostituierten die Nase ab, wenn man sie an Feiertagen dabei erwischte, sich anzubieten.[1] Und 1713 wurde Kath Kinred, »eine bekannte Dirne«, die »drei uneheliche Kinder zur Welt« gebracht hatte, auf der Isle of Man verurteilt, »hinter einem Boot vor der Stadt Peele […] auf Höhe des Marktes« hergezogen zu werden als ein »Beispiel für andere«.[2] Trotz solcher Bestrafungen konnte noch nichts die Sexarbeit aus der Welt schaffen. Die Kriminalisierung hat den Handel lediglich erfolgreich in den Untergrund verlagert und zu gefährlichen Arbeitsbedingungen geführt. Das Dilemma für unter solchen Umständen Arbeitende lautete die gesamte Geschichte hindurch: Wie sich selber schützen und gleichzeitig Kunden gewinnen, ohne das Auge des Gesetzes auf sich zu lenken? Einer der wirksamsten Wege, dies zu tun, ist Werbung, und eine der ikonischsten und am besten zu erkennenden Formen der Sexanzeige sind die bescheidenen tart cards – leuchtend bunte Karten mit Telefonnummern, die einmal die Telefonzellen ganz Englands schmückten.
Der Post Office Act von 1953 verbot auf »irgendeine Art verunstaltende Werbung« in oder an Telefonzellen in Großbritannien.[3]
Als dieses Gesetz 1984 aufgehoben wurde, sahen geschäftstüchtige Damen ihre Chance gekommen. Obwohl Sexanzeigen noch heute in Telefonzellen überall auf der Welt gefunden werden können, haben sie besonders in Großbritannien eine Art Kultstatus erlangt und werden eigentlich immer sofort mit London assoziiert (im Norden sind die tart cards auch unter slag tags bekannt).[4] Die Neunzigerjahre waren die Blütezeit der Sexanzeigen, und alle Telefonzellen von Soho bis King’s Cross waren gepflastert mit Porno-Patchwork. Die Notwendigkeit, anfallende Produktionskosten für Text und Material gering zu halten und dennoch herauszustechen, führte zu einer wirklich einzigartigen Kunstform.
Tart cards in einer englischen Telefonzelle, 2004. Da war es bereits illegal, hier zu werben, aber die Anzeigen waren trotzdem noch sehr weit verbreitet.
Die ersten Karten wurden auf billigem Papier gedruckt und waren in einem schlichten Design gehalten, schwarze Druckfarbe auf grellbuntem (oft neonfarbigem) Grund. Kitschige Silhouetten nackter Frauen, Stilettos, Strapse oder Sexspielzeug verrieten ganz konkret die Art Service, die hier zu erwarten war. Der technische Fortschritt beeinflusste das Design der späteren Karten, die nun schicke Schriften und Hochglanzfotos erotischer Fantasiegestalten trugen, die die Lippen schürzten, sich vornüberbeugten oder verführerisch in die Kamera blickten. Sehr zur Enttäuschung der vielen Kunden, waren das selten Fotos der wirklichen Anbieterinnen, die natürlich viel zu schlau waren, als dass sie sich den Behörden in einer Telefonzelle verraten hätten.
Von der »strengen Herrin auf der Suche nach einer menschlichen Toilette« über »ungezogene Nannys«, die »besser rubbeln«, bis hin zu »Schulmädchen«, die »ein bisschen Haue« nötig hatten, war für jeden was dabei. Obwohl auch Männer mit Sicherheit Sex verkauft haben, stammten die meisten Anzeigen doch von Anbieterinnen (cis und transgender), die sich damit an Männer richteten. Die Anzeigen boten den Sexarbeiterinnen die Möglichkeit einer ersten Vorauswahl. Die einzige Kontaktinformation war eine Telefonnummer, die der Kunde anrufen konnte, um seine Wünsche zu besprechen und Zeit und Ort eines Treffens zu verabreden. Die Adresse wurde erst herausgegeben, wenn die Anbieterin entschieden hatte, dass sie den Kunden treffen wollte.
Bis 2001 waren die tart cards zu solch einer Plage in England geworden, dass der Criminal Justice and Police Act das Anbringen der Anzeigen in Telefonzellen mit einem halben Jahr Gefängnis oder einem Bußgeld von bis zu fünftausend Pfund bestrafte.[5] Hier und da findet man heute noch eine einsame Anzeige, aber seit das Handy die Telefonzelle überflüssig gemacht hat und das Internet Sexarbeiterinnen einen weitaus sichereren Raum bietet, ihre Dienste anzupreisen, sind ihre Tage gezählt.
Wir mögen glauben, dass Werbung ein sehr modernes Phänomen ist, aber Sexarbeiterinnen haben ihren Wert immer erkannt. Der literarische Blockbuster Harris’s List (1757 – 1795), der jährlich erscheinende Almanach aller Londoner Sexarbeiterinnen, war ein Meisterwerk der Selbstvermarktung. Als Vorläufer von tart card und TripAdvisor enthielt er Informationen zu Erscheinungsbild, Fähigkeiten und Preisen von bis zu zweihundert Frauen, die in der Hauptstadt Sex verkauften.
Die List war eine Zusammenarbeit zwischen Sam Derrick, einem mittelmäßigen irischen Schreiberling und Dichter, und dem Londoner Zuhälter Jack Harris. Nur neun Ausgaben der List sind erhalten (1761, 1764, 1773, 1774, 1779, 1788, 1789, 1790 und 1793), sie sind in verschiedenen Archiven auf der ganzen Welt verstreut. Es gibt eine Handvoll Nachdrucke, aber bis 2005 brauchte man schon einen Termin im Archiv und ein paar weiße Handschuhe, wenn man die List einsehen wollte. Erst als die Historikerin Hallie Rubenhold die Herkulesaufgabe vollbrachte, die List zu erforschen und sie in The Covent Garden Ladies: Pimp General Jack and the Extraordinary Story of Harris’s List (2005) zu verarbeiten, wurde sie, frisch entstaubt, wieder einem breiten Publikum zugänglich gemacht.
Wie man sich sicher vorstellen kann, war Harris’s List extrem erfolgreich, denn sie war beides zugleich, ein praktischer Sexreiseführer und Softcoreporno für diejenigen, die nicht mutig genug waren, ein tatsächliches Treffen zu arrangieren. Die Liste selber ließ die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit verschwimmen, und wir werden ihre Richtigkeit nie überprüfen können. War Mrs Howards »Hain« wirklich »weitläufig genug, um jeden Gast darin aufzunehmen«? Trank Emma in Mother Grey’s wirklich Whiskey zum Frühstück, und besaß sie wirklich einen »magischen Ring […], so begehrt wie der Stein der Weisen«? Saßen Miss Simms’ »tiefe Täler« wirklich wie »maßgefertigte Stiefel«?[6] Wir werden es nie erfahren.
Harris’s List entschied über den Erfolg der Londoner horizontal workers (1870). Wie jeder andere Beruf auch war (und ist) Sexarbeit sehr vielschichtig, und eine positive Erwähnung erlaubte es einer Frau, mehr Geld zu verlangen, sie gewann reichere Kunden für sich und konnte aufsteigen. Eine schlechte Kritik oder gar die Anschuldigung, die Pocken zu haben (wie Miss Young am Cumberland Court, die, so heißt es, »ihren verseuchten Kadaver durch die ganze Stadt« trug), konnte das Geschäft von heute auf morgen zum Erliegen bringen.[7]
Auch wenn Jack Harris’ Erzählstil nach lässigem Schlawiner klingt, der aufs Geratewohl die Freuden der Stadt erkundet, war der Auswahlprozess doch ein harter Wettbewerb, und Harris war sich des Wertes seiner List für den Markt sehr bewusst.
Die Memoiren der Fanny Murray, eine der berühmtesten Kurtisanen des 18. Jahrhunderts, geben wertvolle Einblicke in den Prozess. Harris beschrieb Murray als »ein hübsches brünettes Mädchen, das nächste Saison neunzehn Jahre alt wird […] Bereit, einen jüdischen Kaufmann aufs Beste zu versorgen«.[8] Der wohlwollende Bericht ermöglichte es Fanny, höhere Preise zu verlangen und eine bessergestellte Klientel zu bedienen. Aber sie hatte sich bei Harris bewerben müssen, um auf dessen Liste zu erscheinen. Dann wurde sie befragt und einer medizinischen Untersuchung unterzogen, außerdem musste sie zustimmen, Harris ein Fünftel des verdienten Geldes abzutreten und einen Vertrag zu unterschreiben, der festhielt, dass sie Harris zwanzig Pfund zahlen musste, falls herauskommen sollte, dass sie falsche Angaben zu ihrer Gesundheit gemacht hatte.[9]
A Harlot’s Progress ist eine Serie von sechs Stichen des englischen Künstlers William Hogarth. Die Serie zeigt die Geschichte der Moll Hackabout, die vom Land kommt und in London zur Sexarbeiterin wird. Obwohl Moll ihre Karriere als äußerst erfolgreiche Kurtisane beginnt, stirbt sie am Ende der Reihe verarmt an der Syphilis. Dieses Bild zeigt Moll, wie sie von der berüchtigten Puffmutter Mother Needham ins Rotlichtmilieu gelockt wird. 1732.
Das Ganze war also eine teure, aber mitunter lohnenswerte Investition. Harris’s List brachte die Karrieren einiger Topkurtisanen Londons in Schwung, wie die von Lucy Cooper und Charlotte Hayes. Hayes wird in der Ausgabe von 1761 sehr positiv beschrieben:
Müssten wir eine genaue Beschreibung dieser gefeierten Thais vornehmen, das heißt, würden wir auch jedes ihrer Glieder und jeden ihrer Züge als einziges Fest beschreiben, so würden diese doch einzeln nicht so wunderbar erscheinen wie alle zusammen, denn da müssen wir sie als äußerst ansprechend würdigen. In unseren Augen (nichts erkennt die Dinge besser) ist sie so begehrenswert wie eh und je.[10]
Charlotte kämpfte sich aus verzweifelter Armut bis zur erfolgreichsten Bordellwirtin Londons hoch, der des King’s Place Bordells. Als sie 1813 starb, hatte sie ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund erwirtschaftet und war ein gefeierter Star, der sich in royalen Kreisen bewegte – nicht schlecht für ein Mädchen aus der Gosse.
Neben Charlottes Leben findet auch das von Lucy Cooper in Nocturnal Revels (1779) Erwähnung, und auch von ihr gibt es in der Harris’s List-Ausgabe von 1761 eine Beschreibung.[11] Beide Frauen brachten es zu Berühmtheit und Geld, aber Lucy hatte nicht den Geschäftssinn, den Charlotte besaß, und legte nichts für schlechtere Zeiten zurück. Lucy lebte ein Leben im Exzess und sah einen ihrer wohlhabenden älteren Unterstützer nach dem anderen sterben. Von zu viel Alkohol und zu viel Party gezeichnet, gelang es Lucy jenseits der fünfunddreißig nicht mehr, diese zu ersetzen. Weil sie in ihrer Blütezeit nichts gespart hatte, konnte sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen und fand sich bald bettelarm im Schuldnergefängnis wieder. Arm und verwahrlost starb sie schließlich 1772, nur vier Jahre nachdem sie in einem Lied als die Frau verewigt worden war, mit der »alle Menschheit« schlafen wolle.
Muss Lucy Cooper sein jedermanns Stern
Stolz leuchten durch die Flure?
Muss vom Ritter bis zum Herrn
Sie haben, Höllenhure?
Ist ihre Fotze besser denn,
Dichter gelockt ihr Haar?
Dass alle Menschheit sie begehrt
Und ich sitz ohne da?[12]
Etwas mehr als hundert Jahre nachdem die letzte Ausgabe von Harris’s List erschienen war, begann New Orleans damit, die Dienste seiner Sexarbeiterinnen zu bewerben. Aus der Anordnung, alle working girls (1928) der Stadt auf eine ausgewiesene Gegend zu beschränken, wurde am 29. Januar 1897 ein Gesetz. Weil die Anordnung von Stadtrat Sidney Story vorbereitet und gefördert worden war, wurde diese Gegend bald als »Storyville« bekannt. Sie war das erste legale Rotlichtmilieu der USA und wurde bis 1917 frequentiert, dann traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein, und die Regierung verbot den Verkauf von Sex im Umkreis von fünf Meilen rund um jede Militärbasis.[13] Storyville hatte eine eigene Presse, hier wurden Reiseführer für die Gegend produziert, die Blue Books. Das älteste erhaltene Exemplar stammt aus dem Jahr 1900. Blue bezog sich dabei auf den Inhalt, nicht auf die Farbe des Buches.* Wie Harris’s List wurden auch die Blue Books in der ganzen Stadt verkauft, man bekam sie am Bahnhof, in Bars, Hotels und beim Barbier. Im Vorwort jeder Ausgabe wird dem Leser die Gegend vorgestellt und erklärt, warum die Blue Books unerlässlich sind:
* Blue bedeutet unter anderem »schlüpfrig«, »pornografisch«.
Weil es der einzige Bezirk dieser Art in den gesamten Staaten ist, der gesetzlich für die leichten Mädchen reserviert ist.
Weil es den Fremden auf einen anständigen und sicheren Weg schickt, wo er keine »Überfälle« und andere Spielchen, die oft mit Fremden gespielt werden, befürchten muss.
Es reglementiert die Frauen, sodass sie in einem Bezirk unter sich leben können und nicht über die Stadt verstreut werden, wo sich die Straßen bald mit Straßendirnen füllen würden.
Es enthält außerdem die Namen der Unterhalterinnen, die in den Tanzhallen und Varietés des Bezirks arbeiten.[14]
Die Blue Books enthielten Informationen zu den bekanntesten working girls der Stadt, nannten aber namentlich für gewöhnlich die Damen, in dessen Etablissements diese arbeiteten, so wie Miss Bertha Golden aus der Iberville Street:
Bertha stand schon immer in erster Reihe noch vor all denjenigen, die erstklassige Oktoronen anbieten. Sie genießt außerdem den Ruf, die einzige klassische Sängerin und Salome-Tänzerin der Südstaaten zu sein. Angebote über Angebote bekam sie, ihre derzeitige Vokation zu verlassen und die Bühne zu erobern, doch ihr erfolgreiches Geschäft hielt sie bei ihren Freunden. Alle, die ein bisschen Spaß unter vielen hübschen Oktoron-Damen suchen: Hier seid ihr richtig. Wenn es um Ragtime-Gesang, kesses Tanzen und überhaupt um Spaß geht, dann ist Bertha eine Klasse für sich.[15]
»Oktoron« bedeutet zu einem Achtel Schwarz. Einer der berühmtesten »Oktoron-Salons« von Storyville war die Mahogany Hall von Lulu White (um 1868 – 1931). Lulu machte einen Haufen Geld und war bekannt dafür, an jedem Finger Diamanten zu tragen. Mahogany Hall beheimatete bis zu vierzig call girls (1913) und fünf Salons, und jeder Raum hatte ein eigenes Badezimmer. Es gab verspiegelte Zimmer, kostbare Kunstwerke und eine auch sonst exklusive Innenausstattung.[16] E. J. Bellocq (1873 – 1949) fotografierte viele der wet hens (1886; »nasse Hennen«, »fuchsteufelswild«) von New Orleans, und man nimmt an, dass so manches Bild in Mahogany Hall aufgenommen wurde.[17]
Als Storyville 1917 dichtgemacht wurde, war das auch das Ende der Blue Books, und viele Sexarbeiterinnen zogen ins French Quarter, wo sie von nun an illegal arbeiten mussten.
Ungefähr zu der Zeit, als Bellocq die Frauen von Storyville verewigte, machte sich der französische Fotograf Jean Agélou (1878 – 1921) mit seinen erotischen Nacktaufnahmen einen Namen. Eines von Agélous Lieblingsmodellen war eine Sexarbeiterin, die nur unter dem Namen Miss Fernande bekannt war und zum ersten Pin-up-Girl der Welt wurde.
Es ist nicht viel über sie bekannt, nicht einmal ihr echter Name.** In einer Ausgabe der Zeitschrift L’Étude Académique von 1911 zeigte Agélou vier Bilder von Miss Fernande und gab ihr Alter mit neunzehn Jahren an, was bedeutet, dass sie 1893 geboren sein muss.[18] Wir kennen ihren Namen, weil sie ihre Postkarten mit »Miss Fernande« unterschrieb und eine Adresse angab, unter der Kunden sie erreichen konnten.[19] Sie vermarktete sich mit ihren Postkarten sehr geschickt und wurde schnell als First Lady der französischen Erotikkunst bekannt. Originalpostkarten mit Miss Fernandes Bild haben heute einen großen Sammelwert und wechseln für Hunderte, wenn nicht Tausende von Pfund ihre Besitzer*innen.
** Manche Online-Quellen identifizieren Miss Fernande als Fernande Berry (1893 – 1960), aber außer dem passenden Alter gibt es keine Beweise, die diese These stützen würden. Christian Bourdon, Jean Agélou: De L’Académisme à la Photographie de Charme (Paris: Marval, 2006).
Auch Originalausgaben von Harris’s List und der Blue Books sind heute sehr viel Geld wert. Und die tart card hat als Form der »zufälligen« Kunst heute ebenfalls einen gewissen Stellenwert erlangt, in den letzten Jahren hat es sogar einige Ausstellungen dazu gegeben.[20] Obwohl es sich hierbei um wunderschöne und historische Artefakte handelt, ist es auch wichtig, an die Sexarbeiterinnen zu denken, die bei der Bewerbung ihrer Dienstleistungen auf sie angewiesen waren.
Wie viele Branchen, wurde auch die Sexarbeit durch das Internet revolutioniert, und der Online-Sektor ist mittlerweile der größte in der britischen Sexindustrie. Aber das ist nichts Schlechtes. Das drei Jahre umfassende Forschungsprojekt »Beyond the Gaze« (2015 – 2018) untersuchte den Einfluss des Internets auf die Sexbranche in Großbritannien. Dabei fand man heraus, dass neunundachtzig Prozent der Sexarbeiter*innen dort das Gefühl hatten, das Internet habe es ihnen ermöglicht, unabhängiger zu arbeiten. Fünfundachtzig Prozent berichteten, sie würden das Internet nutzen, um eine Vorauswahl unter ihren Kund*innen zu treffen, und achtundsiebzig Prozent sagten, Online-Anzeigen hätten ihre Lebensqualität verbessert.[21] Wenn Sexarbeiter*innen die Möglichkeit haben, online zu werben, erhöht das also deren Sicherheit und verbessert deren Arbeitsbedingungen.
Das Internet hat einen Teil der Sexarbeit von der Straße geholt, und natürlich aus der Telefonzelle. Es hat die Sexarbeit sicherer für diejenigen gemacht, die sich dazu entschieden haben, ihr nachzugehen, und es hat die Notwendigkeit von Sexanzeigen drastisch reduziert. Aber das Ganze droht zu kippen. 2018 hat der US-Senat den Stop Enabling Sex Traffickers Act (SESTA) und den Fight Online Sex Trafficking Act (FOSTA) verabschiedet. FOSTA macht das Posten oder Hosten von Online-Prostitution strafbar, und SESTA macht Websites direkt verantwortlich für den Inhalt Dritter. Die Idee dahinter ist, dass Opfer von sexueller Ausbeutung Websites verklagen können, wenn die eine wie auch immer geartete Rolle im Missbrauchsgeschehen gespielt haben. Das Ergebnis davon ist, dass eine Vielzahl von Internetplattformen und Website-Providern es Sexarbeiter*innen nun verboten hat, dort für sich zu werben. Ohne Möglichkeit, Online-Werbung zu nutzen, müssen Sexarbeiter*innen zurück auf die Straße und mit billigen Karten werben.[22] Sie haben das Recht auf sichere Arbeit und auf Respekt. Die tart card und Sexarbeiterinnen-Almanache sind Relikte der Vergangenheit, und dort gehören sie hin. So schön sie auch sind, am besten sind sie im Museum aufgehoben.