PROLOG

Er fühlte immer noch die Wut in sich kochen. Was bildete sich dieser Johann von Viskenich überhaupt ein? Dieser verarmte Adlige, der auf seiner zugigen Burg vor den Toren Kölns hauste und sich in der Stadt wichtigmachte!

Gottfried Hackenbroich knallte die Tür seines Hauses in der Holzgasse hinter sich zu und warf den Mantel achtlos auf den Boden der Stube. Es war schon nach Mitternacht, seine Frau und das Gesinde schliefen bereits. Der Salzhändler stolperte fast über seine eigenen Füße, vielleicht hatte er bei Fursach doch einen Becher Wein zu viel getrunken. Den Streit hatte er aber bei vollem Verstand ausgetragen und würde ihn auch nicht so schnell vergessen.

Das sollte ihm von Viskenich noch büßen! Er würde das Schöffengericht anrufen, und dann würde er es ihm schon zeigen. Der Kerl sollte für seine Unverschämtheit bezahlen und im Frankenturm verrotten. Was zählte in Köln schon ein Adelstitel gegen all sein Geld?

Hackenbroichs Kinn schmerzte heftig. Von Viskenichs harter Fausthieb hatte genau gesessen. Doch noch mehr als die Schmerzen ärgerte ihn die Schmach, vor allen Anwesenden ohnmächtig zu Boden gesunken zu sein.

Dabei hatte der Abend so angenehm angefangen. Berthold Fursachs Einladung zum Bankett hatte ihn sogar außerordentlich erfreut. Die Feste des Goldschmuckhändlers galten als überaus opulent, und es war alles da, was in Köln Rang und Namen hatte, einschließlich der beiden Bürgermeister. Dass jedoch dieser von Viskenich ebenfalls auf der Gästeliste stand, hatte Hackenbroich überrascht und zugegebenermaßen nervös gemacht, denn der Ritter war nicht gut auf ihn zu sprechen, hatte aber trotz ihres Zwists zunächst die Regeln der Höflichkeit eingehalten.

Der verlockende Duft von gebratenem Lamm und Schwein war Hackenbroich in die Nase gestiegen, und normalerweise hätte er sich auf die Köstlichkeiten gestürzt, doch diesmal war ihm schlagartig der Appetit vergangen, als Johann von Viskenich ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte.

Es war schließlich nur recht und billig, wenn er sein verliehenes Geld früher als ursprünglich vereinbart zurückforderte, redete Hackenbroich sich ein. Was konnte er dafür, dass von Viskenich mit der Bestellung seines Landes nicht genügend erwirtschaftete? Der Ritter sollte für seine Generosität dankbar sein. Die Klausel im Vertrag, dass Hackenbroich berechtigt war, die geliehene Summe von zwei Silbermark vor Ablauf der Frist zurückzufordern, mochte vielleicht im Wortlaut raffiniert getarnt sein, aber von Viskenich hatte unterzeichnet und war nun daran gebunden.

Niemand konnte Hackenbroich nachweisen, dass seine Behauptung, er habe eine große Lieferung kostbaren Salzes durch ein Unwetter auf hoher See verloren und bräuchte nun dringend Geld, eine Lüge war. Er hatte bereits ausgerechnet, was die Ländereien des Johann von Viskenich wert sein mochten.

Von Viskenich hatte sich natürlich über die Forderung empört und zornig erklärt, er werde sich nicht von ihm in den Ruin treiben lassen. Aber was sollte der verarmte Ritter schon dagegen unternehmen? Etwa vor das Schöffengericht ziehen? Dort saßen Mitglieder der Richerzeche, und Hackenbroich konnte sich darauf verlassen, dass seine Mitbrüder ein Urteil zu seinen Gunsten fällen würden. Es war ein ewiges Geben und Nehmen unter ihnen, und die anderen konnten es sich gar nicht erlauben, ihn, den reichsten Salzhändler der Stadt, im Stich zu lassen, schließlich wollten alle weiterhin von ihm beliefert werden. Es kam zwar durchaus zu Konflikten innerhalb der Bruderschaft, aber gegenüber Angriffen von außerhalb unterstützten sie sich stets gegenseitig, um ihre Pfründe zu verteidigen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Brüder der Richerzeche zusammenhielten.

Trotzdem war Hackenbroich auf dem Bankett unbehaglich zumute gewesen, als er mit von Viskenich im selben Raum saß, und das nur drei Stühle entfernt. Das Essen war erwartungsgemäß köstlich, Fursach hatte einen ganzen gebratenen Ochsen und alle erdenklichen Gaumenfreuden auffahren lassen. Dazu hatte ein Minnesänger die Laute gespielt und ein paar selbst verfasste Verse gesungen, die fürchterlich schlecht waren, aber Hackenbroich war dafür unempfänglich gewesen. Unauffällig hatte er immer wieder zu von Viskenich hinübergespäht und vor lauter Unruhe reichlich dem guten Wein zugesprochen, den der Gastgeber voller Stolz als edlen Tropfen von der Mosel angepriesen hatte. Er hatte tatsächlich vorzüglich gemundet, und als zu später Stunde das Gespräch auf Geldgeschäfte gekommen war, waren schon sehr viele Becher geleert worden. Dann hatte sich die Lage plötzlich ins Bedrohliche gewendet. Musste Jacob Hoengen den Ritter von Viskenich denn auch unbedingt auf seine Schulden ansprechen, ärgerte sich Hackenbroich noch jetzt über den Glashändler.

Zunächst hatte Johann von Viskenich sich verschlossen gegeben und die Nachfrage mit einer deftigen Bemerkung brüsk zurückgewiesen. Gut, er selbst hätte daraufhin nicht so böse lachen sollen, musste Hackenbroich sich eingestehen und schrieb sein Verhalten dem Wein zu. Da war von Viskenich zornig geworden und hatte die Stimme erhoben: »Nimm dich in Acht! Wer wortbrüchig ist und dazu noch ein Wucherer, dem sollte das Lachen im Halse stecken bleiben!«

Es war zu einem hitzigen Disput gekommen, bei dem sie sich gegenseitig des Betrugs bezichtigten. Im Saal waren rasch alle Gespräche verstummt, niemand wollte sich das Spektakel entgehen lassen. Nur Fursach versuchte, sein Fest zu retten, und bat die beiden Kontrahenten, sich zu beruhigen. Die aber dachten gar nicht daran und standen sich schließlich nur zwei Schritte voneinander entfernt wütend gegenüber.

Vom Wein beseelt und in der Gewissheit, die Richerzeche hinter sich zu haben, hatte Hackenbroich sich überlegen gefühlt und seinen Gegner verspottet: »Was für ein armseliger Ritter, der noch nicht einmal mehr sein Essen selbst bezahlen kann!«

Von Viskenichs Faust war so schnell hervorgeschossen, dass Hackenbroich dem Schlag nicht mehr ausweichen konnte. Er verspürte einen heftigen Schmerz, dann wurde es dunkel um ihn. Als er wieder zu sich kam, hatte er von Viskenich nirgendwo mehr entdecken können.

Fursachs Gattin hatte ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn gelegt. »Geht es dir wieder besser?«, fragte sie besorgt.

Um ihn standen die anderen Festgäste. Einige blickten ernst, andere eher erheitert. Er hatte sich stöhnend und peinlich berührt erhoben. »Es geht mir bestens!«, hatte er ungehalten gefaucht und das nasse Tuch von sich geschleudert.

Daraufhin hatte sich die Menge zerstreut und wieder der Tafel zugewandt, während Fursach eifrig umhersprang und die Diener antrieb, für mehr Wein zu sorgen. Und der faule Minnesänger solle endlich wieder Musik machen.

»Du bist umgefallen wie ein Sack Mehl«, hatte Heinrich Kleingedank belustigt erzählt.

Hackenbroich konnte darüber gar nicht lachen. »Wo ist der Halunke hin?«

»Wenn du den edlen Ritter von Viskenich meinst, der wurde von Fursach des Hauses verwiesen«, beruhigte ihn Hoengen. »Keine Angst, du kannst unbehelligt weitertrinken.«

Das hatte Hackenbroich dann auch getan, um seine Wut zu ertränken, und war schließlich nach Hause gewankt.

Als er nun von der Stube aus die Treppe hinaufgehen wollte, klopfte es an seiner Haustür, und er fuhr heftig zusammen. Wer begehrte zu so später Stunde noch Einlass? Sein schlafendes Gesinde in der kleinen Kammer hinter dem Haus würde das Klopfen nicht hören. Immer wenn man das faule Pack brauchte, war es nicht da.

Hackenbroich ging zur Tür. »Wer ist da?«, fragte er ungehalten.

Doch statt einer Antwort schlug erneut jemand gegen das Holz. Was für eine Unverschämtheit! Hackenbroichs ohnehin schon denkbar schlechte Laune wurde weiter angestachelt. Egal, wer es war, er würde demjenigen eine geharnischte Abfuhr erteilen.

Mit einem Ruck schob Hackenbroich den Riegel beiseite und riss die Tür auf. »Wer zum Donnerwetter erdreistet sich …?« Er hielt in der Bewegung inne. »Du? Was willst du hier? Reicht es nicht, dass –«

Weiter kam er nicht. Hackenbroich sah eine Klinge aufblitzen und machte einen Satz zurück in die Stube. In einem verzweifelten Abwehrversuch riss er die Arme hoch und wich noch weiter zurück. Doch im selben Moment fühlte er einen glühenden Stich in seiner Brust, der rasend schnell seinen Körper mit Schmerzen überflutete.

Unfähig, auch nur einen Schrei auszustoßen, taumelte der Salzhändler rückwärts, dann sackten ihm die Knie weg. Er stürzte kraftlos zu Boden, seine Hände packten das kalte Eisen, doch seine Kräfte schwanden schnell. Er vermochte nicht mehr, die Klinge aus seinem Leib zu ziehen. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, und sein brechendes Auge erblickte gerade noch die Inschrift auf der Parierstange des Schwerts: »VISKENICH«.