7. DEZEMBER 1193
Seyfrid trat von einem Fuß auf den anderen, er wusste selbst nicht, ob es vor Kälte oder vor Aufregung war. Rund um Sankt Aposteln herrschte reger Betrieb, es war Markttag, und die Menschen drängten in Richtung Alter Markt. Endlich erblickte er Rebecca in der Menge. Sie trug einen eher schlichten braunen Mantel, darunter jedoch ein weißes Kleid mit silbernen Stickereien.
Als sie Seyfrid entdeckte, huschte ein freudiger Ausdruck über ihr Gesicht. »Sei gegrüßt! Verzeih, wenn du warten musstest!«
»Aber, nein, ich bin auch gerade erst eingetroffen«, log er.
»Die Straßen waren leider voller, als ich dachte, und meine Mutter hat mir noch eine längere Predigt gehalten. Sie schätzt es nicht, wenn ich heute schon wieder den Tag über fort bin.«
Seyfrid sah sich um. »Wo willst du denn hier Bilsenkraut bekommen?«
»Nicht in Köln, aber es ist nur eine halbe Stunde außerhalb der Stadtmauer.«
Die Sonne hatte sich inzwischen durch die Wolken gekämpft, und immer mehr blauer Himmel war sichtbar. Seyfrid spürte die Kälte nicht mehr. Oder lag es doch an seiner Begleitung? Rebecca lief fröhlich plaudernd neben ihm durch das Hahnentor, dann folgten sie dem Verlauf der Straße in Richtung Westen.
»Sag, hast du inzwischen eine Erklärung, wie es zu dem Angriff auf deinen Vater kommen konnte?«, wagte Seyfrid schließlich zu fragen.
Das Lächeln verschwand schlagartig aus ihrem Gesicht. »Ich habe lange darüber nachgedacht und kann mir beim besten Willen immer noch nicht vorstellen, wer das Arsenik von Hackenbroich genommen haben könnte, um meinen Vater damit umzubringen.«
»Könnte seine Witwe wissen, wem ihr Gatte das Arsenik gegeben hat?«
»Mechthild Hackenbroich ist streitsüchtig und tratscht viel. Ich weiß nicht, ob er ihr ein solches Geheimnis anvertraut hätte.«
Seyfrid grübelte eine Weile, ehe er fragte: »Pflegte Hackenbroich mit irgendjemand in der Richerzeche eine besonders enge Freundschaft?«
Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Gottfried Hackenbroich konnte wohl niemand wirklich leiden. Er stammte aus einer reichen Familie und genoss daher Respekt, aber er war ein unfreundlicher Mensch, der stets auf seinen Vorteil bedacht war. Neben dem Salzhandel verlieh er auch Geld, aber nur zu Wucherzinsen. Mein Vater hat einmal gesagt: Nur, wer völlig verzweifelt ist, würde Hackenbroich um einen Kredit bitten.«
Seyfrid wurde erneut schmerzlich bewusst, wie schlimm die Lage für seinen Vater gewesen sein musste. Vermutlich war er so überschuldet gewesen, dass ihm niemand anders mehr einen Kredit gewährt hatte.
Inzwischen waren die Häuser entlang der Straße spärlicher geworden und größeren Wiesen, Obstgärten und Äckern gewichen. Nach einer Weile bog Rebecca rechts auf einen Weg ab, der rund zweihundert Schritte weiter an einem Holztor in einer übermannshohen Mauer endete. Dahinter konnte Seyfrid den Turm einer kleinen Kapelle erkennen.
»Wir sind da«, verkündete Rebecca.
Seyfrid blickte sich um, sah aber nur braune Felder und Bäume, die noch von leichten Schneeresten bedeckt waren. »Hier wächst Bilsenkraut?«
Rebecca lachte erheitert auf. »Ja, im Kräutergarten. Das ist das Augustinerinnenkloster zum Weiher zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria. Meine Tante Anna, von der ich dir erzählt habe, hat hier viele Jahre gelebt. Die Äbtissin Kathryn kenne ich schon lange, sie besitzt ein großes Wissen über die Heilkunde und einen umfangreichen Vorrat an Kräutern.«
Rebecca klopfte energisch gegen das Tor. Es dauerte eine Weile, ehe eine kleine Luke im Holz geöffnet wurde. Die Besucher konnten nur ein Augenpaar erkennen. »Wer ist da?«, fragte eine barsche Stimme.
»Ich bin es, Rebecca Quentenberg, Schwester Gertrudis.«
»Was ist dein Begehr?«
»Ich möchte der Äbtissin meine Aufwartung machen.«
Knirschend wurde der Riegel zurückgeschoben, und das Tor öffnete sich. Dahinter kam eine misstrauisch blickende Frau im schwarzen Habit, dem Gewand der Nonnen, zum Vorschein, die genauso gut fünfzig wie siebzig Jahre alt sein konnte. Sie war spindeldürr und ihr Gesicht voller Falten.
Schwester Gertrudis sah Seyfrid vorwurfsvoll an. »Wer ist er?«
Bevor Seyfrid antworten konnte, sagte Rebecca: »Ein Medicus, der gerne die Äbtissin sprechen möchte. Er ist von weit her gekommen, um sie kennenzulernen.«
»Weiß sie von ihm?«
»Ich fürchte nein, ich –«
»Dann müsst ihr euch vorher ankündigen!«
»Schwester Gertrudis, du willst doch wohl nicht, dass die Äbtissin sich grämt, weil ein berühmter Medicus der Schule von Salerno nicht zu ihr vorgelassen wurde und sie deshalb nie seine Bekanntschaft machen konnte? Bedenke, welch wertvolles Wissen der Äbtissin vielleicht dadurch entgeht.«
Die Nonne sah die beiden Besucher abwechselnd argwöhnisch an. »Nun gut, aber nur, weil du es bist, Rebecca.«
Während Gertrudis vorwegschlurfte, zwinkerte Rebecca Seyfrid zu. Dann flüsterte sie: »Sie verweigert jedem den Einlass. Meist hilft es aber, sie an die Äbtissin zu erinnern, um sie umzustimmen.«
Sie durchquerten einen Garten, dessen braune Pflanzen und kahle Bäume nur erahnen ließen, welch blühende Pracht es im Frühling geben musste. Dahinter erhob sich das lang gestreckte Haupthaus, wo die Nonnen lebten, schliefen, kochten und arbeiteten. Zur Rechten stand eine Kapelle mit durchaus ansehnlichen Ausmaßen und prachtvollen Verzierungen. In den Gebäuden auf der anderen Seite des Grundstücks erblickte Seyfrid Stallungen. Die Nonnen hielten offensichtlich auch Vieh.
Die mürrische Gertrudis führte sie im Haupthaus an einigen verschlossenen Räumen vorbei bis zum Ende des Ganges, wo sie eher zaghaft an eine Tür klopfte. Eine feste Stimme forderte zum Eintreten auf. Gertrudis öffnete und verbeugte sich leicht. Seyfrid konnte über ihre Schulter hinweg eine schlanke Frau hinter einem Tisch sitzen sehen, die ihn mit wachsamen Augen musterte, jedoch mehr Neugier als Ablehnung erkennen ließ.
»Rebecca Quentenberg möchte dir ihre Aufwartung machen. Und sie hat jemanden mitgebracht, der sich nicht …«
Die Frau hinter dem Tisch ließ den Federkiel sinken, mit dem sie auf ein Pergament geschrieben hatte. »Schon gut, Gertrudis, du kannst dich zurückziehen!«
Die alte Nonne zog grummelnd von dannen. Die Äbtissin erhob sich und kam auf die Besucher zu. Sie bewegte sich anmutig und strahlte eine natürliche Selbstsicherheit aus. Ohne Frage war sie mit ihren ebenmäßigen Gesichtszügen eine Schönheit. Die vielen kleinen Falten in ihren Augenwinkeln verrieten, dass sie nicht mehr so jung war, wie sie auf den ersten Blick schien. Seyfrid schätzte sie auf etwa vierzig Jahre.
»Rebecca, welch eine Freude, dich wiederzusehen! Wie lange ist es jetzt her, seit du mich das letzte Mal besucht hast?«
»Viel zu lange, Schwester Kathryn. Ich muss dafür um Entschuldigung bitten.«
Die Äbtissin ergriff die Hände der jungen Frau. »Lass dich ansehen! Du bist noch hübscher geworden und siehst deiner Tante Anna immer ähnlicher. Gott habe ihre Seele gnädig!« Dann blickte sie Seyfrid auffordernd ins Gesicht. »Wen hast du mir mitgebracht?«
»Ulrich von Schwarzenberg. Zu Euren Diensten, ehrwürdige Äbtissin«, antwortete Seyfrid und verbeugte sich.
Sie winkte ab. »Schwester Kathryn genügt vollauf. Was führt euch zu mir?«
»Er ist ein berühmter Medicus«, platzte Rebecca heraus. »Er lebt seit kurzer Zeit in Köln und behandelt meinen Vater, der erkrankt ist. Für ihn braucht er nun Bilsenkrautöl, und ich hoffte, dass du vielleicht einen kleinen Vorrat entbehren könntest. Natürlich zahle ich dafür.«
Kathryn hatte in einer Mischung aus Überraschung und Amüsiertheit die Augenbrauen hochgezogen. »Ein Medicus? Du bist noch so jung!«
Das scheint für viele ein Problem zu sein, dachte Seyfrid, aber immerhin gehörte die Äbtissin zu den wenigen, die noch nicht von ihm gehört hatten. In Anbetracht der Abgeschiedenheit in einem Kloster nur zu verständlich. »Ich hatte die Ehre, früh an der Scola Medica Salernitana aufgenommen worden zu sein.«
»Dann bist du von Roger Frugardi gelehrt worden?« In ihrer Stimme schwang Bewunderung mit.
»Ja, er war mein Lehrmeister.«
Bevor er weiterreden konnte, forderte die Äbtissin die beiden auf: »Kommt mit!«
Sie liefen hinter ihr her den Gang entlang bis zu einer Tür, die sie ohne Worte aufstieß. Dahinter kam ein großer Raum mit einem langen Tisch darin zum Vorschein. Eine Nonne fegte gerade den Boden und sah überrascht auf.
»Schwester Otilia, sei so gut und hole unseren Besuchern zwei Becher Wasser, etwas Brot und Käse!«, ordnete Kathryn an. »Danach geh in meine Kammer und bring mir die kleine Amphore mit dem Bilsenkrautöl.«
Die Nonne nickte gehorsam und verschwand wortlos durch eine weitere Tür. Kurz bevor sie geschlossen wurde, konnte Seyfrid einen Blick in den Raum dahinter erhaschen, bei dem es sich um die Küche handelte. Vor einer offenen Feuerstelle stand mit dem Rücken zu ihm eine schlanke Gestalt und schnitt Rüben in einen Topf. Sie trug den weißen Habit der Novizinnen, doch vor den hell lodernden Flammen zeichnete sie sich als dunkler Schemen ab.
Schwester Kathryn bat die Besucher, sich ans Ende der Tafel zu setzen. Es dauerte nicht lange, bis Schwester Otilia ihnen zwei knusprige Laibe Brot, einen würzig duftenden Käse und zwei Becher Wasser kredenzte. Dann entfernte sie sich wieder, um das Bilsenkrautöl zu holen.
Als Seyfrid aus Höflichkeit zögerte, forderte Kathryn ihn auf zu essen. »Greift nur zu! Mir steht es nicht zu, außerhalb der festgelegten Mahlzeiten zu essen.«
Seyfrid war tatsächlich hungrig, und der Käse mundete ihm ausgezeichnet. Während er aß, fragte Schwester Kathryn ihn über die Scola Medica Salernitana aus, und besonders Roger Frugardi interessierte sie sehr.
Nach einer Weile kehrte Schwester Otilia zurück und reichte der Äbtissin eine kleine Amphore, die mit Wachs verschlossen war. Kathryn hielt Seyfrid das schmale Gefäß hin und zog warnend die Augenbrauen hoch. »Ich nehme an, ich muss dich nicht darüber aufklären, wie giftig der Samen des Bilsenkrauts ist und dass du das Öl nur in kleinen Mengen verabreichen solltest.«
»Ich bin mir dessen bewusst, Schwester Kathryn.«
»Wie viel schulden wir dir?«, fragte Rebecca.
»Gar nichts«, wehrte sie ab. »Ich habe deiner seligen Tante Anna vieles zu verdanken. So auch mein Wissen, wie man Bilsenkrautöl herstellt. Sie hätte von ihrem erkrankten Bruder gewiss kein Geld genommen, damit er wieder gesund wird.«
In dem Moment betrat eine junge Frau den Raum, die nicht viel älter als Rebecca sein konnte. Sie hatte ein rundliches Gesicht und freundliche Augen. Ihre von der Kälte rosigen Wangen ließen darauf schließen, dass sie eben erst eingetroffen war. Ihre Kleidung war aufwendig und kostbar, wie Seyfrid auf den ersten Blick feststellte.
Kathryn erhob sich sofort beim Anblick des neuen Gastes. »Richmodis! Welch freudige Überraschung!«
»Schwester Kathryn! Verzeih, wenn ich dich störe, aber ich wollte dir die gute Nachricht selber überbringen: Das von dir so sehnlich gewünschte Kreuz für den Altar in eurer Kapelle ist endlich fertig und kann abgeholt werden.«
Kathryn entfuhr ein kleiner Jubelschrei. Erschreckt über ihren eigenen Ausbruch, hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Hab Dank, Richmodis! Du bist so großzügig!«
»Es ist zu Ehren Gottes«, erklärte Richmodis und nahm erst jetzt die beiden anderen Gäste wahr.
»Wen sehe ich da? Rebecca Quentenberg! Dich habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Du siehst sehr hübsch aus.«
»Ich danke dir, Richmodis. Aber auch du siehst wunderschön aus, das Kleid steht dir ausgezeichnet. Wenn ich mich nicht täusche, stammt es von meinem Vater.«
»Du täuschst dich nicht, es ist von wahrer Meisterhand gefertigt.« In dem Moment fiel Richmodis etwas ein, und sie wurde schlagartig ernst. »Ich hörte, deinem Vater geht es nicht gut.«
Rebecca deutete auf Seyfrid. »Er ist wieder genesen, dank der Hilfe von Ulrich von Schwarzenberg, dem besten Medicus, den Köln je gesehen hat.«
»Ah! Du bist der Wunder vollbringende Medicus, von dem alle reden!«
Seyfrid verbeugte sich galant. »Nun ja, Medicus bin ich wohl, aber ich denke, die Leute übertreiben, was meine Fähigkeiten betrifft.«
Rebecca beeilte sich, Seyfrid die junge Dame vorzustellen. »Das ist Richmodis Miles, die Tochter von Gerhard vom Hof.«
Seyfrid erstarrte kurz in der Bewegung, doch Richmodis schien es nicht zu bemerken. »Stieftochter, um genau zu sein«, verbesserte sie. »Mein Vater starb vor vielen Jahren, und meine Mutter heiratete in zweiter Ehe Gerhard vom Hof, der mich adoptierte. Leider hat der Herrgott auch meine Mutter vor drei Jahren zu sich gerufen.«
»Dank Richmodis und der Großzügigkeit Gerhards ist unsere Kapelle so prächtig«, erklärte Kathryn mit dankbarem Lächeln.
»Zu Ehren Gottes spendet mein Vater gerne«, winkte Richmodis ab.
»Jedenfalls ist er großzügiger gegenüber unserem Kloster als der Erzbischof«, bemerkte Kathryn mit Schärfe in der Stimme und blickte dann zu Seyfrid hinüber. »Adolf von Altena würde es viel lieber sehen, wenn alle Spenden der Kölner Bürger an ihn gingen. Er betrachtet uns als lästige Konkurrenten.«
»Ich hörte, dass dein Stiefvater und der Erzbischof sich nicht sonderlich mögen«, sagte Seyfrid an Richmodis gewandt.
»Gibt es überhaupt jemanden, den der Erzbischof mag, außer ihn selbst?«, fragte Rebecca.
Richmodis musste lachen. »Die Kölner Bürger mochten ihre Erzbischöfe noch nie und sind lieber gegenüber den Stiften mildtätig. Mein Vater ist da keine Ausnahme.«
»Ich bin Gerhard vom Hof auf einer Versammlung im Haus der Bürger begegnet«, bemerkte Seyfrid. Es war eine günstige Gelegenheit, um mehr zu erfahren. Jede Information konnte ihm helfen, Licht ins Dunkle um den Prozess gegen seinen Vater zu bringen. »Ich hörte, dein Vater bekleidet viele wichtige Ämter.«
»Ja, in der Tat«, bestätigte Richmodis. »Ohne sein Einverständnis passiert so gut wie nichts in der Stadt. Dabei ist er stets bemüht, nur das Beste für Köln zu erreichen. Er verleiht großzügig sein Geld, um andere zu unterstützen.«
»Und mehrt es dabei reichlich«, rutschte es Rebecca heraus, und sie wurde im nächsten Augenblick rot im Gesicht. »Verzeih, das Urteil stand mir nicht zu!«
»Du hast ja recht«, beschwichtigte Richmodis. »Aber er achtet stets darauf, ein gottgefälliges Leben zu führen, und unterstützt unsere Kirchen und eben auch dieses Kloster nach Kräften.«
»Er bewohnt das größte Haus in ganz Köln«, berichtete Rebecca.
»Den Brabanter Hof, den er nun bewohnt, bekam er zu eigen, als der alte Erzbischof Philipp von Heinsberg seine Schulden von sechshundertfünfzig Mark nicht zurückzahlen konnte«, erklärte Richmodis. »Aber der Erzbischof wusste genau, worauf er sich einließ, als er sein Haus verpfändete. Wehgetan hat es ihm wohl nicht, denn schließlich bewohnte er den Palast gegenüber.«
»Ich habe gehört, du bist mit deinem Gatten in das prächtige Haus an der Kornpforte gezogen«, warf Rebecca ein und wandte sich dann Seyfrid zu. »Ihr Gatte Gerhard Miles ist der Neffe von Gerhard vom Hof, der Sohn seines verstorbenen Bruders Dietrich.«
»Ja, wir haben das Haus kürzlich erworben«, bestätigte Richmodis. Zu Seyfrid sagte sie: »Es liegt am Heumarkt, wo Gerhard unseren Warenverkauf auf dem Markt besser überwachen kann. Wir würden uns sehr freuen, wenn du uns dort besuchen kämest. Mein Gatte würde dich sicher gerne kennenlernen. Hättest du vielleicht heute zur Non Zeit?«
Einen Schritt näher an Gerhard vom Hof, dachte Seyfrid. »Ich fühle mich geehrt«, antwortete er, ohne lange zu zögern.
Rebecca erhob sich. »Ich fürchte, wir müssen uns nun verabschieden, denn mein Vater braucht das Bilsenkrautöl.«
Als sie den Speiseraum verließen, konnte Seyfrid erneut einen Blick in die Küche erhaschen. Die Novizin in dem weißen Habit schien sich nicht von der Stelle gerührt zu haben. Als Seyfrid schon fast an der Tür vorbei war, drehte sie ganz leicht den Kopf, sodass er für einen winzigen Moment schräg von hinten ihre Wange und Nasenspitze sehen konnte, doch im nächsten Augenblick hatte sie ihr Gesicht schon wieder abgewandt. Sie war eine sehr junge Frau. Auch wenn es nicht ungewöhnlich war, dass bereits Mädchen in ein Kloster eintraten, fragte sich Seyfrid, was sie wohl dazu veranlasst haben mochte.
Vor dem Tor hielt die Äbtissin kurz inne und sah Seyfrid mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Sag, haben wir uns früher schon einmal gesehen? Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, denn du kommst mir irgendwie bekannt vor.«
»Nein, gewiss nicht. Ich bin erst seit wenigen Tagen in Köln«, sagte Seyfrid, der sich sicher war, Kathryn noch nie zuvor begegnet zu sein.
Die Äbtissin nickte nachdenklich. Rebecca verabschiedete sich herzlich von ihr. Die beiden Frauen waren einander offensichtlich sehr zugeneigt.
Auf dem Heimweg lobte Rebecca Schwester Kathryn, die in die Fußstapfen ihrer Tante Anna getreten war, in den höchsten Tönen. Sie pflegte mit ihren Schwestern nicht nur Kranke, sondern baute neben Getreide und Gemüse auch Heilpflanzen an, die sie an Ärzte und Apotheker, aber auch Adlige und reiche Bürger verkaufte. So hatte sie dem Kloster zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Vor allem aber bewunderte sie Schwester Kathryn für ihre Unerschrockenheit.
»Sie lässt sich von niemandem einschüchtern, nicht einmal vom Erzbischof«, sagte Rebecca. »Er hat sie des Hochmuts bezichtigt und ihr mit strengen Maßregelungen gedroht, aber es nicht gewagt, sie auch durchzuführen. Kathryn hat ihm offen ins Gesicht gesagt, dass sie nur Gottes Wille erfülle, indem sie den Armen und Kranken helfe. Das haben viele Brüder der Richerzeche, allen voran Gerhard vom Hof, bestätigt, und so hat sich Adolf von Altena bislang zurückgehalten.«
Seyfrid erkundigte sich neugierig nach Richmodis. Er empfand es als absoluten Glücksfall, dass er auf die Tochter Gerhards vom Hof getroffen war, über den er unbedingt mehr herausfinden musste.
Rebecca lachte kurz auf. »Das sah Richmodis ähnlich, dass sie gleich ihre Krallen in dich geschlagen hat. Sie wird es kaum abwarten können, überall herumzuerzählen, dass der neue Medicus, der gerade in aller Munde ist, ihr zu Hause seine Aufwartung macht. Der Neid vieler Freundinnen wird ihr gewiss sein.«
Sie blickte Seyfrid von der Seite an. »Wenn du dich geschickt anstellst, kann Richmodis dir alle Türen und Tore in Köln öffnen, und du wirst dir über dein Einkommen keine Sorgen mehr machen müssen. Richmodis ist das einzige Kind Gerhards und wird irgendwann sein gesamtes Vermögen und die Häuser erben. Ihr Ehemann ist zwar sein Neffe, aber Gerhard Miles verfügt nur über einen Bruchteil des Geldes und des Einflusses seines Onkels.«
»Es ist verwirrend, wenn sowohl ihr Vater und als auch ihr Ehemann Gerhard heißen.«
»Deshalb wird Gerhard Miles auch ›der kleine Gerhard‹ genannt«, sagte sie schmunzelnd. »Selbstverständlich nur, wenn er nicht dabei ist, denn er hört das nicht gerne.«
Sie hatten die Lintgasse erreicht, und Rebecca hielt in Sichtweise des Hauses an. »Es ist besser, wenn wir nicht gleichzeitig das Haus betreten.«
Seyfrid nickt verständnisvoll. »Natürlich, ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Hab Dank für deine Hilfe. Ich werde hier eine Weile warten, bevor ich deinem Vater die Medizin bringe.«
Rebecca strahlte ihn an. »Nun, dann sehen wir uns bald wieder.«
Seyfrid widerstand der Versuchung, ihre Hand zum Abschied zu ergreifen, und sah ihr nur nach. Er verharrte noch einige Minuten auf dem Alter Markt, ehe er sich ebenfalls zum Haus in der Lintgasse begab. Wie üblich öffnete Alfred die Tür und ließ den Medicus eintreten.
Maria Quentenberg überwachte in der Stube die Anfertigung eines Kleides aus grüner und roter Seide. Die Näher saßen mit angestrengten Gesichtern bei der Arbeit. Rebecca war nirgends zu sehen. »Gut, dass du kommst«, begrüßte sie den Medicus in besorgtem Ton. »Mein Gatte hat schlecht geschlafen und klagt erneut über Unwohlsein.«
Seyfrid nickte ernst und begab sich die Treppe hoch zur Schlafkammer. Matthias Quentenberg lag mit verschwitzten Haaren im Bett. Seyfrid hatte gehofft, dass es seinem Patienten jeden Tag besser gehen würde, aber offensichtlich brauchte sein Körper länger als erhofft, um das Gift zu bekämpfen. »Wie geht es dir?«, fragte er.
Matthias Quentenberg öffnete die Augen. Sie waren rot geädert. »Der Medicus! Gut, dass du da bist. Ich verspüre wieder mehr Schmerzen.«
Seyfrid zückte den kleinen Lederbeutel, der die vom Apotheker angerührte Medizin enthielt, und füllte sie in einen Holzbecher, der neben dem Bett stand. Dann träufelte er einen Tropfen des Bilsenkrautöls dazu, vermischte alles gründlich und gab den Becher seinem Patienten. »Trink! Das wird dir helfen.«
Matthias Quentenberg fragte erst gar nicht, was für eine Medizin es sei, sondern leerte den Becher in einem Zug. Dann ließ er sich erschöpft in das Federkissen zurücksinken.
»Ich bin zuversichtlich, dass es dir bald besser gehen wird. Ich vermute, dass dich wichtige Geschäfte erwarten.«
»Oh ja, das kann man wohl sagen.«
Seyfrid beschloss, einen Vorstoß zu wagen, und hoffte, dass seine Neugier Quentenberg nicht misstrauisch machen würde. »Wenn es um die Verhandlungen zwischen dem Rat und dem Erzbischof geht: Könnte da nicht jemand anderes für dich einspringen?«
Quentenberg ließ ein verächtliches Schnaufen hören, bevor er antwortete: »Wer sollte sich denn bereit erklären? Es traut sich ja keiner. Sie haben alle Angst, mit Adolf von Altena zu verhandeln.«
»Wieso?«
»Weil er verschlagen ist wie eine Schlange und leider auch sehr klug. Er kann dir jedes Wort im Munde herumdrehen und es gegen dich verwenden.«
»Aber alle kämpfen doch für eine gemeinsame Sache, für die Freilassung von Richard Löwenherz.«
Der Gewandhändler fing an zu lachen, wurde dann aber von einem Hustenanfall gestoppt. »Wenn es nur so einfach wäre!«, keuchte er schließlich. »Hier geht es um Ränkeschmiede und Machtspiele, davon verstehst du als Medicus nichts. Es kommt immer darauf an, wer wem etwas gibt oder nimmt und wer dadurch profitiert oder verliert. Gestehe ich nur einen Hauch zu viel oder zu wenig zu, werden es mir entweder der Erzbischof oder der Kölner Rat übel nehmen, je nachdem, wer sich benachteiligt fühlt.«
»Könntest du denn nicht Gerhard vom Hof bitten, die Verhandlungen zu führen? Er ist, soweit ich unterrichtet bin, der reichste Mann in Köln.«
Quentenberg schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das wollte die Mehrheit des Rats nicht, eben weil er der mächtigste Bruder unserer Richerzeche ist. Viele fürchten, dass er sich einen entscheidenden Vorteil verschafft, wenn er die Verhandlungen führt.«
»Wie sollte er das schaffen?«
»Es geht hier nicht nur um die Verhandlungen mit dem Erzbischof. Auch um die Berater des Kaisers. Wenn Gerhard ihnen Geld zusagt – und das ist es, was die Berater erwarten –, dann hat er durch sie einen direkten Einfluss auf den Kaiser, und das will weder der Erzbischof noch der Rat. Verstehst du? Ich bin zum Unterhändler erkoren worden, weil ich nicht mächtig genug bin.«
»Vertraust du Gerhard vom Hof denn nicht?«
»Doch, aber letztendlich kann niemand sagen, was Gerhard vorhat, auch ich nicht.«
»Ich hatte den Eindruck, dass Dietrich von der Mühlengasse ihm nicht eben wohlgesonnen ist.«
»Sie hassen sich. Gerhard vom Hof ist sicher der mächtigste Mann in Köln, aber Dietrich von der Mühlengasse oder Gottschalk Overstolz würden nur zu gerne seinen Platz einnehmen. Aber auch die Familien Overstolz und von der Mühlengasse befehden sich in der Rangelei um die Vormachtstellung in Köln.«
»Wie könnten sie Gerhards Platz einnehmen?«
»Indem sie sich mit anderen Mächtigen verbünden.«
»Dem Erzbischof?«
Quentenberg nickte ermattet. »Das wäre eine Möglichkeit. Er ist der einzige ernsthafte Gegenspieler, den Gerhard in Köln hat.«
»Dann bekämpfen sich Gerhard und der Erzbischof?«
»Lass es mich so ausdrücken: Sie wissen beide, dass sie den anderen eigentlich nicht besiegen können, also haben sie sich in gegenseitige Abhängigkeit begeben. Gerhard hat dem Erzbischof viel Geld geliehen, und Adolf von Altena behält ihn im Gegenzug als seinen Untervogt – ein Amt, das ihm schon Erzbischof Philipp von Heinsberg vor vielen Jahren verliehen hat.«
»Also musst du rasch wieder gesund werden, um die Verhandlungen fortzuführen«, stellte Seyfrid fest. Er hatte genug erfahren und sah, dass sein Patient müde wurde. Er verabschiedete sich höflich und ermahnte Quentenberg noch einmal, sich zu schonen.
Es war Zeit für Seyfrid, sich zur Kornpforte zu begeben, denn bei einer Einladung von Richmodis Miles wollte er sich nicht verspäten.
***
Der Reiter konnte sich kaum noch auf dem Pferd halten. Er fühlte sich todmüde, und alle seine Muskeln schmerzten. Er war den ganzen Weg von Antwerpen bis Köln durchgeritten, hatte sich nachts kaum Schlaf gegönnt und war immer in aller Herrgottsfrühe wieder aufgebrochen. Doch so hatte er die Strecke in nur drei Tagen bewältigt, und der Erzbischof würde ihn dafür sicher reich entlohnen.
In Köln herrschte wieder einmal so dichtes Gedränge in den Straßen, dass er schließlich absteigen und sein Pferd führen musste. Ungeduldig schob er sich durch die Menge bis zu einem Stall in Sichtweite der Kirche Sankt Alban, gab dort hastig sein Pferd ab, entrichtete beim Stallknecht seinen Obolus und eilte zur Kirche. Er klopfte an die Tür des kleinen Hauses nebenan, und der Gehilfe des Küsters, ein noch junger Mann mit ausgemergelten Wangen und hoher Stirn, öffnete ihm.
Ohne eine Begrüßung fragte der Besucher: »Wo ist Bruder Maternus?«
Der verdutzte Gehilfe deutete mit dem Daumen hinter sich. »In der Sakristei.«
Wortlos ging der Besucher an ihm vorbei, durchquerte die kleine Wohnung und betrat durch eine schmale Verbindungstür die Sakristei.
Die hünenhafte Gestalt des Mönchs ruckte von einem Hocker hoch, als er den Mann erblickte. »Balduin! Ich hoffe, du hast gute Nachrichten.«
»Die habe ich wohl, Maternus«, sagte er in der typischen schleppenden Sprechweise der Brabanter. »Eleonore ist gestern mit dem Lösegeld in Dover aufgebrochen, um an die Rheinmündung zu segeln.«
»Ist das sicher?«
»Ja, ein englischer Wollhändler ist vor vier Tagen in Antwerpen eingetroffen und hat mir erzählt, dass er bei seiner Abreise in London selber den Tross und die Vorbereitungen gesehen hat. Den Beginn der Reise hatte die Königsmutter auf das Fest des heiligen Nikolaus gelegt. Sie wollte morgens noch in der Kathedrale um den Schutz Gottes beten und dann mit acht großen Schiffen übersetzen. Sie werden wohl bereits an der Rheinmündung angekommen sein.«
»Endlich ist es so weit!«, rief Maternus. »Wer begleitet sie?«
»Zweihundert Ritter unter der Führung von Sir Hubert Walter.«
»Der Bischof persönlich! Das hätte ich mir denken können, er ist der treueste Anhänger von König Richard.«
»Die Schiffe können aber nicht den Rhein hinauffahren, sie würden unweigerlich auf Grund laufen. Sir Hubert hat wochenlang versucht, an der Rheinmündung Schiffe mit weniger Tiefgang aufzutreiben, die sie flussaufwärts bis Köln bringen können. Aber es wären Dutzende Lastkähne nötig, um das immense Gewicht des Lösegelds, die zweihundert Ritter, deren Pferde und die Fußtruppen zu transportieren. Da er nicht genügend Lastkähne zusammenbekommen hat, müssen sie nun den Landweg nach Köln nehmen.«
Maternus überschlug im Kopf, wie lange der Tross benötigen würde. Mit den schweren Fuhrwerken würden sie nur langsam vorankommen. »Wenn das Wetter nicht schlechter wird, müssten sie in etwa einer Woche hier sein«, dachte er laut.
Balduin nickte bestätigend. »Ich habe mich sofort auf den Weg zu dir gemacht, nachdem ich die Nachricht des Händlers vernommen hatte, und bin fast Tag und Nacht durchgeritten.«
Der Mönch legte seine riesige Hand auf Balduins Schulter, die beinahe vollständig darunter verschwand. »Brav, Balduin!«
Maternus hatte ihn vor zwei Monaten beauftragt und seitdem ungeduldig der Nachricht geharrt. Balduin war ein Händler aus Antwerpen, der seine Augen und Ohren überall hatte und regelmäßig auch Köln geschäftlich besuchte. Gegen eine angemessene Belohnung versorgte er Adolf von Altena schon seit Jahren mit Nachrichten über den Grafen von Brabant, der dem Kölner Erzbistum nicht gerade wohlgesonnen war. Seine Vertrauensperson in Köln war jedoch immer Maternus gewesen, weil der Erzbischof offiziell natürlich nicht mit Balduin in Verbindung gebracht werden durfte.
»Der Erzbischof wird äußerst erfreut über deine Nachricht sein«, sagte Maternus zufrieden. »Du kannst wie immer im ›Huus am Bootermaate‹ auf seine Kosten übernachten und dich vergnügen.«
Auf der anderen Seite der Sakristeitür hatte der Gehilfe des Küsters das Gespräch belauscht und vor Aufregung Mund und Augen aufgerissen. Jetzt schlich er auf Zehenspitzen durch den Raum, zog rasch seine Haube und den Umhang über und verließ eilig das Haus. Er konnte es kaum erwarten, mit der Neuigkeit zu prahlen. Dafür würden ihm die Leute gewiss so manche Runde in den Wirtshäusern spendieren. Als Erstes steuerte er den »Wilden Eber« an.
***
Seyfrid erreichte das Haus der Miles pünktlich zur Non. Tatsächlich konnte man von den oberen Stockwerken aus den gesamten Heumarkt überblicken, wie Richmodis es geschildert hatte. So behielt ihr Gatte Gerhard die Marktstände im Auge, ohne dafür jedes Mal das Haus verlassen zu müssen. Seyfrid wollte gar nicht wissen, wie viele der Stände auf dem Heumarkt Gerhard vom Hof gehörten. Der hatte seinem Neffen nach dessen Heirat mit Richmodis die Aufsicht über seine Marktstände übertragen.
Seyfrid klopfte an, und zu seiner Überraschung öffnete Richmodis ihm persönlich die Tür. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Es freut mich sehr, dich so rasch wiederzusehen.«
»Ich danke dir für die Einladung.«
In der großen Stube erblickte Seyfrid zwei Männer an einem langen Tisch. Den einen hatte er noch nicht gesehen, und er vermutete, dass es sich um Richmodis’ Ehegatten Gerhard Miles handelte, den anderen kannte er jedoch. Gerhard vom Hof betrachtete Seyfrid mit der Gelassenheit eines Mannes, der sich seiner Macht bewusst war.
Gerhard Miles erhob sich und reichte Seyfrid die Hand. »Sei willkommen in meinem Haus! Dein Besuch freut mich sehr. Richmodis hat mir schon von dir erzählt. Ein berühmter Arzt ist bei uns in Köln!«
Gerhard Miles war von eher schmächtiger Statur, und sein Haupthaar lichtete sich bereits. Er war offenkundig sehr redselig und hatte die Angewohnheit, seine Worte mit ausholenden Gesten zu unterstreichen, wie Seyfrid es bisher nur bei Italienern kannte. »Ich fühle mich geehrt«, sagte er höflich.
Das Haus war mehr als prächtig ausgestattet. Dicke Brokatteppiche hingen an den Wänden, ein ausladender Kerzenleuchter spendete Licht, und die aufwendig verzierten Möbel waren von geschickten Schreinern hergestellt worden. Seyfrid sah sich beeindruckt um.
»Verehrter Onkel, darf ich dir den Medicus Ulrich von Schwarzenberg vorstellen?«, wandte Gerhard Miles sich an vom Hof, wie es sich geziemte.
»Wir haben uns unlängst auf der Versammlung im Haus der Bürger gesehen«, sagte Gerhard vom Hof in einem Tonfall, der keinerlei Rückschlüsse zuließ, ob er sich über das Wiedersehen freute.
Seyfrid war erstaunt, dass der reichste Mann Kölns an dem Abend überhaupt von ihm Notiz genommen hatte, schließlich hatten sie nicht miteinander gesprochen. »Ganz recht. Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft machen zu dürfen.«
»Setz dich doch bitte!«, forderte Richmodis ihn auf.
Auf ihren Wink eilte ein Diener mit einer Karaffe Wein heran und füllte das Glas des Gastes.
»Gefällt es dir in Köln?«, erkundigte sie sich.
»Ja, es ist eine wunderbare Stadt mit vielen Möglichkeiten.«
»Wie ich hörte, bewohnst du ein Haus in der Nähe von Sankt Severin«, sagte Gerhard vom Hof.
»Ja, Dietrich von der Mühlengasse war so freundlich, es mir zu vermieten.«
Seyfrid entging nicht, wie das Gesicht von Richmodis schlagartig ernst wurde. Er wusste natürlich, dass der Name von der Mühlengasse hier nicht gern gehört wurde, aber er war ebenso überzeugt, dass Gerhard vom Hof längst Bescheid wusste. Wenn Seyfrid irgendetwas in den letzten Tagen gelernt hatte, dann, dass den mächtigen Männern in der Stadt nichts verborgen blieb.
»Das war sehr großzügig von ihm«, sagte Gerhard vom Hof mit einem spöttischen Unterton. »Wo ihr euch doch kaum kennt.«
Seyfrid war auf der Hut, er witterte Ungemach und bestätigte vorsichtig: »Wir kannten uns in der Tat vor dem Treffen im Haus der Bürger nicht.«
»Du ihn nicht, aber vielleicht er dich?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Natürlich wusste Dietrich, dass ein Medicus von erstaunlichem Geschick in der Stadt weilt. So jemanden von sich abhängig zu machen, birgt große Vorteile.«
»Ich mache mich nicht abhängig!«, brauste Seyfrid auf, lauter als es sich Gerhard vom Hof gegenüber geziemt hätte.
»Meinst du? Hast du schon deine erste Miete gezahlt?«
»Nein, wir haben uns darauf geeinigt, dass ich erst zahle, wenn ich genügend Geld mit der Behandlung von Kranken verdiene.«
»Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie hoch der Mietzins sein soll?«
Seyfrid zögerte, ehe er stumm den Kopf schüttelte und sich selbst für die Dummheit verwünschte, Dietrich nicht danach gefragt zu haben.
»Und du glaubst immer noch, du hast dich nicht abhängig gemacht?«
»Ich habe bereits Geld verdient und werde von der Mühlengasse umgehend die erste Miete zahlen, ganz gleich, wie viel es ist.«
Gerhard vom Hof lehnte sich mit amüsiertem Gesichtsausdruck auf seinem Stuhl zurück, ehe er antwortete. »Das solltest du tun.«
Richmodis, der das Gespräch sichtlich unangenehm war, mischte sich ein und sagte in unterwürfigem Ton: »Nun, lieber Vater, ich bin sicher, dass unser Gast das bald klären wird.«
Um rasch das Thema zu wechseln, wandte sie sich mit freundlicher Miene an Seyfrid. »Erzähl uns doch von deinem Leben in Italien, wo du an der berühmtesten Schule für Medizin studiert hast.«
Seyfrid tat so, als würde er der Aufforderung gern nachkommen, obwohl er innerlich mächtig aufgewühlt war. Es widersprach zutiefst den höflichen Umgangsformen, den Gast offen anzugehen, aber Gerhard vom Hof hatte es darauf angelegt. Er musste einen triftigen Grund dafür haben, und Seyfrid rätselte, welcher es sein könnte.
Seyfrid erzählte von Salerno und seinem Studium. Dabei beobachtete er Gerhard vom Hof, der mit ausdruckslosem Gesicht ihm gegenübersaß, nur die Augen des Patriziers verrieten, dass er genau zuhörte.
Richmodis ließ ab und an einen Laut der Verzückung hören, wenn Seyfrid von der Schönheit Italiens berichtete, und ihr Gatte erkundigte sich, was für Geschäfte es in Salerno gab. Vermutlich überlegte er, ob sich eine Handelsbeziehung lohnen würde.
Als Seyfrid geendet hatte, zeigte sich Richmodis begeistert über das Gehörte.
»Fürwahr, sehr beeindruckend«, meldete sich Gerhard vom Hof zu Wort. »Warum hast du dich aber für eine so entfernte Stadt wie Köln entschieden, wenn es dir in Italien so wohl ergangen ist?«
Seyfrid blieb auf der Hut. »Nun, in Italien gibt es bereits viele gute Ärzte, und außerdem es ist für einen Deutschen nicht ganz einfach, sich dort niederzulassen. Kaiser Barbarossas Feldzüge in Italien sind noch nicht vergessen. Da hielt ich es für eine gute Idee, mich in die größte deutsche Stadt zu begeben, um dort mein Glück zu versuchen.«
Gerhard vom Hof nickte wortlos.
»Dann ist es nur gut für uns, dass du dich nun in Köln um Kranke kümmerst«, sagte Richmodis. »Matthias Quentenberg geht es schon viel besser, wie ich gehört habe.«
»Ja, er wird bald wieder genesen sein«, bestätigte Seyfrid.
»Gut, dass er seine plötzliche Krankheit dank deiner Hilfe so schnell überstanden hat«, bemerkte Gerhard vom Hof.
Er sprach die Worte »plötzliche Krankheit« mit Nachdruck aus, und Seyfrid fragte sich, wie viel er wusste. Es war nicht auszuschließen, dass das Gesinde von Matthias Quentenberg entgegen den strikten Anweisungen des Hausherrn doch geplaudert hatte. Geld öffnete Tore und auch Münder.
Gerhard vom Hof erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich an seinen Neffen und seine Tochter. »Nun, habt Dank für eure Gastfreundschaft, aber leider rufen jetzt dringende Geschäfte nach mir.«
Dann sah er Seyfrid an. »Es war mir ein Vergnügen, deine Bekanntschaft gemacht zu haben.« Er deutete eine knappe Verbeugung an. »Wir werden uns sicher wiedersehen, Ulrich von Schwarzenberg.«
Seyfrid blickte Gerhard vom Hof nach, als er gemächlichen Schrittes den Raum verließ. Er hatte das deutliche Gefühl, dass der reichste Mann Kölns eine Abneigung gegen ihn hegte. Doch lag es nur daran, dass Dietrich von der Mühlengasse ihm wohlgesonnen war?
Sowohl Richmodis als auch Gerhard Miles versuchten nach Kräften, die Stimmung nach dem unangenehmen Gespräch mit dem Familienoberhaupt wieder aufzuheitern. Sie versicherten, die Dienste des Medicus in Köln weiterzuempfehlen und ihn beim nächsten Fest erneut einzuladen. Doch Seyfrid merkte, dass seine Gedanken immer wieder abschweiften. Er hatte das Gefühl, dass Gerhard vom Hof viel mehr wusste, als er erzählt hatte.
Schließlich verabschiedete sich Seyfrid höflich und gab vor, noch etwas Dringendes erledigen zu müssen.
***
Die eiligen Schritte seines schweren Körpers hallten durch den Palast. Endlich konnte Maternus dem Erzbischof gute Nachrichten übermitteln. Er klopfte vernehmlich an und wartete voller Ungeduld.
Von drinnen kam ein lauter Fluch und dann ein Rascheln. »Wer zum Henker stört?«, brüllte Adolf von Altena.
»Ich bin es, Maternus. Es ist dringend.«
»So komm in Gottes Namen herein!«
Noch bevor Maternus eintrat, ahnte er schon, welcher Anblick sich ihm bieten würde, und tatsächlich lag im Bett des Erzbischofs eine Frau mit festen Brüsten und schmaler Taille, die keinerlei Anstalten machte, ihre Nacktheit zu bedecken. Die junge Frau spielte mit ihren langen braunen Haaren, während sie Maternus anzüglich anlächelte. Der Mönch wusste, dass sich von Altena gern Huren aus den Bordellen kommen ließ, aber die hier kannte offensichtlich gar keine Scham, was den Erzbischof vermutlich umso mehr reizte.
Adolf von Altena erhob sich ungehalten und warf sich ein Hemd über. »Verschwinde!«, befahl er der Frau.
Sie stieg mit beleidigter Miene aus dem Bett, packte ihre Kleider und verließ das Zimmer.
»Also, was gibt es?«, fragte von Altena schroff.
»Die Königsmutter Eleonore ist gestern mit dem Lösegeld in See gestochen«, verkündete Maternus. »Sie wird von zweihundert Rittern begleitet, und der Bischof von Salisbury, Hubert Walter, führt den Tross an.«
Auf dem Gesicht des Erzbischofs erschien schlagartig ein Lächeln, das Maternus immer an einen Hund erinnerte, der seine Zähne fletscht. »Endlich! Ich befürchtete schon, sie wollten doch noch den Winter abwarten. Übrigens bist du nicht auf dem neuesten Stand: Hubert Walter ist vor wenigen Wochen vom Heiligen Vater zum Erzbischof von Canterbury ernannt worden.«
Maternus nickte anerkennend. Wie er wusste, war Hubert Walter ein getreuer Gefolgsmann des englischen Königs und hatte mit ihm in Palästina in vorderster Reihe tapfer gekämpft. Aber vor allem hatte Sir Hubert sich als geschickter Vermittler nicht nur zwischen den rivalisierenden europäischen Fürsten, sondern auch bei den Verhandlungen mit Sultan Saladin erwiesen. Nicht zuletzt seinem diplomatischen Geschick war der Friedensvertrag mit den Ungläubigen zu verdanken.
Während der Gefangenschaft Richards hatte Sir Hubert in England die Interessen des Königs gegen dessen verräterischen Bruder Prinz John vertreten. Wenn Papst Coelestin III. ihn nun zum Erzbischof von Canterbury ernannt hatte, war das eine deutliche Positionierung des Heiligen Vaters zugunsten von Richard Löwenherz.
»Dass das Kathedralpriorat von Canterbury Hubert Walter zum Erzbischof gewählt habe, hörte ich bereits, aber dass der Heilige Vater ihn offiziell eingesetzt hat, war mir in der Tat noch nicht bekannt.«
»König Richard hätte sich keinen besseren Mann in dem Amt wünschen können. Hubert Walter hat mit größter Umsicht und Zähigkeit mit Kaiser Heinrich über die Freilassung Richards verhandelt. Wie du weißt, bin ich Sir Walter bei der Gelegenheit im März in Ochsenfurt begegnet.«
Maternus konnte sich noch genau erinnern, wie beeindruckt Adolf von Altena ihm im Frühling von Bischof Hubert Walter berichtet hatte. Offensichtlich, weil sie sich in Denkweise und politischen Interessen ähnlich waren. Jedenfalls hatte Maternus es noch nie erlebt, dass Adolf von Altena einen anderen Menschen derart hoch gelobt hätte. Normalerweise hatte er nur Spott und Verachtung für andere übrig.
»Die Königsmutter und ihr Tross werden in etwa einer Woche in Köln eintreffen«, sagte er.
»Sehr schön, dann wird sie, wie erhofft, noch vor dem Weihnachtsfest hier sein.«
»Und auch rechtzeitig für das Turnier, das der Rat der Stadt zu Ehren der Königsmutter Eleonore veranstalten will.«
Der Blick des Erzbischofs verfinsterte sich schlagartig. »Da werden sich die Herren der Richerzeche die Hände reiben. Sie wittern schon fette Geschäfte mit England.«
»Glaubt Ihr, es geht ihnen nur um Geschäfte?«, fragte Maternus nachdenklich.
»Die Frage treibt mich schon seit Tagen um. Wozu der ganze Aufwand? Die Dankbarkeit Eleonores und Richards wird ihnen auch so gewiss sein.«
»Der übliche Hang der Richerzeche zur Protzerei?«
»Vielleicht. Aber das Turnier hat Dietrich von der Mühlengasse angeregt, der auch einen großen Teil der Kosten trägt. Es passt überhaupt nicht zu dem alten Geizkragen.«
»Ich hörte, ihm sei viel Geld verloren gegangen, seit die Geschäfte mit England zurückgegangen sind.«
Adolf von Altena schnaufte verächtlich. »Glaub mir, an Geld mangelt es ihm ganz gewiss nicht.«
»Dietrich von der Mühlengasse lässt bekanntlich nichts aus, um Gerhard vom Hof zu übertrumpfen. Ich würde es als den Konkurrenzkampf zweier Streithähne bewerten.«
»Möglich«, antwortete der Erzbischof nach einer Weile. »Dennoch behagt mir die Sache nicht. Allein schon, weil der Papst es mir zum Vorwurf machen wird, dass Köln ein Turnier abhält.«
Maternus wusste um den wunden Punkt: Es lag nicht mehr in der Macht des Kölner Erzbischofs, den Bürgern ein Turnier zu verbieten. Doch der Mönch hütete sich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren.
»Wenn Eleonore in etwa einer Woche hier sein wird, dann bleibt noch genügend Zeit für die Vorbereitung des Festmahls«, wechselte von Altena das Thema und rieb sich das Kinn.
»Soll es hier im Palast stattfinden?«
»Was denkst du denn? Soll ich sie etwa im Pferdestall empfangen?«
»Ich dachte, sie würde vielleicht im Lager ihres Trosses bleiben.«
»Bist du von Sinnen? An diesem sumpfigen Duffesbach? Ich werde der Mutter von König Richard einen prunkvollen Empfang bereiten, wie es ihr gebührt. Sag meinem Schreiber, er soll Einladungen an die wichtigsten Hundsfotte der Richerzeche schicken!«
Maternus hatte schon den Türgriff in der Hand, als ihn der Erzbischof zurückrief. »Warte! Gibt es neue Erkenntnisse über die drei fremden Mönche?«
»Leider nein, Exzellenz.«
»Verwünscht!« Schlagartig war die gute Laune des Erzbischofs wieder verflogen. »Ich will wissen, wer sie sind und was sie im Schilde führen. Ich werde nicht zulassen, dass noch im letzten Moment etwas schiefgeht.«
»Natürlich, Exzellenz«, sagte Maternus, als ihm seinerseits noch etwas einfiel. »Aber eine andere Nachricht kam mir zu Ohren: Matthias Quentenberg litt nicht an einer Krankheit, man hat versucht, ihn zu vergiften.«
Adolf von Altena starrte eine Weile regungslos in den Kamin. »Wundert dich das?«, fragte er schließlich, doch wartete die Antwort gar nicht erst ab. »Quentenberg hat sich wohl zu viel angemaßt.«
Eine nachdenkliche Falte erschien zwischen den Augen des Mönches. Er kannte von Altena schon lange, und doch geschah es immer wieder, dass er ihn nicht einschätzen konnte. Hatte der Erzbischof es bereits gewusst?
***
Seyfrid verspürte Hunger, da die Miles ihm zwar einen ausgezeichneten Wein kredenzt, aber um die Tageszeit natürlich nichts zu essen angeboten hatten. Weil er in seinem Haus keinerlei Vorräte hatte, beschloss er, dem »Wilden Eber« einen Besuch abzustatten.
Es herrschte dort reger Betrieb, die Tische waren alle voll besetzt. Im Gegensatz zur Kälte in den Straßen war die Hitze in der großen Schankstube geradezu schweißtreibend.
Seyfrid ergatterte einen freien Platz neben einem älteren Mann mit weißem Bart, der sich als Hyronimus der Sattler vorstellte. Er war eine wahre Frohnatur und sprach dem Bier kräftig zu. Seyfrid konnte gerade noch beim Wirt Peter Cüppers eine Portion Schweinefleisch mit Brot und Bohnen bestellen, als er auch schon von Hyronimus aufgeregt gefragt wurde: »Hast du schon die große Neuigkeit vernommen?«
Seyfrid verneinte, und Hyronimus bekam glänzende Augen. »Die Königsmutter Eleonore kommt bald mit zweihundert Rittern nach Köln«, verkündete er triumphierend.
Der Medicus sah überrascht auf. Der Sattler grinste breit, weil er mit seinem Wissen auftrumpfen konnte.
»Die Nachricht verbreitet sich rasend schnell in der Stadt. Eleonore bringt das Lösegeld für ihren Sohn, König Richard, zum Kaiser nach Speyer. Sie macht in Köln Rast, um im Dom die heilige Messe zu feiern und sich mit dem Erzbischof zu treffen. Der hat sich ja wohl sehr beim Kaiser für Richards Freilassung eingesetzt. Ich schätze, die alte Dame will sich beim Erzbischof bedanken.«
»Wann wird Eleonore in Köln eintreffen?«
»Nun, soviel ich hörte, wird der Tross in etwa einer Woche hier sein.«
»Ich vermute, mit dem Lösegeld werden sie nicht den Weg über Frankreich wählen.«
Hyronimus lachte auf. »Sie wären ja verrückt, sich in Philipps Hände zu begeben. Nein, sie landen an der Mündung des Rheins, und von dort wählen sie den Landweg. Es soll ein riesiger Tross sein, über eine Meile lang. Allein elf große Karren mit jeweils zwei Pferden werden gebraucht, um die hunderttausend Silbermark zu ziehen.«
Für einen Moment überkam Seyfrid ein Anflug von Wehmut. Ob einige der englischen Ritter darunter waren, mit denen er zusammen im Heiligen Land gekämpft hatte? Dann schüttelte er bei dem Gedanken unwillkürlich den Kopf. Das war nicht mehr seine Welt. Er hatte damit abgeschlossen. Seine Aufgabe lag jetzt darin, die Männer zu finden, die für den Tod seines Vaters verantwortlich waren, und danach würde er sich nur noch der Heilung Kranker widmen. Falls es ein Danach geben würde.
***
Es war Abend geworden, als Rebecca sich ein Herz fasste und an die Tür des Schlafgemachs ihrer Eltern klopfte. Sie wusste, dass ihre Mutter noch in der Küche war, um dem Koch und der Magd Aufgaben für den nächsten Tag aufzutragen. Rebecca musste einfach herausfinden, was ihren Vater über die Richerzeche hinaus mit Hackenbroich verbunden hatte.
Ihr Vater ließ ein kräftiges »Herein« hören – es ging ihm offensichtlich dank der Medizin wieder besser.
»Ich wollte mich nach deinem Befinden erkundigen, lieber Vater.«
»Das freut mich, mein Kind. Nun, ich fühle mich recht gut, auch wenn ich noch nicht wieder im Vollbesitz meiner Kräfte bin.«
»Das ist wahrlich eine gute Nachricht.«
»Wie hast du den heutigen Tag verbracht?«
Das ist genau die richtige Frage, dachte Rebecca frohlockend, denn sie hatte sich eine Strategie zurechtgelegt. »Nun, nachdem ich in der Frühmesse war, habe ich ein paar kleine Besorgungen gemacht. Oh, dabei habe ich die Witwe Hackenbroich auf dem Alter Markt gesehen«, log sie. »Kaum zu glauben, dass der Mord an ihrem Gatten nun schon fast ein halbes Jahr her ist.«
»Ja, und sie führt das Geschäft immer noch weiter. Wie du weißt, haben die Hackenbroichs zwei Töchter, die beide verheiratet sind. Deren Ehemänner sind sehr darauf erpicht, das Geschäft zu übernehmen, aber die Witwe weigert sich.« Er lachte kurz auf. »Sie war schon immer sehr streitsüchtig, ihr Gatte wusste davon ein Lied zu singen.«
»Hat er eigentlich je Gewänder bei uns gekauft?«
»Hackenbroich? Nein. Wieso fragst du?«
»Oh, ich dachte nur, sonst bestellen ja viele aus der Richerzeche bei uns ihre Kleidung. Mochtest du ihn nicht?«
Er sah seine Tochter etwas verdutzt an. »Kind, du weißt doch: über Tote nur Gutes. Aber, nun ja, ein sonderlich gewinnendes Wesen hatte er nicht gerade. Er neigte zur Überheblichkeit und war schnell beleidigt. Und gierig war er auch, nicht einmal an seine Brüder der Richerzeche verkaufte er sein Salz günstiger.«
»Hattest du Streit mit ihm?«
»Wie kommst du denn darauf? Nein, ich hatte kaum mit ihm zu tun.«
»Aber du streitest dich doch manchmal mit deinen Brüdern der Richerzeche.«
»Natürlich sind wir nicht immer alle einer Meinung, und zwischen manchen Familien herrscht Zwist, wie du weißt.«
»Zwist, wie du ihn mit Gerhard vom Hof hattest?«
Rebecca hatte mitbekommen, wie er vor einigen Wochen von einem Besuch bei Gerhard vom Hof sichtlich schlecht gelaunt wieder zurückgekehrt war. Ihr Vater hatte mit seinen Stimmungen noch nie hinter dem Berg halten können.
Doch er schüttelte energisch den Kopf. »Ich vertraue Gerhard. Wir waren nur unterschiedlicher Auffassung, wie wir uns gegenüber dem Erzbischof verhalten sollen.«
»Wollte er, dass du vor dem Erzbischof kriechst?«
»Hüte deine Zunge, Rebecca!«, brauste er auf.
»Verzeih, Vater! Ich wollte dich nicht erzürnen«, sagte Rebecca mit unterwürfiger Stimme und blickte ihn aus großen Augen an. Das funktionierte immer, wie sie nur zu genau wusste.
»Nun, der Erzbischof versucht ständig, seine Machtansprüche in Köln gegen die Richerzeche durchzusetzen«, erklärte er besänftigt. »Das können wir natürlich nicht dulden.«
Rebecca sah ihn erwartungsvoll an, und er fuhr nach kurzem Zögern fort. »Adolf von Altena möchte, dass der Kölner Rat erneut eine große Summe an die Berater des Kaisers zahlt. Die Fürsten sollen bei Kaiser Heinrich darauf bestehen, König Richard auch wirklich freizulassen.«
»Aber die Königsmutter Eleonore hat doch das verlangte Lösegeld vollständig zusammen und ist auf dem Weg zum Kaiser, um es ihm zu übergeben, wie ich heute gehört habe.«
Ihr Vater ließ ein Grunzen vernehmen, bei dem sie nicht sicher war, ob es amüsiert oder verächtlich klang.
»Ja, aber was ist, wenn es sich der Kaiser im letzten Moment noch anders überlegt? König Philipp von Frankreich und Richards Bruder, der verruchte John, sähen es nur zu gerne, wenn Richard in Gefangenschaft bliebe. Sie haben Heinrich die gleiche Summe geboten, wenn er Richard weiter gefangen hält.«
»Das wäre ehrlos vom Kaiser«, erboste sich Rebecca.
»Er ist auf das Angebot nicht eingegangen. Noch nicht.«
»Heißt das, er zieht es in Erwägung?«, fragte sie entsetzt.
»Nach allem, was wir aus Kreisen des Hofes erfahren haben, will Heinrich, dass Richard ihm auch noch den Lehnseid schwört und mit ihm den Feldzug gegen König Tankred von Sizilien führt.«
»Wird sich König Richard darauf einlassen?«
Ihr Vater zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Fürsten sich für Richard einsetzen sollten, sonst schmort er noch Jahre auf der Burg Trifels. Gerhard vom Hof ist aber dagegen, dass die Richerzeche dem Erzbischof Geld gibt, selbst wenn er es für Fürsten bei Hofe verwenden würde.«
»Warum? Es ist doch nur in unserem Interesse. Wenn die Stadt Köln König Richard hilft, wird er es uns nach seiner Freilassung danken, indem er die Handelsbeziehungen zwischen England und uns wieder stärkt.«
Matthias Quentenberg betrachtete sie wohlwollend. »Mein Kind, du hattest schon immer ein sehr helles Köpfchen. Aber Gerhard meint, dass der Kaiser es uns übel nehmen würde, wenn wir mit Adolf von Altena paktieren. Du weißt, dass Heinrich dem Erzbischof nicht gerade zugetan ist und uns Bürger von Köln deshalb in unseren Ansinnen oft unterstützt hat. Gerhard möchte das Wohlwollen des Kaisers nicht aufs Spiel setzen.«
»Aber Gerhard ist der Untervogt des Erzbischofs. Damit steht er doch in seinen Diensten.«
Ihr Vater lachte laut auf. Es war das erste Mal seit seiner Vergiftung, dass sie ihn herzhaft lachen hörte. Sie wertete es als gutes Zeichen.
»Klug bemerkt! Nun, schon Erzbischof Philipp hatte bei Gerhard mehr Schulden als Haare auf dem Kopf und ihm deshalb das Amt angeboten. Gerhard hat das Amt des Untervogts angenommen, weil es seine Macht in Köln deutlich ausweitet. Adolf von Altena hat ihn als Untervogt behalten, weil auch er bei Gerhard tief in der Kreide steht. Nichtsdestotrotz mögen sich die beiden nicht und würden wohl nicht zögern, dem anderen zu schaden, wenn sie einen Vorteil daraus ziehen könnten.«
»Du möchtest aber, dass der Rat das Geld gibt, um die Fürsten zu bewegen, sich für Richard einzusetzen.«
»Ja, ich halte es für wichtiger, als sich vielleicht den Unwillen Heinrichs zuzuziehen. Du weißt, wie viel Wolle wir früher aus England bekamen und wie viele Gewänder wir nach London verkauften.«
»Also, sind alle im Rat der Stadt für die Freilassung von König Richard außer Gerhard vom Hof?«
»So ziemlich.« Ihr Vater schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Rebecca, geh jetzt, ich bin müde und muss mich ausruhen!«
Widerwillig verließ Rebecca das Schlafgemach und zog sich in ihre Kammer zurück, warf sich dort auf das Bett und starrte an die Decke. Gerhard vom Hof war gegen das Bestechungsgeld. Aber wäre das für ihn ein Grund gewesen, ihren Vater mit dem Arsenik von Hackenbroich zu vergiften?