2. Neu-Bekanntschaften mit Alt-Bekannten

Andreas Abendländer schätzt sich aus vielerlei Gründen glücklich. Er ist gesund und hat die weiterführende Schule vor etwa neun Jahren erfolgreich abgeschlossen. Er hat keine Berufsausbildung gemacht, sondern bevorzugt, auf dem Hof der Familie zu arbeiten. Der elterliche Hof im schweizerischen Kanton Appenzell Innerrhoden würde ihm, dem einzigen Sohn – eine Schwester gab es auch nicht –, eines Tages sowieso übertragen.

Der winzige, aber malerische Kanton mit seinen etwa 16.000 Einwohnern war ursprünglich Teil eines größeren Kantons, von dem er sich dann aber abspaltete, unter anderem auch, um seine konservativ-religiöse Identität zu bewahren. Solche Rahmenbedingungen sollen eine positive Wirkung auf den Zusammenhalt seiner Bewohner haben und gefallen Herrn Abendländer.

Die Übertragung des Hofes hat mittlerweile stattgefunden, und die Erträge sind sehr gut. Überglücklich ist er mit seiner Jugendliebe Anna, in der Zwischenzeit seine Ehefrau, die er tief und innig liebt. Die beiden haben eine vierjährige Tochter, Birgit, ihr ganzer Stolz. Alles in allem darf sich der jetzt 27-jährige Andreas Abendländer zu Recht glücklich schätzen. Es ist das Jahr 1959.

Ein Schicksalsjahr für die Schweiz: Die Einführung des Frauenwahlrechts wurde durch eine Volksabstimmung mit einer Mehrheit von über zwei Drittel der Stimmen abgelehnt. Das wahlberechtigte Volk bestand nur aus Männern.

Andreas Abendländer wird von seinen Mitbürgern als angesehenes Gemeindemitglied geschätzt, das konform mit der Mehrheit geht. Er ist religiös, ein regelmäßiger Kirchgänger und mit dem jungen Pfarrer befreundet, dem das Priesteramt erst vor kurzem übertragen wurde. Dass er sich den Traditionen seiner ländlichen Heimat verpflichtet fühlt, versteht sich von selbst. Er nimmt regelmäßig an den Versammlungen der Gemeinde teil und hört Vorträge von Geistlichen und anderen religiös-konservativ orientierten Gästen, die die Gemeinde einlädt.

Herr Abendländer ist unter anderem auch fest davon überzeugt, dass es – gemäß dem, was er in der Bibel liest, was er im Religionsunterricht gelernt hat, was der Herr Pfarrer sagt und passend zur Haltung in der Gemeinde – Gottes Wille ist, dass die Frau dem Mann gehorcht und dass sie in die Familie und an den Herd gehört. So sagen es die vortragenden Gäste der kirchlichen Gemeinde, und so suggerieren es auch die Radiosendungen seiner Heimat, die Lokalzeitungen sowie die entsprechende, noch etwas spärliche Werbung. Alle sehen die Frau so. Sie soll sich zuständig und verantwortlich fühlen für das Glück des Mannes, die gute Erziehung der Kinder und die Ordnung im Haushalt. Das sei ihr „Königreich“ wird ihr eingeredet, schon von Kindheit an. So ist auch die allgemeine Meinung in der Bevölkerung, die Herr Abendländer wahrnimmt. Mit „Bevölkerung“ ist selbstverständlich die Männerwelt gemeint.

Er ist, wie viele andere Männer in der Gemeinde, Mitglied einer konservativen politischen Partei, in deren Programm nichts über die Gleichberechtigung der Geschlechter steht. Er findet es gut und richtig, dass die Schweizer in diesem Jahr, 1959, mit so überwältigender Mehrheit das Wahlrecht für Frauen für die ganze Schweiz abgelehnt haben. Auch er hat dagegen gestimmt, wie fast alle aus seinem Bekanntenkreis und die meisten Bewohner der ländlichen Region, in der er mit seiner Familie lebt.

Seine Frau Anna aber ist gar nicht begeistert über die Entscheidung der Schweizer Männer, mit der sie der anderen Hälfte der Bevölkerung, den Schweizer Frauen nämlich, das Wahlrecht verweigerten. Und sie ist traurig, dass auch ihr Andreas zu den Verweigerern gehört. Leise spricht sie von Diskriminierung. „Diskriminierung? …“, wundert sich Herr Abendländer. „Wieso Diskriminierung? Wir kümmern uns doch liebevoll um die Angelegenheiten unserer Frauen. Warum sollen wir die gottgewollte und so gut bewährte Ordnung ändern? Unser Kanton ist seit 1513, also seit viereinhalb Jahrhunderten, Mitglied der Schweizer Eidgenossenschaft. Und bis jetzt lief doch alles immer prima, sowohl im Kanton als auch in der Gesamtschweiz. Warum sollte sich daran etwas ändern?“

Tatsächlich wundert sich Herr Abendländer sehr, dass eine zunehmend größere Zahl von Frauen – und inzwischen sogar nicht wenige Männer – die gute Ordnung umstoßen und mehr Rechte für die Frauen einführen wollen. Es befremdet ihn, dass sie dabei der Männerwelt vorwerfen, sie diskriminiere die Frauenwelt. „Wie kommen die denn darauf?“, grübelt er. „So was Ungerechtes … Also wirklich! Manche sprechen gar von Misogynie … Was soll das nun wieder heißen?“

Misogynie …? Was ist das?

Misogynie? Was soll das eigentlich heißen, will Andreas Abendländer wissen. Um dieses Wissen zu erlangen, müssen wir noch einiges klären. Aber zunächst folgende Erläuterung: Voraussetzung, um im Allgemeinen von einer Männerwelt respektive Frauenwelt zu sprechen, soll der Konsensus sein, dass beide Bezeichnungen bloß große Mehrheiten meinen, die individuelle bzw. Minderheitsabweichungen aber nicht ausschließen. Nur in diesem Sinne wird im Folgenden von Männerwelt und Frauenwelt gesprochen. Und keineswegs im Sinne einer pauschalisierend-etikettierenden Bezeichnung, wie etwa „der Mann“, geschweige denn in dem Sinne: „Der Mann braucht ein Unten, um das Oben zu sein.“ Und sicherlich auch nicht in einem rigid-verabsolutierenden Sinne: „Ein Mann, ein Wort. Zwei Männer, ein Schulterschlag. Drei Männer, eine Men’s World.6 Wenn wir also von Männerwelt sprechen, wissen wir, dass es auch den Mann gibt, der kein „Unten braucht, um das Oben zu sein“. Und dass es auch den dritten Mann gibt, der nicht zu der suggerierten „Men’s World“ gehört bzw. gehören will. Genau im selben Sinne wird auch von der Frauenwelt gesprochen. Keineswegs werden die Begriffe als monolithische Blöcke verstanden.

Kommen wir nun zu einem zentralen Punkt, der Klärung der Begriffe „Misogynie“ bzw. „Frauenhass“. Das Wort „Misogynie“ bedeutet ins Deutsche übersetzt nichts anderes als „Frauenhass“. Es setzt sich aus den griechischen Wörtern „misó“ („ich hasse“) bzw. „Mísos“ („der Hass“) und „Gyné“ („die Frau“) zusammen. Deshalb werden Misogynie und Frauenhass in der deutschen Sprache, auch in diesem Buch, abwechselnd und gleichbedeutend verwendet.

Da beide Begriffe im Folgenden eine zentrale Rolle spielen werden, müssen wir uns die Zeit nehmen, sie etwas genauer zu betrachten. Der Begriff „Misogynie“ ist sehr alt, genauer gesagt 2500 Jahre alt. Menander, der griechische Komödienschreiber und Aristoteliker des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, verwendete vermutlich als Erster den Begriff in seinem leider nicht bis in unsere Zeit geretteten Theaterstück „Misógynos“ („Der Misogyn“); nur ein paar Sprüche sind davon erhalten geblieben. Der Begriff wurde später auch von den Römern übernommen. So schrieb der römische Dramatiker Atilius Comicus um 200 v. Chr. die Komödie „Misogynus“, offensichtlich in Anlehnung an den erwähnten „Misogynos“ des Menander. Cicero, der Atilius zitiert, bringt Frauenhass und Misogynie zusammen.* Die Annahme, dass die Bezeichnung Misogynie erstmals im Jahre 1656 bzw. 1630 der Neuzeit auftauchte, wie etwa Jack Holland es behauptet (S. 173), ist also nicht zutreffend.

Aber wir müssen aufpassen, wenn wir von Misogynie sprechen. Nicht, dass wir damit das ausdrücken, was wir nicht ausdrücken wollen. Denn das Wort Misogynie kann in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden: Der Begriff Misogynie respektive Frauenhass wird in einer individuellen und in einer überindividuellen Bedeutung verstanden. Individuell in dem Sinne, dass der Hass auf Frauen von einzelnen Individuen ausgeht, aber nicht von der Allgemeinheit respektive von der Mehrheit der Männerwelt. In seinem individuellen Sinne drückt das Wort Misogynie nichts anderes aus als was es ausdrücken soll: Frauenhass. Im alltäglichen Gebrauch und im öffentlichen Diskurs aber wird der Begriff Misogynie fast immer in einem überindividuellen Sinne verwendet, und zwar einen großen Teil der Menschheit betreffend. Damit suggeriert Misogynie Hass eines breiten Kollektivs auf ein anderes Kollektiv – Hass der Männerwelt auf die Frauenwelt. Aus den unzähligen Formulierungen, die darauf hinweisen, wählen wir nach dem Zufallsprinzip eine einzige aus, um das zu verdeutlichen: „Wir wissen heute […], dass der angebliche Unterschied [Anm.: zwischen Mann und Frau] nichts ist als ein Vorwand für die Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Und dass diese Hierarchie keineswegs auf Liebe begründet ist, sondern auf Hass.7

Woher kommt denn so ein Wissen, dass nämlich die „hierarchische“ Geschlechterbeziehung auf Hass gegründet ist? Und welche Berechtigung hat eine solche Verabsolutierung? Das ist kein korrektes Wissen. Um nachzuvollziehen, warum das Wort Hass bei der Beschreibung der überindividuellen bzw. kollektiven Geschlechterbeziehungen fehl am Platze ist, ist es hilfreich, sich die Herkunft der Wörter anzuschauen. „Hass“ und „Mísos“ – sind sogenannte monosemantische Wörter bzw. Monosemen (wörtlich aus dem Griechischen übersetzt: „Wörter mit singulärer Bedeutung“). Das heißt, dass sowohl das griechische Wort „Mísos“ als auch das deutsche Wort „Hass“ nur eine einzige Bedeutung zulassen. Monosemantische Wörter sind in ihrer Bedeutung rigid, unelastisch und definitiv. Hass ist Hass. Und Mísos meint immer den Hass. Hass kann ein natürliches, menschlich nachvollziehbares Gefühl sein. Man kann es nachvollziehen, wenn jemand den Mörder seiner Eltern, den Vergewaltiger seiner Tochter, den Zerstörer des Familieneigentums hasst. Aber es gibt auch den nicht nachvollziehbaren, den nicht begründbaren Hass. Den meinen diejenigen, die von Misogynie sprechen. Nachvollziehbar im obigen Sinne oder nicht, muss allerdings Folgendes deutlich gemacht werden:

Hass und Mísos definieren eine starke, negative, destruktive Emotion, die begleitet ist von ebenfalls negativen, aversiven bis zu gewaltaffinen Denk- und Verhaltensweisen, gerichtet gegen Personen, aber auch gegen Situationen, Einstellungen oder Gegenstände.

Ist das aber gemeint, wenn die Begriffe Misogynie und Frauenhass bei der Beschreibung der Einstellung der Männerwelt, oder großer Teile davon, zur Frauenwelt angewendet werden? Sicherlich nicht. Niemand kann heutzutage ernsthaft die Geschlechterbeziehung kollektiv als eine Hassbeziehung bezeichnen – trotz mancher Äußerungen wie die vorher zitierte.

Der Begriff Misogynie bzw. Frauenhass als überindividuelle Bezeichnung ist missverständlich und irreführend. Anders sieht es aus mit der individuellen Bedeutung von Frauenhass (resp. Misogynie). Dabei handelt es sich in der Tat um Hass. Frauenhass resp. Misogynie tritt bei einzelnen Individuen als eine individuelle negative Emotion auf, begleitet von ebenfalls negativen Denk- und Verhaltensweisen gegen Frauen, die auf eine spezifische psychische Problematik oder Konfliktsituation des Hassenden, nicht selten sexueller Natur, hinweisen. Der so definierte individuelle Frauenhass (respektive die ebenfalls so definierte Misogynie) ist am häufigsten bei einzelnen Männern (und ausnahmsweise auch bei einzelnen Frauen) zu finden, wo er aus der individuellen Lebensgeschichte abzuleiten ist und auf den Betroffenen begrenzt bleibt. Das schließt keineswegs aus, dass sich Frauenhasser in mehr oder weniger kleinen Clubs, vor allem im Internet, zusammenfinden, so wie es neben anderen auch Tobias Ginsburg, Veronika Kracher oder Susanne Kaiser darstellen. Aber die Frauenhasser bleiben dabei Individualisten, mit ihrer eigenen ganz persönlichen Problematik. Sie sind nicht von einem pandemischen Phänomen befallen, wie etwa die überindividuellen Gleichwertigkeitsverneiner, die den Frauen jegliche Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung gegenüber Männern absprechen.

Drückt aber der Begriff Misogynie bzw. Frauenhass in seinem landläufigen Gebrauch das gerade Erläuterte aus? Eben nicht. Misogynie wird im allgemeinen Diskurs als die Summe von Einstellungen und Verhaltensweisen verstanden, die aus der Annahme einer ontologischen Minderwertigkeit der Frau abgeleitet werden und damit zu deren Abwertung führen. Die Konsequenz daraus ist die Verneinung ihrer Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung mit dem Mann.8 Das hat mit echtem Hass wahrlich wenig zu tun.

Der Begriff „ontologisch“ klingt zwar sehr wissenschaftlich-philosophisch, aber er meint Dinge, die jeder von uns mit anderen Worten und anderen Formulierungen ausdrückt. Er wird abgeleitet vom griechischen „on“, Genitiv „óntos“, was „das Seiende“ bedeutet – in diesem Zusammenhang, grob gesagt, etwas Existierendes, etwas von Gott, der Natur, der Evolution oder einer sonstigen höheren Instanz Gegebenes. Wenn also jemand zum Beispiel sagt, „es ist Gottes Wille“ oder „es ist Schicksal“ oder „so ist das Leben“, meint er im Grunde genommen genau das: das Ontologische. Die angenommene „ontologische Minderwertigkeit der Frau“ sei also von einer höheren Instanz (Gott, Natur, Evolution oder sonstigem), ontologisch eben, vorgesehen und vorgegeben.

Damit argumentiert der Gleichwertigkeitsverneiner. Aber er argumentiert nicht mit seinem Hass auf die Frauen; er ist in seiner Einstellung keineswegs von Hass getrieben. Der Gleichwertigkeitsverneiner ist nicht durch Wut, Zorn, Abneigung, Angriffslust, Gewalt- und sadistische Fantasien und Wünsche und auch nicht – wie es in extremen Fällen vorkommt – Todeswünsche gegen die Frauen charakterisiert. Im Gegensatz zu dem, der die Frauen hasst, dem Misogyn, dem Frauenhasser.

Bevor wir die unangenehme Bekanntschaft mit Letzterem machen, lassen Sie uns die Emotion erkunden, die ihn umtreibt: Hass. Nicht nur als Frauenhass.

Hass, eine toxische Emotion – für Mann und Frau

Ob die Frauen zur Gattung Mensch zu rechnen sind? Wer stellt so eine Frage? Ach, das ist eine lange Geschichte. Eine alte Frage. Sie wurde noch kurz vor Beginn der zweiten, der postantiken, europäischen Aufklärungszeit gestellt. Etwa durch das Buch „Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht“.9 Auch die Aufklärung und die ihr nachfolgenden Zeiten waren nicht keusch in Bezug auf ähnlich diskriminierende Attitüden. Sogar noch im 20. und, fast unglaublich, im 21. Jahrhundert stellen Autorinnen verzweifelte Fragen, wie etwa: „Wann werden Frauen Menschen sein? Wann?“10 Derjenige, der sich nicht nur rhetorisch diese Frage stellt, sondern ernsthaft darüber diskutiert, bringt vieles aus dem eigenen problematischen Hintergrund zum Ausdruck. Aber auch Hass? Hass auf die Frauen?

Der individuell belastete Frauenhasser, der Misogyn, schleppt eine Menge Männlichkeitsproblematik mit sich herum. Er ist eine höchst problematische, aber teilweise auch tragische Figur, obwohl er manchmal sogar komödiantisch wirken kann. Er ist Täter und Opfer zugleich. Täter als psychisch verletzender oder gar physisch schädigender Mann, Opfer als Beute seines defizitären, problembeladenen Selbst. Nicht selten auch als Geschädigter seiner sozialen Umgebung, die ihn psychologisch geprägt hat.

Ein Misogyn ist nicht selten auch ein Misanthrop, also einer, der alle Menschen insgesamt hasst, unabhängig vom Geschlecht. Sein Frauenhass ist dann in der Regel Ausdruck einer umfassenderen und tiefverwurzelten Hassbereitschaft. In extremen Fällen ist der Misogyn sogar ein „Misopan“, ein „Alleshasser“ (vom griechischen „pan“ = „alles“). Insofern könnte sein Hass ihn in – zum Glück – seltenen Fällen nicht nur zum Frauenmord anstiften, sondern, in noch selteneren Fällen, sogar zum Massenmord. Unangenehme Bekanntschaften mit manchen davon erwarten uns im Abschnitt „Hassende Opfernarren …“ in diesem Kapitel.

Frauenhass ist immer und in all seinen Formen toxisch. Toxisch bedeutet giftig; Frauenhass ist doppelt giftig: Schädigend für die Frau (physisch, psychisch, sozial oder alles zusammen) und vergiftend für den Hassenden. Der Frauenhassende vergiftet für sich selbst so viel Wunderschönes, was Frauen der Welt schenken. Das Wort „toxisch“ kommt aus dem Griechischen, von „toxikón“ (aus „tóxon“, was ursprünglich nur „der Bogen“ bedeutete, später aber auch den dazu gehörenden Pfeil, den Pfeilbogen also). Das Wort toxikón hat eine interessante Herkunftsgeschichte. Ursprünglich wurde es in Kombination mit „Phármakon“ (Arznei, Gift) als „Phármakon toxikón“ verwendet. Es bezeichnete also die „vergifteten Pfeile“. Die vergifteten Pfeile, die sowohl von den Gleichwertigkeitsverneinern wie auch den Frauenhassern gegen die Frauen abgeschossen werden, stammen aus dem Arsenal der „toxischen Männlichkeit“. Als toxische Männlichkeit wird diskriminierendes, übergriffiges bis hin zu gewalttätigem Verhalten von Männern – am häufigsten gegen Frauen, aber nicht so selten auch gegen Männer – verstanden.11

Wenn es eine „toxische Männlichkeit“ gibt, gibt es dann auch eine „nicht-toxische“? Natürlich gibt es sie. Aber was ist denn Männlichkeit? Es kommt darauf an. Etwa auf den Blickwinkel, aus dem sie betrachtet wird. Im Allgemeinen wird darunter ein Konglomerat von Eigenschaften verstanden: Männlichkeit bezeichnet längst nicht mehr nur körperliche und sonstige biologische Merkmale, etwa Körperbau und Körperfunktionen, die spezifisch für den Mann sind, sondern auch psychologische Besonderheiten, soziale Verhaltensweisen und Einstellungen, die ihm eigen sein sollen.

Es sei jedoch an dieser Stelle betont, dass Konstrukte wie Männlichkeit und Weiblichkeit kulturell und zeitabhängig beeinflusst sind und auch umstritten sein können. Wie auch immer: Zum Konstrukt Männlichkeit sollen etwa Aktivität, Rationalität, Risikobereitschaft, Durchsetzungsfähigkeit, Verantwortlichkeit, Herrschafts- und Führungsfähigkeiten etc. gehören.12 Die Befürworter eines solchen Konstruktes sprechen vom „männlichen Prinzip“ bzw. „Archetypus des Männlichen“, dessen Kernbestand „Stärke, Veränderungswille, Standhaftigkeit, Mut, Beharrlichkeit, Heldentum, Freiheit, Unabhängigkeit und Entschlossenheit“ seien.13 An diesem Kernbestand männlicher Eigenschaften und Zuweisungen müsse sich der einzelne Mann in seiner Selbstverwirklichung ausrichten, wenn er sich nicht selbst verfehlen wolle.14 Man kann bei Verwendung einer solchen Definition von Männlichkeit konstatieren – falls man dabei die offensichtlich vorhandene Hyperidealisierung ignoriert –, dass solange die dem Mann zugeschriebenen Eigenschaften nicht zum diskriminierenden und übergriffigen Verhalten ausarten, sie auch nicht prinzipiell toxisch sind. Man kann ein solches Konstrukt von Männlichkeit akzeptieren oder ablehnen, aber man kann es nicht als per se toxisch im obigen Sinne bezeichnen.

Misogynie resp. Frauenhass, wie wir sie vorher definiert haben – als Ergebnis also individueller Problematik und psychischer Konfliktsituationen –, kommt jedoch immer als toxische Männlichkeit daher. Sie hat viele Gesichter und eine lange Geschichte. Manche behaupten, Frauenhass sei die älteste Form von Hass in der Geschichte, so etwa der französische Philosoph André Glucksmann (S. 191). Wobei nicht ganz klar ist, welchen Hass Glucksmann meint: die Gleichwertigkeitsverneinung (die im Allgemeinen undifferenziert als Frauenhass bzw. Misogynie bezeichnet wird) oder den echten Hass des individuellen Frauenhassers. Wie auch immer, der als Ausdruck toxischer Männlichkeit definierte Hass auf Frauen kann seine giftige Wirkung in fast allen Bereichen des sozialen Lebens entfalten.15

Ich bin Frauenhassern während meines langen beruflichen Lebens wiederholt begegnet. Sie waren alle Träger toxischer Männlichkeit – vergiftende und vergiftete Männer. Die wenigsten davon waren Männer, die von sich aus psychiatrische oder psychologische Hilfe suchten, fast alle aber forensische, d. h. gerichtlich angeklagte Fälle. Diese Letzteren waren die gefährlichen Misogynen. Sie waren hasserfüllte Männer, die Frauen ermordet, sie schwer misshandelt oder vergewaltigt haben, oder alles zusammen. Aus Hass. Aus reinem Frauenhass.

Sie merken es: Ich spreche von dem Frauenhasser und dem Misogynen, aber nicht von der Frauenhasserin oder der Misogynin. Die gibt es zwar auch. So schreibt die amerikanische Misogynie-Forscherin Kate Manne (S. 140): „Man muss auch nicht unbedingt ein Mann sein, um misogyn zu sein: Auf Frauen kann diese Charakterisierung ebenso zutreffen wie übrigens auch auf nichtbinäre Menschen“ (S. 140).*

Allerdings ist erfahrungsgemäß das Phänomen Frauenhass als individuelle Problematik eines Einzelnen schon insgesamt nicht so häufig, wie manchmal suggeriert wird; bei Frauen ist es jedoch noch viel seltener als bei Männern. Insofern ist es aus Gründen der Einfachheit sicher akzeptabel, im Folgenden nur von dem Frauenhasser bzw. dem Misogyn zu sprechen. Und übrigens: Die Frauenhasserin wird nur selten gewalttätig – im Gegensatz zum Frauenhasser.

Die Kumpane des Frauenhasses

Der Frauenhasser ist ein Individualist, der Frauenhass dagegen gruppensüchtig. Er gesellt sich gerne zu anderen Hassgestalten: dem Fremdenhass, dem Judenhass, dem Schwulenhass, dem Lesbenhass, dem Transhass, dem Queerhass, dem …, dem … -hass. Und weil sich diese Hassgestalten gerne zusammenrotten, kann der Misogyn auch ein Misanthrop oder gar ein Misopan sein, also jeden und alles hassend. Solche Menschen gab es offensichtlich immer schon; wir kennen sie seit der griechischen Antike. Der uns schon bekannte Komödienschreiber Menander porträtierte im 4. vorchristlichen Jahrhundert den Misanthropen bzw. Misopan meisterhaft in seinem Theaterstück „Der Menschenfeind“.16 Ein solcher Mensch, um den deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker und Philosophen Erich Fromm zu zitieren, zeigt eine besondere Art von Befriedigung und Spaß, wenn er hasst.17 So ist es sicher auch beim Frauenhasser. Aber es ist noch mehr als das: Der Frauenhasser saugt aus seinem Hass Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Identität. Er definiert sich damit. „Ich bin ein Frauenhasser“, ruft er sich selbst und der Welt zu. Und so verwandelt er sich zum Beispiel von einem in seiner Persönlichkeit gestörten und von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten „Incel“ – dessen peinliche Bekanntschaft wir im nächsten Abschnitt machen werden – zu jemandem, der etwas zu sagen hat: Hasserfülltes und Gefährliches. Die psychologische Dynamik, die einen Frauenhasser gefährlich macht, ist sehr ähnlich der, die einen rechtsextremistischen Fremdenhasser oder antisemitischen Judenhasser zum Gewalttäter macht.18 Und so wähnt sich die bedeutungslose Randfigur plötzlich als bedeutsamer Zentralakteur. Der Schwächling fühlt sich stark. Durch Hass und Zerstörungsfantasien wächst ihm in seiner inneren Chaos-Parallelwelt vermeintlich Stärke zu.19 Zerstörungstaten können den Zerstörungsfantasien folgen.

Der Misogyn ist noch dazu ein eingeschränkter Mensch. Je mehr Hassgestalten als Kumpane sein Frauenhass hat, desto größer seine Einschränkung. Nicht zwingend intellektuelle, sondern vielmehr soziale, emotionale, empfindungs- und erlebensmäßige Einschränkung. Somit wird der Frauenhasser zu einem armen Mann. Arm an schönen Gefühlen, arm an schönen Erlebnissen, arm an schönen Beziehungen, arm an weiten Horizonten. Diese Armut kann ihn auch zum Straftäter machen. An dieser Stelle sei noch Folgendes betont: Während der Frauenhasser, der Misogyn, immer ein Gleichwertigkeitsverneiner ist, ist der Gleichwertigkeitsverneiner nur selten ein Frauenhasser.

Verneinung von Gleichwertigkeit ist nicht zwangsläufig Hass. Aber Hass führt zwangsläufig zur Verneinung des Positiven bei den Gehassten, und infolgedessen auch zur Verneinung von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung. Das ist zu erwarten: „Wie Liebe sehend macht für die Vorzüge, blind für die Mängel des Geliebten, so macht Hass scharfsichtig für die Schwächen, blind für die guten Seiten des Gehassten“, um die Worte von Johannes Hoffmeister aus seinem „Philosophischen Wörterbuch“ zu verwenden.20 Hass macht blind für die guten Seiten, hellsichtig für die schlechten. Wahrscheinlich sollen wir auch Heidegger nur in diesem Sinne verstehen, wenn er sagt: „Der Hass ist nie blind, sondern hellsichtig.“21 Wie auch immer, Hass hat vielfältige abstoßende Eigenschaften, die André Glucksmann folgendermaßen formuliert (S. 10):

„Der Hass klagt an ohne Kenntnis der Fakten.

Der Hass urteilt, ohne begreifen zu wollen.

Der Hass verurteilt willkürlich.

Er hat vor nichts Respekt.

Er sieht sich als Objekt einer universellen Verschwörung.

Am Ende, erfüllt von Ressentiments, gegen alle Argumente gefeit, zieht er eigenmächtig und großspurig einen Schlussstrich, indem er zubeißt.

Ich hasse, also bin ich.“

Genau diese Eigenschaften hat der Frauenhass aufzuweisen – und somit auch der Frauenhasser. Auf dem Gipfel jeden Hasses thront die Hasskriminalität. Das ist der Höhepunkt der Zerstörungsneigung des Hasses. Der spezielle Höhepunkt des Frauenhasses ist der Femizid – die Tötung der Frau. Aber der Femizid ist keineswegs Höhepunkt der Verweigerung der Gleichberechtigung der Geschlechter – eben weil der in der Regel kein Frauenhass, keine Misogynie, zugrunde liegt.

Hassende Opfernarren – Incels & Co.

Wie schon erwähnt; der Hauptdarsteller des echten Frauenhasses, der psychologisch richtig definierte Misogyne mit seinem individuellen Hass auf Frauen, ist ein Mann. Frauenhasserinnen sind in der Regel Nebendarstellerinnen, deshalb beschäftigen wir uns nur mit den männlichen Frauenhassern.

Wer ist dieser Frauenhasser? Er ist der traumatisierte, schwache, randständige Mann, der im Hass Kompensation und Heilung sucht – eine unheilvolle Heilung. Der Frauenhasser kann zwar trotz seiner individuellen Problematik mit Gleichgesinnten kleine Clubs bilden und größeren Gesinnungsströmungen folgen, allerdings bleiben Motivdynamik und Basisproblematik seine ganz persönliche Angelegenheit. Diesbezüglich befindet er sich übrigens im Kontrast zu dem Gleichwertigkeitsverneiner, der in der Regel ein Männerweltbürger ist. Landläufige Darstellungen des Frauenhassers sehen etwa so aus: Abscheulich, inakzeptabel, gefährlich. All dies könnte zutreffen, doch es spiegelt nur einen Aspekt seiner Persönlichkeit wider. Sein vollständiges Porträt sieht so aus:

Der Frauenhasser ist schwach und lädiert und traumatisch gekränkt, seinem oft herrischen und aggressiven Auftreten zum Trotz.

Er ist nicht selten ein Selbsthasser.

Und ein Opfer.

Opfer von sich selbst; Opfer seiner Inkompetenz, zwischenmenschliche Beziehungen konstruktiv zu gestalten und positiv zu erleben;

Opfer seiner Unfähigkeit, Liebe anzunehmen und Liebe zu geben;

Opfer seiner problembeladenen Sexualität, die er nicht als gegenseitiges Geschenk erleben kann, oder gar seiner Unfähigkeit, Sexualität als positive zwischenmenschliche Beziehung zu begreifen;

Opfer seiner erhöhten Hassbereitschaft, die ihn zu einer selbstverschuldeten Einsamkeit führt;

Opfer seiner Überzeugung, dass andere verantwortlich sind für seine Lage – in erster Linie und zweifelsohne die Frauen. Und er ist Opfer seines Glaubens, ein Opfer zu sein.

So lässt sich auch die Neigung des Frauenhassers erklären, närrischen Verschwörungstheorien zu glauben, ihnen nachzulaufen oder sie gar selbst zu kreieren. Das Opfer paart sich dann mit dem Narren. Es kann daraus ein übler, ein gefährlicher Opfernarr entstehen – wir werden einige von ihnen ein paar Zeilen weiter treffen. Obwohl sich sein Frauenhass aus einer individuellen Dynamik speist, fühlt sich der Frauenhasser nicht selten angezogen von rechtsextremem Gedankengut, es erscheint ihm männlich. Durch seine Affinität zum Rechtsextremismus wähnt er sich nicht isoliert in seiner Hasswelt und nicht als Ausgeschlossener, nicht als Randfigur, sondern als Teil des rechtsextremen Universums. Und dazu kommt noch das Internet, das ihm eine breite Bühne bietet, sich auszutoben – und sich dabei immer noch stärker zu fühlen. Dazu gibt es ihm die Möglichkeit, aus seiner gewähnten Opferrolle noch mehr Hass zu saugen und noch mehr Gift zu versprühen. Unverwechselbare Exemplare solcher Opfernarren sind die sogenannten „Incels“ (vom englischen „Involuntary Celebates“, was die „Ungewollt Enthaltsamen“ bzw. „Ungewollt Zölibatären“ bedeutet). Dabei sind aus ihrer Sicht die Frauen schuld an ihrer ungewollten Sexlosigkeit, und daran haben sie keinen Zweifel.

Incels sind Frauenhasser, die von sich behaupten, solche geworden zu sein, weil sie Sexualität mit Frauen erleben wollen, diese ihnen aber von den Frauen verweigert wird.

Die Incels organisieren sich in Internetforen, um sich gegen die ungewollte Sexlosigkeit und deren vermeintliche Verursacherinnen, die Frauen, zur Wehr zu setzen.*,22 Und sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie innere Schwäche und persönliche Problematik das Gute zum Bösen mutieren lassen. Die Incels waren nämlich zuerst eine Selbsthilfegruppe, und dann entwickelten sie sich zu einem toxischen Kult, so Veronika Kracher (S. 14). Die Incel-Bewegung hatte ihre Anfänge in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, zunächst als virtuelle Selbsthilfegruppe für sexlose Menschen jeden Geschlechts. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Begriff „Incel“ von einer queeren Frau namens Alana eingeführt wurde. Sie gründete eine Plattform, um Menschen mit sexuellen Schwierigkeiten zu helfen und sie zu beraten, berichtet uns die Autorin weiter (S. 25 f.). Erst mit der Zeit entwickelte sich daraus ein Hort für männliche, häufig hyperaggressive Opfernarren. Die Incels gehen davon aus, dass ihnen das Naturrecht auf Sex und Liebe von den feminismusverseuchten Frauen kategorisch verwehrt werde, konstatiert Tobias Ginsburg (S. 119). Incels gehören zu denjenigen, die das Potenzial haben, zu extremen und gefährlichen Frauenhassern aufzusteigen, bis hin zum Frauenmörder – oder gar Massenmörder.

Incels sind die klagende und anklagende Personifizierung von gekränktem männlichem Narzissmus und maskuliner Beziehungsinkompetenz. Sie jammern und schlagen im Internet um sich, und sie können im realen Leben zerstören und vernichten. Sie klagen als Erstes die Frauen an: Das seien die, die ihnen sexuelle Erfüllung versagen und die dafür bestraft werden müssten. Der unerträglichen Kränkung, der ungewollten Sexlosigkeit könne nur mit einem Mittel begegnet werden: dem Krieg gegen Frauen, der bis zum Femizid reicht, so Veronika Kachel (S. 12). Der Schwache, der Verlierer, der Sozial- und Beziehungsinkompetente wähnt sich dabei als starker und bestimmender Krieger; so wird er treffend porträtiert etwa von der politischen Publizistin Susanne Kaiser – anhand des Halle-Attentäters Stephan Balliet, der sich selbst als „always a loser“ bezeichnet hat (S. 19–24). Der Hass der Incels kann sich zu einer toxischen Mischung aus Misogynie, Antifeminismus, Xenophobie, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Anti-Kosmopolitismus entwickeln – kräftig gerührt vom gekränkten männlichen Narzissmus.23

Die Incels sind Beispiele von Frauenhassern, die zwar eine persönliche Sexualproblematik haben und durch ihre eigenen Persönlichkeitsdefizite und soziale Inkompetenz in eine Armut an zwischenmenschlichen Beziehungen tappen, die sich aber in Internet-Clubs zusammenfinden, um dort zu externalisieren, d. h., anderen die Schuld für ihre Misere zu geben. Im Austausch mit Gleichgesinnten finden sie dort Bestätigung und Verstärkung und können Verschwörungstheorien kreieren, verbreiten oder ihnen einfach folgen. Dies erhoffen sie sich auch von der Aneignung rechtsextremistischen Gedankengutes. „Die Vermischung von Antifeminismus, Rassismus und Militanz fand bei den unfreiwillig Zölibatären ihren Kulminationspunkt“, schreibt der Investigativautor Tobias Ginsburg, der sich in die Szene eingeschlichen hatte (S. 120). Die Extremen von ihnen wähnen sich demnach nicht nur von der „politisch korrekten Diktatur des Weibes“ unterjocht, sondern sie sind auch davon überzeugt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Es bleiben ihnen nur Hass und Gewalt als Ausdrucksmöglichkeit. So wie beispielsweise bei Elliott Rodger oder Alek Minnassian.

Wie auch immer, Incels und andere Frauenhasser erreichen nicht im Entferntesten die gesellschaftlich und politisch wirksamen Dimensionen, die die Gleichberechtigungsverneiner erreichten und noch erreichen. Die Incels und andere Frauenhasser sind zwar potenziell gefährlich, aber für die Entwicklung der Frauenrechte kaum von Bedeutung. Der Frauenhasser, der Misogyn, kann menschliches Leben vernichten, aber sozialpolitische Entwicklungen kann er nicht verhindern. Er ist ein sozialpolitischer Zwerg. Und er bleibt zwergenhaft, trotz „politisierter Männlichkeit“ – um einen Ausdruck von Susanne Kaiser (S. 109 f.) zu verwenden. Die politisierte Männlichkeit des Frauenhassers verglüht in der Mannosphäre, in der dünnen Luft des gekränkten Mannes – die wir im Abschnitt „Die Panik in der Mannosphäre …“ des 10. Kapitels durchfliegen werden.

Sprechen wir nicht von Misogynie, wenn wir Gleichwertigkeitsverneinung meinen

Aus den vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels wird ein Gebot deutlich: Hören wir endlich auf, die Verneinung der Gleichwertigkeit als Misogynie oder Frauenhass zu bezeichnen. Das ist falsch und schadet der Sache. Ihre Ursachen werden dadurch verschleiert, die Folgen nicht bekämpft. Misogynie und Gleichwertigkeitsverneinung sind verschieden und unverwechselbar. Schauen wir uns deren Unverwechselbarkeit genauer an.

Unumstritten ist, dass es in der Regel Probleme gibt, wenn Begriffe unscharf abgegrenzt sind und unkanalisiert ineinanderfließen. Begriffe um die Misogynie herum machen diesbezüglich keine Ausnahme. Nicht nur die Wikipedia-Darstellung führt unter dem Begriff „Misogynie“ ein sehr breites und buntes, Spektrum von frauenunfreundlichen Einstellungen und Handlungen an – von „Nicht-Unterstützung der Frau“ bis zum „Femizid“25 –, sondern auch unzählige Publikationen zum Thema. Sogar die amerikanische Philosophin Kate Manne kündigt in ihrem für die Geschlechterbeziehungen bedeutsamen Buch „Down Girl. Die Logik der Misogynie“ an, sie befasse sich mit „zahlreichen Formen von Misogynie, von den subtilen bis zu den dreisten, von den chronischen und kumulativen bis hin zu den akuten und explosiven; von Formen, die auf kollektives Handeln (eines ‚Mobs‘) und auf reine Strukturmechanismen zurückgehen, bis hin zu den Taten Einzelner“ (S. 12). Alle frauenbenachteiligenden Einstellungen von „Nicht-Unterstützung der Frau“ bis zum „Femizid“ als Produkte einer einzigen negativen, aversiven und destruktiven oder gar gewaltaffinen Emotion zu betrachten, des Hasses nämlich, ist schwer zu begründen. Sie alle auf einem misogynen Kontinuum einzuordnen, ist der Sache ebenfalls nicht dienlich. Leichter wird durch die Heranziehung des Hasses als das gemeinsame Grundmotiv weder die Erklärung der Entstehung und des Gedeihens der darin beinhalteten Haltungen und Handlungen noch ihre Bekämpfung und Beseitigung. Im Gegenteil, sie werden dadurch erschwert. Um das besser anschaulich zu machen, lassen Sie uns ein klein wenig persönlich werden:

Doch solche markanten Charakteristika und Folgen von Hass trägt die Verneinung der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann nur extrem selten in sich.

Mit Gleichwertigkeitsverneinung ist das Negieren der Gleichwertigkeit und infolgedessen auch der Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann gemeint. Dies führt wiederum zur Diskriminierung der Frauen. Aber eben nicht zwangsläufig zum Hass auf sie, zum Frauenhass also, zur Misogynie.

Bei der Gleichwertigkeitsverneinung können zwei Schweregrade identifiziert werden: die partielle und die totale.

Die partielle Gleichwertigkeitsverneinung entsteht zwar auf der Basis einer gewähnten Superiorität des Mannes und einer vermeintlichen Inferiorität der Frau, allerdings werden Ausnahmen für „exzeptionelle Frauen“ gemacht. Darüber hinaus wird auch nicht jegliches Positivum beim Frausein verneint und nicht jegliches Negativum pauschal der Frau zugeschrieben. Nicht selten ist der partielle Gleichwertigkeitsverneiner sogar ein liebevoller Ehemann, ein Bewunderer und Förderer der begabten Tochter oder der vielversprechenden Schülerin – wie uns zahlreiche paradigmatische Biografien in den nächsten Kapiteln, etwa im 6. oder 9., aufzeigen werden.

Die totale Gleichwertigkeitsverneinung beinhaltet zwei Aspekte. Erstens: Die Gleichwertigkeit der Frau mit dem Mann wird als Ganzes negiert, somit auch für jede Frau des privaten Umfeldes – Mutter, Tochter, Schwester, Ehefrau, Geliebte. „Exzeptionelle Frauen“ gibt es für den totalen Gleichwertigkeitsverneiner nicht. Zweitens: Es wird dazu jegliches Positivum beim weiblichen Geschlecht verneint, dafür aber jegliches Negativum bejaht. Infolgedessen werden Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Frau total abgelehnt – für alle Frauen und auf allen Gebieten. Es ist zwar nicht gerade erfreulich, dass die totalen Gleichwertigkeitsverneiner jeder Frau die Gleichwertigkeit mit dem Mann absprechen, aber Männer, die jede Frau richtig hassen und Zerstörungs- bzw. Vernichtungsfantasien gegen sie hegen, sind zum Glück auch bei ihnen nur eine – vergleichsweise – verschwindend kleine Minderheit. Sadistische Schadenfreude, wenn Frauen leiden, und Gewaltfantasien bis hin zu Todeswünschen gegen Frauen hat die ganz große Mehrzahl der Gleichwertigkeitsverneiner, partielle und totale, mit Sicherheit nicht. Und einen Frauenmord, angeblich die Spitze der Misogynie-Pyramide, haben sie nie begangen und werden sie auch nie begehen.

Allerdings findet der echte Misogyn, der echte Frauenhasser, der also mit der individuellen Hassproblematik, in der Regel Unterschlupf bei den totalen Gleichwertigkeitsverneinern. Er richtet sich dort in einer eigenen Hassnische ein. Der Misogyn ist mehr als ein totaler Gleichwertigkeitsverneiner. Er hegt noch dazu auch Hass auf die Frauen. Er hegt genau den Hass, den wir vorher kennengelernt haben. Solche Frauenhasser gab es immer. Die abendländische Kultur liefert uns von der Antike bis zur Neuzeit tragische, aber auch komödiantische Psychogramme von ihnen.

Das falsche Geschlecht und der getäuschte Herr Wumshäter

Die Tragik des Frauenhassers demonstriert uns eindrucksvoll der junge Königssohn Hippolytos in der gleichnamigen Tragödie von Euripides, das Komödiantische in ihm Herr Wumshäter in Lessings „Der Misogyn“. Menander verwendete zwar vermutlich als Erster den Begriff „Misogyn“, wie schon erwähnt in seinem leider verloren gegangenen Theaterstück „Misógynos“ („Der Misogyn“). Aber das erste erhaltene Theaterstück, das sowohl Gleichwertigkeitsverneinung als auch Misogynie als zentrales Thema hat, ist Euripides „Hippolytos“, das er einige Jahrzehnte vor Menanders „Misógynos“ schrieb. Hippolytos, der Königssohn von Athen¸ zeigt darin seine Misogynie, die sich in seiner tiefgreifenden totalen Verneinung der Gleichwertigkeit von Frau und Mann einnistete. Einen langen, zornigen Monolog von Hippolytos (ganze 53 Verse, V. 616–668) kann man als das Hohelied der totalen Gleichwertigkeitsverneinung, aber auch der Misogynie, des Frauenhasses, bezeichnen.26 Darin gibt es Verse wie den folgenden:

„Warum hast du der Weiber falsches Geschlecht,

Oh Zeus, in dieses Sonnenlicht gepflanzt?

War es dein Plan, dass Menschenart sich mehrt,

Ganz ohne Frauen sollte dies geschehn.“ (V. 616–619)

Die Frau wird als „Plage“, als „Unkraut“, als „großes Übel“ bezeichnet. Sie parasitiere bloß. Am gefährlichsten sei die Frau, die „klüger ist, als es sich für Frauen ziemt“. Deshalb verflucht der misogyne Protagonist die Frauen, weil sie „eine schlimme Brut“ seien, und verkündet seinen unbändigen Hass und seine Feindschaft Frauen gegenüber.

Die Jahrhunderte wiederholen sich. Der Glaube von „der Weiber falschem Geschlecht“ auch. Fast 23 Jahrhunderte nach Euripides schrieb Gotthold Ephraim Lessing sein Gleichwertigkeitsverneinung und Misogynie parodierendes Theaterstück und verwendete dafür Menanders Titel „Der Misogyn“: Meisterhaft beschreibt Lessing darin den grotesk anmutenden Versuch des totalen Gleichwertigkeitsverneiners und misogynen Herrn Wumshäter, die offensichtliche Gleichwertigkeit zwischen Frau und Mann zu leugnen und Belege zu kreieren, die die angebliche Inferiorität der Frau gegenüber dem Mann stützen sollen. Die Absurdität seines Frauenhasses bemerkt er gar nicht.

Herr Wumshäter, ein frauenhassender Familienvater und dreifacher Witwer, ist dabei, seinem geliebten Sohn Valer die Heirat zu verbieten. Die Begründung dafür: Frauen seien das Schlimmste, was es gibt, sie seien das größte Unglück des Mannes. Gerade vor diesem Unglück wolle er seinen geliebten Sohn bewahren. Er versucht, seine Überzeugung mit giftigen Worten anschaulich zu machen, wie etwa in einer Auseinandersetzung mit dem Dienstmädchen Liesette: „Lieben heißt bei euch [Frauen] nur weniger hassen.“ (S. 380). Oder: Man könne ein Verzeichnis aller bösen Weiber nicht erstellen, „denn ein Verzeichnis aller bösen Weiber, das wäre ein Verzeichnis aller Weiber, die jemals auf der Welt gelebt haben“ (S. 373). Sogar für die Frau als Mutter findet er kein gutes Wort: „Mutter hin, Mutter her; sie bleibt darum doch eine Frauenperson, deren Fehler man verabscheuen muss, wenn man sich ihrer nicht mitschuldig machen will“ (S. 357).

Um sein Ziel trotz dieser strikten Haltung seines Vaters zu erreichen, erdenkt der verliebte Valer zusammen mit seiner angebeteten Hilaria einen Trick. Sie soll einige Tage als Gast im Hause Wumshäter wohnen, aber verkleidet als Mann, als Herr Lelio. Der Misogyn Wumshäter ist sehr angetan von diesem jungen Mann: von seinem Aussehen, seiner Intelligenz, seinen Manieren und Fähigkeiten – kurz gesagt: von seiner Gesamtpersönlichkeit. Er preist alle diese Eigenschaften des jungen Herrn Lelio in höchsten Tönen – ohne zu wissen, dass er die Eigenschaften einer Frau so hoch preist. Ein Teil des Planes des verliebten Paares ist, dem misogynen Vater mitzuteilen, dass Herr Lelio eine Schwester habe, die genauso sei wie er: körperlich, persönlichkeitsmäßig und auch, was Intelligenz und Fähigkeiten betreffe. Gnädigerweise stimmt Herr Wumshäter einem Besuch der Schwester zu – aus Neugier und um zu prüfen, ob so etwas möglich sei; mit der Überzeugung, dass er es widerlegen wird. Eine Frau kann doch einem Mann nicht gleichwertig sein.

Lelio präsentiert sich in seiner wahren Identität, als Hilaria also, ohne dass der misogyne Herr Wumshäter etwas vom Trick ahnt. Alle Anwesenden sind überzeugt von der absoluten Ähnlichkeit zwischen Hilaria und Lelio (schließlich sind sie ja ein und dieselbe Person). Mit einer Ausnahme: Der misogyne Herr Wumshäter ist nicht bereit, das Offensichtliche zu akzeptieren. Alles sei bei der Frau anders als bei ihrem angeblichen Bruder: Körpergröße, Farbe der Augen, Eigenschaften usw. usw. Bis ihm die Wahrheit offenbart und seine misogynen Vorurteile und Beurteilungen ad absurdum geführt werden. Und er erkennen muss: Der erhabene Herr Lelio war die erhabene Frau Hilaria.

Wenn der echte Frauenhasser also keine tragische und gefährliche Figur wäre, wäre er eine komische und lächerliche und dazu noch sozialpolitisch bedeutungslose. Bei den beiden gerade dargestellten Beispielen, dem tragischen und dem komischen, nistete sich der Frauenhass offensichtlich in unterschiedlichen Ausprägungen in einer totalen Gleichwertigkeitsverneinung ein. Sie stellen Fälle von Mischung des Frauenhasses mit totaler Gleichwertigkeitsverneinung dar. Allerdings gilt generell: Gleichwertigkeitsverneinung ist keineswegs mit Frauenhass zu verwechseln. Hass ist der Grund der Misogynie, aber nicht die Ursache der Gleichwertigkeitsverneinung. Beide Formen der Frauendiskriminierung können zwar koexistieren, doch ist in der überwältigenden Mehrheit der Fälle die Verneinung der Gleichwertigkeit der Geschlechter nicht durch Hass motiviert.

Dennoch wird die Gleichwertigkeitsverneinung im Schrifttum und im sonstigen Diskurs am häufigsten mit Hass erklärt. Das ist falsch. Die toxische Emotion Hass im Allgemeinen muss eine Ursache haben. Eine reale oder befürchtete Ursache. Das führt zu der Überzeugung, dass mir jemand etwas angetan hat, mich geschädigt hat, mich erniedrigt hat, mich diskriminiert hat (oder zu der Befürchtung, dass genau das geschehen wird), und deswegen hasse ich denjenigen. Das ist nachvollziehbar, wenn auch nicht sehr nobel. Aber wie ist es beim Frauenhass? Haben denn die Frauen uns Männern etwas angetan? Haben sie die Männerwelt tatsächlich jemals erniedrigt oder in irgendeiner Weise diskriminiert? Haben die Frauen den Männern irgendeinen Anlass zu Hass gegeben? Oder zu irgendwelchen derartigen Befürchtungen? Warum sollten wir sie also hassen?

* Cicero erwähnt in diesem Zusammenhang in seinen „tusculanae disputationes“ (Buch IV, 11 f.) den Begriff: „… der Frauenhass [odium mulierum], wie er in μισόγυνος [Misógynos] des Atilius behandelt wird.“

* Wobei sie den Begriff Misogynie in seiner landläufigen Bedeutung verwendet, also sowohl als Frauenhass als auch als Gleichwertigkeits- und Gleichberechtigungsverneinung – was wir hier in diesem Buch vermeiden.

* Die Internetforen stellen den Kern der „Mannosphäre“ dar, die wir im 10. Kapitel kennenlernen werden.