2    Einkoten

Bevor Sie dieses Kapitel lesen, sollten Sie sich zwei Fragen stellen:

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Wenn Sie die oben genannten zwei Fragen jedoch mit nein beantworten können, dürfen Sie getrost dieses Kapitel überspringen.

2.1   Was versteht man unter Einkoten?

Einkoten (Enkopresis) wird als willkürliches und unwillkürliches Einkoten (Absetzen von Stuhl in nicht dafür vorgesehenen Stellen) ab einem Alter von vier Jahren nach Ausschluss von medizinischen Ursachen definiert.

In dieser Definition klingen die wichtigsten Zeichen des Einkotens an: Es erfolgt überwiegend unbewusst, z. T. jedoch auch willkürlich. Man bezeichnet es als Störung ab einem Alter von vier Jahren (d. h. ein Jahr früher als das Einnässen). Auch beim Einkoten müssen medizinische Ursachen ausgeschlossen werden, d. h. eine kinderärztliche Untersuchung ist in jedem Fall erforderlich.

2.2   Wie häufig ist das Einkoten?

1 bis 3 % aller Klein- und Schulkinder koten ein. Es findet sich keine kontinuierliche Abnahme während der gesamten Schulkinderzeit. Das Einkoten, vor allem mit Verstopfung, kann sich ins Jugend-, und sogar bis ins junge Erwachsenenalter fortsetzen. Bei manchen Kindern ist es also eine langfristige Problematik, die eine längere Behandlung erfordert.

Das Einkoten tritt sehr häufig mit dem Einnässen zusammen auf. Von allen einkotenden Kindern nässt ein Drittel zusätzlich auch ein. Auch anders herum finden sich Zusammenhänge: Von den Kindern mit nächtlichem Einnässen koten 5 %, von den Kindern mit Einnässen tagsüber immerhin 25 % zusätzlich ein. Es gibt also besonders ausgeprägte Zusammenhänge zwischen dem Einkoten und dem Einnässen tags.

2.3   Welche Formen des Einkotens gibt es?

Grundsätzlich kann man zwei verschiedene Formen unterscheiden: Kinder, die neben dem Einkoten zusätzlich verstopft sind, und Kinder, die keinerlei Zeichen der Verstopfung zeigen.

2.4   Wie erkennt man ein Einkoten mit Verstopfung?

Beim Einkoten mit Verstopfung gehen die Kinder selten auf die Toilette, der Stuhlgang erfolgt z. T. nur alle paar Tage. Daneben gibt es Kinder, die zwar täglich Stuhlgang haben, aber dennoch Stuhl zurückhalten. Bei diesen ist der Appetit häufig reduziert, sie klagen über Bauchschmerzen, der Toilettengang ist ebenfalls schmerzhaft und der Kinderarzt kann sogar Stuhlballen bei der Untersuchung des Bauches tasten. Im Ultraschall sieht man den erweiterten Enddarm durch die zurückgehaltenen Stuhlmassen.

2.5   Wie kommt es zum Einkoten mit Verstopfung?

Im Prinzip können verschiedene körperliche wie auch seelische Auslöser schon im Kleinkindesalter zu einer akuten Verstopfung führen. Die häufigste Ursache sind Schmerzen beim Stuhlgang, z. B. durch Risse in der Darmschleimhaut. Jedoch auch Trennungserlebnisse, Umzüge und sonstige seelische Belastungen können Kinder dazu bewegen, den Stuhl zurückzuhalten. Eine vorübergehende, akute Verstopfung ist kein Grund zur Beunruhigung. Bei einigen Kindern entwickelt sich jedoch eine chronische Verstopfung im Sinne eines Teufelskreises. Sie halten den Stuhl zurück, der Darm erweitert sich, die Wahrnehmung der Darmwand lässt nach und die Eigenaktivität des Darmes wird reduziert, so dass sich erneute Stuhlmassen ansammeln. Zum Einkoten kommt es dann, wenn frischer Stuhl zwischen den alten Stuhlmassen austritt. Zum Einnässen kommt es, weil die Stuhlmassen von hinten gegen die Blase drücken, zum Zurückhalten von Urin führen und auch andere Funktionen der Blase beeinträchtigen.

2.6   Wie erkennt man ein Einkoten ohne Verstopfung?

Während es somit gute Erklärungen für das Einkoten mit Verstopfung gibt, sind die Zusammenhänge beim Einkoten ohne Verstopfung wesentlich schlechter geklärt. Die Kinder haben insgesamt häufiger Stuhlgang, der Appetit ist meistens nicht reduziert und sie klagen nicht über Schmerzen. Im Ultraschall ist der Enddarm natürlich nicht erweitert. Von manchen Fachleuten wird angenommen, dass die Ursache überwiegend seelisch bedingt ist. Dagegen kann man einwenden, dass in verschiedenen Untersuchungen nur 30 bis 50 % der Kinder tatsächlich seelische und Verhaltensprobleme zeigen – genauso viele wie bei dem Einkoten ohne Verstopfung. Man muss zum jetzigen Zeitpunkt einfach festhalten, dass die Ursachen letztendlich nicht geklärt sind. Dennoch gibt es für beide Behandlungsformen gute, Erfolg versprechende Behandlungsmöglichkeiten.

2.7   Wie sollten alle Kinder mit Einkoten behandelt werden?

Wie beim Einnässen sollte vor jeder Behandlung eine ausführliche Abklärung durch den Kinderarzt erfolgen. Danach sollten Eltern und Kinder ausführlich informiert und instruiert werden. Die Grundbehandlung des Einkotens ist für beide Formen gleich und besteht in einer Regulierung des Toilettenganges.

2.8   Was versteht man unter einer Regulierung des Toilettenganges?

Das Einkoten wird sich bei vielen Kindern zurückbilden, wenn sie sich (wieder) einen regelmäßigen Stuhlgang angewöhnen. Dazu nutzt man die Entleerungsreflexe des Darmes nach den Mahlzeiten aus. Kinder werden gebeten, sich nach dem Frühstück, Mittagessen und Abendbrot 5 bis 10 Minuten entspannt auf die Toilette zu setzen. Wichtig dabei ist es, dass sie mit den Füßen Kontakt zum Boden haben. Falls erforderlich, sollte ein Fußbänkchen zur Verfügung stehen. Die Kinder sollten mit leicht gespreizten Beinen ruhig auf der Toilette sitzen. Dies sollte möglichst positiv gestaltet werden, d. h., Kinder können lesen, malen, Nintendo spielen und anderen entspannenden Aktivitäten nachgehen. In einem Plan wird vermerkt, ob sie Stuhlgang und Urin absetzen oder nicht. Ferner wird vermerkt, ob sie auf die Toilette geschickt werden mussten oder freiwillig gingen. Neben den Toilettengängen sollten natürlich auch Einkotepisoden im Plan vermerkt werden. Die Mitarbeit des Kindes kann positiv verstärkt werden, indem kleine Belohnungen wie Sticker, Kärtchen oder Gummibärchen gegeben werden, wenn das Kind sich an den Plan hält. Niemals sollte die Rückbildung des Einkotens an sich belohnt werden, da es bei manchen Kindern nicht unter vollständiger willkürlicher Kontrolle steht. Wenn also Belohnungen eingesetzt werden, dann nur für die Mitarbeit des Kindes.

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Diese Grundbehandlung ist, wie oben erwähnt, geeignet für alle Formen des Einkotens. Für das Einkoten ohne Verstopfung reicht sie vollkommen aus. Im nächsten Absatz werden die Besonderheiten des Einkotens mit Verstopfung besprochen.

2.9   Wie behandelt man das Einkoten mit Verstopfung?

Für Kinder mit ausgeprägtem Einkoten und Verstopfung wird die Grundbehandlung nicht ausreichen. Sie sollte in jedem Fall während der gesamten Behandlung eingesetzt werden. Zusätzlich kommen folgende Maßnahmen in Frage: Da das Problem ein Zurückhalten des Stuhls ist und sich im Laufe der Monate bis Jahre große Stuhlmassen angesammelt haben können, müssen diese ausgeschieden werden. Diese anfängliche Entleerung wird mit dem Fachausdruck „Desimpaktion“ bezeichnet. Sie kann über orale (über den Mund eingenommene) Medikamente erreicht werden – oder über Einläufe. Da die orale Desimpaktion für Kinder sehr viel angenehmer ist, sollte sie in den meisten Fällen zuerst versucht werden. Das wirksamste Mittel ist das Medikament PEG (Polyethylenglykol – Handelsname z. B. Movicol junior®). PEG hat den Vorteil, dass es im Darm bleibt und nicht in den Körper aufgenommen wird. Durch seinen Aufbau bindet es Wasser und führt zu einem weichen Stuhl mit einer schnelleren Darmpassage. Es hat praktisch keine Nebenwirkungen – lediglich kann ein Durchfall durch eine Überdosierung bewirkt werden. PEG wird als Pulver in Päckchen geliefert, die in Flüssigkeit aufgelöst werden. Für eine erfolgreiche Desimpaktion muss PEG sehr hoch dosiert werden. Dies soll Ihr Arzt Ihnen genau nach Körpergewicht Ihres Kindes ausrechen. Als grober Anhaltspunkt gilt 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag in zwei Dosen. Damit PEG wirken kann, sollten Sie darauf achten, dass Ihr Kind genügend trinkt. Sobald größere Stuhlmassen ausgeschieden sind, sollten sie die Dosis reduzieren – und PEG langfristig in geringerer Menge geben. Alle anderen Abführmittel, vor allen alle „natürlichen“ Mittel, sind zur Desimpaktion nicht geeignet und sollten nicht verwendet werden.

Bei manchen Kindern ist bei längerem Verlauf und großen Stuhlmassen eine orale Desimpaktion nicht mehr möglich – sie benötigen einen kleinen Einlauf. Üblicherweise werden phosphathaltige Einmal-Klistiere verabreicht. Dabei verwendet man bei Kleinkindern ein halbes Klistier, bei jüngeren Schulkindern drei Viertel des Klistiers und bei älteren und Jugendlichen ein Klistier. Das Klistier besteht aus einer Plastikflasche mit einem Schlauch. Der Schlauch kann eingecremt werden. Die Kinder legen sich auf die Seite, der Schlauch wird eingeführt und man drückt die Tube zusammen. Kinder sollen den Einlauf möglichst lange einbehalten und nach 15 bis 20 Minuten Stuhl absetzen. Gerade bei Kleinkindern ist es wichtig, darauf zu achten, dass sie das Klistier nicht vollkommen einbehalten.

Die Häufigkeit der Klistiere richtet sich nach dem Ausmaß der Verstopfung. Üblicherweise reichen ein bis drei Einläufe an den ersten Tagen aus, bei manchen Kindern sind jedoch auch über längere Zeit Einläufe erforderlich. Das genaue Vorgehen sollten Sie immer mit Ihrem Kinderarzt absprechen.

Wenn der Darm einmal entleert ist, muss man darauf achten, dass sich nicht erneute Stuhlmassen ansammeln. Gerade in dieser Erhaltungsphase sollten die Pläne und das regelmäßige Schicken auf die Toilette unbedingt weiter erfolgen. Um einen Rückfall zu vermeiden, sollten langfristig orale Abführmittel gegeben werden (bitte fragen Sie Ihren Kinderarzt). Auch hierzu ist PEG (Polyethylenglykol – z. B. Movicol junior®) mit Abstand das wirksamstes Medikament mit praktisch keinen Nebenwirkungen. PEG wird nach Wirkung dosiert – bei weichem Stuhl gibt man weniger, bei hartem Stuhl mehr. Als Anhaltspunkt kann eine anfängliche Dosierung von 0,4 g pro Kilogramm Körpergewicht am Tag gewählt werden. Auch während der Erhaltungsphase sollte genügend getrunken – und die Toilettensitzungen sollten regelmäßig fortgesetzt werden. Neuere Arbeiten weisen darauf hin, dass die Erhaltungsphase lange durchgeführt werden muss, d. h., mindestens sechs Monate bis mehrere Jahre. Eine Abhängigkeit entwickelt sich auch bei längerer Einnahme nicht.

Nur falls Eltern es ausdrücklich wünschen, kann in dieser Phase auch Milchzucker gegeben werden, der in Pulverform (im Reformhaus) sowie als Flüssigkeit (Lactulose) erhältlich ist. Der Milchzucker wird nicht vom Körper aufgenommen, sondern zieht Wasser in den Darm und führt somit zu einem Weichwerden des Stuhles. Die erforderliche Menge richtet sich ausschließlich nach der Wirkung und liegt zwischen dreimal 1 Teelöffel bis dreimal 2 Esslöffel am Tag. Klagt das Kind über dünnen Stuhl oder Blähungen, muss die Dosis reduziert werden. Die Nebenwirkungsrate ist höher als beim PEG.

Zwei Punkte sind beim Einkoten mit Verstopfung wichtig und sollen deshalb besonders beachtet werden: Manche Kinder trinken zu wenig. Man sollte darauf achten, dass sie genügend Flüssigkeit zu sich nehmen. Schulkinder benötigen 1 bis 2 Liter pro Tag, insbesondere, wenn sie Sport treiben und körperlich aktiv sind. Manche Kinder ernähren sich sehr einseitig, vor allem mit ballaststoffarmen, kohlehydrahtreichen Nahrungsmitteln. Falls Ihr Kind also Weißbrot, Kekse und Schokolade in Übermaß zu sich nimmt, wäre es ratsam, auf eine ausgewogene Diät mit Ballaststoffen, Obst und Gemüse zu achten.

2.10   Sind zusätzliche Behandlungen notwendig?

Für viele der Kinder reichen die oben erwähnten Behandlungsformen vollkommen aus. Falls Ihr Kind in anderen Bereichen ausgeprägte Verhaltensprobleme zeigt, sollten Sie dieses von einem Kinderpsychiater oder Psychologen untersuchen lassen (siehe auch Kapitel 5). Bei 30 bis 50 % der Kinder sind tatsächlich weitere Behandlungsformen notwendig. Bei den meisten genügt es vollkommen, dass das Kind sauber wird. Es wird sich besser fühlen und viele Symptome werden sich zurückbilden.

2.11   Warum sollte das Einkoten immer vor dem Einnässen behandelt werden?

Diese Frage lässt sich sehr einfach beantworten: Viele Untersuchungen konnten zeigen, dass die alleinige Behandlung des Einkotens (mit oder ohne Verstopfung) oft vollkommen ausreicht, damit das Kind sauber und trocken wird. Bei vielen Kindern wird sich das Einnässproblem mit Erreichen der Sauberkeit also von selbst geben. Andererseits wird eine Behandlung des Einnässens ohne eine vorherige Behandlung des Einkotens mit vielen Komplikationen und einer geringeren Erfolgsquote verbunden sein. Für Sie als Eltern bedeutet dieses: Immer die empfohlene Reihenfolge einhalten, so kommen Sie am besten zum Ziel.