Anthonis van Dyck, Lady Anne Carr,
Gräfin von Bedford, um 1638.

Öl auf Leinwand, 136,2 x 109 cm.

Petworth House, Sussex.

 

 

Die alten Meister (1730-1850)

 

 

Gibt es überhaupt eine englische Schule der Malerei? Streng genommen passt das Wort „Schule“ nur in sehr unvollkommener Weise zur Geschichte der englischen Malerei. Generell wird diese Vokabel verwendet, um eine Gesamtheit von Vorgehen und Traditionen, eine bestimmte Methode, einen charakteristischen Stil im Design und einen ebenso eigenständigen Geschmack in der Farbgebung zu bezeichnen – dies alles trägt zur Darstellung eines in den Köpfen der Künstler eines Landes zur gleichen Zeit bestehenden nationalen Ideals bei. In diesem Sinne spricht man von der Flämischen Schule, der Niederländischen Schule, der Spanischen Schule, von mehreren italienischen Schulen und von der Französischen Schule, aber nicht von einer Englischen Schule.

Das Wort kann auf die englische Kunst nicht angewandt werden, denn es ist genau dieses Fehlen einer nationalen Tradition, das beim Studium der englischen Malerei am meisten auffällt. Jeder Maler steht für sich selbst und ist von seinen Künstlerkollegen sozusagen isoliert. Von einer Einheitlichkeit der Methode oder der Unterrichtsmethoden ist keine Spur zu finden, es gibt keine systematische Unterrichtung seitens des Staates, der Academy oder der Schulen der schönen Künste. Die englische Kunst ist frei, und eben deswegen ist sie unendlich vielfältig, voller Überraschungen und unerwarteter Originalität.

Aber wenn man der Kürze halber unter dem Namen „Schule“ alle separaten, die Kunst einer Nation darstellenden Erscheinungsformen und eine der Geschichte würdige Kunst zusammenfasst, dann gibt es zweifellos auch eine Englische Schule. Ihr Aufschwung liegt schon zwei Jahrhunderte zurück, und doch war sie auf dem Kontinent ziemlich unbekannt. Erst zur Zeit der Pariser Weltausstellung des Jahres 1855, als die englischen Künstler jener Zeit ihre Produktionen zum ersten Mal über den Ärmelkanal schickten, wurden sich die übrigen Europäer ihrer Existenz bewusst. Die Überraschung in Frankreich war groß, als die Wände des kleinen, nur kurzlebigen Gebäudes in der Avenue Montaigne mit einem zu keiner französischen Augen vertrauten Schule gehörenden umfangreichen Bilderzyklus ausgestattet waren. Bis zu diesem Zeitpunkt war den Engländern weder Gefühl noch Genie – ich meine damit praktisches Kunstgefühl – zugestanden worden.

Es kann nicht bestritten werden, dass, auch wenn England damals keine großen Maler hatte, das Land aufstrebende Gelehrte, Amateure und Kunstsammler aufweisen konnte, die wohl wussten, dass die britische Aristokratie sehr reich ausgestattete Galerien alter Meister besaß, in denen die schönsten Werke Nicolas Poussins (1594-1665) und Antoine Watteaus (1684-1721) vereinigt waren, auch wenn diese in Frankreich zur Zeit Jaques-Louis Davids (1748-1825) recht geringschätzig behandelt wurden.

Vielleicht weniger aus echter Bewunderung denn mehr aufgrund dieses Erstaunens wurde die im Jahre 1855 so plötzlich entdeckte Schule etwas über ihre eigentlichen Verdienste hinaus gepriesen. Wären die Werke der englischen Maler des 18. Jahrhunderts zur gleichen Zeit ausgestellt worden, wäre die Entdeckung noch verblüffender gewesen und hätte einen solchen enthusiastischen Ausbruch der Bewunderung mehr verdient.

Im Jahr 1725 war England von dem unerwarteten Auftreten eines echten englischen Künstlers völlig überrascht. Englisch in seinen Anlagen, in seinen Gewohnheiten und seinem Temperament sowie von Geburt aus, war sein Fall fast beispiellos. Dieser Künstler war William Hogarth[1] (1697-1764).

Bis zu seiner Zeit wurden nacheinander ausländische Künstler, und von ihnen insbesondere die nordischen Maler – Hans Holbein d. J. (1497/1498-1543), Peter Paul Rubens (1577-1640), Anthonis van Dyck (1599-1641), der auch Peter Lely genannte Pieter van der Faes (1618-1680) und Federico Zuccaro (1542-1609) – von den englischen Herrschern an deren Hof geholt. Sie wurden beauftragt, Burgen, Kirchen und Schlösser zu dekorieren und erhielten nicht nur vom Hof, sondern auch vom Adel, großzügige Bestellungen, die aus ihrem Aufenthalt auf britischem Boden einen ständigen Triumph machten.

Sie hatten Schüler, die bei ihnen studierten und denen sie so viel von ihrer Kunst vermittelten, wie sie lehren konnten. Es war ihnen aber nicht möglich, ihre ganz besonderen Gaben zu kommunizieren – ihre Fantasie und ihren Erfindungsreichtum. Sir James Thornhill (1675/1676-1734), Maler und Feldwebel König Georgs I. (Georg Louis; 1660-1727), ein Gentleman von Geburt her und Mitglied des Parlaments, ist vielleicht der einzige Maler, der in seinen Wandmalereien in der Saint Paul’s Cathedral und in Greenwich so etwas wie künstlerisches Feuer bezeugt hat – aber auch er war nicht sonderlich originell. Er führte den Stil der französischen Maler des 17. Jahrhunderts und die Allegorien von Charles Le Brun (1619-1690) und Jean-Baptiste Jouvenet (1644-1717) mit nur einem kleinen Hauch des von Rubens’ Pinsel so reichlich ausgehenden Lebens weiter.

Der Beginn der Englischen Schule ist tatsächlich von Hogarth charakterisiert, er ist sozusagen ihr Giotto di Bondone (1266-1337), wie es in der Einleitung des Berichts der Internationalen Ausstellung von 1862 mit einigem Schwulst gesagt wurde. Aber man darf sich durch diese Worte weder in die Irre führen lassen noch ihre wahre Bedeutung verkennen. Angenommen, es gäbe wirklich eine Englische Schule der Kunst, folgt dann daraus, dass sie zu den großen Schulen gehört, die sich zwar stilistisch sehr voneinander unterscheiden, die wir jedoch ganz gewohnheitsmäßig verehren?

 

 

Genre-, Historien- und Porträtmalerei

 

Sicherlich gibt es in England eine gewisse Anzahl sehr angesehener Künstler, und darunter einige echte Meister. Aber abgesehen von ein paar leuchtenden Sternen muss zugegeben werden, dass das durchschnittliche Talent unter dem Niveau der kontinentalen Schulen liegt, und hier soll nun versucht werden, die Ursache dieser Unterlegenheit zu erklären.

Die Begeisterung über die ersten humorvollen Werke Hogarths hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Englische Schule, der, wenn auch mit kontrolliertem Maßβ an Überschwang, heute noch besteht, und das ist der Boden, auf dem dieser zunächst von allen seinen Künstlerkollegen ignorierte intelligente Abenteurer in der Kunst sein Beobachtungszelt aufgeschlagen hatte.

In einer Zeit wie der damaligen, als die allgemeinen Reaktionen der breiten Bevölkerung äußerst gemäßigt waren und die höheren Klassen sich der Korruption und Frivolitäten hingaben, war eine von scharfem und durchdringendem Sinn für Humor unterstützte Satire bei sachlichen Menschen nicht sonderlich populär. Das entsprach Hogarths Erfahrungen. Er war überzeugt davon, dass eine getreue Darstellung der Sitten seiner Zeit teilweise wegen des Geschreis seiner dagegen auftrumpfenden Gegner und teilweise durch den Applaus der niederen Stände dem Mann, der verwegen genug war, auf die Missbildungen der zeitgenössischen Gesellschaft mit ihren Lastern und Schwächen hinzuweisen, nur Erfolg bringen könnte. Und seine Überzeugung war richtig.

Er begann, alle akademischen Arbeiten beiseite zu schieben und studierte die von Leidenschaft beseelte menschliche Physiognomie: in den Pubs, auf öffentlichen Plätzen, in Menschenmengen. Dann attackierte er heftig den Ruf des damals beliebten Malers William Kent (1685-1748), der behauptet hatte, bereits ein Jahrhundert vor Jaques-Louis David den einzig wahren, reinen griechischen Stil entdeckt zu haben. Dies war im Zusammenhang mit Kents Arbeiten eine ganz besonders lächerliche Anmaßung und völlig absurd, unabhängig von Zeitpunkt und Grundlage seiner Behauptung, denn es wäre nur eine klägliche Bestrebung der Pedanten gewesen, die sich hinter der doppelten Janus-Maske tarnten, aber blind sind für all das, was vor ihnen liegt und die nur Augen für die Vergangenheit haben.