Kapitel 7
Die Inseln

Die Exklusive

So eine richtige Insel ist Schwanenwerder schon lange nicht mehr. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts ließ der Inselbesitzer und Investor Friedrich Wilhelm Wessel die erste feste Landverbindung bauen, eine Holzbrücke. Der sehr wohlhabende Petroleumlampenfabrikant hatte das Eiland, das damals noch Cladower Sandwerder hieß, 1882 von einem Rittergutsbesitzer erworben. Er wohnte sozusagen gegenüber, in der heutigen Straße Am Sandwerder in der Villenkolonie Wannsee. Dort konnte er verfolgen, wie lukrativ sich die Entwicklung und Vermarktung landschaftlich attraktiv gelegener Grundstücke am Rande der Großstadt anließ, und beschloss, selbst so ein für die damalige Gründerzeit typisches Investitions-, man könnte auch sagen: Spekulationsprojekt aufzusetzen. Was konnte es Exklusiveres geben als eine Inselkolonie?

Die Mittel dafür hatte er auf jeden Fall. Wessel gehörte mit seinem Compagnon Heinrich Wild zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Männern im Berlin jener Jahre. Beide waren Mitglieder im Club von Berlin, genau wie der Gründer der Kolonie Alsen, Wilhelm Conrad, und ebenfalls Nachbarn am Wannsee. 1880 feierten sie das 25-jährige Bestehen ihres Unternehmens mit einem aufsehenerregenden Fest am Wannsee für alle Beschäftigten und deren Partner und Kinder, zusammen rund 1000 Personen.

Postkarte von Schwanenwerder, Luftaufnahme von 1926

So wie die Villenkolonien Alsen und Wannsee als großbürgerliche Gegenentwürfe zum Potsdamer Havel-Arkadien der Hohenzollern verstanden werden konnten, so schwebte Wessel ein Gegenstück zur zauberhaften Pfaueninsel der kaiserlichen Familie ein paar hundert Meter havelabwärts vor. Allerdings bedurfte es erst einmal erheblicher Anstrengungen, um aus dem sandigen, nur 25 Hektar großen Inselchen mit viel Knüppelholz und einer Kuhweide interessantes Bauland zu machen. Wessel wollte etwas Besonderes schaffen: „Die gesamte Insel sollte dem Zeitgeschmack entsprechend zu einem Ort romantischer Inszenierung in üppiger Natur werden.“1

Er ließ das Gelände aufschütten und parzellieren, die ein Oval beschreibende Inselstraße sowie einen Gemeinschaftspark anlegen und Skulpturen aufstellen, darunter ein Fragment aus dem beim Aufstand der Commune 1871 zerstörten Pariser Stadtschloss, die „Tuilerien-Säule“. Sie ist erhalten, wurde 2003 restauriert und bei der Gelegenheit auch die Blickachse über den Wannsee zum Grunewaldturm wiederhergestellt. Solche Sichtachsen sollten die künstlich geschaffene Szenerie der Insel in die malerische Havellandschaft einbetten. Wessel bot die sehr großzügig bemessenen Grundstücke zum Kauf für den Bau von Landhäusern an. Schließlich bemühte er sich bei Hofe darum, der Insel den feineren Namen Schwanenwerder zu geben, eine Anspielung auf die Pfauen der Insel nebenan. Doch das erlebte der 1898 gestorbene Unternehmer nicht mehr: Erst 1901 genehmigte Kaiser Wilhelm die Umbenennung. 1933 bekam dann die ehemalige Friedrich-Karl- Straße in der Kolonie Wannsee den Namen Am Sandwerder.

Tuileriensäule Schwanenwerder

Die künftigen Bauherren auf Schwanenwerder durften die Grundstücke nach den von Wessel im Grundbuch vorgegebenen Regeln nur zu privaten Wohnzwecken nutzen, auch der Betrieb von Gaststätten oder Kliniken war untersagt. Das gilt im Grundsatz bis heute. So entstand eines der exklusivsten Wohngebiete im Umfeld der Reichshauptstadt. Der Grundstücksverkauf kam allerdings erst einmal nur schleppend in Gang. Hauptgrund waren die Abgelegenheit und mangelnde Infrastruktur. Um 1900 waren erst vier Grundstücke bebaut, deren Bewohner eine umständliche Kutschfahrt antreten mussten, um nach Berlin oder zumindest zum Bahnhof Wannsee und zurück zu gelangen. Erst 1901 wurde ein Wasserturm mit Dampfmaschinenhaus in Betrieb genommen und damit die Versorgung mit Wasser und Strom gesichert.

In dem opulenten, wissenschaftlich recherchierten Werk Schwanenwerder: Ein Inselparadies in Berlin beschreibt die Landschaftsarchitektin Janin Reif die Leistung des in Schlesien geborenen Koloniegründers so: „Friedrich Wilhelm Wessel schuf etwas Besonderes, etwas Einmaliges vor den Toren Berlins. Die Insel bot einen Rückzugsraum in eine scheinbar heile Welt, wenn auch nur für wenige Auserwählte. Die Gestaltung vielfältiger Naturszenarien angereichert mit historischen Sinnbildern und versammelt auf engstem Raum wurde zu einer Reminiszenz an das Heimatland. Wessel selbst siedelte nicht auf dem Werder. Von den Fenstern seiner Villa in der Kolonie Wannsee konnte er auf die Insel blicken, die nicht weit, doch vermeintlich unerreichbar zu immerwährenden Träumen einlud. Er hatte es verstanden, für sich und seinen Kreis einen ganzen Ausschnitt dieser Landschaft als private Traumlandschaft zu gestalten, gerahmt von den umgebenden Wäldern, Feldern und Siedlungen.“2

Parzellierungsplan, um 1900

Erst den Söhnen des Inselbesitzers, Franz und Hermann Wessel, beide Architekten und Inhaber eines großen Bauunternehmens, gelang es mit der Zeit, die meisten Grundstücke profitabel an Industrielle und Bankiers zu verkaufen. Bis Mitte der 1930er Jahre errichteten namhafte Architekten ein gutes Dutzend großer Landhäuser und Villen mit weitläufigen Gartenanlagen. Hermann Wessel ließ 1901 auf dem Grundstück Inselstraße 37 sein Anwesen Schwanenhof bauen. Es ist das älteste erhaltene Gebäude auf der Insel und auch deshalb eine Besonderheit, weil es im Unterschied zu den meisten Villen nicht auf einem Wassergrundstück, sondern im Innenkreis der Inselstraße liegt. Dort waren sonst vor allem Unterkünfte für die Bediensteten. Dieses Grundstück aber lag auf der höchsten Erhebung der Insel mit einem großartigen, noch nicht durch hochgewachsene Bäume gestörten Rundumblick auf den See. Außerdem bestand für den Eigentümer des gegenüberliegenden Ufergrundstücks die grundbuchlich eingetragene Pflicht, das Panorama zum Wannsee freizuhalten („Aussichtsparzelle“). Schließlich gehörte zum „Schwanenhof “ auch noch ein schmaler Geländestreifen mit Wasserzugang.

Die Käufer der Grundstücke kamen ausschließlich aus der finanzkräftigen, großbürgerlichen Oberschicht Berlins, die hier im Sommer exklusive Erholung vom Großstadtleben suchte. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 verbrachten – neben den Brüdern Wessel – allerdings erst ein knappes Dutzend Eigentümer mit ihren Familien die warme Jahreszeit auf der Insel.3 Die Gesamteinwohnerzahl Schwanenwerders lag um 1910 aber wohl bei über achtzig Personen, überwiegend Hausangestellte. So beschäftigte der Chemieindustrielle Lohse mit Ehefrau und vier Kindern allein elf Dienstboten, darunter Haus- und Kindermädchen, Koch, Gärtner, Kutscher und Bootsführer. In den 1920er Jahren gab es sogar eine einklassige Grundschule für die Kinder der Hausangestellten auf der Insel.

Exklusive Gesellschaft und exquisite Architektur

Die Käufer der bis zu 30 000 Quadratmeter großen Parzellen konnten es sich leisten, namhafte Architekten und Landschaftsgestalter zu beauftragen. Es entstanden große Landhäuser mit weitläufigen Gartenanlagen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist das Haus Waltrud, das der Brauereibesitzer und Bankier Walter Sobernheim auf dem 1912 erworbenen Grundstück Inselstraße 15–18 bauen ließ. Er beauftragte damit den prominenten Architekten Bruno Paul, der eine weitläufige Villa mit 34 Zimmern für das 17 000 Quadratmeter umfassende Gelände entwarf. Die Bezeichnung Haus Waltrud – zusammengesetzt aus den Vornamen der Eheleute Walter und Gertrud – erwies sich so als freundliche Untertreibung. Paul, der auch Hochschullehrer und Direktor der Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, der heutigen Berliner Universität der Künste war, gilt als einer der Wegbereiter der modernen Architektur in Deutschland. So erregte das Anwesen mit seinem von den Gartenarchitekten der renommierten (und bis heute existierenden) Späth’schen Baumschulen angelegten Park Aufmerksamkeit weit über Berlin hinaus. Die Zeitschriften Die Dame und Deutsche Kunst und Dekoration veröffentlichten reich bebilderte Artikel über Haus und Garten der Familie des Generaldirektors der Schultheiß Brauerei.4

Haus Waltrud, Villa der Familie Sobernheim, Inselstraße 16, Kupferdruck Felsing

So schrieb der Kulturjournalist Franz Servaes über Pauls Werk: „Mit großer Feinfühligkeit verstand er es, der Landschaft sich einzuschmiegen und alle Vorzüge der Lage in erlesener Weise zur Geltung zu bringen. Eine über dem Wasserspiegel sich erhebende Böschung benutzte er zu schön gegliederten Terrassenanlagen, auf deren Hochfläche zwischen Birken und Kiefern das breit gelagerte Herrschaftshaus, braunrot mit grünen Fensterläden, wie aus dieser Landschaft herausgewachsen, sich erhebt. Der Blick geht (…) auf eine ruhige Bucht, jenseits deren die Hochstämme der Grunewaldkiefern, den malerischen Windungen des Seeufers folgend, die Aussicht ebenso anheimelnd beschränken wie ins Weitere sanft hinausführen.“5

Neben der architektonischen und landschaftlichen Qualität des Insellebens gewann Schwanenwerder aber zunehmend auch Bedeutung als ein diskretes Machtzentrum am Rande der Hauptstadt. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Insulaner heißt es in der Chronik des Aktiven Museums: „Nicht nur die Anwesenheit von vier Bankiers des später fusionierten Geldinstituts ‚Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft‘ deutet auf die engen Verflechtungen zwischen den Inselbewohnern hin. Man besuchte sich gegenseitig und empfing hohen Besuch aus Politik und Wirtschaft. Die Abgeschiedenheit der Insel war hierfür bestens geeignet. Nur wer ausdrücklich geladen war, konnte Einblick in das exklusive Leben nehmen.“6

Nach dem Ersten Weltkrieg entdeckten zunehmend prominente und wohlhabende Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Berlins die Vorzüge Schwanenwerders. Zu dieser Gruppe gehörten: der Direktor des Bankhauses Goldschmidt- Rothschild Samuel Goldschmidt, Werner Feilchenfeld, Syndikus der Berliner Industrie- und Handelskammer, der Textilkaufmann Alfred Gugenheim, der Landgerichtsrat Dr. Herbert Gidion und der Verleger Leo Goldstaub. „Insgesamt gehörten von den 15 Anwesen auf Schwanenwerder, die 1930 im Amtlichen Adressbuch Berlins aufgeführt wurden, neun jüdischen Eigentümern. Trotz unterschiedlicher Namen entstammten sie entweder einer Familie (…), trugen Verantwortung im selben Bankhaus (…) oder saßen in der Leitung des gleichen Unternehmens“, berichten die Autoren der Inselchronik.7

Georg Solmssen gehörte schon zu den frühen diskret-prominenten Bewohnern der Insel. Der 1869 in Berlin geborene Bankierssohn jüdischer Herkunft trat 1900 zum Protestantismus über und legte seinen erkennbar jüdischen Geburtsnamen Salomonsohn ab. Er wolle „ganz deutsch und nicht jüdisch sein“, ließ er dazu wissen. Allerdings trat er noch 1929 der Gesellschaft der Freunde, einem der wichtigsten Vereine der jüdischen Gemeinschaft der Hauptstadt, bei. 1912 legte er sich ein 27 000 Quadratmeter großes Wassergrundstück auf Schwanenwerder zu und ließ es mit einem weitläufigen Landhaus bebauen. Die Adresse Inselstraße 23–26 sollte in der weiteren Inselgeschichte noch bedeutsam werden.

Solmssen war nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich an der Rückkehr der deutschen Banken und Unternehmen in die Weltwirtschaft beteiligt, unter anderem als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Telegraphengesellschaft. Er empfing auf Schwanenwerder prominente Besucher wie den Reichspräsidenten Friedrich Ebert oder den Maler Max Liebermann. Seit 1929 gehörte er dem Vorstand der Deutschen Bank an und wurde 1933 Vorstandssprecher als Nachfolger des aus dem Amt gedrängten jüdischen Bankiers Oscar Wassermann. Schon 1934 erlitt er das gleiche Schicksal. Er emigrierte in die Schweiz und kehrte auch nach dem Ende des Naziregimes nicht nach Deutschland zurück. Er konnte das Haus erst seiner protestantischen Ehefrau übertragen, ehe es sich 1939 Hitlers Leibarzt Theodor Morell aneignete.

Nach 1918 ließen sich auch allerlei schillernde Gestalten auf Schwanenwerder nieder, die sich den Vermögensverfall von Vorbesitzern als Folge der Kriegswirren und der folgenden Inflation zunutze machten. Dazu zählten die Gebrüder Julius und Henry Barmat, landesweit bekannte Spekulanten und Lebemänner. Nun tauchte im beliebten Berliner Volksmund „Barmatwerder“ als Name für die Insel auf, sehr zum Leidwesen der alteingesessenen seriösen Bewohner. Die Gebrüder Barmat wurden ähnlich wie ein weiterer Nachbar auf Schwanenwerder der Bestechung und des Betrugs bei Geschäften mit öffentlichen Aufträgen beschuldigt. Bei einer spektakulären Razzia auf der Insel wurden sie 1925 verhaftet und nach einem langen Prozess zu überschaubaren Haftstrafen verurteilt. Da alle Beteiligten jüdischer Herkunft waren und Kontakte in die Sozialdemokratie pflegten, nutzten rechtsradikale Kreise die Skandale als Beleg für ihre Propaganda gegen die „jüdische Schieberrepublik“.8

Von anderer Art war der Fall des russischen Schriftstellers, Finanziers und Verlegers Alexander Helphand, ein zum Millionär gewordener Sozialist, der auch als Autor unter dem Pseudonym Parvus bekannt war. Der Historiker Boris Chavkin hat in einem Porträt die widersprüchlichen Rollen Helphands beschrieben: Er sei „russischer Revolutionär und Verfechter des deutschen Imperialismus, marxistischer Wissenschaftler und Großunternehmer, Kosmopolit und deutscher Patriot, hinter den Kulissen wirkender Politiker und internationaler Financier, sozialdemokratischer Publizist und politischer Abenteurer“ gewesen.9 Der einer jüdischen Handwerkerfamilie aus Berasino in Belarus entstammende Tausendsassa war daran beteiligt, Lenin 1917 in einem verplombten Eisenbahnwagen durch Deutschland nach Russland reisen zu lassen. Anfang der 1920er Jahre war er ein einflussreicher Autor und Herausgeber verschiedener Publikationen der SPD und kam in Kontakt mit dem Besitzer des Hauses Waltrud, Walter Sobernheim. „Beide verkehrten trotz gegensätzlicher Biografien in den einflussreichen Kreisen der Gesellschaft und Politik“, schreibt die Historikerin Heike Stange.10

Während Helphand im Krieg zu einem vermögenden Mann geworden war, schien Sobernheim in eine finanzielle Klemme geraten zu sein. Er überließ Helphand 1920 das Haus Waltrud als Wohnsitz gegen einen Kredit von 300 000 Mark, rückzahlbar in drei Raten bis zum 1.  Januar 1924. In diesem Zeitraum lebte Helphand – oder Parvus, wie er oft genannt wurde – auf Schwanenwerder und führte in Sobernheims Villa ein großes Haus. Zu seinen Gästen zählten einflussreiche, vornehmlich sozialdemokratische Politiker wie Philipp Scheidemann, Otto Wels und wichtige Männer aus Ministerien und Kultureinrichtungen. Auch mit Reichspräsident Friedrich Ebert von der SPD pflegte er eine gute Bekanntschaft.

Der preußische Kulturminister Konrad Haenisch schrieb in einem Nachruf auf den 1924 gestorbenen Helphand: „Er kannte keine größere Freude, als alte Mitkämpfer und Gesinnungsgenossen, wie begabte junge Adepten des Sozialismus in seinem schönen Haus am Wannsee zu sehen, an seinem gastlichen Tische zu bewirten.“11 Zu den von ihm geförderten jungen Sozialdemokraten zählte auch Arno Scholz, der nach dem Krieg die einflussreiche West-Berliner Zeitung Telegraf herausgab. So gehört zur bewegten Geschichte Schwanenwerders, dass dieses Refugium des konservativen Großbürgertums eine Weile auch zum Treffpunkt der sozialdemokratischen Elite und Schickeria der Weimarer Republik wurde.

Der sanierte Sobernheim aber übernahm sein Haus 1924 wieder und kaufte das Nachbargrundstück noch dazu. Dort baute dann sein Architekt Bruno Paul 1928 ein Landhaus für die Tochter Lotte und ihren Mann Theodor Simon, die aus England zurückkehrten, sodass die Familie nun ein weitläufiges Areal mit den Hausnummern 15–18 ihr Eigen nannte.

Die Idylle ist vorbei – Hakenkreuzfahnen über der Insel

Doch mit dem von Friedrich Wilhelm Wessel und seinen Söhnen geschaffenen Rückzugsraum in eine heile Welt war es 1933 vorbei. Am 4. März kletterten Mitglieder eines Zehlendorfer SA-Sturms auf den Wasserturm und hissten eine Hakenkreuzfahne. Es war ein erstes Zeichen der neuen Machtverhältnisse, eine gezielte Provokation der bekannten jüdischen Bewohner der Insel. Es war auch ein Vorbote dessen, was in den folgenden Jahren kommen sollte: die Vertreibung der verhassten Elite der Republik und namentlich ihrer jüdischen Mitglieder aus ihren Häusern und von ihrem Land und deren Besitznahme durch führende Männer der Nationalsozialisten. Schwanenwerder ist dafür ein exemplarischer Fall.

Die jüdischen Eigentümer wurden systematisch zur Aufgabe ihrer attraktiven Anwesen gedrängt. Diese Verkäufe waren auch vor dem 3. Dezember 1938, an dem die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ in Kraft trat, in den seltensten Fällen freiwillig. Wenn es sich nicht um ausdrückliche Zwangsverkäufe handelte, so waren der Anlass in fast allen Fällen die mit der Emigration zu zahlende „Reichsfluchtsteuer“ und weitere Zwangsabgaben. Nutznießer war die NS-Elite, die 1939 ein Drittel der Grundstücke auf der Insel besaß, unter ihnen der Hitlervertraute und Propagandaminister Joseph Goebbels, der Architekt Albert Speer und Hitlers Leibarzt Theodor Morell.

Aufgrund ihrer Verbindungen und ihres Vermögens gelang es allen auf der Insel ansässigen Juden, Deutschland rechtzeitig vor den Pogromen zu verlassen und ihr Leben zu retten. Das mag auch mit der hellsichtigen Warnung ihres Nachbarn Georg Solmssen zusammengehangen haben, der schon im April 1933 in einem Brief an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank, Franz Urbig, schrieb: „Ich fürchte, wir stehen noch am Anfang einer Entwicklung, welche zielbewusst, nach wohlaufgelegtem Plane auf wirtschaftliche und moralische Vernichtung aller in Deutschland lebenden Angehörigen der jüdischen Rasse, und zwar völlig unterschiedslos, gerichtet ist.“12 Urbig war dann bald selbst aktiv daran beteiligt, jüdische Kollegen wie Solmssen aus den Führungsetagen der Deutschen Bank zu entfernen.

Der bei weitem prominenteste und mächtigste Inselnazi war Joseph Goebbels, der mit seiner Frau Magda und ihren gemeinsamen Kindern 1936 das Landhaus des Bankiers Oscar Schlitter in der Inselstraße 8–10 bezog. Adolf Hitler war seinem Propagandaminister und engen Vertrauten beim Kauf behilflich gewesen, indem er dessen Gehalt aufbesserte und einen großzügig dotierten Vorabvertrag über die Veröffentlichung seiner Tagebücher 20 Jahre nach dessen Tod vermittelte. „Nun bin ich im eigenen Haus. Am See, und restlos glücklich“, notierte Goebbels im April 1936 in seinem Tagebuch. „Ein Refugium. Hier kann ich ausruhen und Kräfte sammeln.“ Wenige Tage später kam Hitler erstmals zu Besuch: „Er ist restlos begeistert. (…) Alles gefällt ihm. Lage, Einrichtung, vor allem das Gästehaus, das wir eigens für ihn zurecht gemacht haben.“13 Während dieser Hauskauf noch mit rechten Dingen zuging, eignete Goebbels sich drei Jahre später das Nachbargrundstück 12/14 des jüdischen Bankiers Samuel Goldschmidt auf dem Wege des Zwangsverkaufs weit unter Wert an.

Der Propagandaminister war alleiniger Herrscher über die Zensur aller Medien in Deutschland, darunter auch die Filmindustrie. „Goebbels, der seine Macht über die Medien mit der Leidenschaft eines verhinderten Künstlers ausübt, versteht es virtuos, Schauspieler und Regisseure zu ködern. Vorzugsbehandlungen bei Propagandaaufträgen, Traumgagen, Vergabe von Regieposten, Orden oder Empfänge, Freistellung vom Wehrdienst und die Einladungen zu seinen Gesellschaften auf Schwanenwerder waren der Maßstab, an dem der Star seine Gunst beim Zeremonienmeister des Dritten Reichs ermessen konnte“, beschreibt Rüdiger Reitmeier das System Goebbels. „Arisierte Villen, Autos, unaufhaltsamer Ruhm ließen die verhätschelten Volkslieblinge vergessen, welche Rolle sie im Unterhaltungskino des faschistischen Regimes spielen sollten.“14 Goebbels führte auf Schwanenwerder ein luxuriöses Leben mit großen Gesellschaften und schnellen Motorbooten und genoss es, sich mit den Größen der deutschen Filmszene zu umgeben.

Gleichzeitig präsentierten Joseph und Magda Goebbels sich und ihre sechs Kinder, ihre Villa und ihren Park in der traumhaften Landschaft von Schwanenwerder in zahllosen Wochenschaubeiträgen als glückliche deutsche Musterfamilie. Dazu gehörte auch ein Film, den der populäre Schauspieler Heinz Rühmann 1940 zum Geburtstag Goebbels’ in dessen Garten mit den Kindern des Ministers drehte, „zum Lachen und zum Weinen, so schön“, wie Goebbels notierte.15

Dieses öffentlich inszenierte Familienleben hinderte ihn allerdings nicht daran, seine Macht für diverse Affären mit Schauspielerinnen zu nutzen, von denen die kaum verhüllte Liaison mit der Schauspielerin Lída Baarová zu einem beliebten Klatschthema der Berliner Gesellschaft wurde. Die Tschechin war mit dem Schauspieler Gustav Fröhlich liiert, einem Nachbarn der Goebbels’ auf Schwanenwerder – im Landhaus des vertriebenen Walter Sobernheim. Nachdem der Propagandaminister offenbar erwog, sich wegen „der Baarova“ scheiden zu lassen, intervenierte der Magda Goebbels sehr gewogene Hitler und sorgte dafür, dass ihr Mann die Beziehung beendete.

Joseph Goebbels im Gespräch mit Lída Baarová und Gustav Fröhlich

Eine ganz andere Seite dieser Familie erlebte Georg Schertz, der spätere Polizeipräsident West-Berlins, der auf Schwanenwerder aufgewachsen und mit dem gleichaltrigen Helmut Goebbels befreundet war, seinem Banknachbarn in der Grundschule. Sie waren beide 1935 geboren und die beiden einzigen Jungen in diesem Alter auf der Insel. So war er bei den Goebbels häufiger zu Besuch und wurde von ihrem Chauffeur mit Helmut zur Schule nach Wannsee gefahren, oft mit einer zweispännigen Kutsche, deren Pferde im tiefen Winter zur Begeisterung der Jungen auch mal vor einen Schlitten gespannt wurden.16 Er habe den Hausherrn und seine Frau nur selten gesehen, erzählte Schertz vor einigen Jahren dem Berliner Tagesspiegel. „Präsent waren tagsüber nur die Kindermädchen und Hausangestellten.“17 Seine Mutter berichtete ihm später von einem Gespräch mit Magda Goebbels. Sie sei besorgt gewesen wegen der Freundschaft der Kinder und habe die Frau des Ministers angesprochen: „Mein Mann wurde von der Regierung Ihres Mannes als Beamter entlassen.“ Frau Goebbels habe darauf gelächelt: „Ja, glauben Sie, das hätten wir nicht gewusst? Aber damit haben die Kinder doch nichts zu tun.“

Die Familie Schertz hat eine besondere Beziehung zu Schwanenwerder. Ihr Haus unmittelbar hinter der Brücke fällt aus dem Rahmen der prächtigen Villenbebauung. Es ist ein kleines, schmales Gebäude dicht an der Straße, allerdings mit einem sensationellen Ausblick in beide Wasserrichtungen, der jeden fasziniert, der den heute fast neunzigjährigen Juristen Georg Schertz in seinem Haus besucht.

Das alles begann mit einem genauen Blick von Schertz’ Vater auf das Ufer der Insel. Der preußische Polizeioffizier Erwin Schertz war Mitglied in einem Segelklub, der sein Gelände an der Havel schräg gegenüber von Schwanenwerder hatte. Von hier konnte er beobachten, wie im Sommer regelmäßig ein geschwungener Uferstreifen auf einer Länge von 40 Metern trockenfiel. „Dann war da eine Dreckecke. Mein Vater aber hatte erkannt, dass man in beide Richtungen auf den See blicken könnte, wenn man dort ein Haus hat. Er ist dann zum preußischen Wasser-Fiskus gegangen und hat gesagt, da ist doch diese Dreckecke, ich begradige Ihnen dort die Uferlinie, wenn Sie mir den Wasserstreifen verkaufen und mir erlauben, dort ein Haus zu bauen. Und das wurde genehmigt“, erinnert sich Georg Schertz.

So kam die Familie 1934 in den Besitz des Wassergrundstücks am Zugang zur Insel und ließ dort auf einer Gründung aus sechs Stahlbetonpfählen das Haus bauen, in dem Georg Schertz bis heute lebt. Das Untergeschoss des Gebäudes wurde von einer Spezialfirma aus dem Ruhrgebiet in die Havel gebaut. Es ist das einzige Haus auf Schwanenwerder, das seit 90 Jahren durchgängig von der gleichen Familie bewohnt wird. „Mein Grundstück ist übrigens das kleinste hier“, sagt Georg Schertz. Sein Vater Erwin war 1934 von den Nationalsozialisten aus dem Polizeidienst entlassen worden, weil er führendes Mitglied einer Freimaurerloge war. Die Sorge, dass die Nazis, die zur gleichen Zeit Schwanenwerder in Besitz nahmen, den neuen Mitbewohner drangsalieren würden, erwies sich als unbegründet. Zur Sicherheit ließen die Schertz’ das Grundstück aber auf die Ehefrau Flora eintragen.18

Reichsbräuteschule, 1941

Die Nationalsozialisten prägten ab Mitte der 1930er Jahre weitgehend das öffentliche Leben auf der kleinen Insel. Dazu trugen Einrichtungen wie die Führerschule des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps und die Reichsbräuteschule der SS mit ihrem Personal, Schülern und Schülerinnen bei. In der Bräuteschule wurden jungen Frauen in mehrwöchigen Lehrgängen die nötigen praktischen und politischen Kenntnisse für ihre künftige Funktion als dienende Ehefrauen von SS- Männern vermittelt. Die „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholz-Link wohnte fortan in der Inselstraße 38. Mit Hitlers Leibarzt Theodor Morell lebte ein weiterer enger Vertrauter des „Führers“ auf der Insel, auf der sich für eine Weile auch Hitlers Stararchitekt und spätere Rüstungsminister Albert Speer niederließ.

Trotz der vielen Schwanenwerder bevölkernden Nazigrößen gab es an der Zufahrt keine Wachtposten. Lediglich ein Schild sollte Neugierige abschrecken.

Schild an der Zufahrt zu Schwanenwerder, um 1940

Ein demonstrativer Akt:
General Eisenhower übernimmt die Insel

Schwanenwerder überstand den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet. Als Anfang Mai 1945 sowjetische Soldaten die Insel besetzten, hatten die Nationalsozialisten sie lange verlassen. Heinrich und Magda Goebbels hatten sich und ihre sechs Kinder am 1. Mai im Bunker der Reichskanzlei umgebracht. Ihr leerstehendes Haus auf Schwanenwerder war eines der ersten Ziele von plündernden Soldaten der Roten Armee, später suchten auch Berliner in den verlassenen Häusern nach zurückgelassenen Wertgegenständen, Lebensmitteln und Spirituosen. Um Plünderungen und Vandalismus ein Ende zu setzen, ließ der neu eingesetzte Zehlendorfer Bezirksbürgermeister die Zufahrt zur Insel Mitte Juni mit einem zeitweise bewachten Holztor an der Brücke sperren.

Am 4. Juli 1945 ging die Inselverwaltung an die US- Armee über. Die Amerikaner wollten hier nun ein Zeichen setzen. Der US-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower richtete auf Schwanenwerder sein Hauptquartier ein. Das mochte nicht unbedingt praktisch sein, doch besaß diese Ortswahl auf der von den besiegten einstigen Nazigrößen so geschätzten Insel eine starke Symbolkraft. So erhielt das einst von Walter Sobernheim gebaute Haus Waltrud, in dem Eisenhower sich niederließ, einen Platz in der Weltgeschichte. Von hier aus bereiteten die Amerikaner die Potsdamer Konferenz vor, auf der die führenden Männer der vier Siegermächte im Sommer 1945 über die Zukunft Deutschlands berieten. Später wohnte hier der erste amerikanische Stadtkommandant und „Vater der Luftbrücke“, Lucius D. Clay.

Für diese Luftbrücke, mit der die Alliierten West-Berlin während der sowjetischen Blockade zwischen Juni 1948 und Mai 1949 aus der Luft versorgten, spielte auch der Wannsee eine wichtige Rolle. Er stellte neben den Flughäfen Tempelhof und Gatow eine dritte Landebahn dar, auf der britische Flugboote vom Typ Sunderland wasserten und starteten. Für den 13-jährigen Georg Schertz bot sich nun täglich ein spektakuläres Schauspiel vor der Haustür. „Unser Haus hatte die Lage wie ein Tower, so dass ich alles genauestens beobachten konnte“, erinnert er sich. „Es war sehr eindrucksvoll, wenn die viermotorigen Maschinen wasserten und starteten.“19 Die Flugzeuge machten an Bojen zwischen Schwanenwerder und dem Ufer fest und wurden entladen. Schuten transportierten dann Güter wie Lebensmittel, Kohle oder Zement zu ihren Bestimmungsorten in der Stadt.

Ansonsten brach für Schwanenwerder eine schwierige Zeit an. Viele der großen Anwesen standen leer. Die Goebbelsvilla und ihr Grundstück benutzten US-Soldaten als Übungsgelände, das sie verwüstet hinterließen. Das Dach wurde abgedeckt, um die Holzsparren als Laternenmasten für die Straßenbeleuchtung zu nutzen, sodass das Gebäude schnell verfiel. In ein Wirtschaftsgebäude auf dem Grundstück zog 1950 die Wasserschutzpolizei ein, die dort bis 2008 eine Wache betrieb.

Der vom Magistrat gefasste und mit einem großen Schild verkündete Plan, die Villen Opfern des Faschismus als Erholungsheime zur Verfügung zu stellen, scheiterte an finanziellen und politischen Problemen in der Vier-Sektoren-Stadt. Die jüdischen Alteigentümer waren ins Ausland geflohen und mussten umständliche Rückerstattungsverfahren betreiben, um an ihren Besitz zu kommen. Mieter ließen sich für die kostspielig zu unterhaltenden großen Villen kaum finden. Ab 1948 erlaubte die US-Kommandantur dem Land Berlin die Nutzung der Grundstücke ehemaliger NS-Größen und -Institutionen. Viele der jüdischen Eigentümer verkauften die rückerstatteten Grundstücke in den 1950er Jahren an das Land, das sie viele Jahre als Erholungsgebiet für Kinder und Jugendliche aus der kriegszerstörten Stadt nutzte. Im Rahmen des Programms „Kinder an Luft und Sonne“ kamen an manchen Tagen hunderte Kinder auf die Insel, bis 1980 verlebten etwa 100 000 Kinder aus Familien, die sich oft keinen Urlaub leisten konnten, unbeschwerte Tage am Wannsee. Dafür stand etwa die Hälfte der Inselfläche zur Verfügung.

Viele der herrschaftlichen Villen verfielen in diesen Jahren und wurden dann später abgerissen. Ein positives Gegenbeispiel ist die Villa Monheim, die am Ende der Inselstraße kurz vor der Brücke liegt. Sie gehört seit 1931 bis heute der Familie des früheren Schokoladenfabrikanten Richard Monheim und ist stets bewohnt und gepflegt worden. 1926 im Stil des expressionistischen Rokoko gebaut, einer zu jener Zeit in Berliner Villengegenden beliebten Richtung, ist es die einzige weitgehend unverändert gebliebene Villenanlage der Insel. Sie steht unter Denkmalschutz. Seine ganze Pracht zeigt das an ein Landschlösschen erinnernde Gebäude erst von der Seeseite aus. Von der Straße aus fällt vor allem seine ungewöhnliche hellrosafarbene Fassade auf. Gut erhalten ist ebenso das Landhaus des Bankiers Eduard Mosler, das 1947 die evangelische Kirche gekauft hat und bis heute als Begegnungsstätte nutzt. Auch für die 34-Zimmer-Villa Waltrud fand sich nach ihrer Nutzung durch die Amerikaner erst einmal eine neue Verwendung. Hier zog ein privates Hospital für 100 Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung von den noch immer seit der Gründerzeit geltenden strengen Nutzungsbeschränkungen ein, die bis 1970 regelmäßig erneuert wurde.

Mit Beginn der 1960er Jahre zogen wieder neue Bewohner auf die Insel. Etwa zehn Grundstücke wechselten in dieser Zeit ihre Besitzer, es wurde auch wieder gebaut.20 Der prominenteste Neuankömmling war 1961 der Hamburger Zeitungsverleger Axel Springer, der mit Bild und Welt zwei einflussreiche Tageszeitungen herausbrachte. Er zog als demonstrative Antwort auf den Mauerbau nach Berlin, wo er ein neues Verlagshochhaus in Kreuzberg, direkt an der Mauer zu Ost-Berlin, bauen ließ. Auf Schwanenwerder kaufte er mit seiner Frau Friede ein geschichtsträchtiges Grundstück, Inselstraße 23–26. Zuletzt hatte in der Villa von Georg Solmssen, dem von den Nationalsozialisten vertriebenen Chef der Deutschen Bank, Hitlers Leibarzt Theodor Morell gewohnt. Eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1953 stellte fest: „Wohnhaus in den ersten Jahren nach Kriegsende ausgeräumt und geplündert. (…) Vom eingeschossigen Wirtschaftsgebäude nur Umfassungswände und Teile der Dachkonstruktion erhalten  (…), beide Grundstücke nicht bewohnt und stark verwahrlost.“21 1956 erreichte die Witwe Giulietta Solmssen die Rückgabe des Grundstücks, das sie später verkaufte.

Axel Springer und sein Glasbungalow am Wannsee

Axel Springer berichtete 1967 in einem Gespräch mit dem Journalisten Ben Witter über sein neues Anwesen: „Den Kasten, der vorher dagestanden hatte, ließ ich wegsprengen; zu viel klotzige Würde, aber teilweise schade um den Stuck.“22 Der Verleger ließ sich ein modernes Haus im Stile Mies van der Rohes bauen: „Ich hab einen Bungalow am Wannsee, er besteht zum größten Teil aus Glas, und ich sitze in meinem riesigen Wohnzimmer wie auf einer Veranda.“ Allerdings musste er das Haus aus genau diesem Grund auf Anraten der Polizei schon bald wieder abreißen lassen. Angesichts der Studentenproteste gegen den Verleger der Bild-Zeitung („Enteignet Springer!“), deren Auslieferungsfahrzeuge von Demonstranten angegriffen wurden, betrachtete sie die sich zum Wasser öffnenden großen Glasflächen als Gefahr für dessen Sicherheit. Er ließ nun ein neues, traditionell gemauertes Haus mit Walmdach etwas weiter vom Ufer entfernt bauen, das bis heute erhalten ist.

Ähnlich wie der Zuzug Springers knüpfte auch die Eröffnung der Berliner Filiale des renommierten amerikanischen Aspen Institutes auf Schwanenwerder 1973 an die großen Zeiten der Insel in den 1920er Jahren als Treffpunkt bedeutender Unternehmer und Intellektueller an. Mit dem Institut zog auch sein Leiter, der weltgewandte amerikanische Publizist Shepard Stone, nach Schwanenwerder. Er führte hier über die Jahre Politiker und Wissenschaftler von Rang zu insgesamt 270 Tagungen zusammen und half, das eingemauerte West-Berlin vor Isolierung und Provinzialität zu bewahren. Dass der moderne Bungalowkomplex der Denkfabrik mit weitem Blick über die Havel und den Grunewald auf dem Grundstück und den Grundmauern der von Goebbels bewohnten Villa stand, ist eine besondere Ironie, die so nur auf Schwanenwerder zu finden ist. Wenn man vom Mythos Wannsee spricht, hier ist eine seiner Quellen.

Darin steckte aber auch eine große Symbolik: Hier, wo die Zensur, die geistige Unterdrückung und die nationalistische Überhöhung des Naziregimes in der Person eines ihrer abgefeimtesten Machthaber zu Hause war, spürte nun eine neue Generation den Freiheiten der liberalen Demokratie nach. Während diese düstere Vergangenheit der Deutschen auch Dank amerikanischer Soldaten überwunden war, führte der Westen jetzt einen anderen, einen Kalten Krieg gegen die Ideen des Kommunismus. Ein Außenposten dieses Kampfes fand sich hier am Wannsee, fast in Sichtweite der Grenze zwischen beiden Systemen. Es ist kein Zufall, dass der gleiche Shepard Stone 20 Jahre zuvor entscheidend daran mitgewirkt hatte, in West-Berlin die den Ideen der liberalen Demokratie verpflichtete Freie Universität zu gründen. Zu dieser Geschichte passt, dass das Aspen Institute den Außenposten auf der Insel nach dem Mauerfall verlassen hat und an die Friedrichstraße in Berlin-Mitte gezogen ist, näher am Berliner Politikbetrieb.

Provinzialität war gleichwohl auch auf Schwanenwerder zuhause, denn gleichzeitig schwelten bis in die 1980er Jahre hinein zum Teil heftige juristische und publizistische Auseinandersetzungen zwischen neuen Grundstückseigentümern und den Behörden wegen der als Belästigung wahrgenommenen Kinder- und Jugendfreizeiten auf der Insel. Dazu gehörten auch die Busse, mit denen die Gäste über die schmale Inselstraße an- und abreisten. Es ging offiziell um Lärm und Betrieb, man kann diese Auseinandersetzungen aber auch als Kulturkampf um den Charakter der Insel verstehen, der sogar Züge eines Klassenkampfes trug.

Mit der öffentlichen Nutzung der von den Nazis enteigneten Grundstücke bot sich erstmals die Chance, die hermetische Abgeschlossenheit dieser seit Beginn an den Reichen und Mächtigen vorbehaltenen Insel zu durchbrechen. Die sonst stets verschlossenen Tore standen offen, es gab hier erstmals Zugänge zum Wannsee für tausende Kinder und Jugendliche aus unterprivilegierten Familien, die oft noch nie die Freiheit des Tobens im Wasser und Wald ihrer Stadt hatten erleben dürfen. Es war eine Phase, in der die alten Regeln der räumlichen Trennung von „oben“ und „unten“ nicht mehr galten. Die sozialdemokratische Stadtregierung, die Öffentlichkeit und die Medien standen in diesem Kulturkampf mehrheitlich auf der Seite der „kleinen Leute“ und nicht der reichen Inselbewohner.

1982 wurden die Streitigkeiten mit einem Vergleich beigelegt, der eingeschränkte Nutzungszeiten für die Zeltplätze vorsah. Die Freizeiten in großem Stil fanden aber ein jähes Ende, als bei einem plötzlich auftretenden Orkan im Juli 2002 zwei Kinder durch umstürzende Bäume auf einem Inselzeltplatz ums Leben kamen und 13 verletzt wurden. Das große Gelände ist seither verwaist und verwildert, andere landeseigene Grundstücke wurden verkauft. Eine Erinnerung an das Unglück und seine Opfer sucht man auf der Insel vergebens. Heute gibt es nur noch zwei Gästehäuser.

Schwanenwerder ist wieder die exklusivste Wohnlage Berlins

Mit dem Fall der Mauer und Berlins Wiederentwicklung zur Hauptstadt und pulsierenden Metropole hat auch Schwanenwerder zu neuer Exklusivität gefunden. Es gab einen kleinen Bauboom, bei dem vor allem die brach liegenden Grundstücke in der Inselmitte wiederentdeckt wurden. Und es gab immer wieder Berichte und Gerüchte um Spekulanten und Investoren, die die Insel dichter bebauen und zu einer gated community nach amerikanischem Vorbild entwickeln wollten, einer abgeschlossenen Siedlung mit Zugangskontrollen. Doch letztlich sind all diese Projekte wie der Bau einer exklusiven Reihenhausanlage oder einer „Seniorenresidenz Palais Schwanenwerder“ gescheitert. Der nach wie vor restriktive Bebauungsplan hatte Bestand.

Umso größere öffentliche Aufmerksamkeit erregten ab 2007 die Aktivitäten auf dem Grundstück Inselstraße 34, dem einstigen Besitz des Kaufhausgründers Berthold Israel, das zuletzt von einem Sportverein der Deutschen Bahn genutzt und nun verkauft worden war. An wen? Das war die Frage, die zahlreiche Medien in Berlin umtrieb, und wieder tauchte das damalige Traumpaar „Brangelina“ als einzig denkbare Lösung auf: Brad Pitt und Angelina Jolie wollten sich endlich eine angemessene Bleibe in Berlin zulegen, davon war die Fachpresse für das Promiwesen überzeugt. Dazu trug die Nachricht bei, dass mit dem Bau das in Berlin ansässige, international renommierte Architekturbüro Graft beauftragt wurde, mit dem Brad Pitt schon länger zusammenarbeitete. Bald wurde bekannt, dass eine vollkommen aus dem Schwanenwerder-Maß ausbrechende „Mega-Villa“ entstehen sollte, wie die Berliner Morgenpost schrieb. Sie werde „weder landhausig noch wilhelminisch, noch sonstwie historisierend. Sondern futuristisch modern.“23 Die Baustelle wurde von Fotografen belagert, Schaulustige unternahmen Ausflüge auf die Insel, eine Initiative von Inselbewohnern formulierte Protestschreiben – bis Jolie und Pitt schließlich dementierten: Sie hätten mit dem Projekt auf Schwanenwerder nichts zu tun.

So wird bis heute nur vermutet, dass ein höchst diskretes Berliner Unternehmerpaar sich die extravagante Villa mit 1000 Quadratmetern Wohnfläche, Gäste- und Bootshaus, fünf Garagen und Pool geleistet hat. Von der Straße aus ist davon nichts zu sehen, vom Wasser aus hingegen schon. Die Dimensionen und die Diskretion knüpfen also durchaus an Inseltraditionen der Gründergeneration an, nur der Baustil ist ein anderer. Der zuständige Baustadtrat hatte Mühe, seine großzügige Genehmigungspraxis zu begründen. Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt.

Moderne Villa auf Schwanenwerder, Inselstraße 34

Ein anderes architektonisches Großprojekt hatte zuvor viel weniger Aufregung erzeugt. Der Fabrikant Reinhold Würth ließ an der Inselstraße 16 die Berliner Repräsentanz seines Unternehmens bauen. Auf dem ehemaligen Grundstück von Walter Sobernheims Haus Waltrud ist ein elegant gestalteter moderner Komplex für Tagungen und Veranstaltungen, mit großen Terrassen und einem denkmalgerecht gestalteten Park am Wasser entstanden. „Im Austausch mit der Bundesregierung, den Wirtschaftsverbänden, den Gewerkschaften, den ausländischen Gesandtschaften und Kultureinrichtungen pflegt das Würth Haus Berlin den offenen Dialog mit allen verantwortlichen gesellschaftlichen Gruppierungen und Institutionen“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Diesem Anliegen folgend ist das Würth Haus eines der wenigen Anwesen auf der Insel, die zur Straße hin offen sind und Blicke auf das Grundstück erlauben.

Doch das ist eine Ausnahme. Wer die Insel heute besucht, findet wieder eine recht abweisende Topografie vor. Es gibt keinen öffentlichen Zugang zum See. Die meisten Tore und Zäune sind blickdicht verschlossen, wie in vielen Straßen der Villengegenden Wannsees stehen keine Namen, allenfalls Anfangsbuchstaben der Bewohner an den Eingängen. Anonymität ist eine Währung, die auf Schwanenwerder viel gilt. Einige immer noch verwilderte und verkommene Anwesen vermitteln einen gewissen morbiden Charme.

Auffällig sind die vor einigen Jahren vom Aktiven Museum entwickelten Hinweistafeln auf die Geschichte der Insel, die am Beginn der Schleife der Inselstraße stehen. Aus Gründen der Diskretion und aus Sorge, Kultstätten für Rechtsradikale zu schaffen, finden sich an den Häusern keine Hinweise auf frühere Bewohner. Die Informationstafeln gehen auf eine Initiative des Aktiven Museums sowie der Gedenkstätten Haus der Wannseekonferenz und Topografie des Terrors zurück. „Das Gedächtnis der Stadt ist der Stadtraum – und der Flächennutzungsplan sollte gerade an diesem idyllischen Ort den Missbrauch von Eigentum und Stadtraum durch die NS- Machthaber nicht verdrängen“, hieß es 2009 in einer gemeinsamen Erklärung, als der Senat die Privatisierung weiterer Grundstücke plante.

Es herrscht praktisch kein Verkehr auf der Inselstraße, nur Rennradfahrer nutzen sie und ihre Abfahrt gern als Wende für eine beliebte Tour über die Havelchaussee. Manchmal dreht eine Streife des Ordnungsamtes in einem Kleinwagen eine Runde über die Insel. Ansonsten ist es sehr still und sehr privat auf Schwanenwerder. Ein gelber Briefkasten der Deutschen Post ist die einzige öffentliche Einrichtung auf dieser Wannseeinsel. Leerung einmal am Tag, um neun Uhr.

Die Zauberhafte

Mit einem sanften Knirschen setzt die Fähre an der gepflasterten Inselzufahrt auf. Kaum zwei Minuten hat die Fahrt über den Havelarm zur Pfaueninsel gedauert. 100 Personen und zwei, drei Autos könnte das namenlose Schiff transportieren. An diesem frischen Dezembervormittag sind es nur zwei Besucher, die sich auf den Weg machen, die größte und bekannteste Insel im Wannsee zu erkunden. Sie haben das im Sommer von Touristenschwärmen bevölkerte Eiland ganz für sich. Auch das ist noch möglich am Rande der Millionenmetropole, was für ein Erlebnis!

Anders als Schwanenwerder ist dies noch eine richtige Insel, es ist also schwieriger, zu ihr zu gelangen. Doch gleichzeitig bemerken Besucher schon bei den ersten Schritten den anderen großen Unterschied: Obwohl sie über hunderte von Jahren Privatbesitz der Hohenzollern war, eine Spielwiese für die Neigungen der Könige, ist sie seit 200 Jahren eine offene Insel. Sie lädt ein, die Schönheit ihrer Parklandschaft zu bewundern, die Blicke über den See unter dem weiten Berlin-Brandenburgischen Himmel zu genießen, ihre harmonische Einbettung in die Potsdamer Kulturlandschaft zu erkennen. Dieses Vergnügen, das auf Schwanenwerder nur den Villenbesitzern in ihren Parks vorbehalten ist, wird hier zu einem öffentlichen Erlebnis.

Die Pfaueninsel

Der Wannsee ist vielfach besungen worden – die Pfaueninsel aber ist auch in die Literaturgeschichte eingegangen. Selbstverständlich hat Theodor Fontane die schönste Havelinsel in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg beschrieben. Auch Walter Benjamin erinnerte sich an seine Kindheitserlebnisse am Rande der Stadt – doch mit Wolf Jobst Siedler und Thomas Hettche haben ihr zwei Schriftsteller eigene Bücher gewidmet. Sie zeigen, welch symbolhafter Ort der preußischen Geschichte diese Insel über die Jahrhunderte war, untrennbar mit dem Wannsee verbunden und Teil seines Mythos.

Spuren menschlicher Siedlungen auf der Insel führen bis in die Bronzezeit zurück, doch in der Neuzeit wurde sie erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts genutzt. Sie gehörte zum Besitz des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm aus dem Hause Hohenzollern, der 1683 eine Kaninchenzucht auf der Insel anlegen und sie Kaninchenwerder nennen ließ. Schon zwei Jahre später aber wurde es spannender: Friedrich Wilhelm schenkte die Insel dem Chemiker und Glasmacher Johann Kunkel, der eine Methode zur Produktion von leuchtend rotem Glas entwickelt hatte. Daraus stellte er rubinrote Trinkgläser und bunte Glaskorallen her, die wie Edelsteine aussahen. In einer streng geheimen Laborwerkstatt auf der Insel sollte er weitere Produkte für den vom Kurfürsten betriebenen Handel mit Westafrika entwickeln – buntes Glas gegen Gold, Elfenbein und Sklaven, so liefen damals die Geschäfte der Europäer mit den Afrikanern.

Um seine Versuche vor möglicher Konkurrenz geheim zu halten, durfte niemand außer dem Fürsten die Insel betreten. Andererseits durften Kunkels Mitarbeiter sie nicht verlassen. Er erhielt deshalb das Privileg, Bier zu brauen, Brot zu backen und Schnaps zu brennen. Kunkel baute sein Labor aus und errichtete eine Glashütte. Die Geheimnistuerei führte allerdings zu mancherlei Gerüchten und Verdächtigungen, die Neider und Konkurrenten am Hof verbreiteten. Als der Kurfürst 1688 starb, verlor Kunkel die Unterstützung des Hofes. Sein Betrieb ging durch Brandstiftung in Flammen auf, er wurde des Betrugs verdächtigt und so setzte er sich bald nach Schweden ab, wo der König ihn als Kunkel von Löwenstern in den Adelsstand erhob.24

Das Liebesnest des Prinzen

Nun blieb die Insel hundert Jahre lang wieder sich selbst überlassen. Erst der Neffe und Nachfolger Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm II., entdeckte sie neu, und zwar zunächst als heimlichen Rückzugsort für Treffen mit seiner Geliebten Wilhelmine Enke, der Tochter eines Hofmusikanten. Der dichte Schilfgürtel war ein perfekter Schutz vor den Spionen des Onkels. Bald nach seiner Krönung 1786 ließ Friedrich Wilhelm II. am Heiligen See in Potsdam ein neues Schloss bauen, das Marmorpalais. Von dort aus konnte er das heimliche Paradies seiner Jugend sehen, Kaninchenwerder, das bald den schöneren Namen Pfaueninsel erhalten sollte.

Er beschloss, die Insel optisch in den auf sein Geheiß angelegten Potsdamer Neuen Garten einzubeziehen. Am Ende einer Sichtachse vom Marmorpalais zur Insel sollte ein Blickfang entstehen – das 1797 fertiggestellte Schlösschen mit zwei Türmen, das auch als Rückzugsort für Treffen mit seiner zur lebenslangen Mätresse und Beraterin gewordenen Wilhelmine gedacht war. Entsprechend kostbar wurde das Innere des im damals angesagten Stil einer Ruine gebauten Schlosses ausgestattet, darunter das „Otaheitische Kabinett“, ein rundes Zimmer, das wie eine Bambushütte auf Tahiti ausgemalt ist. Die Einrichtung ist weitgehend erhalten. Dazu entstanden auf der Insel weitere Gebäude: eine Meierei, ein Jagdhaus, ein Kastellanhaus für die Verwalter. 1797 wurden die ersten Pfauen auf die Insel gebracht, die nun endlich ihren Namen auch verdiente.

Das Schloss Pfaueninsel

Im neuen Jahrhundert übernahmen unter Friedrich Wilhelm III. neue Männer die Regie auf der Insel und gestalteten sie so um, wie sie im Großen und Ganzen bis heute erhalten ist. Es waren der Hofgärtner Ferdinand Fintelmann, der Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné und der Architekt Karl Friedrich Schinkel. Lenné entwarf einen betont naturnahen Landschaftspark, indem er vor allem auf den Erhalt des alten Baumbestandes achtete. Dafür entwickelte er ein durchdachtes Wegesystem und bis heute erhaltene Sichtachsen, die die Pfaueninsel mit der Potsdamer Park- und Seenlandschaft verbinden, deren östliche Grenze sie markiert. Die Pfaueninsel gehört zum UNESCO-Welterbe Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin. Gemeinsam mit Fintelmann legte Lenné den ersten Rosengarten in Preußen an, der auf 2000 Stöcke und 140 Arten anwuchs. Die über die Kriegs- und Nachkriegswirren weitgehend verlorengegangene Anlage ist Ende der 1980er Jahre wiederhergestellt worden.

Doch Wilhelm III. interessierte sich nicht nur für die Landschaft. Angeregt von einem Besuch im Pariser Jardin des Plantes, der auch zahlreiche Tiergehege beherbergt, wünschte er sich eine Menagerie. Über die Jahre kamen so Lamas, Affen, Löwen, Büffel, Hirsche, Rentiere und sogar Bären auf die Insel, und in einer Fasanerie waren die verschiedensten tropischen Vögel zu beobachten. In der 1853 erschienenen Bestandsaufnahme der Königlichen Schlösser und Gärten zu Potsdam schilderte August Kopisch die Szenerie: „So verschönert und belebt war das Eiland nicht nur eine Freude des Königs, sondern die Lust des ganzen Landes geworden. Zwei Tage in der Woche, Dienstag und Donnerstag, ward der Besuch allen Einheimischen gestattet, den Fremden mit größter Bereitwilligkeit auch an anderen Tagen (…). Eine Fahrt nach der Pfaueninsel wurde als schönstes Familienfest des Jahres betrachtet, die Jugend fühlte sich überaus glücklich, so vielerlei interessante Geschöpfe dort zu sehen, die munteren Sprünge der Affen, die drollige Plumpheit der Bären, das seltsame Hüpfen der Kängurus, die Riesen und Zwerge, alles erfüllte das jugendliche Gemüt mit staunender Lust.“25

Die seltsamen Menschen

Neben exotischen Pflanzen und Tieren beherbergte die Pfaueninsel nun auch „seltsame Menschen“, wie zwei kleinwüchsige Geschwister, einen besonders groß gewachsenen „Riesen“ sowie den „Sandwich-Insulaner“ Heinrich Wilhelm Maitey. Er war als Jugendlicher an Bord der königlichen Handelsfregatte Mentor 1824 von Hawaii nach Deutschland gekommen. Nach einer christlichen Erziehung unter der Obhut des Hofes wurde er ab 1830 als Assistent des Maschinenmeisters auf der Pfaueninsel eingesetzt. Die „seltsamen Menschen“ wurden dort nicht ausgestellt, sondern gingen geregelten Beschäftigungen nach. Wilhelm von Humboldt führte mit Maitey Gespräche über die hawaiische Sprache, die Grundlage seines Wörterverzeichnisses der malayo-polynesischen Sprachen.

Es waren die besten Jahre der Insel, denen sich auch Thomas Hettche in seinem 2014 erschienenen Roman Pfaueninsel widmet. Im Mittelpunkt steht das fiktive Leben der kleinwüchsigen „Schlossjungfer“ Marie, die dem realen Schlossfräulein Marie Strakow nachempfunden ist. Auch andere Bewohner der Insel jener Jahre, nicht zuletzt der König, kommen in dem Roman vor, „der den kulturgeschichtlichen Essay nahtlos mit dem historischen Roman und einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte zu verbinden weiß“, wie es in einer Rezension der Zeit hieß.26

Des Königs Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. interessierte sich weniger für die Pfaueninsel und ihre Natur, er widmete sich lieber der architektonischen Verschönerung seines Landes. So entstand unter anderem die Heilandskirche in Sacrow, immerhin in Sichtweite der Pfaueninsel und mit ihr gemeinsam Teil des Gesamtkunstwerks der Potsdamer Kulturlandschaft. Wegen der hohen Kosten trennte der König sich derweil von den exotischen Tieren auf der Insel und schenkte sie dem gerade entstehenden Berliner Zoo. Die Pfauen aber blieben.

Während es auf der Insel ab 1840 also stiller wurde, nahm die Unruhe im Land zu. Im Laufe der 1848er Revolution hatte die Insel eine kleine Rolle als nächtlicher Unterschlupf für den vor den Berliner Aufständischen fliehenden Prinz Wilhelm. Der in Zivil gekleidete General des Gardecorps, Bruder des Königs und spätere Kaiser Wilhelm I., ließ sich mit seiner Frau von Soldaten, getarnt als Fischerknechte, aus Kladow herüberrudern. Sie kamen für zwei Tage beim Hofgärtner Finkelmann unter, bis sie unter bürgerlicher Tarnung nach England fliehen konnten.

Doch vier Jahre später wurde die Pfaueninsel noch einmal zum Schauplatz eines großen Hohenzollernfests. Der König hatte im Juli 1852 seine Schwester Charlotte und ihren Mann, den russischen Zaren Nikolaus I., in Potsdam zu Gast. Zur Feier des 54. Geburtstages der deutschen Zarin zogen beide Paare und ihr Gefolge sowie Gäste aus dem deutschen Hochadel auf die Insel. Höhepunkt des Abends war der umjubelte Auftritt der europaweit berühmten französischen Schauspielerin Elisa Rachel, die hinter dem Schloss im Fackelschein Passagen aus Jean Racines Phèdre, einer griechischen Tragödie, deklamierte. Es war dies ein besonderer Moment deutsch-russisch-französischer, man könnte auch sagen: europäischer Nähe. Fontane widmet ihm in seinen Wanderungen ein eigenes Kapitel. Bis heute erinnert am Ort des Auftritts eine weiße Marmorstatue Rachels, die der König in Auftrag gab, an den festlichen Abend.27

In der direkten Nachbarschaft der Pfaueninsel gibt es weitere Zeugen der damals von beiden Herrscherhäusern gepflegten familiären deutsch-russischen Freundschaft. Schon 1820 ließ Friedrich Wilhelm III. anlässlich eines ersten Besuchs seiner Tochter Charlotte und ihres Manns Nikolaus in Berlin und Potsdam ein Haus im russischen Stil auf einer Anhöhe im Berliner Forst gegenüber der Pfaueninsel errichten, das bis heute erhaltene Blockhaus Nikolskoe. 1837 folgte in der Nähe der Bau der evangelischen Kirche Peter und Paul, die als Reverenz an das russische Zarenhaus einen Zwiebelturm trägt. So, wie das eine politische Geste war, war dies fast 120 Jahre später auch das 1985 eingeweihte Glockenspiel. Es erinnert an jenes der zerstörten Potsdamer Garnisonkirche. Es sollte während der deutschen Teilung ein Zeichen der Zusammengehörigkeit setzen und ist auch auf der Pfaueninsel zu vernehmen. Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass der Wannsee im weiteren Sinne über die Jahrhunderte immer wieder symbolhafte Bedeutung für Stationen der deutschen Geschichte erlangt hat.

Ansicht der Kirche in Nikolskoe, Maximilian Roch, um 1850

Weniger bekannt als die Insel ist ihr Friedhof, der jenseits des Havelarms in der Nähe der Kirche recht verwunschen im Wald liegt. Hier darf bis heute nur bestattet werden, wer mindestens 25 Jahre auf der Pfaueninsel gelebt hat. So finden sich hier vor allem die Gräber jener, die im 19. Jahrhundert die Geschichte der Pfaueninsel als Bedienstete des Königs gestaltet haben – die Schlossjungfer Marie Strakow, der königliche Hofgärtner Fintelmann, der Sandwich-Insulaner Maitey, der Maschinenmeister Friedrich und seine Frau, die aus dem Maschinenhaus ein diskretes Kaffeehaus gemacht hatte. Sie umging so die Bestimmung, dass es auf der Insel keine Gastwirtschaft geben sollte. Diesen und anderen Inselbewohnern kann man höchst lebendig in den Erzählungen Theodor Fontanes und in Thomas Hettches Roman begegnen.

Der Philosoph und Publizist Walter Benjamin beschreibt in seinen Erinnerungen Berliner Kindheit um neunzehnhundert einen für ihn nicht so glücklich verlaufenen Besuch auf der Pfaueninsel: „Man hatte mir gesagt, ich möchte dort im Grase mich nach Pfauenfedern umsehen. Wie viel verlockender erschien mir nun die Insel als Fundort so bezaubernder Trophäen. Doch als ich dann die Rasenplätze kreuz und quer vergeblich nach dem Versprochenen durchstöbert hatte, beschlich mich, mehr als Groll gegen die Tiere, die mit ihrem unversehrten Federschmuck vor den Volieren hin und her spazierten, Trauer. Funde sind Kindern, was Erwachsenen Siege. Ich hatte etwas gesucht was mir die Insel ganz zu eigen gegeben, sie ausschließlich mir eröffnet hätte.“ Nun gab Benjamin die Insel für sich verloren – doch der Weltliteratur ist immerhin diese Reminiszenz erhalten geblieben.28

Nach dem Sturz der Hohenzollern 1918 kam die Pfaueninsel in den Besitz der Stadt Berlin. Nun fielen die begehrlichen Blicke von Spekulanten und Investoren auf die Insel. Warum sollte hier nicht eine weitere Villenkolonie am Wannsee entstehen? Ein elitäres Internat oder eine luxuriöses Sanatorium? Die linke Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung und Naturschützer verhinderten solche Pläne. Auf der Grundlage einer Studie über die schützenswerte Fauna und Flora der Insel erhielt sie am 28. Februar 1924 den Status eines Naturschutzgebiets, das zweite in Berlin.

Ein Menetekel: Goebbels größtes Feuerwerk der Welt

Damit war die Insel auch weitgehend dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen, die sich nach 1933 die schönsten Plätze am Wannsee aneigneten. Mit einer Ausnahme: Zum Abschluss der Olympischen Spiele lud Propagandaminister Joseph Goebbels am 15. Juli 1936 zum großen Sommerfest auf die Pfaueninsel, allen Naturschutzregeln zum Trotz. Über 2500 Gäste strömten auf die Insel, darunter 600 Wettkampfteilnehmer, das Olympische Komitee, Sportfunktionäre, Diplomaten aus aller Welt, die gesamte Reichsregierung sowie Spitzen der Wehrmacht und der NSDAP. Pioniere hatten eine Pontonbrücke gebaut, über die die Besucher von Zubringerbussen am Ufer auf die Insel gelangten. Weißgekleidete Fackelträgerinnen säumten die Wege, tausende Glühlampen illuminierten die Bäume. Ein großes Spektakel begann, mit Marschmusik, Operngala und Ballett und wohl auch manchen Ausschweifungen.

Der Höhepunkt aber war das Feuerwerk um Mitternacht, das größte der Welt hatte Goebbels bestellt. Mächtige Donnerschläge erschütterten die Insel und der Schein der feurigen Figuren und Kaskaden am Himmel war kilometerweit über Berlin und Potsdam zu sehen. Während Goebbels in seinem Tagebuch begeistert von einem wirklichen Freudenfest berichtete, hatten andere Beobachter unheilvolle Assoziationen: „Die prasselnden Raketen machten den Eindruck eines gewaltigen Artilleriefeuers“, notierte der französische Botschafter. Die große pyrotechnische Sensation erschien „als Menetekel eines ungleich größeren Feuers, das die Nationalsozialisten in Europa entfachen sollten“.29

Am Ende dieses Krieges erlebte die Insel noch einmal eine Rolle in einem letzten, bizarren Stück des Naziregimes.30 Am 29. April 1945 erhielten zwei Gruppen von Wehrmachtsoffizieren im Führerbunker den Befehl, sich nachts auf getrennten Wegen durch den Belagerungsring der Roten Armee Richtung Pfaueninsel durchzuschlagen. Sie sollten dort Abschriften des Testaments von Adolf Hitler, der sich am folgenden Tag das Leben nahm, an zwei Kurierflugzeuge übergeben. Deren Auftrag war, die Dokumente in das Hauptquartier des Hitlernachfolgers Karl Dönitz in Schleswig- Holstein zu bringen. Den beiden Gruppen gelang es, mit Booten von Kladow aus über die Havel zur Insel zu rudern. Doch die Übergabe an ein JU-52-Wasserflugzeug scheiterte, weil das Flugboot unter sowjetischen Beschuss geriet und wieder starten musste. Das andere Flugzeug kreiste eine Weile im Tiefflug über der Insel, konnte aber das vereinbarte Lichtzeichen auf der Inselwiese nicht ausmachen und drehte schließlich ab.

Während die Pfaueninsel von Kriegsschäden weitgehend verschont blieb, verwilderte sie in den ersten Nachkriegsjahren zusehends und diente vor allem dem Gemüseanbau. „Wegerich und Zichorie überwuchern die Wege, Rankenwerk überzieht Schuttberge, Birken säen sich aus, Distelgestrüpp und Robiniengebüsch machen den Platz unkenntlich, der eben noch mitten in der Geschichte war“, notierte der Publizist Wolf Jobst Siedler. „Auch auf der Pfaueninsel sind die königlichen Wesen längst zu Dickicht geworden.“31

Ab den 1960er Jahren ging die damalige Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin daran, die von Lenné geschaffenen Strukturen auf der Insel langsam wieder herzustellen. In dieser Zeit diente sie auch als Kulisse für sechs Kriminalfilme der erfolgreichen Edgar-Wallace-Serie, die häufig in englischen Parklandschaften spielten. Die Insel lag mit ihrer Westseite in unmittelbarer Nähe der DDR- Grenze, die hier in der Havel verlief und mit Bojen sowie Sperren unterhalb der Wasserlinie gesichert war. Am gegenüberliegenden Ufer stand die Mauer. Sie versperrte auch den Blick vom Neuen Garten zum Schloss auf der Pfaueninsel, der entscheidenden Sichtachse dieser Landschaft.

Mit dem Fall der Mauer und der Schaffung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg liegt das von den Hohenzollern geschaffene Gesamtkunstwerk zwischen Berlin und Potsdam wieder in einer Hand. Es wird als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes gepflegt, wobei das „Paradiesische Eiland“, wie die Stiftung die Pfaueninsel nennt, außerdem als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet unter besonderem Naturschutz steht.

Dem ist angesichts von 120 000 Besuchern im Jahr nicht so einfach gerecht zu werden. Die Gartenmeisterin der Insel, Daniela Kuhnert, genießt daher die Wintermonate, wenn nicht so viel los ist. Sie ist die Chefin von 20 Gärtnerinnen und Gärtnern, die den Landschaftspark der Pfaueninsel pflegen, wozu auch die Voliere mit verschiedenen Hühner- und Fasanenvögeln gehört. Hier werden die seltenen weißen Pfauen gezüchtet, die sich zu den etwa 40 blauen gesellen, die das ganze Jahr über frei auf der Insel leben. „Wo die Königinnen und Könige umhergewandelt sind, dürfen wir sein und es so erhalten, wie es war und bleiben soll. Das ist schon toll!“, sagt Kuhnert und schaut zufrieden über die Insel mit ihren bis zu 400 Jahre alten Eichen, dem Rosengarten und den Wiesen, auf denen Schafe und Wasserbüffel weiden.32

Auf der Insel gelten wegen des Naturschutzes strengere Regeln als in anderen Parks. Fahrräder und Hunde sind nicht zugelassen, das Rauchen ist verboten. Mit Autos dürfen nur einige der etwa 40 ständigen Einwohner, meistens Mitarbeiter der Stiftung, auf die Insel fahren. Da man sie nur mit der Fähre erreichen kann, ist der Zugang kontrollierter und kostet eine Eintrittsgebühr. Das schützt auch vor Vandalismus, der in anderen Parks der Stiftung ein wachsendes Problem ist.

So aber ist die Insel ein bevorzugtes Brutgebiet für anderswo selten gewordene Vögel, darunter viele Spechte, Nachtigallen und einmal sogar ein Seeadler. Auch bedrohte Pflanzen und Gräser gedeihen in dem seit 100 Jahren geschützten Landschaftspark noch, dazu wurden im Herbst 2023 etwa 150 neue, vom Aussterben bedrohte Wildpflanzen ausgepflanzt.

„Kein tragischer Ort, die Insel zu den Pfauen, das alte Pauwerder, nur ein Stück Land, in die Geschichte gefallen“, resümiert Wolf Jobst Siedler am Ende seiner Spaziergänge in Preußens Arkadien. „Erinnerung zu bewahren macht das Glück aus, bei Fiesole oder bei Kaninchenwerder. Das Gewußte steigert das Gesehene. Natur, wo sich nichts begeben hat, ‚is nur Jejend‘. Sagte das Schadow, oder sagte das Liebermann? Es sagt der Geist Berlins, das sich in Sand und Wasser seine Feenwelt gestellt hat.“33