Freunde tun jedem Menschen gut. Die Forschung belegt, dass sich freundschaftliche Beziehungen positiv auf Seele, Körper und Gesundheit auswirken. Wirkliche Freundschaften – das weiß jeder – gibt es in einem Leben nicht viele, denn sie zeichnen sich durch Vertrauen, gegenseitige Fürsorge und aufrichtige Anteilnahme am Leben des anderen aus. Das bedeutet mehr als befreundet zu sein oder Bekanntschaften zu pflegen.
Schaut man sich im Langenhorner Archiv an, mit wie vielen, höchst unterschiedlichen Menschen die Schmidts nicht nur kurzzeitig, sondern über lange Jahre Briefkontakte pflegten, dann versetzt die schiere Anzahl dieser Brieffreundschaften in Erstaunen. Auch in ihren Veröffentlichungen sind die Namensregister allein der persönlichen Bekanntschaften verblüffend umfangreich. In seinem Buch Weggefährten nennt Schmidt sicher weit mehr als hundert Personen, denen er den Begriff »Freunde« zuteilt. Helmut und Loki Schmidt hatten viele gemeinsame und jeder auch eigene, zum Teil völlig voneinander getrennte Kontakte. Er vorrangig in Politik und Medienwelt, sie in Biologie und Pädagogik. Berührungspunkte gab es vor allem in den Bereichen von Kunst und Gesellschaft. Beide äußerten sich zu diesen Themen auch ausführlich in ihren autobiographischen Büchern.
Enge Freundschaften, vor allem solche, die sie als Paar pflegten, gab es aber auch bei den Schmidts nur in begrenzter Zahl. Das waren zuallererst die Ehepaare Ingrid und Hans Apel, Friedel und Willi Berkhan, Ursel und Kurt Philipp, Sonja und Peter Schulz sowie Liebgard und Walter Tormin. Diese Freundespaare haben die Schmidts über Jahrzehnte begleitet. Die Berkhans und Tormins kannten sie seit den ersten SDS-Anfängen im Jahr 1946, die Schulzens und Apels seit den fünfziger Jahren von der gemeinsamen politischen Arbeit der Männer im Distrikt Nord der Hamburger SPD, und Kurt Philipp war 1942 Trauzeuge bei den Schmidts gewesen. Für die beiden Kinder des Ehepaars Schulz übernahmen die Schmidts die Patenschaften, Peter Schulz assistierte Schmidt in allen Fragen der Freitagsgesellschaft und übernahm den Vorsitz der 1992 gegründeten Helmut und Loki Schmidt Stiftung. Er war am Ende eine Art persönlicher Notar des Ehepaars. Der frühe Hamburger Freundeskreis der Schmidts erweiterte sich später noch einmal mit ihren Freundschaften zu den Ehepaaren Lilo und Siegfried Lenz und Liselotte und Hans-Jochen Vogel.
In der persönlichen Nähe und Bedeutung dieser Freundschaften gab es jedoch eine klare Abfolge. »Zuallererst kamen die Berkhans, dann kam lange erst einmal nichts, dann die Hamburger Freunde und alle anderen«, so beschrieb Susanne Schmidt das Freundschaftsgeflecht ihrer Eltern. Dabei galt das nicht nur für die Eltern, auch für Susanne standen die Berkhans an erster Stelle: »Wäre den Eltern was zugestoßen, dann wäre ich zu den Berkhans gezogen«, das war für alle Beteiligten eine ausgemachte Sache.[236]
Die Berkhans hatten die Schmidts schon in ihren kleinen Wohnungen in Neugraben und in Othmarschen besucht. Willi Berkhans Sympathie galt von Beginn an nicht nur dem begabten Freund und Jungpolitiker Helmut, sondern auch dessen Frau. »Kam ich zu jener Zeit unverhofft in die Wohnung der beiden, so konnte ich beobachten, wie die junge Frau zwischen Kleinkind, Mann, Herd und kümmerlichem Hausrat schuftete. Nie habe ich in dieser schweren Zeit […] ihr Unmut oder Verdrossenheit angemerkt. Und in dieser Enge konnte ich zusätzlich bewundern, wie sie noch die Vorbereitungen für den Unterricht des nächsten Tages traf und Hefte nachgesehen wurden. Und das alles wirklich immer mit heiterem Gesicht.«[237]
Willi Berkhan teilte mit Helmut Schmidt eine lange politische Wegstrecke. Im SDS hatten sie sich 1946 kennen- und schätzen gelernt, von 1949 bis 1954 leitete Berkhan als Vorsitzender den SPD-Kreis Hamburg-Nord, und Schmidt vermutete, dass der Kreisvorsitzende Berkhan seinen Einfluss geltend gemacht hatte, als ihn die Partei 1953 im Wahlkreis für die Bundestagswahl aufstellte.[238]
Als Willi Berkhan 1957 in den Bundestag einzog, oder wie Helmut Schmidt es ausdrückte, nach Bonn »nachkam«, mieteten sie dort eine kleine, gemeinsame Wohnung. Das war nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sie ergänzten sich auch menschlich gut. Willi Berkhan war ein lebensfroher und meist heiterer Mensch. Dem Morgenmuffel und Nachtmenschen Schmidt tat es persönlich gut, mit einem Freund zusammenzuwohnen, der morgens schon gute Laune verbreitete: »Ich wurde immer zehn Minuten zu früh wach, weil Willi aus dem Badezimmer Gesang ertönen ließ, meist falsch, aber dafür laut.«[239]
Bis 1985 waren die beiden in Bonn gemeinsam aktiv: In den Anfängen als einfache Bundestagsabgeordnete für ihre Hamburger Wahlkreise, dann von Ende 1969 bis 1972 gemeinsam im Verteidigungsministerium – Schmidt als Minister, Berkhan als sein parlamentarischer Staatssekretär –, und schließlich übernahm Berkhan 1975, als Schmidt Bundeskanzler war, auf Bitten des Freundes das wichtige Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages. Als Willi Berkhan nach zehn Jahren aus diesem Amt ausschied, schrieb Helmut Schmidt als Herausgeber der ZEIT: »Wenn er jetzt mit siebzig Jahren aus dem öffentlichen Dienst für das Vaterland ausscheidet, so empfinde ich darüber ein ganz klein wenig Wehmut, sehr viel Dankbarkeit und noch mehr Stolz auf die Leistungen meines Freundes.«[240] Für Schmidts Verhältnisse liest sich das schon fast wie eine Huldigung.
Die tiefe persönliche Bindung zwischen den beiden Männern war bei aller politischen Übereinstimmung aber gewiss das wichtigere Merkmal in ihrer Beziehung. Willi Berkhan war für Helmut Schmidt nah und vertraut wie ein älterer Bruder. Er schätzte an ihm Wesenszüge, die ihm selbst so nicht gegeben waren: »Von allen Seiten [brachte man ihm] persönliches Vertrauen entgegen, weil er andere nie verletzte, fast immer freundlich war und doch keinen Zweifel an seinen Überzeugungen aufkommen ließ.«[241]
Berkhan wiederum bewunderte an Schmidt dessen lebendige Intelligenz und Durchsetzungsfähigkeit und hielt zu ihm in allen wichtigen Fragen, ohne dabei unkritisch zu sein. Vor allem aber gab es bei ihm nicht einmal eine Spur von Neid auf die Erfolge des Freundes. Sich selbst sah er als Volksvertreter und Politiker, Schmidt war für ihn ein »Staatsmann«.[242]
Willi Berkhan, der beste Freund und engste Vertraute der Schmidts
Die persönliche Seite ihrer Freundschaft pflegten die beiden vor allem in ihrer gemeinsamen Freizeit: »Von Hamburg aus sind wir bisweilen mit alten SDS-Freunden auf der Elbe und sogar auf der Ostsee gesegelt, vor allem aber zu zweit mit unserer Conger-Jolle auf dem Brahmsee, […] fast 40 Jahre lang der geographische Mittelpunkt unserer Freundschaft.«[243]
Das galt auch für die Paare und für Tochter Susanne. Loki und Susanne trafen die kinderlosen Berkhans nicht nur im Sommer, sondern manchmal auch in den kleinen Ferien zu Ostern und Pfingsten, wenn Helmut Schmidt, anders als Willi Berkhan, häufig in Bonn oder auf dienstlichen Reisen war. Mit dem Ehepaar Berkhan spielten sie Karten, wanderten und sammelten Pilze und Beeren. Wenn Loki Schmidt Sorgen hatte, wandte sie sich an Willi. Er erwies sich immer als ein guter Zuhörer und Ratgeber auch für sie. »Mit Willi konnte ich über alles reden«, sagte Loki Schmidt über diese Freundschaft.[244] Seine Frau Friedel galt als der ruhende Pol in der Ehe. »Wenn Willi seine Späße zu toll trieb, sagte sie bloß ›Aber Willi!‹ – mit Vorwurf in der Stimme. Und mit Erfolg.«[245] Friedel Berkhan, SPD-Genossin wie ihr Mann, war eine emanzipierte und couragierte Frau, die sich im politischen Gespräch mit den Männern nicht scheute, klar und scharf zu urteilen.
Die Familien Berkhan und Schmidt mochten sich und halfen einander, wann immer es nötig war, und so werden sie auch für den Zusammenhalt der Ehe ihrer Freunde Helmut und Loki eine bedeutsame Rolle gespielt haben.
Willi Berkhan starb im März 1994. Helmut Schmidt begann die Trauerrede auf den Freund mit folgenden Worten: »Es fällt mir schwer, heute das Wort zu ergreifen. Denn für Loki und für Susanne und für mich war Willi Berkhan unser nächster Freund. Und beide – Friedel und Willi Berkhan – haben wir immer als Teile unserer eigenen Familie betrachtet.« Und er endet: »Liebe Friedel! […] Auch wenn jetzt die Familie kleiner geworden ist: Wir werden unsere Familie gleichwohl zusammenhalten.«[246] Dieses Versprechen konnten die Schmidts nur für kurze Zeit einlösen, denn wenige Monate nach Willi Berkhans Tod verstarb auch seine Frau Friedel.
In dem Buch Weggefährten aus demselben Jahr widmet Helmut Schmidt seinem Freund ein eigenes Kapitel. Wehmütig erinnert er sich: »Wie oft haben wir gemeinsam in der Sauna am See gesessen und uns gegenseitig Ratschläge gegeben, wenn wir Sorgen hatten oder Probleme lösen mussten. Wie oft haben wir zusammen gegessen und dabei über die Wasservögel und über unsere Bäume geredet und natürlich auch über die Politik. […] Jüngst ist es am Brahmsee zweimal vorgekommen, dass ich zu Loki gesagt habe: ›Ich gehe mal eben zu Willi rüber.‹ Aber er war ja doch schon tot.«[247] Der frühe Tod der Berkhans war ohne Zweifel ein großer Verlust und ein tiefer Einschnitt im Leben der Schmidts.
Mit den Ehepaaren Vogel und Lenz hatten die Schmidts nicht so eine enge und vertrauliche Freundschaft wie zu den Berkhans. Aber wenn man die Schmidts nach gemeinsamen Freunden fragte, nannten sie immer auch diese zwei Freundespaare, das eine mehr aus dem Kontext der Politik, das andere aus dem Kreis der Literatur und Kunst.
Die privaten Kontakte zwischen dem Ehepaar Liselotte und Hans-Jochen Vogel und den Schmidts entwickelten sich in den späteren Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt. Die Freundschaft vertiefte sich schnell, sodass das Ehepaar Vogel in den Sommerferien regelmäßig an den Brahmsee eingeladen wurde und dort, trotz der Enge, in »Susannes Zimmer« auch übernachtete.[248]
An Jochen Vogel schätzte der Kanzler vor allem dessen juristischen Sachverstand, sein konsequentes Einstehen für den Rechtsstaat und seine nüchterne und pragmatische Haltung: »Für mich war er eine große Stütze in den Jahren des RAF-Terrorismus. […] Auf sein Urteil und seinen Rat weit über seine Funktion als Bundesminister der Justiz hinaus konnte ich mich immer verlassen.«[249] Auf der persönlichen Ebene empfand er Jochen Vogels Loyalität und dessen Besonnenheit als wohltuend. Jochen Vogel teilte mit Schmidt das hohe Pflichtgefühl gegenüber den Aufgaben in Staat und Gesellschaft. Im Kern ihres Wesens waren die beiden Männer sich nah.
Auch die Frauen hatten einen besonderen Zugang zueinander. Beide unterstützten ihre Männer, beide brachten Verständnis und Interesse für das politische Geschäft der Männer auf. Jenseits der Politik verband sie die gemeinsame Leidenschaft für eine »Schönheitsfarm«. Von Loki weiß man, dass Liselotte Vogel sie auf diese wunderbare Einrichtung aufmerksam gemacht hatte, die »Schönheitsfarm« der Gertrud Gruber am bayerischen Tegernsee. Obwohl anfänglich skeptisch, hatte Loki Schmidt der erste gemeinsame Aufenthalt dort so sehr gefallen, dass sie über mehrere Jahre, auch alleine, immer wieder für eine oder zwei Wochen Gertrud Grubers – heute noch legendäre – Wellness-Oase besuchte.
Die Sommerferien gaben auch Gelegenheit für die immer wiederkehrenden Treffen der Schmidts mit Liselotte und Siegfried Lenz. Auch zum Jahreswechsel trafen sich die Paare entweder am Brahmsee oder im dänischen Ferienhaus des Schriftstellers in Lebøllykke auf der Ostseeinsel Alsen. Über die Freundschaft der beiden Männer hat Jörg Magenau 2014 ein lesenswertes Buch vorgelegt und die wesentlichen Stationen dieser Freundschaft im Gespräch mit den beiden Protagonisten nachgezeichnet: Lenz’ Eintreten für den sozialdemokratischen Politiker durch Artikel und öffentliches Auftreten seit den Sechzigern, Schmidts Bewunderung des Schriftstellers wegen dessen sensibler Wahrnehmungsgabe und sprachlicher Ausdruckskraft.
Den genauen Beginn ihrer Freundschaft wussten die beiden älteren Herren im Gespräch mit Magenau nicht mehr zu benennen. Loki Schmidt jedoch erinnerte, dass man sich anlässlich der Premiere von Lenz’ Drama Zeit der Schuldlosen im Hamburger Schauspielhaus im September 1961 kennengelernt hatte und die Schmidts bei dieser Gelegenheit den Schriftsteller und seine Frau zum Kaffee zu sich nach Hause eingeladen hatten.[250] Der Napfkuchen, den Loki für die Gäste gebacken hatte, sollte viele Jahre später eine gewisse Berühmtheit erlangen. Er hatte Siegfried Lenz offenbar so nachhaltig beeindruckt, dass er diesen bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt mit Loki noch 2008 wortreich beschreiben konnte.
Loki Schmidt mit Siegfried Lenz bei Beckmann, 26. Mai 2008
Nach der Einladung entspann sich zunächst eine nähere Bekanntschaft und seit den späteren achtziger Jahren eine sehr besondere Freundschaft zwischen den Paaren, besonders intensiv wohl zwischen Loki Schmidt und Siegfried Lenz. Helmut Schmidt habe ihn stark beeindruckt, er habe Respekt und Bewunderung empfunden, bei Loki sei es vor allem auch Zuneigung gewesen, differenzierte Lenz seine Gefühle für die beiden.[251]
Der umfangreiche, im Archiv der Schmidts erhaltene Briefwechsel zwischen Loki Schmidt und Lenz ist für diese Aussage ein eindrucksvoller Beleg. Nach den jeweiligen Sommertreffen tauschten sie sich lebhaft aus, auch telefonierten sie ausgiebig miteinander. Erstaunlich ist, dass sie erst 1986 zum vertrauten »Du« übergingen. Offenbar bedurfte es einer »langen Bewährungsprobe zwischen uns«, kommentierte Lenz das ein wenig schelmisch. Mit Helmut Schmidt pflegte er das »Hamburger Sie«. Die beiden Herren sprachen sich – kaum zu glauben – mit »Siggi« und »Helmut« an, siezten sich aber weiterhin.
Besondere Zeichen der Nähe zwischen Loki Schmidt und Siegfried Lenz sind vor allem zwei Texte aus der Feder des Schriftstellers Lenz.[252] Der eine ist ein inzwischen mehrfach abgedruckter Essay mit dem Titel »Mit Lokis Augen«, in dem Lenz über Loki Schmidts Blickweise auf die Natur schreibt und ihren Einfluss auf seine eigene, durch sie geweckte Wahrnehmung preist. Der andere Text ist ein Gedicht, welches er für Loki geschrieben und ihr zu ihrem siebzigsten Geburtstag in die westafrikanische Namib-Wüste nachgeschickt hatte. Dort nämlich beging Loki auf einer Expedition ihren runden Geburtstag. Ihre Forschungsreise galt der Suche nach der uralten Wüstenpflanze Welwitschia mirabilis, eine Pflanze von absonderlicher Hässlichkeit und nicht zu überbietender Widerstandskraft in den Geröllwüsten Namibias und Angolas. »Brachland« hat Lenz sein Geburtstagsgeschenk betitelt und für sich und seine Frau dazu geschrieben: »Liebe, liebe Loki, so fern Du auch sein magst: Wir denken uns hin zu Dir, grüßen Dich, geben Dir die Hand und gratulieren. Unsere Wünsche, die gebündelten, finden Dich überall, selbst in Namibia.«[253]
An sein Gedicht konnte sich Siegfried Lenz nicht mehr erinnern, als ich es ihm 2014 vorlesen durfte. Es erinnerte ihn aber an die vielen Spaziergänge mit Loki allein oder zusammen mit dem Ehepaar Schmidt am Brahmsee. Die gegenseitigen Besuche und gemeinsamen Wanderungen in der Natur seien das tragende Element und Bindeglied in der Freundschaft gewesen.
Nur sehr wenige der Freunde hatten gleichermaßen eine jeweils eigenständige Freundschaft zu Loki und zu Helmut Schmidt. Für Willi Berkhan und Siegfried Lenz traf das zu, aber auch für den Physiker und Wissenschaftsmanager Reimar Lüst. Die Schmidts kannten den jüngeren Reimar Lüst seit den frühen siebziger Jahren, und die Freundschaft zu beiden hielt bis zu deren Lebensende. Als Schmidt Verteidigungsminister war, stritt Reimar Lüst mit ihm über die Notwendigkeit von Bundeswehr-Universitäten, während Schmidts Kanzlerschaft stritt man über den nach Lüsts Ansicht viel zu gering bemessenen Haushalt für Wissenschaft und Forschung. Vor allem aber war Reimar Lüst für den Kanzler Helmut Schmidt ein guter Berater und kompetenter Ansprechpartner in Grundsatzfragen der Wissenschaftspolitik. Für Loki Schmidt vermittelte er einen ersten Besuch bei Konrad Lorenz und ebnete ihr den Weg für ihre Forschungsreisen zu den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft in Afrika und Südamerika. Wann immer Reimar Lüst in Bonn war, rief er Loki Schmidt an, und meist gab es Zeit für ein Zusammentreffen.
Mit Reimar Lüst über die Schmidts zu sprechen ist deshalb so interessant, weil er sehr präzise die Unterschiede in seinen beidseitigen Freundschaftsbeziehungen benennen kann. Seine Beziehung zu Helmut Schmidt wertet er als eine »Sachfreundschaft«, die zwar sehr unterschiedliche Fragen berühren konnte, sich aber immer um die Erörterung von öffentlichen oder halb öffentlichen Fragestellungen oder Vorhaben drehte.[254] Lüst erinnert sich nur an eine einzige Gelegenheit, bei der es um Privates ging. Als nach Lokis Tod die neue Lebensgefährtin von Helmut Schmidt, Ruth Loah, die Rolle der Gastgeberin in der »Freitagsgesellschaft« am Neubergerweg übernehmen sollte, rief Helmut Schmidt ihn vorab an und fragte, ob er dem zustimmen könne. Er war überrascht, weil eine Frau Loah ihm gar nicht bekannt war. Einen Einwand mochte er nicht formulieren.
Seine Beziehung zu Loki Schmidt charakterisiert Reimar Lüst hingegen als eine persönliche Freundschaft. Zwar hatten die beiden viele naturwissenschaftliche und forschungsstrategische Fragen zu besprechen, aber es gab immer eine persönliche Dimension in ihren Gesprächen. Er konnte mit ihr über seine Ehe und Scheidung sprechen, sie hatte Kontakt zu seinen Kindern und erzählte ihm ebenfalls von den Problemen ihrer Ehe. Zwar nicht im Detail, aber so, dass er verstehen konnte, worüber sie traurig war und worunter sie litt. Noch einen weiteren wesentlichen Unterschied konnte Reimar Lüst in den Freundschaften zu den beiden Schmidts benennen: Mit Loki Schmidt waren die Gespräche immer unkompliziert und einfach. Bei Schmidt fühlte sich selbst der erfahrene Wissenschaftsmanager immer gefordert und es gab immer auch ein Gefühl der Anspannung in diesen Gesprächen. Viele, die mit Helmut Schmidt vertraut waren, haben das nicht anders erlebt.