»Auf geb’ ich mein Werk; / nur Eines will ich noch: / das Ende, / das Ende!«
Richard Wagner: Die Walküre
Die Form(en) der Geschichte(n) scheinen einem Erzählgeist zu entspringen, den schon vor Aristoteles Platon eingefangen hat: Der Gott halte Anfang und Ende und die Mitte von allem, was ist, und fahre in Geradheit auf seiner Bahn, indem er der Natur entsprechend seinen Umlauf nehme (Nomoi, 715e–716b). Dann hat Platons berühmter Schüler einfach gesagt, dass die Handlung der Tragödie (und wohl auch der Komödie) Anfang, Mitte und Ende habe.
So eine Fahrt des Gottes ist die Geschichte, die im Abendland endet. Das Abendland – seit der Antike das westliche Europa, der Westen als Europa; dem Sonnenuntergang, der Nacht, nahe. Heidegger las früh Spenglers »Untergang des Abendlandes«, wurde von ihm angeregt, da war mehr zu lernen als von schlichteren Historikern. Allerdings machte er noch mehr aus der Geschichte als Spengler.
Das Abendland müsse »erst zur Dämmerung der ›heiligen Nacht‹ werden, in der die Dichter von Lande zu Land ziehen«. »Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester, / Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht«, dichtet Hölderlin in der siebenten Strophe von »Brod und Wein«. Dionysos ist auch ein Gott. Was ist Gott im Abendland? Mindestens eine Erzählung. Von welchen Dichtern?
Heidegger fährt fort: »Inzwischen beginnt das Ende der Verendung der Neuzeit. Diese Begebenheit muß dem Wesen dieses Weltalters gemäß sich selbst auf die Szene bringen.«[431] Das ist eine seltene Bemerkung. Sie verknüpft von selbst die Geschichte mit dem Drama, seiner Bühne. Das Drama steht am Beginn seines Endes, der Nacht, in die das Abendland untergeht oder, besser, vergeht. Verendung – das ist ein langsames Enden, keine Möglichkeit zur Beschleunigung, keine zum Aufhalten; als würde eine ganze Welt im Treibsand versinken.
Aufhalten soll auch gar nicht sein: »Dem Ende in seiner Verendung soll nicht widerstanden werden. Wir dürfen ihm aber auch nichts preisgeben, was Vorbereitung des Anfangs ist. Wir sollen die Verendung nicht aufhalten« – als wäre das überhaupt möglich, vorausgesetzt, das Ende wäre wirklich gekommen. »Wir« werden allerdings den Anfang behüten. Da ist sie: die Situation des einsam Wissenden, der die Flamme in der Nacht bewacht. Ein Dichter? Er hofft, es gibt noch mehr als nur ihn.
Dann fließt die Sprache über:
»Wir können von einem Fortgang nichts erhoffen und nichts von einem Rückgang. Alles ist Anfang.«
Die Apokalypse ist kein Ende. Sie ist der Weg in eine Verwandlung der Wahrheit, die lange verborgen war. Als Heidegger 1945 die Entscheidung des Abendlandes erwartete, zeigte sich ihm ein Weg in eine Geschichte, die er kaum noch als eine solche (an)erkannte.
Die Zeit des Abschieds war gekommen. Welch’ eine Zeit, welch’ ein Leben, welch’ ein Denken lag hinter ihm. Ein Mesnerbub aus Meßkirch blickte in die Flamme(n) … Sie wurden gelöscht. Die Welt war Asche. Was konnte er erwarten? – Er schien sich nicht zu erinnern, stellte sich blind und zögerte nicht lang. Das Leben lächelte noch einmal, wild genug, um einen Denker zu begeistern.