Die Wissenschaft vom Nichts

Heidegger und die Wissenschaft – eine eigentümliche Konstellation. Sie hat viele Töne und Nebentöne, die sich nicht harmonisieren lassen.

Da ist ein junger Mann, der sich 1911 für die Philosophie entscheidet, promoviert und habilitiert wird, so dass er im Wintersemester 1915/16 beginnt, an der Universität Seminare und Vorlesungen zu veranstalten. Als er 1946 im Zuge der Entnazifizierung seine Lehrerlaubnis verliert, reagiert er wütend. Am Beginn der fünfziger Jahre kehrt

Zudem hatte er Schüler und Schülerinnen, die an deutschen und im Zuge der Emigration aus dem »Dritten Reich« auch an englischen und vor allem amerikanischen Universitäten Karriere machten. Leo Strauss, Hans Jonas, Hannah Arendt, Hans-Georg Gadamer, Karl Löwith, Herbert Marcuse, Käte Oltmans, Walter Bröcker oder auch Ernst Tugendhat und Rainer Marten – um nur die berühmten zu nennen. Überhaupt ist nicht zu sagen, dass Heidegger keine Universitätspolitik betrieb, im Gegenteil – und ich denke dabei nicht nur an sein Rektorat.

Doch zugleich ist Heidegger der Philosoph, der feststellt: »Die Wissenschaft denkt nicht.«[37] Das war spät und bereitete sich lange vor. Von Anfang an formulierte Heidegger die Aufgabe, den Wissenschaftscharakter der Philosophie zu prüfen. Für ihn war das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft prinzipiell prekär. Dass er dann um 1934, nach einem vergeblichen, gigantomanischen Versuch, die neuzeitliche Wissenschaft zu zertrümmern, das Verhältnis zur Wissenschaft aufkündigte, war überfällig.

Bereits in den Vorlesungen zwischen 1919 und 1921 stellen sich die Weichen. Heidegger spricht zwar von einer Philosophie als »Ursprungswissenschaft«. Doch sein Thema ist das »faktische Leben«, das er in »formaler Anzeige« wissenschaftlich untersuchen will. Ziel ist, die Wissenschaft durch die Thematisierung des »lebendigen Lebens« selbst zu verlebendigen – wirft er ihr doch eine »Entlebung«[38] vor, die überhaupt um sich greife. Doch Heidegger merkte schnell, dass sein universitätspolitisches Programm scheiterte. Vielleicht sollte man es einmal mit Max Webers »Wissenschaft

Heidegger hat den Versuch, die Wissenschaft zu verwandeln, wiederholt. Nach »Sein und Zeit« gibt es eine Reihe von drei, vier Vorlesungen, in denen der Versuch zu seinen produktivsten Gestalten führt. Er interessiert sich für eine Grundlegung der Philosophie als »absoluter Wissenschaft vom Sein«[39] oder als »universaler Ontologie«. Aber auch diesen Versuchen fehlte der längere Atem. Heidegger jonglierte ein paar Jahre mit ihnen, das war zuweilen brillant; doch offenbar langweilte er sich.

Das hatte er dann in seiner Freiburger Antrittsvorlesung »Was ist Metaphysik?« unmissverständlich erfasst. Seit »Sein und Zeit« unterschied er das »Sein selbst« vom »Seienden«. Die »ontologische Differenz«[40] wurde zum wichtigsten Denkproblem. Innerhalb der Differenz galt, dass das »Sein selbst« in stetiger Verdinglichungs-Gefahr schwebte; war es doch kein Gegenstand und konnte nur zum Preis seines Verlusts oder seines Entzugs thematisiert werden. Alle Gegenständlichkeit befand sich auf der anderen Seite der Differenz, auf der des »Seienden«.

Das betonte Heidegger in der Vorlesung so: »Erforscht werden soll nur das Seiende und sonst – nichts; das Seiende allein und weiter – nichts; das Seiende einzig und darüber hinaus – nichts.«[41] Tatsächlich: Die Wissenschaften legitimieren sich dadurch, dass sie sich in Gegenstandsbereiche teilen und sich in ihnen entwickeln. Sie verstehen sich von spezifischen Gegenständen her: Die Biologie erforscht Leben, die Theologie Gott, die Soziologie die Gesellschaft, die Physik Energiequanten etc. Heidegger aber will aus der Formulierung, dass es über das »Seiende« hinaus offenbar noch ein »Nichts« gebe, Kapital schlagen.

Unfähigkeit der Wissenschaft, der Gegenstandslosigkeit des »Seins selbst« entsprechen zu können – für Heidegger Anzeichen ihrer Gedankenlosigkeit, mehr noch, ihrer »Seinsvergessenheit«. Im exoterischen Bereich seines Denkens versuchte er einmal, dieser unfähigen Wissenschaft den Prozess zu machen. Im revolutionären Geist von 1933 dachte er vielleicht ein Jahr lang an eine wissenschaftliche Alternative zur neuzeitlichen Wissenschaft. Die Revolution sollte alles erschüttern. Aber kein Nationalsozialist – war er noch so »nihilistisch« – verspürte die Lust, sich mit Nichts zu beschäftigen. Enttäuscht zog der Philosoph sich zurück.

Im esoterischen Bereich seiner Philosophie wurde dann der Graben zwischen einem Denken der Entdinglichung und der Wissenschaft vom »Seienden« immer deutlicher. Nun wurde betont, dass das »Seyn« im gewöhnlichen Sinne gar nicht zu verstehen sei, weshalb eine Philosophie, die sich verständlich machen wolle, »Selbstmord« begehe.[43]