»Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?«,[242] fragt Schiller in seiner Antrittsvorlesung, gehalten im Mai 1789 in Jena. Im Juli desselben Jahres erstürmen Pariser die Bastille – als beantwortete die Geschichte Schillers Frage gleich selbst … Der 14. Juli ist ein Datum der Erinnerung geworden. Wir erinnern uns an den Sinn der Französischen Revolution.

Ich übertrage die Frage auf die Philosophie: Wozu studiert man Geschichte der Philosophie? Der Unterschied zur ersten Frage liegt auf der Hand: Ereignisse scheinen belehrend zu sein. Aus Schaden wird man klug. Auch philosophische Texte können belehren. Aber sie sind keine Ereignisse, die womöglich die gesamte Menschheit erreichen.

Die Geschichte der Philosophie scheint etwas für Köpfe zu sein, die sich für Philosophie interessieren. Wer Platon liest, will auch wissen, was Aristoteles zu sagen hat. Wer Hegel studiert, will auch Marx kennen. Ich kenne nicht nur die Ideen von einem, sondern ich tauche in Kontexte und Konstellationen ein, in denen ich Landschaften von Ideen durchwandere; eine Propädeutik für Philosophen, denn zu einem solchen kann man nur werden, wenn man alles (oder fast alles) studiert.

Einen ganz anderen Zugang zur Philosophiegeschichte hat Heidegger:

»Die Ansetzung des ἀγαθόν als der τελευταία ἰδέα über der ἀλήθεια und des ἀληθές als γιγνωσκόμενον ist der erste und d.h. der eigentlich am weitesten tragende Schritt zur serienmäßigen Herstellung von Fernkampfflugzeugen und zur Erfindung des radiotechnischen Nachrichtenwesens, mit dessen Hilfe jene zum Einsatz kommen im

Heidegger zitiert Platon. Das Gute sei die höchste Idee über der Wahrheit, sei das Wahre als Erkanntes. Das lässt sich in Platons »Staat« finden, irgendwo im siebenten Buch. Dass Platon das von der Idee des Guten sagt, gehört zum Grundstock philosophischen Wissens. Zwar hat die Andeutung, dass diese Idee noch »über« der Wahrheit stehe, einen besonderen Ton, den Heidegger mit gespitzten Ohren hört. Es bleibt aber bei der Andeutung.

Die Überraschung beginnt mit den beiden Buchstaben »d.h.«. Denn was dieser nicht weiter erläuterte Gedanke Platons heißen soll, ist erstaunlich. Er sei der Ursprung der industriellen Produktion von Langstreckenwaffen samt ihrer bodenbasierten Steuerung. Die Herstellung dieses Waffensystems gehöre zur größeren Erscheinung der Technifizierung der Erde, die also ebenfalls auf die Idee des Guten zurückgehen soll.

Platons Gedanke von ungefähr 380 vor Christus wird 1938/39 zur Quelle einer kriegerischen, sich globalisierenden Technik. Das verlangt nach weiterer Klärung. Man muss tiefer graben. Zunächst: Inwiefern kann die Idee des Guten die Quelle von Vernichtungstechnologien werden? Nach Heidegger verordnet sie dem Menschen das Gute in universaler Dimension. Sie nimmt keine Rücksicht auf die Differenzierung des Ganzen. Vor dieser Idee sind alle gleich, so wie alle gleich sind im Bombenkrieg. Dazu passt die Topographie, besser, die Meteorologie. Die Idee des Guten sei die höchste. Sie kommt auf alle herab …

Natürlich geht es darum, die Übermacht des Guten zu erkennen; Möglichkeit, zur Vernichtungs- die Nachrich

In der Aufzeichnung verschweigt Heidegger Platons Name. Klar weiß der philosophisch Gebildete, woher die griechischen Worte kommen. Doch vielleicht will Heidegger behaupten, dass es in dieser Genealogie nicht um Namen geht. Und ja: Wenn die Vernunft im Prinzip aus einer ewigen Verknüpftheit immer schon bestimmter Argumente besteht, dann ist die zeitliche Folge technischer Erfindungen ebenso determiniert (in der Unschärfe einer Wahrscheinlichkeitsverteilung).

Aber das ist noch nicht die Geschichte. Der Herausgeber datiert die Aufzeichnung auf die Jahre 1938 und 39. Sollte das richtig sein, müsste Heidegger die britischen und amerikanischen Langstreckenbomber, die auch Freiburg bombardieren sollten, vorweggenommen haben. Dazu passt, dass er sie mit der universalen Idee des Guten identifiziert. Philosophie wird unmittelbar zur Quelle der Universalgeschichte. Der Zweite Weltkrieg war schon bei Platon entschieden.