Zwiespalt und Geschlecht

Heidegger erläutert einmal, inwiefern das »Dasein«, das nicht einfach schon als der Mensch, sondern vielmehr als die Möglichkeit des Menschen bezeichnet werden sollte, »keines von beiden Geschlechtern ist«.[305] Die Redeweise ist

Das »Dasein« sei »neutral«, ohne Geschlecht. Doch diese »Geschlechtslosigkeit« sei »nicht die Indifferenz des leeren Nichtigen, die schwache Negativität eines indifferenten ontischen Nichts«. Auto-scholastische Bemerkung mit Bezug auf »Sein und Zeit«: Es gehe weder um eine ontologische noch um eine ontische Indifferenz. Vielmehr scheint es sich bei der »Neutralität« des »Daseins« um eine Identität zu handeln: um die »ursprüngliche Positivität und Mächtigkeit des Wesens«.[306]

»Wesen« meint hier nicht essentia, es geht nicht um das Wesen einer Sache im Sinne einer begrifflichen Bestimmung. Es geht schlechthin um die Anwesenheit – das Anwesen – des »Daseins« als solches, um, wie es heißt, das »Sein des Da« – aber in seiner gänzlich unverstellten Präsenz. Als öffnete sich ein Ort, ein Da, an dem der Mensch: Mensch in Freiheit sein könnte.

In der Nähe zu Leibniz’ Monadologie scheint Heideggers »Dasein« selbst zur Monade zu werden. Seine Neutralität ist ein flagranter Universalismus. Hier ist das »Dasein« eines für alle. Es kann keinen Körper haben, es ist kein Individuum, keine Person. Daher sagt Heidegger auch, dass »dieses neutrale Dasein« »nie das Existierende« sei. Existenz gebe es nur als »faktische Konkretion«.[307]

Doch dieses universale »Dasein« berge »die innere Möglichkeit für die faktische Zerstreuung in die Leiblichkeit und

Das Geschlecht wird als »zwiespältig« bezeichnet. Heidegger geht vom Männlichen und Weiblichen aus. Weitere Geschlechter, die sich als Splitter des »Daseins« ergeben könnten, nimmt er offenbar nicht an. Derrida hatte einmal die Idee der Möglichkeit pluraler Geschlechter geäußert. Ich bin mir nicht so sicher, ob sie sinnvoll ist. Vielmehr scheinen mir weitere Geschlechter nur als Variation der Zwiespältigkeit von Mann und Frau denkbar zu sein.

Gewiss gibt es nicht nur das Geschlecht als sexus, sondern auch als genus. Angenommen, die sexuellen Geschlechter implizieren eine sexuelle Differenz, so unterscheiden sich die genera lediglich durch eine logische Differenz. Die »Zwiespältigkeit« des sexuellen Geschlechts in seiner Faktizität ist jedoch keine logische. Sie kann gar nicht anders als faktisch verstanden werden. Da die genera mancher Sprachen anscheinend selbst noch von der »Zwiespältigkeit« des Geschlechts als sexus geprägt werden, sieht es so aus, als wäre das Faktum der sexuellen Differenz fundamental.

Eine Pluralität des sexuellen Geschlechts ist daher nur auf Basis von Heideggers »Zwiespältigkeit« möglich. Sämtliche Transgender-Formen entfalten sich im Spielraum der sexuellen Differenz. Noch wo sie das sexuelle Geschlecht als solches zugunsten einer sexuellen Neutralität negieren sollten, blieben sie negativ von ihm bestimmt. Dass mit einer

Heidegger vertieft seine Erläuterung in einem Rückblick auf »Sein und Zeit«. Die Faktizität des Geschlechts und des Leibes sei ein Moment der »Geworfenheit«. Insofern das Individuum über seine Entstehung nicht verfügen kann, ist ihm eins der beiden Geschlechter – immer auch massiv von sozialen Geschlechterkonstruktionen beeinflusst – »angeboren«. Diese anfängliche Prägung ist unvermeidbar. Das bedeutet nicht, dass sie unveränderbar ist.

Vielleicht nicht unwichtig, dass Heidegger auf genau diese Weise auch sein Verständnis von »Rasse« präsentiert. Sie müsse ebenso von der »Geworfenheit« her verstanden werden.[309] Dazu ließe sich vieles sagen. Hier möchte ich nur betonen, dass eine von Heideggers antisemitischen Denkfiguren in den früheren »Schwarzen Heften« versucht, die Züchtungspolitik der Nationalsozialisten als Reaktion auf die jüdische Matrilinearität zu erklären. Der Philosoph ist selbstverständlich für eine solche Politik nicht zu begeistern, da sie die Rasse vom Schicksal der »Geworfenheit« befreien will. Doch wie auch an anderer Stelle ist er nicht in der Lage, die zugleich alte und neuartige Verworfenheit der Deutschen in ihrer Rassenpolitik anzuerkennen. Das ist philosophisch und moralisch unzureichend. Denn dass Rasse – einmal verstanden im Sinne des in den USA gebräuchlichen Wortes »race« – etwas mit der »Geworfenheit« des Körpers zu tun haben könnte, ist an sich nicht falsch. Außerdem könnte man Verschiedenheiten der Körper auch anders verstehen und bezeichnen: Es gibt einen europäischen Körper etc.

In Leibniz’ Nähe entscheidet sich Heidegger einen Augenblick lang für eine metaphysische Denkfigur. Besonderes