In einer Vorlesung über Nietzsche möchte Heidegger dessen »metaphysische Grundstellung« von einem Gedanken her auslegen, den Nietzsche nur sehr selten, nämlich im Ganzen seiner Schriften drei Mal nennt: Es handelt sich um die »ewige Wiederkunft des Gleichen«. Heidegger räumt ein, dass die dreimalige Erwähnung »wenig genug« sei für einen »Gedanken, der der Grundgedanke der ganzen Philosophie sein« solle. Dann fährt er fort: »Dieses Wenige an Mitteilung kommt einem Verschweigen gleich; ja, es ist erst das rechte Verschweigen; denn wer völlig schweigt, verrät gerade sein Schweigen;[25] wer aber in der verhüllenden Mitteilung spärlich spricht, der verschweigt erst, daß eigentlich geschwiegen wird.«[26]
Verschweigen hieße dann, merkwürdig, das Verschwiegene so anzudeuten, dass man die Andeutung nicht bemerkt. Heidegger bezieht diese Hermeneutik höchstwahrscheinlich auch auf sich. Ihn zu lesen bedeutete dann, sich den eher unscheinbaren, den marginalen Schriften und Äußerungen zuzuwenden. Jedenfalls gibt die Quantität und der Ort des Auftauchens eines Gedankens keine Auskunft über seine Wichtigkeit.
In einem Briefentwurf an einen unbekannten Adressaten hat Heidegger einmal angegeben: »Ich schweige im Denken nicht erst seit 1927, seit der Veröffentlichung von ›Sein und Zeit‹, sondern in diesem selbst und vorher ständig.«[27] Ein seltsames Bekenntnis – was hat das Denken in »Sein und Zeit« und vorher und danach zu verschweigen? Offenbar etwas, das über das dort Gesagte hinausgeht. Doch warum soll es nicht ausgesprochen werden?
Heideggers Verschwiegenheit im Denken ist Anzeichen für einen esoterischen Bereich. Etwas soll oder kann offenbar nicht ausgesprochen werden. Warum? Nietzsche bezeichnet den Gedanken der »ewigen Wiederkunft« einmal als die »höchste Form der Bejahung«. Zarathustras Tiere, Adler und Schlange, führen wortreich aus, was das heißen soll. Für Zarathustra klingt das wie ein »Leier-Lied«. Als die Tiere weiterplappern, antwortet er zuletzt nicht mehr: »er unterredete sich eben mit seiner Seele.«[28] Vom Höchsten spricht man nur zu sich selbst.
Doch im Unterschied zu Nietzsche verschweigt Heidegger keinen Gedanken. Das Schweigen sei »die Bereitung der Sage des Zu-denkenden«, und »dieses Bereiten« sei »das Er-fahren und dieses ein Tun und Handeln«.[29] »Bereiten« – ein von Heidegger häufig verwendetes Wort:[30] Handlung, die etwas geschehen lässt. Das kann nicht in einer Aussage mitgeteilt werden, weil es um die Erfahrung dieses Geschehens (der »Sage«) geht. Also muss das Denken performativ werden, darstellen, was sich klaren und distinkten Bedeutungen – oder vielleicht überhaupt der Sprache – entzieht. Allein dann ist Verdinglichung und d.h. der Verlust des nur performativ Mitteilbaren zu vermeiden.
Schweigen und Verschweigen wären in der Philosophie Merkmale einer performativen Esoterik. Aber Schweigen und Verschweigen können nie verwirklichen, was sie wollen. Heidegger meint, dass der, der »völlig schweigt«, zu laut schweigt. Klar: Das demonstrative Schweigen ist beredt … Doch das totale Halten der Klappe könnte auch unbemerkt bleiben. Vielleicht bezeugt diese Alternative die Ausweglosigkeit des Schweigens in der Philosophie: Entweder das Schweigen wird beredt, oder es wird ignoriert. In beiden Fällen ist es sinnlos.
In der Philosophie ist es unmöglich, auf Mitteilung zu verzichten. Selbst die mystische Versenkung braucht einen Anfang, der die Notwendigkeit der Versenkung erläutert (so bei Plotin). Die Mitteilung kann verschiedene Formen annehmen. Eine ist die Performanz, die zeigen kann, was in der Mitteilung verlorengeht. Auch der Stil, der zum Philosophieren gehört, ist eine Art der Performanz. Sind Performanz und Stil nicht auch eine Art von Schweigen? Dann wäre es nicht ausweglos.
Die »Sage des Zu-denkenden« enthält keine Lehre, nichts, von dem Bildung im humanistischen Sinne profitieren könnte. Sie ist eine performative Aufforderung zum Denken: Denke nicht über etwas, denke nicht etwas, denke, was dich denken lässt! Alles, was sich zu einem Gegenstand des Denkens fixiert, erzeugt ein falsches Bewusstsein von dem, was dieses Denken ist.
Heidegger-Interpretation kommt daher immer zu kurz. Sie verdinglicht ein Denken, das alles darauf setzt, sich der Verdinglichung zu entziehen. Sie muss es verdinglichen – Forschung kann nur Texte produzieren. Heideggers Denken bleibt darum ein Stachel für alle Heidegger-Forschung. Denn wenn diese notwendig sagen will, worum es Heidegger geht, entgeht ihrs schon. – In der Philosophie hat es die Forschung immer nur mit ihren Abfällen zu tun …