Ich erinnere mich an meine ersten Erfahrungen mit der Philosophie, an meine ersten Lektüren: Nietzsche, Heidegger, Hegel, Adorno, auch Marx. Das war alles schwer zu verstehen, ist es heute noch. An der Universität hatte ich Lehrer, die umso ekstatischer lehrten, je dunkler Texte wurden. Sie hatten nicht viele Hörer.

Mich zog immer an, was auf den ersten und zweiten und auch noch auf den dritten Blick unverständlich blieb. Autoren, die sich vorgenommen hatten, klar und verständlich zu sein, stießen mich ab. So ein Buch, dass auf den ersten Seiten das hohe Gut der Verständlichkeit preist und dann mit virtuosen Einfachheiten glänzt, klappe ich schnell gelangweilt zu. Vielleicht ist Langeweile das falsche Wort; es klingt auch eitel.

Deshalb wäre Frustration besser. Ich fühle mich nicht ernst genommen, meine Lektüre, meine Lektüre-Arbeit, wird überflüssig. Verstehen als Tun, als Aufgabe, wird verweigert – oder, mehr noch, wird einem abgenommen; das ist eine Art von geistiger Entmündigung. Vor lauter Klarheit – verstehe ich nichts.

Das berühmte Orakel von Delphi,[365] das von Heidegger im Großen und Ganzen ignoriert wird, präsentiert ein Verstehen, das mir philosophischer zu sein scheint als das, was heute akademisch und medial gefördert und gefordert wird. Da spricht die Pythia im Rausch aus, was der Gott Apollon ihr zugeraunt haben soll. Das wird dann dem Gast, der vorm Tempel auf den Spruch wartet, mitgeteilt. Nun aber geht das Ganze erst los: denn der Spruch will gedeutet werden. Das bleibt dem Gast vorbehalten. Aber die Deutung bleibt vorläufig; erst nach einer Zeit wird sich zeigen, um was es geht, wenn überhaupt.