Margot oder der Mann und das Weib

In seinem schönen Buch über »Philosophie und Fastnacht«, d.h. über die Brüder Martin und Fritz Heidegger, kommt Hans Dieter Zimmermann auf eine Heidegger-Parodie eines »Professor Feldwegers« zu sprechen. Er nennt die »Autorin dieses gelungenen Scherzes«. Es sei »Margot Prinzessin von Sachsen-Meiningen, die eine Hörerin Martin Heideggers war und ihm im April 1945 Zuflucht im Forsthaus des Grafen Douglas in der Nähe von Beuron gewährte«[396]. Sie sei »1954 während der Fastnacht Mitglied des Elferrats der Stadt Freiburg« gewesen.

Zimmermann bezeichnet die Parodie als einen »brillanten Text«: »Das Fassende des Faßbaren ist die Nacht. Sie faßt, indem sie übernachtet. So gefaßt, nachtet das Faß in der Nacht. Sein Wesen ist die Gefaßtheit in der Nacht. Was faßt? Was nachtet? Das Dasein nachtet fast.« Das ist

Im Briefwechsel der Brüder taucht Margot im März 1944 auf, offenbar kannte Fritz sie früher als Martin. Im September 1946 ist das Verhältnis von Martin und Margot Vergangenheit. Im November gibt es noch einen langen Brief von Martin an seinen Bruder. Die Begegnung mit Margot muss zu weit gegangen sein. Selbst das Werk, das sonst immer die Liebes-Mitte war, hatte an verbindender Kraft verloren. Dann schreibt Martin am 14. November noch einen Abschiedsbrief. Das Verhältnis endet in Niedergeschlagenheit.

Dabei hatte Margot wahrscheinlich noch 1945 in einem Manuskript eine Spur hinterlassen:

»Sei gegrüßt, Martin, zum Werk. Deine Margot.

16.VIII

Martin antwortet mit einem Hölderlin-Vers:

»Drum hab ich heute das Fest, und abendlich in der Stille

Blüht rings der Geist und wär auch silbergrau mir die Loke,

[Hölderlin, IV, S. 163.]«[397]

Deutlicher lässt sich die Musen-Liebe nicht performen. Der Denker wird empfangen, indem sich die Geliebte ihm zuspricht. Er antwortet mit einem innigen Vers. Zwar ist »die Loke« »silbergrau«, doch der »Geist« »blüht«. Ambivalente Performance – die Liebe wird einerseits zum Mittel, den Zweck des Werkes zu realisieren, andererseits vermag sie es, Werk-Früchte zu tragen. Oder hat die Liebe nur einen Sinn in sich selbst?

Das Manuskript, in das sich Margot und Martin auf jene Weise einschreiben, hat den Titel »Der Beginn«. Es beginnt:

Der Be-ginn facht fügend und sammelnd alles ein in das Einzige seines Ereignens.

Der Be-ginn ist das Einfache des Einzigen.«[398]

Der »Unterschied«, das ist für Heidegger auch jene Differenz, die die Geschlechter hervorbringt bzw. ihnen ihre Bedeutung zuweist. Der »Be-ginn«, die Zäsur einer Geschichte des Seins, nimmt auch diese Differenz in sich auf, hat sie schon immer in sich aufgenommen. Indem der »Be-ginn« »einzig« ist, einmal auf einzigartige Weise geschieht, ist all das, was gewöhnlich in der Faktizität und Biographie verschwindet, selber einzig. Auch Martin und Margot, ihre Begegnung, in ihr.

Das gehört zum Alphabet des Eros. Die erotische Begegnung, ihre Zeit, ist singulär, einzigartig. Nichts wird jemals so wiederkehren, wie es in der Intimität der Nähe und Anwesenheit des anderen ist. Niemals wieder wird es so gewesen sein. Margots Gruß und Martins Antwort mit dem Hölderlin-Vers sind absolut individuell.

Die Begegnung mit Margot ist offenbar auch der Anlass für ein weiteres esoterisches Manuskript. Es trägt die Widmung: »Frau Margot von Meiningen zum Geburtstag 1945«.[399] In ihm gibt es, singulär bisher in Heideggers Werk, Bemerkungen über die sexuelle Differenz. Noch einmal geht es um den »Beginn«:

»Das Gedächtnis der Tiefe zu sein, ist das Menschenwesen des inständig einzigen Weibes.

Das Gedächtnis der Höhe zu sein, ist das Menschenwesen des inständig einzigen Mannes.

Weil das Menschenwesen gesät ist in den Schooß des Ereignisses, darum ist der Beginn.«[400]

Die esoterische Form ist unübersehbar. Hat sie einen be

In der Tat wäre zu fragen, ob nicht die Musen-Beziehung das perfekte philosophische Verhältnis ist. Fruchtbar fördert sie das Denken, das sich mit unproduktiver Kritik nicht auseinandersetzen muss. Damit möchte ich nicht sagen, dass Kritik unproduktiv ist. Es gibt aber – gerade auf dem akademischen Feld der Philosophie – eine Kritik aus Eitelkeit, die vor allem die eigene Position durchzusetzen versucht. Darum erreicht sie nicht das Offene, in dem Ungewöhnliches und Anstößiges besprochen werden kann. Das ist in der intimen Beziehung anders.

Das erlässt mir jedoch nicht die Verantwortung, in Heideggers esoterischen Äußerungen eine Bedeutung auszumachen – schon vorausgesetzt, dass diese Äußerungen versuchen, jede Vergegenständlichung zu meiden, weil das Ungegenständliche gedacht werden soll. Das »Menschenwesen« ist als Mann und Weib jeweils »inständig einzig«. Die Inständigkeit muss wörtlich verstanden werden. Weib und Mann stehen in – worin? Im »Ereignis«. Die Einzigkeit von Weib und Mann wird in »Sein und Zeit« noch »Jemeinigkeit« genannt. Weib und Mann sind je ein bestimmtes Weib und ein bestimmter Mann. Mann und Weib sind keine platonischen Ideen.

Das »Gedächtnis der Tiefe« und das »Gedächtnis der Höhe«, diese Wendungen beziehen sich auf eine gedicht

»Erwinket die Höhe zum Grüßen der Tiefe.

Sät aus der Höhe den Samen des Wortes.

Bringt aus der Tiefe sein Reifen zur Sage.

Hütet dem Ungesprochnen das Schweigen.«[401]

Höhe und Tiefe beziehen sich offenbar auf Himmel und Erde, im genannten Verhältnis als Erinnerungen an den Hieros Gamos, in dem im Regen der Himmel die Erde befeuchtet. Heideggers Regen aber ist der »Samen des Wortes«, der in der Tiefe reift, um in der »Sage« und im »Schweigen« zu wachsen und geerntet zu werden.

Das Verhältnis von Mann und Weib wird als Verhältnis von Höhe (Himmel) und Tiefe (Erde) verstanden. Selbstverständlich ist diese Deutung in Zeiten der Gender-Studies mindestens altmodisch, d.h. patriarchal. Heidegger schreibt die Musen-Ökonomie in die sexuelle Differenz (die niemals so genannt wird) ein. Der »Samen des Wortes« ist männlicher Herkunft. Beinahe aristotelisch wird die Frau zur bloßen Empfängerin. Gewiss, Empfang ist für Heidegger nicht zweitrangig. Im Gegenteil: So gesehen, wäre sein Denken weiblich.

Bleibt noch die eigentümliche Bezeichnung vom »Schooß des Ereignisses«. An anderer Stelle des Manuskripts heißt es:

»Die Stille der Huld ist der wiegende Schooß des Ereignisses.

In diesem Schooß ist das Menschenwesen gesät als dessen Gedächtnis.«[402]

Das »Holde der Huld« sei »das Heile«.[403] Der esoterische Charakter solcher Gedanken besteht auch darin, dass sie kaum ausgelegt werden können. Sie sträuben sich einer Interpretation. Alles scheint nur in Heideggers Ausdruckswei

Der »wiegende Schooß des Ereignisses« sei das »Heile«, das sich als »Stille der Huld« erweise. Die Saat des »Menschenwesens« könne nur als »Samen des Wortes« verstanden werden. Denn es handelt sich nicht um die Saat des konkreten Menschen, sondern seiner seinsgeschichtlichen Bedeutung. Die erotische Anspielung im »wiegenden Schooß des Ereignisses« ist unüberhörbar, doch – wie immer – geht es ums Denken, um eine Manifestation des Werkes dieses Kindes aus Papier und Tinte.

Zwar ist die »Loke« »silbergrau«, doch der »Geist« »blüht«.