Was ist das eigentlich für eine Wirtschaft, in der uns reihenweise Produkte angeboten werden, die uns als Kundinnen und Kunden1 schaden? Warum werden in unseren reichen Gesellschaften so viele schlechte Nahrungsmittel mit viel billigem Zucker und Fett verkauft? Wie sinnvoll ist denn ein Wirtschaftssystem, mit dem wir unsere ökologischen Lebensgrundlagen zerstören, welches uns wiederkehrende Finanzkrisen beschert und unsere Gesellschaften durch wachsende Ungleichheit zerreibt? Und was taugt eigentlich ein Staat, der mit unserem Steuergeld spekuliert und der nicht mal in der Lage ist, einen Flughafen zu bauen?
Diese einzelnen Beispiele, aber auch im Großen die Klima-, Finanz- und Verteilungskrisen zeigen uns in aller Deutlichkeit, dass etwas grundsätzlich schiefläuft. Unsere Wirtschaft ist nicht mehr für die Menschen da. Die Bedürfnisse von uns allen spielen kaum noch eine Rolle. Was zählt, sind Macht und Geld. Ich nenne diese Wirtschaftsordnung, in die wir eingebunden und der wir ausgesetzt sind, deshalb Machtwirtschaft. Unternehmen müssen sich nicht mehr an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten, sondern kontrollieren sie gar, bringen sie dazu, Produkte zu kaufen, die die gewünschten Eigenschaften gar nicht aufweisen. Im machtwirtschaftlichen Wettstreit großer Unternehmen spielt die Leistung im Sinne der Kundinnen und Kunden eine geringere Rolle als Finanzkraft und Marktmacht. Da genau liegt der Unterschied zur Marktwirtschaft, in der die wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Menschen hin ausgerichtet sein sollen.
Eigentlich gibt es genau dafür den Staat, um solche Machtstrukturen zu verhindern – als Interessenvertreter des Gemeinwohls, der sich einer Entwicklung zur Machtwirtschaft entgegenzustellen und dafür zu sorgen hat, dass der Wohlstand bei allen ankommt. Doch auch im politischen Raum gibt es eine Verbindung von Macht und Geld. Die Vermachtung unserer Wirtschaft findet hier ihr Gegenstück. Weniger das Wohl der Bürgerinnen und Bürger eines Landes als vielmehr die Verbindung zu den finanzstarken Interessen ist häufig ausschlaggebend im politischen Prozess. Große Unternehmen und Staat stehen häufig eher in einer symbiotischen Beziehung, als dass der Staat die großen Unternehmen kontrollieren würde. Oder der Staat wird zum Getriebenen der Finanzmärkte, statt diesen Regeln zu geben. Deswegen setzen viele Menschen trotz des eklatanten Versagens der losgelassenen Märkte nicht einfach auf den Staat. Sie empfinden die demokratischen Prozesse als vorgeschoben, erfahren sie als nicht relevant, weil die eigentlichen Entscheidungen woanders stattfinden.
Deswegen braucht es neue Konzepte und neue politische Strategien. Die zentrale Auseinandersetzung ist nicht, wie uns häufig eingeredet wird, eine zwischen Staat und Markt. Denn gerade die Manager, die häufig über Marktwirtschaft reden und den Sozialstaat als überzogen hinstellen, beziehen sehr gerne milliardenschwere staatliche Subventionen. Und umgekehrt muss, wer sich für die Interessen der kleinen Leute einsetzen will, oft erst einmal marktwirtschaftliche Strukturen gegen bestehende Oligopole durchsetzen und eine einseitige Parteinahme des Staates zugunsten der wirtschaftlich Starken überwinden.
Es geht auch nicht um Deutschland gegen Griechenland oder Deutschland gegen die Schweiz. Diese Länderspiele überlassen wir besser dem Fußball. Es braucht keine Kavallerie gegen die Schweiz und keinen Euro-Austritt Griechenlands. Was es braucht, ist eine progressive europäische Politik, die wieder die Interessen der breiten Mehrheit der Menschen in den Blick nimmt und deswegen gegen die Steuerhinterzieher sowohl in Deutschland als auch in Griechenland sowie ihre Helfer in den Schweizer Banken vorgeht. Denn beim heutigen System gibt es in jedem Land nur wenige Profiteure. Die Mehrheit in allen Ländern profitiert hingegen jeweils nicht davon. Deswegen sollte man diese Konflikte auch nicht national aufladen.
Die zentrale Auseinandersetzung ist in Wirklichkeit eine ganz andere: Gemeinwohl versus Machtwirtschaft. Und genau dieser Gegensatz ist Thema meines Buches. Aber es geht mir nicht nur darum, diese Auseinandersetzung zu schildern und ein paar Gesetzesvorschläge zu machen, um das Gemeinwohl zu fördern. Das haben wir Grünen schon in vielen Parlamentsanträgen gemacht. Nein, ich schreibe dieses Buch, weil wir diese Auseinandersetzung nicht gewinnen können, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht stärker Teil davon werden. Das ist meine feste Überzeugung nach acht Jahren parlamentarischer Arbeit im Deutschen Bundestag: Sie müssen mitmachen. Und mitmachen können Sie nur, wenn Sie Bescheid wissen über die Strukturen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ich will deshalb mit diesem Buch meinen Teil beitragen zu einer Politik, die nicht über Sie spricht, sondern mit Ihnen gemeinsam dafür sorgt, dass wir die Kontrolle über unser Gemeinwesen wieder zurückerlangen.