Die meisten von uns gehen wie selbstverständlich davon aus, dass wir in einer Marktwirtschaft leben. Also in einer Wirtschaft, in der Märkte die Entscheidungen vieler Tausender Akteure zusammenfassen, die unkoordiniert voneinander verschiedene Produkte oder Dienstleistungen anbieten, verkaufen und kaufen. Man würde heute von »Schwarmintelligenz« sprechen, wenn auf funktionierenden Märkten in den Preis extrem viele uns unbekannte Informationen einfließen und die Produktion durch die Nachfrager gesteuert wird.
So stellt sich die Wirtschaftstheorie eine Marktwirtschaft vor. Voraussetzung dafür wäre, dass kein Mitspieler eine so mächtige Stellung einnimmt, dass anderen Marktteilnehmern die Entscheidungsfreiheit genommen wird. Sobald also beispielsweise einige wenige sich absprechen, um sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, ist diese Idealvorstellung verletzt. Ähnliches gilt, wenn wenige Großunternehmen eine zu große Marktmacht haben und ihren Kundinnen und Kunden sowie Konkurrenten Vorgaben machen können, weil sich dann nicht mehr die Interessen aller Marktteilnehmer in einem Prozess freien Austauschs durchsetzen, sondern die der stärksten Mitspieler.
Natürlich hat diese Idealvorstellung der Wirtschaftstheorie kaum je existiert. Die Wirtschaftswelt hat immer wirtschaftliche, politische und militärische Macht gekannt. Trotzdem gibt es Phasen der Wirtschaftsgeschichte, in der Macht im Wirtschaftsleben eine größere Rolle gespielt hat als in anderen Phasen, mit nachteiligen Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Struktur globaler Konzerne herausgebildet, die unsere demokratischen Gemeinwesen, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft bei der Erfüllung unserer Bedürfnisse, vor allem aber auch die Freiheit der Einzelnen bedroht. Immer weniger stimmt das in öffentlichen Reden hochgehaltene Bild der Marktwirtschaft mit der Realität überein, immer deutlicher werden Strukturen der Machtwirtschaft.
Auf den ersten Blick sieht die Marktsituation in Deutschland eigentlich sehr wettbewerbsfreundlich und wenig konzerngeprägt aus. Kleine und mittlere Unternehmen, also der klassische deutsche Mittelstand, machen zahlenmäßig 99,6 Prozent aller Unternehmen aus. Sie beschäftigen 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und bilden 83,2 Prozent aller Azubis aus.1 An dem in Deutschland erwirtschafteten Mehrwert hatten sie allerdings nur einen Anteil von knapp über der Hälfte. Wie die Monopolkommission zeigt, kommen die 100 größten Unternehmen in Deutschland auf einen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung von 16,4 Prozent. Die zehn größten Firmen, darunter Namen wie Daimler, Volkswagen und Siemens, brachten es allein auf 6,6 Prozent.2 Das ist deutlich, aber wirkt zunächst einmal nicht gefährlich.
In einzelnen Branchen ergibt sich dagegen ein besorgniserregendes Bild. In Deutschland teilen sich vier große Energieversorger quasi den Strommarkt auf: RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW. Ganz ähnlich das Bild bei den Wirtschaftsprüfern, wo die sogenannten Big Four – PricewaterhouseCoopers, KMPG, Ernst & Young und Deloitte – den Markt dominieren.
Insgesamt beobachtet die Monopolkommission jedoch sogar Tendenzen der Entflechtung. So haben innerhalb Deutschlands gegenseitige Kapitalbeteiligungen wie auch personelle Unternehmensverbindungen abgenommen.
Doch der nationale Blick trügt. »Deutsche« Großunternehmen wie Bayer, Siemens oder BASF sind mehrheitlich in ausländischem Besitz. Ohne den Blick auf die globale Wirtschaft lassen sich auch deutsche Unternehmen nicht mehr erfassen. Das ist auch die Folge einer steuerpolitischen Entscheidung der Regierung Schröder. Weil seit 2002 die Veräußerung von Unternehmensanteilen steuerfrei möglich ist, löste sich die »Deutschland AG«, wie die enge Verflechtung deutscher Großkonzerne und ihrer Aufsichtsräte wie Vorstände genannt wurde, zu weiten Teilen auf. Globale Investoren konnten sich einen Teil des profitablen deutschen Kuchens zu eigen machen. Und so ist auch für uns in Deutschland die globale Marktstruktur relevant.
Von 1997 bis 2009 haben die 25 größten Banken auf der Welt ihren Anteil an der Bilanzsumme der 1000 größten Banken von 28 auf 44 Prozent gesteigert.3 Seither hat die Marktkonzentration durch zahlreiche Übernahmen noch zugenommen. In der EU erreichen die fünf größten Banken in 19 der 27 Mitgliedsstaaten einen Marktanteil von über 50 Prozent, in den USA liegt der Wert knapp über 40 Prozent.4 Selbst Josef Ackermann, der ehemalige Chef der Deutschen Bank, sprach daher in einem Interview von »oligopolistischen Strukturen« im Bankenmarkt.5
Dabei gehen höhere Konzentrationen im Bankensektor nicht mit Produktivitätsvorteilen einher, sondern sogar eher mit Effizienzverlusten. Das zeigen Studien aus Deutschland,6 aber auch aus den USA.7 Und für die Kundinnen und Kunden heißt weniger Wettbewerb: höhere Zinsen für Kredite und niedrigere Zinsen für Einlagen. Der Kunde verliert an beiden Enden, und die Bank gewinnt. Die Global Alliance for Banking on Values kommt in einem Vergleich zwischen »nachhaltigen Banken« und Großbanken zu einem ähnlich eindeutigen Ergebnis.8 Die Gesamtkapitalrendite, also der Gewinn auf das eigene und das geliehene Geld, liegt bei Ersteren deutlich höher, bei gleichzeitig weniger Schwankungen. Dabei vergeben sie auch wesentlich mehr Kredite als Relation zur Bilanzsumme – 73 versus 43 Prozent.
Auf nur wenige große Spieler konzentriert sich der Handel gerade in großvolumigen Märkten wie im Derivate- und Devisenbereich. So entfielen 2008 auf die weltweit zehn größten Banken 67 Prozent der Derivategeschäfte.9 Noch krasser ist es bei Kreditausfallversicherungen, einer Unterkategorie der Derivate, die dazu dient, sich gegen Risiken aus einem Kreditgeschäft abzusichern. 87,2 Prozent des Handels entfallen auf die 15 größten Händler, die sechs höchstplatzierten Organisationen vereinigen unglaubliche 99,6 Prozent der gesamten ausstehenden Beträge bei Kreditausfallversicherungen auf sich – der Anteil der Investmentbank JP Morgan Chase allein betrug 52,8 Prozent. Die französische Expertin Anne-Laure Delatte, die ich zu diesem Thema zu einer Anhörung im Finanzausschuss eingeladen hatte, zog daraus einen wichtigen Schluss: »Die spielen miteinander. Der Preis in der Händlerszene wird also nur von einigen ganz wenigen Leuten bewegt. Angesichts dessen können Absprachen nicht ausgeschlossen werden: Es ist vorstellbar, dass ein Großteil der ›Preisbewegungen‹ bei Kreditausfallversicherungen auf öffentliche Schuldtitel darauf zurückzuführen sein könnte, dass Händler den Preis ändern, ohne dass irgendjemand Kreditausfallversicherungen gekauft hat.«10
In diesem Zusammenhang muss man die Manipulation der wichtigen Leitzinssätze und der Devisenkurse sehen, zu denen weltweit derzeit die Aufsichtsbehörden ermitteln, die dabei schon mehrere Banken zu hohen Strafzahlungen verdonnert haben: Viele Märkte für Finanzprodukte sind so stark konzentriert, dass es für Händler ein Leichtes ist, sich abzusprechen und die Preise in ihrem Interesse zu manipulieren.
Ölschiefer, Koltan, Chalkopyrit, Magnetit, Lepidolith, Bauxit, Quarz, Gold – Rohstoffe, die die meisten von uns in der Hosentasche tragen, verpackt in einem handelsüblichen Handy.11 Für die Weltwirtschaft ist der Zugang zu Rohstoffen zentral, Rohstoffe machen heute nach Gewicht rund zwei Drittel des Welthandels aus.12
Umso bedrohlicher ist die Konzentration wirtschaftlicher Macht in diesem sensiblen Bereich. Das Kartell der Ölproduzenten kennt jeder – es heißt OPEC und ist staatlich organisiert. Damit sichern sich die Exportländer saftige Renditen. Doch auch bei anderen Rohstoffen kann man kartellartige Strukturen beobachten.
Hier sind es private Firmen, die den Markt unter sich aufteilen. Beispiel Eisenerz, der Rohstoff für Stahl, der zweitmeistgehandelte Rohstoff der Welt:13 Der Markt wird von drei Firmen dominiert, den multinationalen Bergbaugesellschaften Vale, Rio Tinto und BHP Billiton. Diese drei Giganten kontrollieren 57 Prozent des weltweiten Handels.14 Nur knapp scheiterte 2010 der bereits zweite Versuch von Rio Tinto und BHP Billiton, den Markt noch weiter zum Duopol zu konsolidieren, an dem Widerstand europäischer Regulierer.15 Betroffen ist von dieser Marktmacht eine äußerst breite Palette von Abnehmerindustrien – angefangen von der Automobilindustrie über den Maschinenbau hin zur Bauwirtschaft. Es drohen steigende Metallpreise und entsprechende negative gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseffekte.16
Doch nicht nur beim Eisenerz gibt es diese Tendenzen. Eine der größten Firmen der Welt ist Glencore. Mit 190 000 Beschäftigten kontrolliert das Unternehmen aus dem Kanton Zug einen Löwenanteil des Rohstoffwelthandels: 60 Prozent bei Zink, 50 Prozent bei Kupfer und 45 Prozent bei Blei17 – um nur einige zu nennen. »Es gibt keinen adäquaten, vergleichbaren Konzern oder eine Peergroup, die direkt mit Glencore konkurriert.«18 Was so als Selbstbeschreibung in einem Emissionsprojekt der Firma steht, zeigt den Machtanspruch. Im Mai 2013 fusionierten Glencore und das ebenfalls in der Schweiz beheimatete Bergbauunternehmen Xstrata, um ihren globalen Einfluss zu zementieren, Zahlen für die sicher gestiegenen Anteile am Weltmarkt liegen noch nicht vor.
Die Financial Times hat in akribischer Kleinarbeit Daten über diesen undurchsichtigen Markt gesammelt.19 Undurchsichtig deshalb, weil nur wenige der Handelsriesen an der Börse notiert sind und ihre Geschäftszahlen veröffentlichen müssen. Das Resultat der Recherche ist schwindelerregend: In der letzten Dekade verdienten die Rohstoffhändler 250 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als der Profit der Großbanken Goldman Sachs, JP Morgan Chase und Morgan Stanley oder der fünf Autoriesen Toyota, Volkswagen, Ford, BMW und Renault zusammen.
Das Vermögen der sechs Topmanager von Glencore lag beim Börsengang 2011 höher als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt der 96 ärmsten Länder der Welt im selben Jahr.20 Zwar klagen die Händler über deutlich gestiegene Konkurrenz, doch gleichzeitig weisen die Top 20 für 2012 einen Gewinn von 33,5 Milliarden US-Dollar aus, kaum unter den Niveaus der fünf Jahre zuvor.21 Grund dafür ist auch die äußerst niedrige Steuerlast, gezielt gefördert von Ländern wie der Schweiz oder Singapur, wo die Händler ihre Hauptsitze haben. Während andere Firmen im Geschäft mit Ressourcen 30 bis 45 Prozent Steuern zahlen und selbst die Großbanken etwa 20 Prozent, kommen die Händler mit 5 bis 15 Prozent davon, so die Financial Times.
Von diesen traumhaften Gewinnen wurden in jüngster Zeit die Investmentbanken angelockt. Zum einen haben sie über Verkauf und Handel von Rohstoffderivaten ein Interesse am Markt, sie sind aber auch im physischen Markt im Geschäft, was bis in die 1980er Jahre noch streng verboten war. Ende 2012 besaßen sie Rohstoffe für 35 Milliarden US-Dollar.22 Im Juli 2013 wurde ein schwerer Vorwurf publik: Goldman Sachs soll über einen ihr gehörenden Lagerhausspezialisten in Detroit die Aluminiumvorräte künstlich verknappt haben. Die Investmentbank ließ, so der Vorwurf, täglich Dutzende von Spezialtrucks in der Stadt umherfahren und so das Aluminium hin und her verschieben.23 Die Lieferzeit erhöhte sich von sechs auf 16 Monate – für jeden Tag kassierte der Finanzriese Lagergebühren, die auf die Endverbraucher umgelegt wurden. 0,1 Cent soll die Bank so an jeder Konserve oder Getränkedose extra verdienen.24 JP Morgan übernahm 2010 die größte britische Lagerfirma Henry Bath und steht im Verdacht ähnlicher Machenschaften. Die Aluminiumverarbeiter klagen jetzt dagegen. Und auch beim Kupfer winkt Gefahr: 80 Prozent der Vorräte dürfen nach Erlaubnis der US-Finanzaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) allein von Goldman Sachs, JP Morgan und dem Fondsverwalter Blackrock aufgekauft werden. Ist das die nächste Lieferung für die Lagerhallen?
Und während Banken in den Rohstoffmarkt einsteigen, steigen Rohstoffhändler in die Finanzmärkte ein. Die großen Händler schwimmen in Liquidität, die sie als Kredite an andere Firmen weiterreichen. So konnte Igor Setschin, Chef des russischen Mineralölunternehmens Rosneft, mit nur zwei Anrufen bei den Chefs von den Titanen Vitol und Glencore mal eben zehn Milliarden US-Dollar für die Übernahme eines Konkurrenten bekommen.25 Und plötzlich muss man sich im Finanzsystem nicht nur die Frage nach systemrelevanten Banken, sondern auch nach systemrelevanten Rohstoffhändlern stellen, wie es Timothy Lane, Mitglied des einflussreichen Financial Stability Board (FSB), jüngst getan hat.26
Die Innovationsprozesse im Internet und im IT-Bereich haben das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt. Fast alle Riesen dieser Industrie – von Apple, Google, Facebook, Amazon, eBay bis Yahoo – kommen dabei aus dem Silicon Valley, einem Gebiet zwischen San Francisco und San José. Diese lokale Konzentration steht sinnbildlich für die Vorherrschaft, die diese Konzerne in der virtuellen Welt errichtet haben. Und wir kommen kaum mehr um sie herum.
Ich schreibe diese Zeilen auf einem Apple-Computer, recherchiere über die Google-Suche. Natürlich informiere ich als moderner Politiker per Facebook über meine politische Arbeit. Auf meinem iPhone finde ich meinen eng getakteten Terminkalender ebenso wie meine E-Mails. Klar, dass ich auch die Navigationsfunktionen nutze, um in fremden Städten schneller zu Veranstaltungsorten zu kommen. Für unsere Generation ist es schlicht unmöglich, nicht in die Fänge dieser Großunternehmen zu geraten.
Das Geschäftsmodell der großen Firmen basiert dabei auf ihrer Vormachtstellung im Markt. Ernsthafte Konkurrenz zu Facebook aufzubauen fällt Google genauso schwer, wie es Microsoft in Partnerschaft mit Facebook nicht schafft, eine alternative Suchmaschine zu etablieren. Von der Konkurrenz kleiner Bewerber ganz zu schweigen. Und welcher Verlag kann ernsthaft versuchen wollen, ein Buch zu verkaufen, ohne es bei Amazon zu vermarkten? Vielleicht wurde auch das Exemplar, das Sie gerade lesen, von dem Bücherriesen verschickt.
Doch selbst dann, wenn wir unsere eigenen Daten akribisch schützen, weder E-Mails versenden noch Mobiltelefone benutzen, übernähmen es unsere Freunde, Bekannten oder Geschäftspartner, unsere Fotos, Telefonnummern und andere private Details an Google oder Facebook auszuplaudern. Dies geschieht meist unbewusst beim Synchronisieren des Adressbuchs mit dem E-Mail-Konto oder beim virtuellen Beschriften der eigenen Urlaubsfotos. Die Fortschritte bei der Gesichtserkennungssoftware lassen schaudern, so dass ich mir öfters vorstelle, wie wir in einigen Jahren in der U-Bahn nur noch unser Smartphone auf einen Mitreisenden halten müssen, um sofort Zugang zu seinen öffentlich verfügbaren Daten zu bekommen – ob er will oder nicht.
Damit ist die Macht dieser Konzerne keine Privatsache mehr! Denn die Infrastruktur, die so geschaffen wurde, kann auch missbraucht werden. Google erstellt zum Beispiel ganze Bewegungs- und Verhaltensprofile zu Werbezwecken. Das ist besonders bedenklich, weil Googles Marktanteil an Suchanfragen in Deutschland 96 Prozent beträgt.27 Und Abhängigkeit von einigen wenigen Datenkraken bedeutet immer eine latente Gefahr.
In Apples Datenschutzrichtlinie heißt es zur Sammlung und Weitergabe von Daten wörtlich: »Um standortbezogene Dienste auf Apple-Produkten anzubieten, können Apple und unsere Partner und Lizenznehmer präzise Standortdaten erheben, nutzen und weitergeben, einschließlich des geografischen Standorts deines Apple-Computers oder -Geräts in Echtzeit.«28 Der Vermerk, dass man als Nutzerin dieser Weitervergabe widersprechen kann, fehlt in der Datenschutzerklärung. Ähnlich verhält es sich mit den Praktiken von Facebook, die Stiftung Warentest bewertete 2010 den Datenschutz mit »erheblichen Mängeln«.29 Für ein Netzwerk mit fast einer Milliarde Nutzern ist das sehr bedenklich. Auch Facebook gibt personenbezogene Daten an über 60 Unternehmen weiter, um zugeschnittene Werbung anzuzeigen. Dabei hatten auch Drittunternehmen über längere Zeit rechtswidrigen Zugang auf verschiedene Daten der Nutzer.30
»Zufällig« schnüffelte Google ungeschützte WLAN-Netze aus, als der Konzern Fotos für seinen Zusatzdienst Street View aufnehmen ließ.31 Zwar wurden offenbar die Daten, die für die Nutzer unbemerkt gesammelt wurden, noch nicht genutzt. Aber wer kann sich sicher sein, dass das so bleibt?
Häufig findet ein Tausch statt: Rabatt gegen persönliche Daten. Den meisten Menschen ist der ökonomische Wert der eigenen Daten gar nicht bekannt, so dass sie sich gerne auf diesen Tausch einlassen. Doch die Kommerzialisierung unserer Daten dient der Profitsteigerung. Manche vergleichen den Handel mit Daten über Konsumenten mit dem Goldrausch.32 Je mehr Unternehmen über uns wissen, umso zielsicherer können sie uns als Konsumenten steuern. Werbung kann passgenau für unser Interessenprofil ausgesucht werden, wenn unsere Konsumgewohnheiten offenkundig sind. Das ändert natürlich das Kräfteverhältnis auf dem Markt zu Lasten der Kundinnen und Kunden.
Es mag Sie wundern, dass ich hier die Mafia einreihe in meine Beispiele von Marktmacht. Genauso ging es auch manchen meiner Kolleginnen und Kollegen, als ich Staatsanwalt Roberto Scarpinato aus Palermo für eine Anhörung im Finanzausschuss zum Thema Geldwäsche als Sachverständigen benannte. »Muss das sein?«, stöhnte der Ausschusssekretär, der sich mit Übersetzung und Bodyguards herumschlagen musste. Ja, es musste sein, um genau diesen Zusammenhang herzustellen. Denn Scarpinato berichtete, wie in seinen Mafia-Prozessen in Italien regelmäßig internationale Strukturen eine Rolle spielen und insbesondere in Deutschland Gewinne aus kriminellen Geschäften gewaschen und in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeführt werden. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Denn die organisierte Kriminalität führt dazu, dass die normalen Marktmechanismen nicht mehr funktionieren, wenn mafiöse Strukturen den Staat unterwandern oder an vielen Stellen sogar ersetzen. So beklagt der italienische Unternehmer Antonello Montante, die von der Mafia beherrschten Unternehmen zahlten bei Lieferungen nur die Hälfte, die Polizei schaue weg, kurz: »Sie werden beschützt.«33
Die Mafiagruppen zählen zu den größten Wirtschaftsstrukturen der Welt. So sollen nach Angaben der italienischen Notenbank die drei großen Organisationen Mafia, ’Ndrangheta und Camorra zusammen einen Umsatz von 150 Milliarden Euro erwirtschaften, womit sie an die größten legalen Unternehmen heranreichen. Schon 2007 warnte der italienische Gewerbeverband Confesercenti in einem Bericht, dass 7 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts von der Mafia erwirtschaftet, sechs Milliarden Euro an Schutzgeldern und 12 Milliarden Euro an Wucherzinsen eingenommen würden. Zehntausende Geschäfte hätten aufgrund der Mafia ihre Aktivitäten eingestellt.34 Neben den italienischen Mafia-Organisationen sind etwa mexikanische, kolumbianische und russische zu nennen, die in der Regel international aufgestellten Unternehmen gleichen und häufig auch miteinander kooperieren.
Durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit entstehen hier ebenfalls global agierende Unternehmensstrukturen, die auf Teilmärkten eine ungeheure Macht entfalten. Und dazu ein Argument in der Hand haben, das den Wettbewerb kaputt macht – nämlich die Gewalt und die Illegalität. Wenn der Staat keinen Schutz vor der Mafia bieten kann, haben Firmen, die mit ihr kooperieren, einen deutlichen Vorteil. So organisierte die Mafia teilweise Kartelle für Absprachen bei öffentlichen Aufträgen, mit denen sich die beteiligten Unternehmen finanzielle Vorteile verschafften.
Weil sich diese kriminellen Großkonzerne nicht an Regeln halten, werden sie auf jedem Markt die ehrlichen Unternehmer schnell ausbooten. Ein Restaurant, das bloß aus Gründen der Geldwäsche betrieben wird, kann seine gesetzestreuen Konkurrenten leicht unterbieten. Eine norditalienische Firma, die ihren Giftmüll nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern dafür die süditalienische Mafia beauftragt, kann in ihrer Kostenkalkulation schnell Konkurrenten ausstechen, wie es Roberto Saviano in seinem Buch Gomorrha anschaulich beschreibt. Inzwischen investieren die Mafia-Clans ihr gewaschenes Geld in zahlreichen »normalen« Branchen und erreichen dort einen hohen Marktanteil. Insbesondere als Alternative zu den Banken können sie Wucherzinsen verlangen. Unlängst warnte Europol davor, dass gerade Windkraftprojekte, wo üppige staatliche Subventionen fließen, für die italienische Mafia sehr attraktiv sind, um kriminelles Geld über legale Firmenstrukturen zu waschen.35
Auch im landwirtschaftlichen Sektor ist eine Vielzahl an Problemen und Herausforderungen auf die Größe und Marktmacht einiger weniger zurückzuführen. Der globale Agrargigant Monsanto ist mittlerweile zu einem unberechenbar mächtigen Konzern geworden.36
Zunächst verschaffte sich das Unternehmen durch milliardenschwere Aufkäufe und strategische Allianzen eine immer dominantere Stellung im internationalen Saatgutmarkt – eine Einkaufstour, die dazu geführt hat, dass Monsanto heute der weltweit größte Anbieter von Saatgut ist mit einem Marktanteil von etwa 27 Prozent; die Top 10 dieser Branche kontrollieren zusammen 74 Prozent.37 Im Zuge der aggressiven Expansion eskalierte der Konkurrenzkampf mit anderen Big Playern regelmäßig, vor allem mit dem Kontrahenten DuPont, der sich selbst lange als Nummer 1 halten konnte. Doch dann merkten beide Giganten, dass Streit schlecht fürs Geschäft ist, und begannen eine strategische Kooperation. So stieg die Macht beider Konzerne.38
In den Patenten steckt das eigentliche Geheimnis der Macht von Monsanto. Durch hartnäckige Lobbyarbeit gelang dem Konzern die Erweiterung des Patentschutzes auf die Veränderung pflanzlichen Erbgutes, zunächst in den USA, dann in Europa. Nicht nur auf das Saatgut, nein auch auf die Ernte erhebt der Konzern Patentrechte, ja selbst auf Folgeprodukte. Das ist doch absurd, wenn sogar auf Kekse aus genverändertem Weizen noch Patentansprüche geltend gemacht werden können! Damit nicht genug: Auch für Nutztiere besitzt Monsanto Patente; der gescheiterte Versuch, das Genom des Schweins zu patentieren, ist nur die Spitze des Eisbergs. »Nur Schweine patentieren Schweine« hieß es auf einer Gegendemo so passend, bevor das Vorhaben glücklicherweise 2010 vom Europäischen Patentamt vorläufig gestoppt wurde.
Knallharte Verkaufsverträge sichern die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens. Und kommt es zum Streit, gilt Schweigepflicht: Über Rechtsstreite darf mit Dritten nicht gesprochen werden. Tatsächlich überzieht Monsanto die Landwirte bei kleinsten Vertragsverletzungen mit teuren Gerichtsverfahren. Dahinter steht natürlich die Strategie, jede mutige Einzelgängerin und jeden mutigen Querdenker abzuschrecken. Meist mit Erfolg.
Der Widerstand gegen Genpflanzen wächst, besonders in Europa ist er traditionell stark. Tatsächlich sind Deutschlands Äcker nach wie vor grundsätzlich gentechnikfrei – ein signifikanter Unterschied zu den erschreckenden Zahlen aus den USA, wo bereits 81,1 Prozent des angebauten Maises, 94,5 Prozent der angebauten Sojabohnen und 78,9 Prozent der angebauten Baumwolle genmanipuliert sind!39 Den wohl größten Erfolg verbuchte die Firma im April 2013: In den USA wurde während der angespannten Verhandlungen um ein Gesetz zum Bundeshaushalt in letzter Minute eine Textstelle eingefügt, die es Bundesgerichten faktisch verwehrt, den Verkauf oder den Anbau genmanipulierter Saat zu verbieten, selbst wenn es berechtigte Gesundheitsbedenken gibt.
Was in den USA läuft, versucht die Firma nach und nach weltweit umzusetzen. Gerade in Entwicklungsländern, wo sich längst die Machtverhältnisse eindeutig zugunsten des multinationalen Konzerns verschoben haben, stehen alle Zeichen auf Expansion. Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit und der Bekämpfung des Hungers werden hier neue Abhängigkeitsbeziehungen geschaffen. Doch auch auf Europa gibt es seit Jahrzehnten Druck, die Gesetze zu lockern.
Wenn man sich die eingangs zitierten, eher beruhigenden Zahlen der Monopolkommission in Erinnerung ruft, passt das mit denen der letzten Seiten über die Konzentrationstendenzen und die Situation in einzelnen Branchen irgendwie nicht zusammen. Das ist auch der Monopolkommission selbst aufgefallen. Sie schreibt deshalb auch, dass die eigentliche Herausbildung der Marktmacht auf traditionelle Art und Weise nicht mehr erfassbar ist. Wer sich also nicht auf Verschwörungstheorien verlassen, sondern fundiert analysieren will, was in den globalen Märkten insgesamt geschieht, muss nach neuen Ansätzen suchen.
Fündig wird man dabei an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich,40 deren Forscher sich ein objektives Bild von der angeblichen Weltherrschaft transnationaler Unternehmen machen wollten. Und da wird das gesamte Desaster einer Fehlentwicklung deutlich.
Anstatt mit einfachen Vergleichen zwischen Unternehmensumsätzen und Wirtschaftsleistungen der Länder zu argumentieren, bedienten sich die Schweizer Forscher eines Instruments, das eher in der Naturwissenschaft Anwendung findet: der Netzwerkanalyse. Dabei haben sie aus einer Vielzahl von Datenquellen von Unternehmen – sowohl was die Struktur ihrer Anteilseigner als auch die Besetzung des Managements und der Aufsichtsräte anbelangt – Verbindungen sichtbar gemacht. Denn während Großkonzerne für jedermann direkt erkennbar sind, bleiben Netzwerke, die auf Kapitalbeteiligungen oder Personenverflechtungen basieren und ebenfalls Machtstrukturen darstellen, zunächst unsichtbar.
So begann die Untersuchung des Forscherteams mit einer immensen Fleißarbeit. Aus einer Datenbank mit 30 Millionen Wirtschaftsakteuren identifizierten sie 43 060 transnational operierende Unternehmen. In einem zweiten Schritt klärten sie die dazugehörigen Besitzverhältnisse, ob nun eines dieser Unternehmen Anteile an einem anderen besaß oder es selbst von einem anderen Unternehmen (teilweise) kontrolliert wurde. Daraus entstand dann ein Gebilde aus 600 508 Knoten, die jeweils ein Unternehmen oder einen Besitzer abbilden, und aus knapp über einer Million Fäden, die jeweils Besitzverhältnisse repräsentieren. Ein heilloses Durcheinander also, dem man sich nur mithilfe ausgetüftelter Computerprogramme nähern kann. Bei genauerer Analyse zerfiel das Knäuel in mehrere kleine Einheiten, die jeweils keine Verbindungen zu anderen Einheiten aufwiesen. Doch blieb ein großes Knäuel übrig, in dem sich drei Viertel aller Knoten ineinander verheddert hatten und in dem sich gleichzeitig 94,2 Prozent aller Einkommen der transnationalen Unternehmen konzentrierten. Dieses galt es also unter die Lupe zu nehmen.
Bei genauerem Hinsehen verwandelte sich dieses Gebilde in eine Fliege, wie Herren sie gerne zum Smoking tragen, wobei die eine Seite wesentlich kleiner war als die andere. Die kleinere Seite der Fliege waren Unternehmen, die einen Teil des Fliegenknotens kontrollierten. Die größere Seite wiederum waren Unternehmen, die vom Knoten der Fliege kontrolliert wurden – diese repräsentieren ganze 60 Prozent aller Einkommen transnationaler Unternehmen. Doch die geballte Aufmerksamkeit richteten die Forscher natürlich auf den Knoten selbst, der eine so zentrale Bedeutung einnahm. 1318 Unternehmen tummelten sich da in einem engen Geflecht von 12 191 Fäden. Diese Firmen besitzen also jeweils Anteile an einer anderen Firma im Knoten und werden zumindest teilweise von anderen Firmen in diesem Knoten besessen. Überraschend ist, dass es in dem globalen Knäuel der ursprünglich knapp 600 000 Knoten nur einen einzigen Kern gibt – es hätte ja auch mehrere Machtzentren geben können. Interessant ist auch der Vergleich zu entsprechenden Analysen nationaler Märkte: Dort waren solche Konzentrationstendenzen selten gefunden worden, und wenn, wie beispielsweise in den angelsächsischen Ländern, dann war die Konzentration auf wenige Unternehmen nicht ganz so stark ausgeprägt.
Wirtschaftliche Kontrolle war der nächste Aspekt, der die Forscher interessierte. Denn während gegenseitiges Besitzen natürlich auch mit gegenseitiger Kontrolle einhergeht, können manche doch größeren Einfluss ausüben als andere. Hier stieß die Gruppe auf bemerkenswerte Ergebnisse: Die Kontrolle über das Netzwerk ist noch wesentlich ungleicher verteilt als das Vermögen innerhalb des Netzwerks. Die Topakteure üben eine zehnmal höhere Kontrolle aus, als aufgrund ihres Vermögens erwartbar gewesen wäre. Damit schafft es eine Gruppe von nur 147 Unternehmen, von den Autoren »Supereinheit« getauft, durch Anteilsverflechtungen die Kontrolle über sage und schreibe knapp 40 Prozent der Unternehmenswerte aller transnationalen Konzerne weltweit (!) auszuüben.
Das ist der Kern der Machtwirtschaft. 0,3 Prozent kontrollieren 40 Prozent – eine unglaubliche Macht! Noch unheimlicher wird es, da diese 147 nicht etwa in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich fast vollständig auch selbst kontrollieren.
Finanzkonzerne sind die einflussreichsten Mitglieder der »Supereinheit«, sie machen drei Viertel der 147 aus. Angeführt wird die Gruppe von der britischen Barclays Bank, gefolgt von den eher unbekannten amerikanischen Investmentfirmen Capital Group Companies und Fidelity Management and Research. Das ist deshalb interessant, da sie meist nicht in vorderster Front in Erscheinung treten, wenn Großkonzerne an den Pranger gestellt werden. Die Deutsche Bank landet in der Netzwerkanalyse auf Platz 12, die Allianz als zweites deutsches Unternehmen auf Platz 28.
Diese Ergebnisse haben für viel Furore gesorgt. Zu Recht. Schließlich haben die Forscher mit ihrer ersten wirklich globalen Analyse wirtschaftlicher Netzwerke wichtige Pionierarbeit geleistet. Was sind die Schlussfolgerungen? Klar ist für mich, dass diese Struktur nicht auf einer Verschwörung basiert, sondern aufgrund natürlicher Konzentrationstendenzen nach und nach entstanden ist. Auch ist das keine Weltregierung. Selbst aus einem eng vernetzten Kreis von 147 Einheiten lässt sich keine politische Strategie zur Weltherrschaft umsetzen.
Aber die Gefahren, die ein solches Netzwerk darstellt, sind trotzdem sehr konkret. Zum einen ist Konzentration schädlich für einen funktionierenden Wettbewerb. Selbst geringe Ausmaße von cross shareholding, also des wechselseitigen Besitzes von Firmenanteilen, können zu Verzerrungen und Marktmacht in Branchen wie der Luftfahrt und der Automobilindustrie oder im Finanzsektor führen. Was auch immer die Ursache für die Konzentration sei, so urteilen die Forscher in ihrer Studie, werde der Wettbewerb dadurch geschwächt. Zum anderen, und das ist nicht minder gefährlich, sind globale Netzwerke bei Krisen nichts anderes als Infektionskanäle. Schnell gerät ein lokales Problem so außer Kontrolle, wie wir es beim Zusammenbruch der Großbank Lehman Brothers erleben konnten. Dieses Institut rangierte bei seinem Zusammenbruch übrigens »nur« auf Platz 34. Nicht auszumalen also, was bei einer Pleite einer noch vernetzteren Einheit passiert wäre.
Vor allem aber stellt sich die Frage nach dem politischen Einfluss auch dann, wenn es keine koordinierte Strategie gibt, sondern nur Interessenübereinstimmung, Datenaustausch oder einzelne koordinierte Aktivitäten. Denn jedes einzelne Unternehmen im Kern der Verflechtung ist für sich allein schon überaus mächtig – auf Märkten, gegenüber den Regierungen und bei Eingriffen in unsere persönliche Freiheit. Denn häufig sind diese Unternehmen größer und reicher als einzelne Staaten. Mehrere der hoch vernetzten globalen Konzerne gemeinsam haben in der Regel auf ihren Märkten schon große Marktmacht. Bestehen Querverbindungen über mehrere Märkte, wird die daraus entstehende Macht wahrscheinlich unkontrollierbar.
Der Konzentrationsgrad eines Wirtschaftszweigs geht nicht immer auch mit der Marktmacht der einzelnen Unternehmen einher – das ist natürlich auch mir bewusst. Selbst wenn es nur zwei Konkurrenten auf einem Teilmarkt gibt, können sich diese einen erbitterten Kampf um Preis und Qualität liefern. Aber es ist desto unwahrscheinlicher, je weniger Spieler übrig bleiben. Denn beide würden von stillschweigender oder offener Kooperation in einem Maße profitieren, wie sie es durch einen erbittert geführten Konkurrenzkampf niemals schaffen könnten. Das zeigt ja das Beispiel DuPont/Monsanto sehr gut.
Richtig ist auch, dass man eine moderne Volkswirtschaft nicht allein mit Tante-Emma- und Onkel-Ali-Läden oder kleinen Volksbanken bestreiten kann. So gibt es in manchen Bereichen auch Mindestgrößen für Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf große Investitionen. Die Volksbank Sandhofen kann nicht im Alleingang ein großes Infrastrukturprojekt finanzieren. Denn die dazu notwendigen Kredite würden ihre Bilanzsumme um ein Vielfaches überschreiten, und das Management wäre schnell überfordert. Das rechtfertigt aber noch nicht eine Deutsche Bank, deren Bilanzsumme 76 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung beträgt. Selbstverständlich sind auch große Unternehmen für die Entwicklung mancher Zukunftstechnologien und deren Umsetzung unabdingbar, da sie nur aufgrund ihrer Größe auch Großprojekte effizient steuern können. »Skaleneffekte« heißt das in der Sprache der Experten und meint, dass eine gewisse Mindestgröße mit wesentlichen Effizienzvorteilen verbunden ist. So kann eine Firma mit einem Kapitaleinsatz von zehn Millionen Euro mehr produzieren als zwei Firmen mit jeweils fünf Millionen Euro. So setzen sich die Größeren gegen die Kleineren durch. In Wirtschaftszweigen mit Skaleneffekten kommt es daher also zu Unternehmenskonzentrationen, die im Interesse der Effizienz aber durchaus wünschenswert sind.
So weit, so verständlich. Der Umkehrschluss aber ist die wichtigere Lehre: Die meisten Großkonzerne streben weiteres Wachstum insbesondere deshalb an, um Marktmacht zu erlangen und damit den freien Wettbewerb außer Kraft zu setzen. Denn die von ihnen in einem solchen Markt erwirtschafteten Gewinne gehen nur zum Teil auf das unternehmerische Know-how zurück. Die Großunternehmen kassieren vielmehr eine Prämie aufgrund einer konzentrierten Marktstruktur, weil sie höhere Margen durchsetzen können. Diese Zusatzgewinne werden von wenigen privatisiert, während sie über höhere Preise von Verbrauchern oder durch überteuerte Aufträge von der öffentlichen Hand an diese Unternehmen bezahlt werden. Das sind Effekte, die von unten nach oben umverteilen.
Andere Unternehmen zu übernehmen ist daher ein wichtiges Mittel im Wettbewerb um Kunden und Marktanteile und verdrängt die Qualität des Produkts oder der Dienstleistung als Faktor des unternehmerischen Erfolgs. Denn Größe verspricht Marktmacht. Und die wiederum verspricht Profit.
Dieses Streben nach Marktmacht hebelt die Vorteile der Marktwirtschaft aus. Denn Konkurrenz ist schlecht fürs Geschäft. Größe und Marktmacht sind daher wie Löhne oder Materialkosten ein wichtiger Produktionsfaktor, der im Sinne des Profits maximiert wird. Ein Unternehmen, das Marktmacht erobert hat, muss nicht mehr primär über den Preis und die Qualität seiner Produkte um Kundinnen und Kunden buhlen. Ganz im Gegenteil: Wir werden abhängiger von den Produktentscheidungen dieses Unternehmens, da wir immer weniger Ausweich- und damit Auswahlmöglichkeiten haben. Wachsende Konzerne verschaffen sich so nach und nach Vorteile, die ein kleines Unternehmen mit Leistung nicht mehr aufholen kann. Selbst eine innovative Geschäftsidee oder ein effizienterer Produktionsprozess können sich dann nicht mehr durchsetzen, wenn sie dem Profitinteresse der Großen zuwider laufen. Das ist existenzbedrohlich für den kleinen oder mittelständischen Betrieb. Und genau dadurch verfestigen sich Machtstrukturen und Konzentrationsprozesse – ein Teufelskreis.
Wenn ich ein mittelständisches Unternehmen besuche, wird mir gegenüber manchmal über die hohe Steuerlast geklagt. So eine niedrige Steuerquote wie IKEA, das wäre doch schön, träumt da die Eigentümerin des mittelständischen Möbelhauses. Nun, wenn die gesamte Wirtschaft so wenig Steuern zahlen würde wie die großen Konzerne, dann wäre unser Staat bald pleite. Aber die Unternehmerin spricht einen richtigen Punkt an. IKEA sollte endlich auch so viel zahlen wie das kleinere Möbelhaus, während es bisher höchstens halb so viel zahlt.41 Warum ist das so? Weil globale Konzerne ihre Gewinne dorthin verschieben können, wo sie möglichst gering oder gar nicht zu versteuern sind, und Kosten dort auflaufen lassen, wo sie möglichst großzügig von der Steuer absetzbar sind. Dabei wird die globale Kleinstaaterei in der Steuergesetzgebung konsequent ausgenutzt, indem allerlei verschachtelte Unternehmensstrukturen oder Finanzierungsvehikel Anwendung finden.
Global agierende Unternehmen besitzen hier einen klaren Wettbewerbsvorteil. Denn sie können ein weltumspannendes Geflecht von formal unabhängigen Firmenteilen aufbauen und so jeglichen Gestaltungsspielraum ausnutzen. Unterstützt werden sie dabei von einer Heerschar von Beratern. Agiert wird hier frei nach dem Motto: Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. »Aggressive Steuergestaltung« nennt die OECD dieses Vorgehen. Die Steuervermeidungsindustrie wird angeführt von vier Firmen: Deloitte, PricewaterhouseCoopers, KPMG und Ernst & Young – die schon genannten Big Four.
Mit deren Hilfe drücken Großunternehmen ihre Steuerlast. So zahlte Apple im Geschäftsjahr 2011/2012 nur 1,9 Prozent Steuern auf seine Auslandsgewinne, Google 5,3 Prozent.42 Allein zehn Milliarden Dollar Gewinn wurden über Double Irish und Dutch Sandwich genannte Steuerkonstruktionen in das beschauliche Bermuda verlagert. »It’s called capitalism«, kommentierte Google-Chef Eric Schmidt die Zahlen. »We are proudly capitalistic. I’m not confused about this.«43
Aber ich bin sehr confused. Denn so wird der Unterschied zwischen einer Steuerbelastung von 30 Prozent, die kleine Betriebe aufzubringen haben, gegenüber den 3 Prozent, die bei den globalen Konzernen anfallen, für Erstere zum fortdauernden Wettbewerbsnachteil. Aber Marktwirtschaft funktioniert nur dann, wenn Anreize bestehen, dass Kapital an solche Firmen fließt, die es am besten benutzen, nicht am besten verstecken.
Starbucks hat in den letzten zehn Jahren überhaupt keine Ertragsteuern auf seine Erträge in Deutschland gezahlt,44 weil es hier keine Gewinne auswies. Dabei ist es ja kaum vorstellbar, dass ein Unternehmen wie Starbucks mit seinen Filialen nur deshalb Deutschland überzogen hat, weil es uns so gerne Kaffee ausschenken möchte. Nein, vielmehr fallen auch hierzulande Gewinne an, nur nicht in der deutschen Steuererklärung. Sie werden über Lizenzzahlungen in die Niederlande gelenkt und auch dort nicht richtig versteuert. Für einen kleinen Konkurrenten von Starbucks, vielleicht eine Konditorei mit Kaffee, bei der der Eigentümer noch selbst die Torten backt, bedeutet das einen massiven Wettbewerbsnachteil, dem er nicht entkommen kann. So findet der Kampf um Marktanteile nicht über Innovation und Kosteneffizienz, sondern über den Zugang zu einer aggressiven Steuergestaltung statt. Und wenn globale Unternehmen gegenüber ihren kleineren Konkurrenten einen systematischen Vorteil am Markt haben, dann ist eine Konzentrationstendenz die logische Folge.
Noch schöner, als weniger zu zahlen, ist natürlich, etwas zu bekommen. Und genau das passiert im Bereich der Großbanken. Und noch besser ist, wenn es niemand merkt. Ehrlich gesagt: Ich habe das lange auch nicht gemerkt. Aber große Banken bekommen von uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ziemlich viel geschenkt, ohne dass das in normalen Zeiten im Subventionsbericht des Finanzministeriums auftauchen würde. Zum Glück ist hier in jüngerer Zeit von renommierten und unverdächtigen Institutionen gute Forschungsarbeit geleistet worden. So hat die Bank of England berechnet, dass für die 28 größten Banken weltweit der Vorteil, den sie aus ihrem Status als Großbanken ziehen, jährlich 250 Milliarden US-Dollar ausmacht.45 Die Deutsche Bank kann sich immerhin über bis zu 17 Milliarden jährlich freuen.46
Doch wie kommt es nur dazu? Staaten können manche Banken, falls diese in Schieflage geraten, wegen ihrer Größe oder Vernetzung nicht insolvent gehen lassen. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten einer Bankeninsolvenz wären für den Staat sehr viel höher als die Kosten einer Bankenrettung. Deshalb können diese Banken stets mit einer staatlichen Rettung rechnen. Sie verfügen damit über eine Existenzgarantie.
Damit bilden wir 80 Millionen Deutschen so eine Art Versicherungsunternehmen mit einem merkwürdigen Geschäftsmodell. Wir versichern Bankrisiken, übernehmen also im Schadensfall die Kosten von Fehlspekulationen von Großbanken. Doch berechnen wir den Versicherten keine Prämien dafür, wir versichern die Bankrisiken also kostenlos. Schön doof, oder? Vor allem, weil wir gerade dabei sind, an einer anderen Stelle dasselbe Geschäftsmodell abzuwickeln. Beim Atomausstieg. Denn dort ist es ja bisher genauso: Die Risiken der Atomenergie trägt die Gesellschaft, die Gewinne kommen wenigen großen Unternehmen zugute. Doch nach dem Atomunfall in Fukushima haben die derzeitigen Vorstände des Versicherungsunternehmens Deutschland die Problematik dieses Geschäftsmodells erkennen müssen. Weil klar ist, dass die Unternehmen die Risiken nicht selber tragen können, werden die Risiken abgebaut – durch den Ausstieg aus der Kernenergieproduktion.
Wie kommen die Banken jetzt genau an ihre versteckte Subvention? Diejenigen Institute, die als too big to fail eingestuft werden, gelten aufgrund der staatlichen Vollkaskoversicherung als sicherer.47 Deshalb sind die Konditionen, zu denen sich diese Banken Geld leihen (etwa von anderen Banken oder mittels Emission von Bankanleihen), besser als die für kleinere Wettbewerber. Die Gläubiger vertrauen auf die staatliche Versicherung und geben der Bank daher zu niedrigeren Zinsen Geld. Das spart der Großbank viel Geld und wirkt wie eine vom Staat überwiesene Subvention. Ein klarer Wettbewerbsvorteil – mit der Folge steigender Gewinne. Das Ziel einer jeden Bank ist also, in diese Versicherung hineinzuwachsen.
Folgerichtig lässt sich dieses Kalkül auch bei der Fusion von Banken empirisch belegen: Ein Forscherteam der amerikanischen Zentralbank zeigt,48 wie etliche Fusionen von US-Banken allein dadurch motiviert waren, dass die Banken den Status too big to fail erreichen wollten. Die übernehmenden Banken waren dabei sogar zur Zahlung von Preisaufschlägen von 14 bis 17 Milliarden US-Dollar bereit, wenn sie dadurch den Großbankenstatus erlangten. Das ist doch keine Marktwirtschaft mehr, wenn es nicht um bessere oder schlechtere Angebote, sondern nur noch um die Unternehmensgröße geht!49
Hinzu kommt ein Phänomen, auf das US-Generalbundesanwalt Eric Holder hinwies: Die Justiz verklage Großbanken nicht, weil diese dann kollabieren könnten.50 In einem Rechtsstaat ist das natürlich ein unhaltbarer Zustand!
Seit ich diese Fakten kenne, schaue ich anders auf die Bankentürme, wenn ich in Frankfurt, Tokio oder Hongkong bin. Sie sind für mich nicht mehr Symbol wirtschaftlicher Stärke, sondern ein Bild für die gesellschaftlichen Großrisiken, die wir kostenlos versichern. Gute marktwirtschaftliche Politik, so wurde mir klar, muss die Subventionierung dieser Großrisiken abbauen, im Interesse von uns Bürgerinnen und Bürgern, aber auch im Interesse eines funktionierenden und fairen Wettbewerbs im Markt. Es wurde ein Schwerpunkt meiner politischen Arbeit in den letzten Jahren. Und so kam ich zu der Ehre, von Managern der Deutschen Bank in einem unlängst erschienenen Buch51 als ihr gefährlichster Gegner genannt zu werden.
Wachsende Konzerne verschaffen sich also nach und nach Vorteile, die ein kleines Unternehmen mit Leistung nicht mehr aufholen kann. Und genau dadurch verfestigen sich Machtstrukturen und Konzentrationsprozesse. Big Business fürchtet deswegen einen funktionierenden Markt genauso wie einen funktionierenden Staat, der Regeln zur Begrenzung wirtschaftlicher Macht setzt. Denn beide Kräfte würden dem Streben nach Gewinnen entgegenwirken. Gewinne aber sind bei Großkonzernen das einzige Maß der Dinge.
Die Gewinnmöglichkeiten sind begrenzt, wenn es nur darum geht, vorhandene Konsumwünsche zu befriedigen. Jeder gute Verkäufer versucht, uns Produkte schmackhaft zu machen, die wir ursprünglich nicht kaufen wollten. Das ist Teil des Spiels. Doch es verändert seinen Charakter, wenn große Unternehmen ihre Marketingkraft nutzen und gesellschaftliche Trends prägen oder gesellschaftliche Regeln wie Ladenöffnungszeiten oder den Umgang mit Kundendaten verändern. Das ist eine andere Wucht als auf dem Wochenmarkt ein Verkäufer hier und eine Verkäuferin da. IKEA prägt den Möbelgeschmack, Nike den neuen Sneaker-Trend, Apple, was ein Telefon können muss. Diese Geschmäcker zu etablieren und kontinuierlich weiterzuentwickeln, um neue Konsumbedürfnisse zu wecken, ist die Aufgabe der Werbung – und sie hat sich zunehmend professionalisiert. Dabei ist es eine Meisterleistung, Menschen Jahr für Jahr dazu zu bewegen, etwas besitzen zu wollen, was sie im Vorjahr noch gar nicht haben wollten. Unsere soziale Kommunikation läuft heute in starkem Maße über Produkte. Unternehmen mit großer Finanzkraft können ihre Produkte auf eine Weise zu platzieren, die kleine Unternehmen nicht haben.
Nicht wir, sondern die Verkaufsinteressen der Großkonzerne bestimmen deshalb heute oftmals, wie wir gesehen werden wollen. Das Gesellschaftsbild von Wohlstand entspricht den Partikularinteressen von Big Business. So bleiben wir einem Modell verhaftet, dass uns zwar Wachstum, aber keine bessere Zukunft beschert – Tim Jackson spricht vom »eisernen Käfig des Konsumismus«. Aus diesem Käfig auszubrechen ist daher nicht nur eine Frage der persönlichen Mäßigung und des Verzichts, sondern immer auch eine Frage der Macht.
Ein wichtiges Mittel zur Profitsteigerung ist dabei, den Produktumlauf zu beschleunigen. Dazu gehört ein immer schnellerer Wechsel von Moden, die durch umfangreiche Werbekampagnen in unsere Köpfe gebracht werden und unsere bisherige, eigentlich noch makellose Kleidung, das eigentlich noch brauchbare Sofa und die eigentlich noch taugliche Uhr ersatzbedürftig werden lassen.
Doch nicht nur die Mode und die Werbung treiben den exzessiven Verbrauch von Ressourcen in unser aller Hauswirtschaftskreislauf. Geplante Obsoleszenz und Unreparierbarkeit sind deren technische Geschwister, damit Produkte möglichst häufig ersetzt und so die Profite beflügelt werden. Eine Studie im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion52 illustriert an konkreten Beispielen, wie überlegt und mit welchen bewussten Managemententscheidungen einige Hersteller heute auf geplanten Verschleiß und mangelnde Reparierbarkeit setzen. Dabei ist das Ziel stets, Umsätze zu steigern – und zwar unter der Wahrnehmungsschwelle der Konsumenten, die sonst zur Konkurrenz wechseln würden. Unterliegen alle Firmen in Konkurrenz diesen Anreizen, gerät eine ganze Produktpalette schnell in eine negative Qualitätsspirale. Zwar kommt die Stiftung Warentest in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, es fehle »der Nachweis, dass Hersteller den Murks gezielt zusammenbauen, um Verbraucher übers Ohr zu hauen«,53 doch schließen sie nicht aus, dass Produzenten den immer schnelleren Verschleiß zumindest bewusst in Kauf nehmen. Einig sind sich jedenfalls beide Studien, dass die Produktzyklen kürzer werden. Ökologisch hat das zur Folge, dass immer mehr Müll produziert wird und immer mehr Ressourcen verwendet werden, um dasselbe Niveau der Versorgung zu erreichen.54
Auch wenn wir alle mehr oder weniger an diesem Erneuerungswettlauf teilnehmen: Er kann auch ökonomisch in der Regel eigentlich nicht in unserem Interesse als Kundinnen und Kunden sein. Denn wir müssen erhebliche finanzielle Ressourcen einsetzen, um uns immer aufs Neue mit den technisch oder stylish angesagten Gütern auszustatten.
Aber denken denn nicht viele Großunternehmen um und setzen auf Nachhaltigkeit? Wir sollten uns nicht täuschen lassen vom Schlagwort der unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung – bekannter unter dem englischen Begriff corporate social responsibility (CSR). Nobelpreisträger Milton Friedman wurde kurz vor seinem Tod in einem Interview einmal sehr deutlich: Soziale Verantwortlichkeit könne nur akzeptiert werden, wenn sie als »Fassade« der Imagepflege diene. Das sei so, als »würde man ein hübsches Mädchen vor den Werbekarren spannen«. Gute Absichten seien, wie gut aussehende junge Frauen, verkaufsfördernd.55 Dies mag für viele zynisch klingen. Doch ich halte es für ein ehrliches Statement. Die meisten CSR-Aktivitäten sind Imageförderung, reines Marketing. Das Kerngeschäft verändert sich nur durch gesetzliche Regeln, veränderte Nachfrage oder massiven öffentlichen Druck. Wir können Unternehmen nicht dafür verdammen, dass sie Aufgaben erfüllen, für die sie geschaffen wurden. Aber wir dürfen uns eben auch nicht durch klug inszenierte Werbekampagnen darin täuschen lassen, welche Ziele sie tatsächlich verfolgen.
Denn Kapitalgesellschaften und Fonds – und um diese handelt es sich in der Regel – müssen ihre Rendite maximieren. Der Grund: Jede Aktionärin hat ein gesetzlich verbrieftes Recht, dass ausschließlich im Sinne ihrer Rendite gewirtschaftet wird! Alle anderen Ziele, von der Förderung einer umweltfreundlichen Produktionsweise über einen anständigen Lohn für Arbeitnehmer bis hin zur Entwicklung neuer Produkte mit gesellschaftlichem Mehrwert, sind nur unter dem Gesichtspunkt des daraus resultierenden Profits zu bewerten. Wer auf Verständnis, Einsicht oder anderes hofft, hat nicht verstanden, was eine Aktiengesellschaft, eine GmbH, ein Fonds oder andere Formen von Kapitalgesellschaften sind. Es sind Mittel, um Gewinne zu erzielen.
Es gibt hierzu eine aufschlussreiche Geschichte56 aus der Frühzeit der Großkonzerne. Henry Ford war der Meinung, dass der nach ihm benannte Autokonzern mehr als eine »unerschöpfliche Gewinnquelle« sein sollte. Er zahlte einen überdurchschnittlichen Lohn an seine Arbeiter und belohnte seine Kundinnen und Kunden mit signifikanten Preissenkungen. »Ein vernünftiger Gewinn ist annehmbar«, so wird er zitiert, »aber man sollte es nicht übertreiben.«
Er hatte seine Wohltaten aber nicht mit den Brüdern Dodge abgesprochen, die ihm im Jahr 1906 mit 10 500 Dollar Starthilfe bei der Gründung seines Unternehmens geleistet hatten. Und die waren stinksauer, denn die Bereitschaft von Henry Ford, seinen Gewinnanspruch zu mäßigen und den Arbeitenden einen fairen Lohn zu zahlen, schmälerte ihre Dividende. Es kam zum Eklat, der in dem mittlerweile berühmten Rechtsstreit Dodge vs. Ford gipfelte. Während der öffentlichen Verhandlung versuchte Henry Ford noch zu überzeugen, dass »ein Geschäft eine Dienstleistung, keine Goldgrube« sei und Unternehmen nicht nur darauf bedacht sein sollten, Geld zu verdienen. Doch der Richter entschied zugunsten der beiden Dodge-Brüder und erteilte Ford einen scharfen Verweis.
Seitdem hat an diesem Prinzip keiner mehr ernsthaft gerüttelt. So verfolgen Kapitalgesellschaften im Unterschied zu manchem persönlich haftenden Einzelunternehmer bis heute eine im Kern pathologische Strategie. Denn während das Streben nach Macht und Profit aus Sicht der Aktionäre das richtige Vorgehen ist, läuft dieses Verhalten gesellschaftlichen Zielen oft diametral entgegen. Deshalb dürfen Gesellschaften das Entstehen von Machtwirtschaft, also einer Wirtschaft, in der wenige Großunternehmen relevante Macht über Politik und Märkte ausüben, nicht dulden.