Wirtschaftliche Entscheidungen so umzusteuern, dass sie nicht nur der Rendite dienen, hat allerdings eine Voraussetzung: eine zumindest halbwegs funktionierende Marktwirtschaft, in der Staaten die Regeln setzen und Anbieter gezwungen sind, sich an den Interessen der Kundinnen und Kunden zu orientieren. Über die Strukturen der Machtwirtschaft wird ein solcher Wandel nicht zu haben sein. Die großen Kapitalgesellschaften, die aus sich selbst heraus auf Wachstum und Rendite programmiert sind, dürfen keinen zu großen Einfluss auf unsere Gesellschaft ausüben, wenn anderes als Wachstum und Rendite eine Rolle spielen soll. Wir werden deshalb eine Auseinandersetzung mit den bestehenden Strukturen führen müssen, die unsere Gesellschaft immer wieder dazu drängen, einer kurzfristigen Renditeorientierung zu folgen und den Interessen weniger. Hier dazu einige Vorschläge.
Kanada kam erstaunlich gut durch die Finanzkrise. Es gab keine wackelnden Großbanken, die die Regierung in die Bredouille gebracht hätten, mit Rettungsmilliarden einzugreifen. Woran lag’s? Vor allem an einer weisen Entscheidung eines Finanzministers namens Paul Martin, die dieser 1998 getroffen hatte – lange vor der Krise also. Fünf Großbanken gab es damals, von denen zwei Appetit bekamen, jeweils eine andere Bank aus der Gruppe der fünf zu verspeisen. Man wollte, so die Argumentation der Banken, endlich in die internationale Liga aufsteigen, am Rad der internationalen Finanzmärkte drehen – Kanada und seine Unternehmen könnten davon in Zeiten der Globalisierung nur profitieren. Finanzminister Martin gab diesem Drängen nicht nach und verbot das Vorhaben mit den Worten: »Die Fusionen würden zu einer inakzeptablen Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger, sehr großer Banken führen.«1 Das ersparte dem Land zehn Jahre später unvorstellbare Lasten. Zwar blieben fortan die kanadischen Banken im internationalen Vergleich langweilig, aber genau das sorgte für stabile Verhältnisse. Auch der IWF rühmt dieses Modell, bei dem außerdem kein Anteilseigner mehr als 20 Prozent der Aktien eines der großen Institute halten darf, als krisenfest.2 Das ist genau die staatliche Rolle, die wir auch bei uns brauchen: wirtschaftliche Macht verhindern.
Für große Unternehmensfusionen agiert die EU-Kommission quasi als europäische Wettbewerbsbehörde. Sie hat allerdings in der Fusionskontrolle lange äußerst zurückhaltend agiert. Zwischen Mai 2004, wo von der Europäischen Kommission ein neuer Rahmen zur Fusionskontrolle angenommen wurde, und 2009 gab es 1665 angekündigte Fusionen, aber nur zwei (!) endeten in Verboten seitens der Kommission. Bei diesen beiden handelte es sich im Wesentlichen um Fusionen zu Monopolen, bei denen eigentlich zu erwarten war, dass sie wegen ihrer Aussichtslosigkeit erst gar nicht versucht werden würden.3 Diese Zurückhaltung der Kommission hat neben politischen auch juristische Gründe. Denn ihre Entscheidungen müssen vor Gericht Bestand haben. Hier braucht es ein klareres Mandat für die Kommission.
In alle wettbewerbsrechtlichen Verfahren müssen künftig die neuen Erkenntnisse aus der Netzwerkforschung einbezogen werden, die die eigentlich gefährliche Machtkonzentration auf den Märkten offenlegen. Es wäre falsch, angesichts einer so starken Vernetzung weniger Unternehmen bei einzelnen Übernahmen nur auf die Wirkung auf einzelne nationale Produktmärkte zu achten. Entscheidend muss der Blick auf die Gesamtsituation in der globalen Wirtschaft sein. Außerdem sollte das Kräfteverhältnis zwischen Staaten und Unternehmen systematisch berücksichtigt werden: Diejenigen Unternehmen, die im Zentrum des oben geschilderten Knotens sind und, sei’s direkt oder indirekt, viele weitere globale Unternehmen kontrollieren, müssen an einem weiteren Wachstum gehindert und in ihren Kontrollmöglichkeiten über andere Unternehmen eingeschränkt werden.
Nun ist aber die beschriebene starke Konzentration in der Weltwirtschaft bereits entstanden. Es kann deshalb nicht nur darum gehen, ein weiteres Ausbreiten der Großunternehmen zu verhindern. Nötig ist auch eine Korrektur der bisherigen Fehlentwicklungen, um dort wieder für Wettbewerb zu sorgen, wo er durch die Existenz weniger Großunternehmen eingeschränkt wird. Dafür fehlt bisher die gesetzliche Grundlage. Deshalb braucht es ein Entflechtungsgesetz, das dem Staat die Möglichkeit gibt, dort Unternehmen aktiv zu zerschlagen, wo sie zu große Marktmacht aufgebaut haben. Entflechtungen, in deren Rahmen Unternehmensteile abgetrennt und veräußert werden können, sollen damit nicht nur in Einzelfällen und Ausnahmen möglich sein, sondern ein allgemeinverfügbares Instrumentarium zur Begrenzung von Marktmacht darstellen.4 Die schwarz-gelbe Regierung Merkel hat dieses Gesetzgebungsprojekt für Deutschland vier Jahre lang verschleppt – sie hätte sich mit den einflussreichen Konzernen anlegen müssen. Nötig ist eine klare Rechtsgrundlage zur Entflechtung von Großunternehmen, wie sie in den USA bereits besteht, allerdings insbesondere auf europäischer Ebene.
Eine Entflechtung ist vor allem dann erforderlich, wenn Unternehmen in die Rolle hineinkommen, öffentliche Infrastrukturen bereitzustellen. Denn dann besteht die Gefahr eines privaten Monopols. Wenn zum Beispiel Apps auf dem iPad und iPhone für Dienstleistungsunternehmen zu einem wichtigen Zugang zu ihren Endkunden werden, muss der Staat dafür sorgen, dass dieser Zugang allen offensteht. Die Bereitstellung eines Betriebssystems darf nicht dazu führen, dass der Wettbewerb um die besten Anwendungsprogramme eingeschränkt wird.
Wenn eine Missbrauchskontrolle der aus technologischen Gründen entstandenen Marktmacht nicht möglich ist, können die Unternehmen, die diese Infrastrukturen bereitstellen, trotz schlechter Produkte ihre Umsätze steigern oder ihren Kundinnen und Kunden immer stärkere Vorgaben machen. Das muss verhindert werden. Ich meine, dass sich die Antwort auf die Frage, was staatlich und was privat bereitgestellt werden kann, mit der technologischen Entwicklung verändert. Im Bereich der Telefonie wurde durch technologische Veränderungen das staatliche Monopol überflüssig und konnte durch einen regulierten Markt für Telefondienstleistungen ersetzt werden. Das gilt auch umgekehrt: Wenn aufgrund technologischer Veränderungen natürliche Monopole entstehen, kann es im Extremfall erforderlich werden, dass die öffentliche Hand Monopole übernimmt und so die Infrastruktur für alle Marktteilnehmer selbst bereitstellt oder anderweitig für eine Verhinderung von Monopolrenditen sorgt.
Zusätzlich müssen wir Unternehmen wieder stärker an den Rechtsraum anbinden, in dem sie agieren. Was meine ich damit? Unternehmen sind juristische Personen und als solche nur denkbar in einer bestimmten Rechtsordnung. Doch eine solche gibt es in vielen Fragen auf globaler Ebene nicht. Wenn Gesellschaften wollen, dass Unternehmen wieder kontrollierbar werden, müssen sie dafür sorgen, dass an den Grenzen des (europäischen, US-amerikanischen, kanadischen) Rechtsraums auch wieder klare Grenzen für die unternehmerische Tätigkeit gesetzt werden. Das bedeutet nicht, den freien Handel von Gütern zu beschränken. Vielmehr geht es darum, dass die Regulatoren in den einzelnen Rechtsräumen die Unternehmen zwingen, dort jeweils in wirklich eigenständig funktionsfähigen Strukturen zu agieren. Bei Großbanken bedeutet das zum Beispiel, dass jede einzelne Tochtergesellschaft in den USA oder in der EU ausreichend Eigenkapital vorhalten muss und nicht nur auf das Gesamtkapital des globalen Unternehmens verweisen darf. Denn dieses ist im Zweifelsfall dann gar nicht verfügbar, sondern wird andernorts gebraucht.
In manchen Branchen kann man den Anreiz, über Größe und Marktmacht Gewinne zu machen, auch anders bremsen. Zum Beispiel bei den Wirtschaftsprüfern, deren Existenz ja darauf zurückzuführen ist, dass gesetzlich eine Abschlussprüfung vorgeschrieben ist.5 Nur zwei konkrete Vorschläge will ich hier nennen.
Bisher teilen sich diesen Markt ja die schon angesprochenen Big Four – kleine und mittlere Unternehmen haben kaum Chancen, sich im Wettbewerb gegen die Macht der Großen durchzusetzen und selbst relevante Prüfaufträge an Land zu ziehen. Zum einen wird die Marktmacht dadurch gesichert, dass die Unternehmen Prüfung und Beratung aus einer Hand anbieten. Das muss unterbunden werden. Zum anderen braucht es bessere Chancen für kleinere Anbieter. In Frankreich gibt es bereits seit 1966 die gesetzliche Vorschrift für eine gemeinsame Prüfung durch zwei unabhängige Gesellschaften. Sie teilen sich die Arbeit, sind aber gemeinsam für das Endergebnis haftbar. Mittelständische Gesellschaften können als »Mitprüfer« auf diese Weise auch an der Prüfung größerer Unternehmen mitwirken, die Markteintrittsbarrieren sinken.
Ein weiteres Beispiel ist die Bankenbranche, in der Marktmacht und staatliche Subventionierungen bei den Großbanken zusammenkommen. Zu Recht schreibt Gabor Steingart in Bezug auf den Finanzsektor, es gehe »nicht um die Entflechtung einer Branche, sondern einer Beziehung«, weil hier eine Mischung aus »halb Markt- und halb Staatswirtschaft« zu beobachten sei.6 Diese Entflechtung kann dann erreicht werden, wenn Banken im Ernstfall tatsächlich abgewickelt werden können. Zu diesem Zweck braucht es einfachere Strukturen. Deshalb halte ich ein Trennbankensystem7 für richtig. Außerdem sollten die Banken sogenannte Bankentestamente vorhalten, also Notfallpläne, wie mit dem Institut im Fall einer Pleite umgegangen werden soll. Da niemand Institute mit Hunderten von Tochtergesellschaften realistisch in kurzer Zeit abwickeln kann, führen solche Pläne automatisch dazu, dass die Banken weniger komplex werden müssen, wenn die Aufsicht auf die tatsächliche Umsetzbarkeit dringt. Damit wird ein Eingreifen des Staates für die Zukunft unwahrscheinlicher. Mit diesen Maßnahmen kann also die Subventionierung der Banken durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beendet werden.
Das gilt auch allgemeiner: Viele Großunternehmen erhalten Subventionen durch den Staat. Ich finde, dass es da Größengrenzen geben sollte. Denn mit Steuergeld sollten nicht auch noch die Strukturen gefördert werden, die uns über den Kopf wachsen. Werfen wir nur einen Blick auf die Agrarsubventionen. Da sind die Direktzahlungen selbst sehr ungleich verteilt. Die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland bekommt nur etwa 5 Prozent der Fördermittel. Im Gegensatz dazu erhalten die Top-1,5-Prozent, eine Spitzengruppe aus 6000 Betrieben, die manchmal gar keine landwirtschaftlichen Betriebe, sondern Industrieunternehmen sind, 30 Prozent aller Direktzuwendungen – und das völlig ohne Auflagen. So konnten beispielsweise 2008 große Unternehmen wie Südzucker oder die Großschlachterei Tönnies Fleisch Agrarzuschüsse in Höhe von 34,4 Millionen Euro bzw. 2,7 Millionen Euro einstreichen.8 Zwar wurde im März 2013 eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik auf EU-Ebene beschlossen, doch in der Substanz hat sich an diesen Verhältnissen wenig geändert, selbst die eingeführten ökologischen Auflagen bleiben zu schwach.
Ich halte auch Größenbremsen für notwendig. Das kann man bei Banken erreichen, indem man die regulatorischen Anforderungen überproportional steigen lässt. Größe muss teuer sein, damit sie uns nicht teuer zu stehen kommt! Die kleine Volksbank Sandhofen beispielsweise müsste einen kleineren Anteil ihrer Bilanzsumme mit Eigenkapital finanzieren als die mittelgroße Aareal Bank, am höchsten wäre die Anforderung bei einem globalen Großinstitut wie der Deutschen Bank – das große systemische Risiko läge endlich da, wo es hingehört: bei den Aktionären der Bank und nicht bei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.
Ähnliches kann man bei Bankenabgaben machen, indem man den Tarif progressiv ausgestaltet, so, wie wir das aus der Einkommensteuer kennen. Neben einer Freigrenze für kleine Institute sollte mit wachsender Bilanzsumme der Abgabensatz deutlich ansteigen. Größe von Banken ist teuer – für uns als Gesellschaft in Form der bedingungslosen Versicherung von Bankrisiken. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass diese Kosten auf die Banken und ihre Gläubiger abgeschoben werden.
Darüber hinaus leuchtet für unabhängige Staaten auch der Vorschlag der Bankenaufseher Großbritanniens und der USA, Andrew Haldane und Daniel Tarullo, ein, die Größe von Banken im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Heimatlandes zu begrenzen.9
Eine der Grundlogiken der Marktwirtschaft ist das Haftungsprinzip. Wer ein gutes Produkt anbietet, soll Gewinne machen dürfen. Wer aber einen anderen schädigt, muss dafür auch haften. Wer Verluste macht, muss dafür geradestehen. Kaum eine Branche hat sich so weit von dieser Grundlogik der Marktwirtschaft entfernt wie die Finanzindustrie. Taumelnde Großbanken werden vom Steuerzahler gerettet, gefälschte Bilanzen versprechen Gewinne bei minimalen Strafen, Kundinnen und Kunden werden über den Tisch gezogen und haben den Schaden zu tragen.
Wie wenige Bankmanager wurden für ihre Fehler zur Rechenschaft gezogen! Und Rating-Agenturen konnten ihr Geschäftsmodell weitgehend unbeeinträchtigt über die Krise retten. Ihre Prognosen waren nicht nur in vielen Fällen falsch, sondern sie übersahen häufig auch die Analyse wichtiger Faktoren und unterließen eine gründliche Untersuchung der Marktgegebenheiten. Denn systemische Risiken der Finanzwirtschaft und ihrer Verbriefungen wurden falsch ermittelt und die Ausfallrisiken strukturierter Finanztitel zu optimistisch bewertet. Trotzdem mussten sie für ihre Fehler nicht haften. Das Wichtigste aber ist, die Bedeutung externer Rating-Urteile in der Regulierung der Finanzmärkte deutlich zu mindern. Dann nähme die Macht der Rating-Agenturen automatisch ab.
Auch die Forderung, gegen Unternehmen strafrechtlich vorzugehen, gehört in diesen Zusammenhang. In der Tat ist es bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten häufig schwierig, innerhalb des Unternehmens die Verantwortlichkeit einzelnen Managern, also natürlichen Personen zuzuordnen. Unternehmen unterliegen als juristische Personen jedoch nicht dem Strafrecht in dem Sinne, dass gegen sie Strafen (im Unterschied zu Bußgeldern) verhängt werden und sie Beschuldigte oder Angeklagte eines Strafverfahrens sein können. Deswegen laufen viele Vorwürfe gegen große Unternehmen juristisch ins Leere. Beispielsweise hat die Mitwirkung der Banken bei der Steuerhinterziehung in Europa nicht zu den notwendigen Konsequenzen für diese Unternehmen geführt. Deshalb sollten Unternehmen selbst in das Zentrum der Strafverfolgung gerückt und ein Unternehmensstrafrecht eingeführt werden. Unabhängig davon gibt es die Möglichkeit, die die britische Parliamentary Commission on Banking Standards in die Diskussion gebracht hat:10 Die Unternehmen müssen für sensible Bereiche Verantwortliche benennen. Im Fall von Fehlverhalten sind diese Personen dann auch haftbar und können sich nicht dahinter zurückziehen, dass ihnen persönlich kein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann.
Gerade die globalisierten Finanzmärkte bieten mafiösen Organisationen beste Voraussetzungen, ihre Gewinne aus illegalen Geschäften zu waschen. 21 Billionen Euro liegen nach Schätzungen des Tax Justice Network11 – eines Zusammenschlusses von engagierten Ökonomen, Steuer- und Finanzexperten, Buchhaltern, Rechtsanwälten und Professoren – in Steueroasen, ein großer Teil davon aus Mexiko und anderen Herkunftsländern von Mafiaorganisationen. Derivate eignen sich noch besser als das traditionelle Spielkasino, um die wahre Herkunft von Geldern zu verschleiern.12 In beiden Fällen wird das Spielergebnis so gedreht, dass der gewünschte Finanztransfer stattfindet. Aber natürlich macht das bei Finanzprodukten einen viel seriöseren Eindruck als beim Kasino. Die Summen sind, ohne dass es auffallen würde, wesentlich höher. Und außerdem kann das über internationale Finanzmärkte wesentlich leichter grenzüberschreitend organisiert werden als bei persönlichen Treffen in Kasinos. So bieten die internationalen Finanzmärkte in ihrer heutigen intransparenten Form eine ideale Spielwiese für Kriminelle.
Das gilt auch in ganz umfassender Weise. Wenn Eigentumsverhältnisse nicht klar zuordenbar sind, sind Unternehmen nicht kontrollierbar. Ich meine: Es darf keine anonymen Unternehmen mehr geben, bei denen die Eigentümer nicht bekannt sind. Denn das hebelt das Haftungsprinzip aus, ohne das eine Marktwirtschaft nicht funktionieren kann. Fehlverhalten, insbesondere Steuervermeidung und Geldwäsche, ist auch deshalb so einfach, weil es heutzutage möglich ist, gesichtslose Stiftungen, Investmentgesellschaften oder Briefkastenfirmen zu gründen. Die Möglichkeit, die eigentliche Eigentümerin einer solchen Konstruktion zu identifizieren, tendiert insbesondere in Steueroasen gegen null. Das Kernprinzip »Diskretion ja, Anonymität nein« müssen kooperationswillige gegenüber nicht kooperativen Ländern durchsetzen.
Eines dieser nicht kooperativen Länder ist ausgerechnet Deutschland. Unsere Bundesregierung blockiert die Einrichtung eines europaweiten Unternehmensregisters, bei dem jeweils die »wirtschaftlich Berechtigten« genannt werden müssen.13 Mit einem solchen Register könnte die Anonymität von Unternehmen durchbrochen und das Haftungsprinzip wieder durchgesetzt werden. Ähnlich sieht es in den USA aus, wo insbesondere die Steueroase Delaware über anonyme Unternehmensstrukturen funktioniert.14 Der Unternehmer Raymond Baker, treibende Kraft hinter dem Washingtoner Think Tank Global Financial Integrity, nennt diese Strukturen, die schmutzige Geschäfte ermöglichen, deren sich aber auch globale Unternehmen immer wieder bedienen, zu Recht die Achillesferse des Kapitalismus.15
Ökonomen aus drei europäischen Forschungsinstituten haben in einer Studie16 für die EU-Kommission die volkswirtschaftlichen Verluste quantifiziert, die Kartelle in Europa anrichten. Jedes Jahr, so ihr Ergebnis, entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden von mehr als 260 Milliarden Euro. Die Marktmanipulation betrifft dabei unterschiedlichste Märkte: Kaffee und Spülmittel, Zement und Chemikalien, Flachbildschirme und DVD-Spieler, Glas und Kabelbäume für Autos, ja sogar Feuerwehrfahrzeuge und Nordseekrabben. Woher kommt dieser Schaden? Nun, die Verbraucher zahlen höhere Preise als eigentlich nötig für die Endprodukte, weil in diesen Märkten der Wettbewerb nicht wirklich funktioniert. Ich kann Harald Schumann nur zustimmen, der empört feststellt: »Obwohl die Kartellanten enorme Schäden verursachen, werden sie nur bestraft wie Verkehrssünder. Ihre Taten sind lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Folglich muss sich keiner der Täter persönlich vor Gericht verantworten. In der Regel erfährt die Öffentlichkeit nicht einmal ihre Namen.«17
Zwar werden bei Kartellen Bußgelder erhoben. Aber diese sind so gering, dass es sich letztlich lohnt, das Risiko einzugehen, entdeckt zu werden. Während die Kundinnen und Kunden durch das 2002 aufgedeckte bundesweite Zementkartell um rund zwei Milliarden Euro geprellt wurden, zahlten die beteiligten Unternehmen am Ende nur 400 Millionen Euro Strafe. Selbst nach Aufdeckung und Bestrafung blieb für die beteiligten Unternehmen ein zusätzlicher Gewinn von 1,6 Milliarden Euro. Nicht gerade abschreckend für Nachahmer! Auch wenn inzwischen die Kartellstrafen deutlich angehoben wurden auf 10 Prozent des Konzernumsatzes, bleibt doch die Frage, warum die zu Unrecht erwirtschafteten Gewinne nicht vollständig eingezogen werden. Mir zumindest leuchtet es jedenfalls nicht ein, dass die Abschreckung nur gegenüber natürlichen Personen als Zweck staatlichen Strafens zur Geltung kommt und bei der Sanktionierung von Wirtschaftsunternehmen kaum eine Rolle spielt. Für Unternehmen, wo Kosten und Nutzen sehr nüchtern abgewogen werden, stellen Bußgelder ein kalkulierbares Risiko dar, so dass sie keine starke Präventivwirkung entfalten.
In den letzten Jahrzehnten ist ein Netz bilateraler Investitionsschutzabkommen entstanden. Die Grundidee, dass ausländische Investoren Rechtssicherheit genießen sollen, ist dabei nicht falsch. Allerdings sind die meisten Abkommen so formuliert, dass sie es Staaten schwer machen, Umwelt- und Sozialstandards gegen globale Unternehmen durchzusetzen. Allein schon die Androhung von Klagen reicht häufig, um die Staaten in die Defensive zu bringen und Regulierungsvorschläge vom Tisch zu wischen, weil die nationalen Regierungen Angst vor Schadenersatzpflichten haben. Das hängt auch damit zusammen, dass die Streitschlichtungsmechanismen intransparent sind und gerade kleine Länder gegen die juristische Expertise globaler Unternehmen wenig Chancen haben.18
Traditionell hat Deutschland diese Abkommen eher aus der Sicht deutscher Unternehmen verhandelt, die im Ausland investieren. Allerdings hat Vattenfalls Reaktion auf den Atomausstieg gezeigt, dass auch Industriestaaten nicht vor Schadenersatzzahlungen sicher sein können, wenn sie Umweltgesetze ändern wollen: Der Atomkonzern klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland. So verändern die Abkommen das Kräfteverhältnis zu Lasten der Staaten.
Dringend nötig ist ein multilaterales Regelwerk mit einem öffentlich kontrollierten internationalen Schiedsgericht, das nicht nur die Rechte der Investoren gegenüber den Staaten festschreibt, sondern auch umgekehrt Pflichten der Unternehmen bei der Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards sowie ethischer Normen wie etwa in Bezug auf Korruption. Die Machtbalance zwischen globalen Unternehmen und Staaten muss hier dringend korrigiert werden.19
Der Markt, so die Theorie, wird schon dafür sorgen, dass die im Sinne der Kundinnen und Kunden besten Anbieter sich durchsetzen. Aber die Realität sieht anders aus. Deshalb muss die Wirtschaftspolitik die Märkte wieder so ausrichten, dass Unternehmen nur dann Erfolg haben, wenn sie gute Leistungen für ihre Kundinnen und Kunden erbringen. Heute fehlt selbst dort, wo das eindeutig nicht der Fall ist, ein klares Gegensteuern des Staates. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der Staat auf der falschen Seite steht. In vielen Bereichen muss im Kundeninteresse korrigiert werden. Ich will mich hier auf ein paar Beispiele beschränken.
Besonders krass ist die mangelnde Kundenorientierung wieder an den Finanzmärkten. Hier ist ein deutliches Umsteuern nötig. Wenn problematische Finanzprodukte aus dem Verkehr gezogen werden, bringt das nämlich nicht nur mehr Sicherheit für Kundinnen und Kunden, sondern auch für das Finanzsystem!
Ich meine: Wenn der Staat die Menschen auffordert, für ihr Alter privat vorzusorgen, dann muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Gelder der Sparerinnen und Sparer nicht durch ungeeignete Finanzprodukte verloren gehen. Doch es gibt noch nicht einmal eine klare behördliche Zuständigkeit, mit der sich durchsetzen ließe, dass die den Verbraucher schützenden gesetzlichen Regelungen auch eingehalten werden. Bis heute gibt es in Deutschland keine rechtliche Grundlage dafür, dass die Finanzaufsicht mit verdeckten Testkäufen überprüft, ob die Banken und andere Finanzdienstleister nicht gegen diese Regelungen verstoßen. Und wenn sie es tun und dabei wider Erwarten erwischt werden, sind die Bußgelder so gering, dass die betroffenen Unternehmen das aus der Portokasse zahlen können.
Bleiben die Gerichte. Denkt man. Aber aufgrund des derzeitigen Anlegerschutzrechts können sich Geschädigte gegen Rechtsverletzungen nur selten wehren. Aus unterschiedlichsten Gründen – darunter das Risiko enorm hoher Prozesskosten, abgelaufene Verjährungsfristen oder schlicht und einfach die schwierige Beweisführung hinsichtlich eines Beratungsfehlers – sehen viele von individueller Rechtsdurchsetzung ab. Die Rechtsanwälte Gerhart Baum, Julius Reiter und Olaf Methner haben das in ihrem Buch Abkassiert sehr anschaulich beschrieben.20 Die Rechtsordnung schwächt den Kunden und stärkt den Anbieter – das Gegenteil von guter Ordnungspolitik.
Ich bedauere besonders, dass bis heute eine gesetzliche Beweislasterleichterung für Anleger bei Schadenersatzklagen politisch nicht durchsetzbar war. Wenn eine Anlegerin einen Schaden aufgrund einer Falschberatung erlitten hat, dann sollte nicht sie den Beratungsfehler nachzuweisen haben, sondern die Finanzberaterin sollte beweisen müssen, dass sie pflichtgemäß beraten hat.
Anleger haben nach wie vor auch keine Möglichkeit, ihre Ansprüche auf Schadenersatz einfach und in gebündelter Form durch Sammelklagen effizient durchzusetzen. Das ist insbesondere dort nötig, wo der Schaden für den Einzelnen nicht besonders hoch ist, insgesamt aber für viele Kundinnen und Kunden ein sehr großer Schaden entstanden ist. Selbst das (mittlerweile novellierte) Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ändert nichts an den bestehenden Zugangsschranken zum Recht, indem es für die Anspruchsbündelung die Erhebung normaler Klagen voraussetzt.21
Der Normalfall in der Anlageberatung ist die Provisionsberatung. Das heißt, die Kosten für die Beratung sind irgendwie in den Produkten verrechnet, die verkauft werden. Das Interesse der Berater beziehungsweise der Bank oder Sparkasse, bei denen sie angestellt sind, ist also, möglichst viele Finanzprodukte zu verkaufen oder möglichst häufig bestehende Finanzanlagen umzuschichten, um die eigenen Einnahmen zu steigern. Dieser bisher allgemein üblichen Finanzberatung auf Provisionsbasis liegen klare Interessenkonflikte zugrunde. Das Kundeninteresse muss zwangsläufig mit dem Umsatzinteresse kollidieren. Provisionen und andere Zuwendungen können eine Falschberatung sogar aktiv fördern. Das haben inzwischen viele ehemalige Berater auch zugegeben.22
Das Mindeste ist deshalb, dass die Provisionen beim Kauf aller Geldanlage- und Versicherungsprodukte offengelegt und transparent werden müssen. Einer Kundin sollten ungefragt sämtliche Provisionen auf Euro und Cent mitgeteilt werden. Nur so kann sie die Interessenlage hinter einer Produktempfehlung erkennen. Das versteht sich eigentlich nicht nur von selbst, sondern würde zudem mit der weit verbreiteten Mär aufräumen, dass die provisionsbasierte Finanzberatung kostenlos ist. Außerdem sollten die Kosten der Beratung separat abgerechnet werden und nicht zusammen mit dem Produkt, damit sie auch wirklich wahrgenommen werden können. Und schließlich wäre die Höhe dieser Provisionen auf ein angemessenes Maß zu stutzen. In diesen Fragen sind andere Länder übrigens einen Schritt weiter gegangen und haben die Zahlung von Provisionen durch Produktanbieter an Finanzberater grundsätzlich verboten. So dürfen beispielsweise in Großbritannien seit 2013 Verträge für Versicherungs- und Investmentprodukte allein durch eine unabhängige Beratung zustande kommen.23
Ich meine, es ist eine staatliche Aufgabe, einen Markt für gute Beratung zu etablieren. Das wird nur dann funktionieren, wenn eine Beratung, von der der Kunde profitiert, auch etwas kostet und der Preis dafür auf Anhieb deutlich wird. Wenn die Beraterin für ihre Tätigkeit direkt vom Kunden bezahlt wird, entfallen für sie die Anreize, die schönsten Versprechungen zu verkaufen, stattdessen wird sie die solidesten Anlagen offerieren. Viele windige Finanzprodukte hätten bei so einer Beratung überhaupt keine Chance am Markt. Deutsche-Bank-Chef Kopper – Sie erinnern sich – hätte dann nicht nur selbst keine Zertifikate gekauft. Auch den Kundinnen und Kunden seines Geldhauses wäre in der Beratung nur das empfohlen worden, was die Experten für sich selbst ins Depot genommen hätten. Eigentlich doch eine sehr einfache Regel: Wenn die Bankerin das, was sie bei entsprechender ökonomischer Situation für sich selbst richtig findet, auch den Kundinnen und Kunden empfiehlt, ist der Beratungsmarkt stimmig. Übrigens gilt das Gleiche auch beim Markt für Hühnchenfleisch: Wenn der Bauer wieder das auch selbst isst, was er uns verkauft, dann sind wir schon ein gutes Stück weiter.
Finanzmärkte sind anders als andere Märkte, instabiler. Wichtig sind daher antizyklische Maßnahmen, die dann bremsen, wenn sie stark wachsen, und dann die Leine lockerer lassen, wenn sie das nicht tun. Entscheidend aber ist, wie groß, wie vernetzt und wie schnell diese Märkte sind. Und genau an diesen Schrauben müssen wir drehen, wenn wir die schädlichen Einflüsse einer unkontrollierbaren Finanzmarktmacht zurückdrängen wollen.
Aber ist denn nicht schon sehr viel reguliert worden? Stimmt, viele Gesetze wurden geändert. Die letzten Jahre im Finanzausschuss waren richtig stressig. Ein Finanzmarktgesetz jagte das andere. Wenn wir um die reine Menge an Gesetzgebung zu konkurrieren hätten, dann müssten wir den Preis der fleißigsten Parlamentarierinnen und Parlamentarier bekommen. Und immer ging es um eine angeblich bessere Regulierung. Eigentlich müsste dann doch alles auf dem besten Wege sein. Ist es aber nicht. Denn häufig folgten die Regulierungen noch der alten Logik, die Finanzmärkte zu optimieren, sie von Restriktionen zu befreien, sie sich entfalten zu lassen. Nur an wenigen Stellen ging es bisher darum, sie auch wieder stärker aufzuteilen, sie kleiner und langsamer zu machen. Das steht noch aus.
Noch immer sind die Finanzmärkte aufgebläht im Verhältnis zur Realwirtschaft. Inzwischen ist klar: Wenn sie zu groß werden, schadet das der Wirtschaft insgesamt. Selbst ein Forschungspapier des Internationalen Währungsfonds,24 lange Fürsprecher deregulierter Finanzmärkte, beantwortet die selbst gestellte Frage, ob es Too Much Finance geben kann, mit Ja: Ja, ab einer bestimmten Größe ist der Finanzsektor zu groß! Und diese Größe haben wir in den westlichen Industriestaaten längst überschritten.
Noch immer sind die Finanzmärkte wahnsinnig komplex. Teilweise hat die Regulierung riskante Aktivitäten in das 67 Billionen US-Dollar große Schattenbanksystem25 verlagert, statt mit einer umfassenden Regulierung das systemische Risiko zu reduzieren. Noch immer können die Finanzmärkte gefährliche Dynamiken auslösen, ein Auf und Ab, das nicht durch realwirtschaftliche Veränderungen erklärbar ist, sondern nur durch ein Überschießen spekulativer Tendenzen. Zu Recht mahnt der Wirtschaftsjournalist Thomas Fricke, das System nicht nur zu optimieren, sondern den grundlegend destabilisierenden und damit Volkswirtschaften immer wieder gefährlich unter Druck setzenden Charakter entfesselter Finanzmärkte zu korrigieren: »Im Grunde steckt hinter den meisten bisher [im politischen Raum] genannten Reformideen noch der feste alte Glaube, dass es bei hinreichend guter Information und Transparenz doch einen objektiv richtigen Preis für jedweden Finanzwert gäbe – und dass dann auch jene heilsamen Spekulanten […] auftauchen würden, die stabilisierend wirken und alle Kurskapriolen schnell wieder korrigieren.«26
Die Machtfrage zwischen den Finanzmärkten und dem Rest der Gesellschaft einschließlich der Realwirtschaft ist also nach wie vor ungelöst. Wir müssen sie für uns als Gesellschaft entscheiden. Finanzmarktrisiken fallen nicht vom Himmel, sondern sind Folge gesellschaftlicher Entscheidungen.27
Was ist zu tun? Ich will einige wenige Punkte nennen, die auch für Nicht-Fachleute nachvollziehbar sind.
Die Schulden bzw. Geldvermögen sind im Verhältnis zur Realwirtschaft immer noch zu groß. Ja, die gesamtwirtschaftliche Verschuldung in den 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt ist heute höher (!) als 2007.28 Die Finanzmärkte sind also nach wie vor instabil und gefährlich, erneute heftige Verwerfungen sehr wahrscheinlich. Denn den finanziellen Versprechungen steht keine ausreichende wirtschaftliche Leistung gegenüber. Damit handelt es sich bei einem großen Teil der Reichtümer, wie bereits ausgeführt, um Scheinvermögen. Es ist daher selbst im Sinne der Gläubiger, lieber jetzt Forderungen zu reduzieren, als in einem chaotischen Crash wesentlich mehr zu verlieren. Interessanterweise wird diese Forderung auch von Daniel Stelter, Partner bei der Boston Consulting Group, erhoben, der in seinem Buch Die Billionen-Schuldenbombe einen Schuldenabbau über eine Vermögensabgabe vorschlägt.29 Ja, und das unterstützen selbst Betroffene: Die »Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe« ist ein Zusammenschluss von reichen Privatpersonen, die sich dafür aussprechen, Vermögen wieder stärker zu besteuern und damit öffentliche Schulden zu tilgen. Das entspricht genau einem Vorschlag von uns Grünen: Wir fordern eine einmalige Vermögensabgabe, die sich am Lastenausgleich von 1952 orientiert und hohe Privatvermögen zum Abbau der Lasten der Finanzkrise heranziehen soll.30
Ein solcher Abbau von Staatsschulden muss schrittweise geschehen, da wir sonst das System innerhalb weniger Monate an die Wand fahren – ein Experiment, das die Amerikaner in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 versucht haben und das nicht nachahmenswert ist. Denn es führte in Massenarbeitslosigkeit, bis Präsident Roosevelt mit dem New Deal das Ruder herumriss.
Doch es geht beim Abbau der hohen Schuldenfinanzierung unserer Wirtschaft gerade nicht nur um die öffentlichen Schulden, sondern auch die von Privathaushalten und Unternehmen. Ausschlaggebend ist die Reduzierung des Schuldenhebels in der Bankenbranche. Mit fremdem Geld zu spielen ist verlockend, deswegen tun es auch alle Banken – je größer, desto exzessiver. Das eigene Geld bei diesem Spiel zu verlieren macht vorsichtig, deswegen sollten wir dafür sorgen, dass die Banken wieder mehr eigenes Geld einsetzen müssen.
Eine Schuldenbremse erreicht genau das. Sie schreibt vor, bis zu welcher Höhe sich eine Bank verschulden darf. Heute etwa balanciert die Deutsche Bank eine Bilanzsumme von 2164 Milliarden Euro auf einem Eigenkapital von 53,4 Milliarden Euro – eine Pyramide steht Kopf. Sie hat vierzigmal mehr Schulden als eigenes Geld. Deutsche Banken finanzieren im Durchschnitt nur deutlich unter 4 Prozent ihrer Aktivitäten mit eigenem Kapital.31 Der wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium schlägt vor, dass die Banken Eigenkapital in Höhe von mindestens 10 Prozent ihrer Bilanzsumme einsetzen sollen.32 Das halte ich für richtig. Wissenschaftler wie beispielsweise Anat Admati und Martin Hellwig33 gehen sogar weiter und fragen, warum ausgerechnet der Bankensektor eine so viel geringere Eigenkapitalquote hat als andere Sektoren, in denen eine Firma unter 20 Prozent Eigenkapital wohl kaum an einen Kredit kommt. Folgt man dieser Überlegung, ist es richtig, die Schuldenbremse nach und nach so weit anzuheben, bis die Banken in dieser Hinsicht keine Ausnahme mehr sind. Damit werden dann keine 25 Prozent Rendite und Millionenboni für Investmentbanker mehr zu machen sein, aber es drohen auch weniger Risiken für uns alle.
Entsprechende Maßnahmen gegen zu hohe Schuldenfinanzierung bzw. zu geringe Eigenkapitalquoten sind auch bei Fonds und Versicherungen erforderlich.
Hinzukommen muss die Korrektur des großen Fehlers in unserem Steuerrecht, dass fremdes Kapital steuerlich gegenüber Eigenkapital bevorzugt wird. Konkret: Die Abgeltungsteuer muss wieder zugunsten eines Systems abgeschafft werden, in dem Finanzierungsneutralität herrscht, also Eigenkapital und Fremdkapital steuerlich gleich stark belastet werden.
Die Schuldenblase, die zur Finanzkrise geführt hat, entstand vor allem durch Kredite im Immobilien- und Finanzsektor. Richtig ist es deshalb, aufsichtlich stärker zwischen investiven und spekulativen Krediten zu unterscheiden. Geht das? Ja. Das war früher durchaus üblich.34 Gemeint ist nicht, dass die Aufsicht in jede einzelne Kreditentscheidung eingreift, sondern ein differenzierter Aufsichtsansatz, der danach unterscheidet, welcher Anteil der Kredite der Banken für den Kauf von Aktien und Häusern oder für eine unternehmerische Investition verwendet wird.
Dazu gehört auch, dass die Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden sich künftig nicht mehr nur auf einen Teil der Inflation konzentrieren, nämlich die Preissteigerungen bei Gütern, sondern auch die bei den Vermögenspreisen in den Blick nehmen. Das haben sie in der Vergangenheit nicht getan und so die Entstehung der großen Finanzblase übersehen. Die Notenbanken und Aufseher müssen Wege finden, beide Aspekte, Güterpreisentwicklung und Vermögenspreisentwicklung, unabhängig voneinander zu steuern. Beispielsweise könnten doch die Eigenkapitalanforderungen für Kredite in solchen Märkten, die in Gefahr sind, eine Blase zu bilden, deutlich angehoben werden. Das würde die Kreditvergabe und damit das weitere Wachstum der Blase bremsen.
Wir brauchen eine stabile Relation zwischen Finanz- und Realwirtschaft so wie in den 1950er bis 1970er Jahren, in der Zeit des boring banking, des langweiligen Bankwesens. In der galt, einer Anekdote zufolge, die 3 : 6 : 3-Regel: morgens Geld für 3 Prozent Zinsen aufnehmen, mittags für 6 Prozent verleihen, um gegen 3 Uhr nachmittags auf dem Golfplatz zu sein. Die zwei zentralen Aufgaben des Finanzsektors – Sparmöglichkeiten schaffen und Kreditfinanzierung ermöglichen – werden so erfüllt und Bankenkrisen werden wesentlich unwahrscheinlicher. Tatsächlich gab es, so zeigte ein renommiertes Forscherteam, in der langweiligen Zeit zwischen 1945 und 1971 keine einzige nennenswerte Bankenkrise!35 Es ist deswegen schwierig, zu argumentieren, dass die Wirtschaft ohne viele der neuen, komplexen Finanzprodukte nicht funktionieren könnte. Sie hat damals zumindest ohne Krisen funktioniert und sogar ein (realwirtschaftliches) Wirtschaftswunder hinbekommen.
Am besten erklärt diesen Aspekt Andrew Haldane, der Exekutivdirektor für Finanzstabilität der britischen Notenbank. Ich will ihn deshalb ausführlicher zitieren:
»Eine Frisbeescheibe zu fangen ist schwierig. Das erfolgreich zu tun, verlangt vom Fänger, eine komplexe Reihe von physikalischen und atmosphärischen Faktoren abzuwägen, darunter Windgeschwindigkeit und Frisbeedrehung. Würde ein Physiker Frisbeefangen als ein Problem optimaler Steuerung aufschreiben, müsste er Newtons Gesetz der Schwerkraft verstehen und anwenden. Doch trotz dieser Komplexität ist das Fangen eines Frisbees bemerkenswert gewöhnlich. Einfachste Empirie zeigt, dass dies keine Tätigkeit ist, die nur von Menschen mit einem Doktor in Physik durchgeführt wird. Es ist eine Aufgabe, die ein durchschnittlicher Hund meistern kann. In der Tat sind einige, zum Beispiel Border Collies, besser im Frisbeefangen als Menschen. Doch was ist das hündische Geheimnis des Erfolgs? Die Antwort ist, wie in vielen anderen Bereichen der komplexen Entscheidungsfindung, einfach. Oder besser gesagt: Die Antwort ist, es einfach zu halten. […]
Das moderne Finanzwesen ist komplex, vielleicht zu komplex. Die Regulierung des modernen Finanzwesens ist komplex, fast sicher zu komplex. Diese Konstellation sorgt für Schwierigkeiten. Genauso, wie man nicht Feuer mit Feuer bekämpft, bekämpft man Komplexität nicht mit Komplexität. Denn Komplexität schafft Unsicherheit, nicht Risiko, es bedarf vielmehr einer regulatorischen Antwort der Einfachheit, nicht der Komplexität.«36
Haldane selbst weiß allerdings, was für einen Umbruch das bedeutet. Er schreibt weiter: »Die heutigen Regulierer zu bitten, uns vor den Krisen von morgen mit dem Werkzeugkasten von gestern zu retten, ist, wie einen Border Collie zu bitten, einen Frisbee zu fangen, indem er zunächst Newtons Gesetz der Schwerkraft anwendet.«
Wir müssen die Regulierung grundsätzlich neu erfinden. Eine Welt, in der die Gesetze bereits Tausende von Seiten lang und so komplex sind, dass sie nur noch von der Finanzindustrie und ihrer Lobby selber geschrieben werden können, und in der die einzelnen noch viel wichtigeren Detailausführungsbestimmungen Zehntausende Seiten umfassen, ist weder demokratisch, weil kein Parlamentarier allein zeitlich in der Lage ist, diese vielen Seiten nur zu lesen, geschweige denn zu kommentieren, noch ist es wirksam. Komplexe Systeme sind nicht zu kontrollieren und fördern Ausweichreaktionen, die die Welt noch komplexer machen. Deswegen sind mir einfache, aber harte Regeln wie die Schuldenbremse oder ein Trennbankensystem sympathisch.
Die Herde ist nicht nur größer und stärker, sie ist, wie beschrieben, auch schneller geworden. Das macht bremsendes Eingreifen und eine Selbststabilisierung des Systems immer schwieriger.
Wir brauchen klare Tempolimits an den Finanzmärkten. Ideen hierzu gibt es. Wenn man den Hochfrequenzhandel nicht einfach verbieten möchte, könnte man problemlos dafür sorgen, dass der Aktienhandel nicht mehr kontinuierlich abgewickelt wird. Derzeit werden alle Orders in der Reihenfolge ihres Eingangs ausgeführt. D. h., wenn eine Order eine Millisekunde vorher ankommt, hat sie Priorität. Das gilt auch für noch kürzere Abstände, so dass es sich derzeit lohnt, auf Mikrosekunden und Bruchteile davon zu optimieren. Eine entschleunigende Alternative wäre, alle Ausführungen auf einen Schlag pro Minute abzuwickeln und dabei dann alle Orders, die in dieser Minute eintreffen, gleichrangig zu behandeln.
Geschwindigkeit reduzieren ist auch bei der Fristigkeit wichtig. Wie ich in Kapitel 3 geschildert habe, sind die kurzfristigen, meist täglich fälligen Interbankenkredite in den letzten drei Jahrzehnten unglaublich explodiert. Für die einzelne Bank ist es absolut rational, sich kurzfristig zu verschulden, insbesondere, wenn sie damit rechnen kann, vom Staat gestützt zu werden. Durch diese Kurzfristigkeit entstehen aber enorme systemische Risiken, da diese Gelder bei der leisesten Nervosität zu panikartigen Fluchtbewegungen führen können.
Geschwindigkeit reduzieren können auch Kapitalverkehrskontrollen. Das Wort selbst war lange ein Pfui-Wort. Wer es aussprach, galt schon als linker Ideologe. Dabei ist die wachstumssteigernde Wirkung eines freien Kapitalverkehrs statistisch kaum belegt.37 Doch der Mythos, dass freier Kapitalverkehr durchweg von Vorteil ist, hat sich lange gehalten. Das hat sich zum Glück geändert. Inzwischen wird selbst im Internationalen Währungsfonds nüchtern über Vor- und Nachteile solcher Kontrollen diskutiert.38 Die Notwendigkeit, Kapitalströme zu kontrollieren, gilt gerade aus der Perspektive von Schwellenländern, die unter der Geldpolitik der großen Staaten leiden, solange es einen völlig freien Kapitalverkehr gibt. Denn eine eigenständige, an ihren inländischen Bedürfnissen ausgerichtete Geldpolitik ist dann unmöglich, die Schwellenländer sind den Einflüssen der Industriestaaten völlig ausgeliefert.39
Nicht nur Komplexität und Schuldenhebel haben zugenommen und müssen wieder reduziert werden. Wir haben gesehen, dass immer mehr Märkte derart miteinander verknüpft worden sind, dass ein großer vernetzter Finanzmarkt entstanden ist. Außerdem sind die Verbindungen zwischen den Finanz- und den realwirtschaftlichen Märkten enger geworden. Auch diese Entwicklung gilt es zurückzudrehen. Es geht, grob gesagt, darum, das Buch von John Authers, das die zunehmende Verknüpfung zwischen den einzelnen Teilmärkten beschreibt, rückwärts zu lesen und genau solche Verknüpfungen wieder zu lösen. Wir brauchen Schneisen durch die Finanzmärkte. Wenn alles mit allem zusammenhängt, kommt nämlich am Ende nicht ein funktionierender Markt heraus, sondern ein nicht mehr beherrschbarer Megamarkt. Begrenzen wir deshalb die Möglichkeiten, alles und jeden zu bepreisen und dann damit zu handeln!
Wir Grüne haben immer klar gesagt: Mit Essen spielt man nicht. Die Renditeansprüche der Fonds und Pensionskassen dürfen nicht mit Hunger bezahlt werden. Ich halte daher Wetten auf die Verteuerung von Nahrungsmitteln für ethisch problematisch. Agrarrohstoffe können nicht eine Anlageform wie jede andere sein. Die Märkte für Agrarrohstoffe müssen deshalb weitestgehend von anderen Segmenten der Finanzmärkte getrennt werden.
Das ist aber hier nicht mein einziger Punkt. Sondern es geht darum, dass die Märkte nicht gut funktionieren, wenn die Preise der einzelnen Güter stärker von der Entwicklung an den Finanzmärkten getrieben werden als von den realen Knappheitsverhältnissen.
Viele stimmen inzwischen zu, dass der Markt besser reguliert werden muss. Gemeint sind damit insbesondere die möglichst vollständige Übertragung des Handels, der direkt zwischen den Banken erfolgt (OTC-, also Over-the-Counter-Handel), auf geregelte Handelsplätze. Denn bisher ist das alles ziemlich intransparent. Obwohl der OTC-Handel etwa 95 Prozent des gesamten Derivatehandels ausmacht, kennen wir meist weder Preise und Mengen noch die Handelsteilnehmer und die den Termingeschäften zugrunde liegenden Vermögensgegenstände. Der Begriff dark pools bringt diese Intransparenz anonymer Märkte zum Ausdruck. Die Aufsichtsbehörden müssen genauer kontrollieren können, was auf diesen Märkten geschieht. Dazu müssen die Händler strengen Berichtspflichten unterworfen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind sogenannte Positionslimits, die begrenzen, wie viele Rohstoffderivate ein einzelner Akteur halten darf. Jonglieren zurzeit eine Handvoll Großbanken mit den Milliarden, wäre diese Konzentrationstendenz durch feste Begrenzungen schnell durchbrochen.
Die realwirtschaftlichen Akteure werden selten an diese Positionslimits heranreichen oder könnten, soweit es sich nachweisbar um die Absicherung vorhandener wirtschaftlicher Risiken handelt, davon befreit werden.40
Entscheidend ist es, mit den verschiedenen Maßnahmen insgesamt den Anteil der Finanzmarktakteure an den Märkten für physische Rohstoffe deutlich zu reduzieren, und zwar über den Agrarbereich hinaus. Denn hier geht es nicht mehr um die ethische Frage allein, so wichtig diese ist. Es geht darum, dass wir die Aufgaben klarer trennen müssen, um Märkte vor den negativen Auswirkungen der Finanzmarktinstabilität zu schützen. Um im Bild zu bleiben: Viele kleine Büffelherden, die in verschiedene Richtungen laufen, sind weniger gefährlich als eine große Herde, die in eine Richtung rennt. Die Preisbildung muss wieder die Knappheitsverhältnisse des betreffenden Gutes widerspiegeln, damit der Preis seine eigentliche Funktion bei der Koordination von Angebot und Nachfrage spielen kann. Wenn die Preise in starkem Maße durch Kapitalmarktschwankungen verursacht werden, stört das diese Funktion. Die Finanzmärkte machen dann andere Märkte kaputt.
Ein ziemlich großer Teil der Finanzmärkte ist der Devisenmarkt, also der Markt für Währungen. Auch hier ist es nicht sinnvoll, unkontrollierte Schwankungen zuzulassen. Deshalb halte ich es für richtig, Wechselkurse in einen stabilen Rahmen zu setzen. Das ist weder revolutionär noch neu, aber weiterhin von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die meisten realwirtschaftlichen Akteure haben ein Interesse an möglichst planbaren, stabilen Preisen. Sonst müssen sie sich teuer gegen Preisveränderungen absichern. Das hektische Auf und Ab an den Devisenmärkten führt zu hohen Kosten für diejenigen, die international Handel treiben wollen. Und das kommt als Gewinn an bei denjenigen, die Absicherungsgeschäfte anbieten. Diesen Transfer von der Real- zur Finanzwirtschaft kann man reduzieren. Das war ja genau die Logik hinter der Einführung des Euro, die nach wie vor ihre Berechtigung hat. Die Frage des internationalen Währungssystems gehört deshalb auf die internationale Agenda.
Dazu braucht man zunächst einmal keine Weltwährung, die den Euro und den Dollar ersetzt. Es gibt aber den alten Vorschlag einer gemeinsamen Weltwährung, die neben Euro und Dollar steht und dessen Reservewährungsfunktion übernimmt. Der Vorschlag geht auf Keynes zurück. Er hatte 1944 auf der Bretton-Woods-Konferenz ein Weltwährungssystem fester, aber anpassbarer Wechselkurse vorgeschlagen, in dessen Zentrum eine supranationale Weltreservewährung namens Bancor stehen sollte. Außerdem enthielt das Keynes’sche Währungssystem Mechanismen, die für die Länder symmetrische Anreize geschaffen hätten, ausgeglichene Zahlungsbilanzen anzustreben. Bei längerfristigen Ungleichgewichten sollten die Wechselkurse angepasst werden. Inzwischen sind weitere Vorschläge in die Diskussion gebracht worden, wie möglichst viel Stabilität in das System gebracht werden kann, indem die Anpassungen an veränderte wirtschaftliche Bedingungen in den einzelnen Ländern an möglichst geeigneten Kriterien ausgerichtet werden. Peter Bofinger etwa hat in einer Studie für die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) 2011 vorgeschlagen, die Anpassungen der Wechselkurse anhand der Zinsunterschiede festzulegen.41
Welches System fester Wechselkurse am besten ist, darüber mag man streiten. Entscheidend ist aber, über ein solches System die Devisenmärkte in ihrem Volumen wieder auf das Maß zurückzuführen, das für die Abwicklung des internationalen Handels notwendig ist. Denn dafür sind Devisenmärkte da. Die von den Märkten selbst erzeugte Unsicherheit, für die dann wieder teure Absicherungen bei Finanzmarktteilnehmern gekauft werden müssen, könnte so beseitigt werden.
Immobilienblasen haben eine große Auswirkung auf die Stabilität des Finanzsektors und auf die private Altersvorsorge eines Großteils der Bevölkerung. Deshalb sind langfristig stabile Finanzierungskonditionen, wie wir sie in Deutschland haben, so wichtig. Dort, wo es keine langjährige Zinsbindung gibt, wirken sich Änderungen bei den Zinssätzen unmittelbar auf die Kreditnehmer aus, mit starker Rückwirkung auf die gesamte Volkswirtschaft.
Instabilität schafft aber auch der Hebeleffekt: Man muss sich vergegenwärtigen, wie sich eine Zunahme der Preise um lediglich 20 Prozent auf private Vermögen auswirkt. Die allermeisten Immobilien sind zum größeren Teil fremdfinanziert und haben nur einen minimalen Eigenmittelanteil. Wenn bei einer Finanzierung mit 20 Prozent Eigenmitteln die Immobilienpreise nur um 20 Prozent steigen, hat sich das Vermögen des Besitzers verdoppelt. Angenommen, ein Haus kostet 500 000 Euro und man bringt 100 000 Euro Eigenkapital mit. Steigt der Wert dann auf 600 000 Euro, hat man nach Abzug des Kredits plötzlich 200 000 Euro übrig, also doppelt so viel wie zu Beginn. Dieser enorme Hebeleffekt geht natürlich auch in die andere Richtung, also wenn Menschen in einer Blase kaufen und sich die Preise anschließend wieder normalisieren. Ist das Haus nur noch 400 000 Euro wert, kann man damit so gerade den Kredit abbezahlen – das persönliche Vermögen aber wurde ganz vernichtet. Deswegen sind volatile Immobilienmärkte so brandgefährlich.
Die Finanzaufsichtsbehörden haben sehr wohl die Möglichkeit, so tiefgreifende regulatorische Maßnahmen zu ergreifen, dass sie das Preisniveau problemlos deutlich drücken können und so die Luft aus der Blase entweichen lassen. Sie müssen diese Macht nur nutzen, um Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten rechtzeitig auszubremsen. Beispielsweise können die Beleihungsgrenzen gesenkt und die Eigenmittelanforderungen erhöht sowie kurze Zinsbindungsfristen untersagt werden, solange die Blase anhält. Diese Maßnahmen können beliebig verschärft werden, bis die Preise auf den Immobilienmärkten sich wieder in einer vernünftigen Region einpendeln. Warum tut man das nicht, sondern lässt die Menschen in die nächste Blase laufen?
Selbst wenn die Aufsichtsbehörden nicht sofort mit neuen Regeln einsteigen wollen, könnten sie auf die Gefahren einer Blasenbildung hinweisen und Gegenmaßnahmen ankündigen. Das allein dürfte schon die Preisentwicklung dämpfen.
Vor allem aber dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht weitergeführt werden, in denen zusätzliche Möglichkeiten der Finanzinvestition in Immobilienmärkte als Verbesserung angesehen wurden. Mit den sogenannten Real Estate Investment Trusts (REITs) – einer speziellen, steuerlich begünstigten Anlageform im Immobilienbereich – wurde beispielsweise seit 2007 von der Großen Koalition Finanzinvestoren der Weg in den deutschen Immobilienmarkt geebnet. Indem Immobilienportfolios nun an die Börse gebracht werden, wird das Preisniveau am Immobilienmarkt den kurzfristigen Marktschwankungen der Börsen unterworfen. Das passt nicht zum Immobilienmarkt, bei dem es um langfristige Investitionen geht, und setzt ihn dem Risiko kurzfristiger Preisschwankungen aus.
Insgesamt würden durch die hier vorgeschlagenen Maßnahmen die Finanzmärkte im Verhältnis zur Realwirtschaft kleiner, sie würden langsamer und weniger vernetzt. Die Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte würde korrigiert.