Wer schlank werden und es dauerhaft bleiben will, muss sich all diese Zusammenhänge im Alltag immer wieder bewusst machen. Denn erst dann sind wir in der Lage, unser eigenes Essverhalten analysieren zu können – und dieses mit unserer Biografie, mit uns als Individuum und sozialem Wesen in Verbindung zu bringen. Wirklich zu erkennen, dass Essen für uns, uns ganz persönlich, mehr ist als ein simpler physiologischer Vorgang, ist wichtig für alle, die nach ihrem Wohlfühlgewicht suchen.
Eine solche Analyse steht daher auch in meiner ernährungsmedizinischen Praxis an erster Stelle der Therapie.
Männer erklären mir beispielsweise häufig, dass Kochen Frauensache sei und sie ohne Steak und Salami einfach nicht leben könnten. Nehmen wir anschließend ihre kulinarische Prägung unter die Lupe, unter Beachtung der sozialen Funktionen von Nahrung, wird den meisten sehr schnell klar: Derartige Gewohnheiten in Sachen Essverhalten dienen vor allem der eigenen Identitätsbildung, der Vorstellung von sich selbst als »echtem Kerl« beispielsweise.
Schließlich gilt es bis heute als typisch männlich, sich ein 300-Gramm-Steak mit einer Riesenportion Pommes einzuverleiben – während Frauen eher das Gemüse wählen.
Ähnlich aufschlussreich sind innere Haltungen, die sich hinter Sätzen wie diesen verstecken: »Zum Kaffee gehört für mich ein Stück Kuchen« oder »Ein Frühstück ohne Brötchen? Das ist doch kein Leben!«
Sie lassen sich rasch enttarnen als das, was sie sind: Routinen, die unveränderlich wirken, aber durchaus veränderbar sind. Und auch verändert werden sollten.
Die folgenden drei Schritte garantieren Ihnen einen gelungenen Start bei der Suche nach einem gesunden Mix an Gewohnheiten:
Die erste Etappe auf dem Weg zu einer gelungenen Selbstanalyse: Fahnden Sie nach kulinarischen Vorlieben und Essensmustern, die sich mit Sätzen wie »Das war halt schon immer so« oder »Bei uns in der Familie machen das alle« beschreiben lassen. Suchen Sie in Ihrem Ernährungsalltag anschließend gedanklich nach typischen Situationen, in denen Ihnen Nahrung hilft, mit Gefühlen umzugehen. Und prüfen Sie dann, welche Gewohnheiten weniger dazu dienen, Sie mit Nährstoffen zu versorgen, als vielmehr Ihre Rolle, Ihre Identität, Ihren Status zu stärken und nach außen zu demonstrieren.
Richten Sie nun den Fokus auf Ihre Kindheit, um auf diese Weise der epigenetischen Prägung auf die Spur zu kommen. Folgende Fragen helfen Ihnen dabei:
Haben sich Mutter oder Vater fett- und zuckerreich ernährt?
Spielte Bewegung kaum eine Rolle im Leben Ihrer Eltern?
War dies schon der Fall, als Ihre Mutter mit Ihnen schwanger war?
Leiden Ihre Eltern an Übergewicht, vielleicht sogar an Stoffwechselstörungen?
Wenn ja, sind diese Probleme schon in jungen Jahren aufgetreten?
Wurde in Ihrer Kindheit daheim üppig bis üppigst gekocht?
Je mehr Fragen Sie mit Ja beantworten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre epigenetische Prägung nicht unbedingt die günstigste ist. Und dass Sie damit ein grundsätzlich erhöhtes Risiko für Übergewicht und die damit einhergehenden Folgekrankheiten haben. Dies ist keine angenehme Erkenntnis, allerdings hat sie auch ein entlastendes Moment. Denn eine solche Vorbelastung erklärt ein Rätsel, das viele Menschen mit zu vielen Kilos auf den Rippen umtreibt: warum sie selbst so schnell zulegen, während andere scheinbar alles essen können, ohne auf der Waage die Rechnung zu bekommen.
Ein Zuviel an tierischem Fett und Eiweiß speichert unser Körper bevorzugt in der Körpermitte.
Ist all das erledigt, haben Sie sehr wahrscheinlich einen guten Überblick, welche Funktionen einige Lebensmittel und Essensrituale für Sie im Alltag haben. Diese Erkenntnisse können Sie nutzen, um die entsprechenden ungünstigen Gewohnheiten anschließend mit kleinen Schritten so zu verändern, dass Sie sich nicht mehr jeden Tag aufs Neue unbewusst selbst sabotieren beim Versuch, abzunehmen und schlank zu bleiben (wie das gelingt, erkläre ich ab >).
Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg eines solchen Vorhabens ist eine ausreichend große Motivation. Um diese zu gewinnen, bitte ich die Patienten in meiner Praxis nach der Selbstanalyse, sich gedanklich einmal aus der Gegenwart zu lösen und in die Zukunft zu beamen.
Die »echten Kerle« etwa frage ich dann gern, ob es auch typisch männlich sei, in wenigen Jahren mit einem riesigen Schmerbauch durchs Leben zu gehen und – mit zunehmendem Alter – immer stärker zu humpeln?
Denn zu beidem führt ein exzessiver Fleischkonsum zuverlässig. Und bestimmte Stoffe wie Arachidonsäure, die insbesondere in Schweinefleisch steckt, befeuern chronische Entzündungsreaktionen, die auf lange Sicht zu schmerzhafter Arthritis führen können – und bei entsprechender Anlage autoimmune Prozesse entflammen, die beispielsweise Rheuma auslösen – vom erhöhten Darmkrebsrisiko einmal ganz abgesehen.
Auch für die sogenannten »Stressesser« unter meinen Patienten habe ich die immer gleiche Frage parat. Diese arbeiten meist sehr viel, kümmern sich um sämtliche Belange der Familie – und kompensieren Überforderung und fehlende Entspannung mit jeder Menge Zwischendurch-Snacks. Häufig sagen mir diese Patienten, dass sie den Stress natürlich gern reduzieren würden, es aber schlicht nicht könnten. Weil sie ja Geld verdienen müssten – und die Kinder nun mal dieses oder jenes Hobby hätten, weshalb sie hierhin und dorthin gefahren werden müssten. »Werden Sie das auch noch so sehen, wenn Sie in zehn Jahren Diabetes haben und später vielleicht sogar erblinden?«, frage ich dann meist. »Werden Ihre Kinder sagen: ›Mama, unser Fußballtraining, der Klavierunterricht und die Übernachtungsbesuche bei Freunden waren diesen Einsatz wert‹?«
Nach diesem eher pessimistischen Ausblick bitte ich meine Patienten stets, ein positives Gegenbild zu entwerfen: »Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie ungünstige Essgewohnheiten Stück für Stück verändern könnten? Wenn Sie abnehmen würden – und das neue Gewicht halten? Was würden Sie dann können, das jetzt unmöglich scheint? Wie würden Sie sich selbst sehen und wie von anderen wahrgenommen werden?« Sich die angenehmen Konsequenzen einmal genau vorzustellen, die ein angepasstes Essverhalten nach sich ziehen würde, lässt die meisten meiner Patienten ausreichend Motivation finden, um eine Ernährungsanpassung wirklich anzugehen. Daher empfehle ich auch Ihnen dringend, sich die Zukunft einmal rosig zu malen.