Venedig entsteht, wird byzantinisch und setzt auf den Seehandel
An Weihnachten des Jahres 800 wurde der Frankenkönig Karl der Große durch Papst Leo III. in Rom zum Römischen Kaiser gekrönt, womit dem Byzantinischen Kaiserreich ein mächtiger Widersacher vorgesetzt wurde, der die Gunst des Papstes vor allem deshalb genoss, weil er dem italienischen Langobardenreich endgültig ein Ende gemacht hatte. Zwischen Byzanz und dem neuen Römischen Kaiser bahnte sich ein heftiger Konflikt an, der jedoch nicht zum Krieg, sondern 812 zum Frieden von Aachen führte: Um die Anerkennung seiner Kaiserwürde von Byzanz zu erreichen, hatte Karl in dem Aachener Friedensvertrag auf die östlichen Adriagebiete verzichtet, und damit auch auf die Laguna veneta, die somit vertraglich zum Byzantinischen Reich gehörte und die in der Folgezeit stark davon profitieren sollte.
Ein maurischer Händler,
in Stein verewigt
Kurz vorher war an der Adria jedoch einiges passiert - und zwar nichts Geringeres als die eigentliche Gründung Venedigs: Gemäß der fränkischen Praxis der Herrschaftsteilung hatte Karl der Große 806 seinem Sohn Pippin die neuen italienischen Erwerbungen, darunter Venetien, zugesprochen. 809 führte dieser Pippin einen Unterwerfungsfeldzug gegen die Laguneninseln, die zwischen pro- und antifränkischer Parteinahme schwankten. Malamocco, der damalige Sitz des Dogen, wurde kurzerhand erobert, ebenso wie eine Reihe anderer Laguneninseln. In ihrer Not zogen sich die Bewohner tief in die Lagune zurück, und zwar auf die Inselgruppe des Rivus Altus (Rialto), auf der bis dahin keine nennenswerte Besiedlung Fuß gefasst hatte. Pippin setzte den Flüchtenden nach, wobei er einen Großteil seines Kriegsgeräts durch Strömungen und morastige Untiefen einbüßte, was letztlich zum Abbruch der Verfolgung führte. - Das Lagunenvolk feierte seinen ersten großen militärischen Erfolg, und die Rialto-Inseln wurden zur Keimzelle einer schnell wachsenden Lagunenstadt, die sich zunächst Civitas Rivoalti und ab 1143 Civitas Venetiarum nannte.
Angelo Partecipazio war bereits der elfte Doge der Lagunengemeinschaft (810-827), aber der erste, der seinen Amtssitz auf dem Rialto hatte.
Das neue Siedlungszentrum erstreckte sich schließlich auf 118 kleine Inseln, die mit senkrecht in den Boden getriebenen Baumstämmen befestigt und verbunden werden mussten. Die Anzahl der benötigten Bäume ging ins Unermessliche. Ganze Wälder auf der gegenüberliegenden istrischen Halbinsel wurden dafür abgeholzt. Auch wenn man sich heute kein genaues Bild von der Stadtanlage des 9. Jh. mehr machen kann, so wurden doch schon zu dieser Zeit wesentliche Merkmale der Stadtstruktur geschaffen: Die Planung orientierte sich weitgehend an den natürlichen Gegebenheiten, und zwar in erster Linie am Verlauf des Rivus Altus (lat. „tiefer Fluss“), wobei es sich um einen in die Lagune mündenden Arm des Flusses Brenta handelte, den späteren Canal Grande. Dieses Flussbett mit der markanten Form eines spiegelverkehrten S drückte der Stadtanlage von Anfang an einen unverwechselbaren Stempel auf.
Porta dell’Arsenale - der Eingang zur verbotenen Stadt
Und an der Mündung des Canal Grande, dem meerseitigen Entree der Stadt, wurde bereits im 9. Jh. mit der Errichtung der beiden herausragendsten Bauwerke Venedigs begonnen - dem Dogenpalast und der Markuskirche. Parallel zum Aufbau der Lagunenstadt weiteten die Venezianer ihre Seehandelsaktivitäten aus. Wobei ihnen, abgesehen vom Bau eigener Handelsschiffe, vor allem die guten Beziehungen zum fernen Byzanz hilfreich waren. Während das restliche Italien kaum Handelsbeziehungen im östlichen Mittelmeerraum knüpfen konnte, öffnete Byzanz den verbündeten Venezianern sämtliche Häfen und Handelswege des Ostens. Luxusgüter wie Seide, Duftstoffe und Gewürze waren es in erster Linie, die die geschäftstüchtigen venezianischen Kaufleute in ihre Heimatstadt und von dort mit großen Gewinnen auf den europäischen Markt brachten.
Dem diplomatischen Geschick des Dogen Pietro Tradonico (836-864) war es schließlich zu verdanken, dass eine Erneuerung des Friedensvertrags zwischen Byzanz und dem Frankenreich zu Stande kam. Diesmal war, anders als im Frieden von Aachen, Venedig selbst Vertragspartner und legte die Grenzen seines Staates fest. Mit diesem Pactum Lothari vom 22. Februar 840 schwand der Einfluss von Byzanz auf Venedig und begann Venedigs Unabhängigkeit.