Das Meer
Dennoch galt die Hauptsorge der Venezianer dem Meer bzw. seinen ständigen Flutattacken auf die vorgelagerten Lidi und die Stadt. Langfristig halfen da nur massive Schutzanlagen. Dort, wo Röhricht, aufgeschüttete Buhnen und Molen das Hochwasser nicht zurückhalten konnten, ließ der Magistrato delle acque nach und nach Palade (Palisaden) errichten. Diese Maßnahme, die um 1500 erstmals durchgeführt wurde, erforderte rund 140.000 Baumstämme und in der Folgezeit regelmäßige Erweiterungs- und Instandhaltungsarbeiten. Das Problem dabei bestand darin, die Atmung der Lagune im Rhythmus der Gezeiten nicht zu verhindern, also trotz der notwendigen Schutzanlagen noch genügend Meerwasser zum Durchspülen der Lagune hineinzulassen. Den Wasseraustausch sollten die Durchlässe (Bocche bzw. Porti) in den Lidi regulieren, von denen es in früheren Zeiten fünf gab, während es heute nur noch drei sind (Porto di Lido, Porto di Malamocco und Porto di Chioggia).
Im 18. Jh. unternahmen die Venezianer eine erneute Kraftanstrengung, um den Hochwasserschutz endgültig in den Griff zu bekommen. 1740 begannen sie mit dem Bau der Murazzi, einer wellenbrechenden Deichanlage aus massiven Steinblöcken entlang der südlichen Lidi (Lido di Venezia und Pellestrina). Über 50 Jahre lang, bis zum Ende der Republik im Jahr 1797 wuchsen die Murazzi jährlich durchschnittlich um 250 m und verschlangen insgesamt rund 20 Millionen Venezianische Lire. Diese Mammutmauer (14 m breit und 4,5 m hoch) hatte am Ende eine Gesamtlänge von fast 15 km erreicht und galt lange Zeit als ultimative Flutbarriere, bis sie am 4. November 1966 von der historischen Sturmflut erheblich zerstört wurde. Eine gigantische Flutwelle überrollte daraufhin die Lagune und setzte ganz Venedig unter Wasser. Tagelang hielt sich das Wasser in der Stadt, ohne abfließen zu können.
Diese Flutkatastrophe schockte nicht nur die Venezianer, die ihre Murazzi seit 1930 nicht mehr überholt hatten. Die Sorge um den Erhalt der einzigartigen Lagunenstadt löste weltweite Anteilnahme aus und führte zur Aufnahme Venedigs in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, womit die Bekämpfung des Hochwasserproblems wieder ernst genommen wurde. Aber die eilige Sanierung der Murazzi sowie die Verlängerung der Schutzmolen an den drei Porti reichten nicht aus. Immer wieder drangen Sturmfluten in die Stadt. Erst in den 1980er-Jahren ersannen findige Ingenieure bewegliche Stautore, die ihrem prophetischen Namen MOSE (Moses, aus: Module Sperimentale Elettromeccanico) alle Ehre machen sollten. Vor den Porti der Lagune errichtet, sollten sie bei Flutattacken automatisch hochgeklappt werden. 1989 ging dieses zunächst vor allem wegen seiner immensen Kosten umstrittene Projekt in die Testphase und scheiterte fürs Erste, weil sich herausstellte, dass es den unentbehrlichen Wasseraustausch in der Lagune letztlich gefährden würde. Außerdem war die Finanzierung alles andere als sichergestellt. Das MOSE-Projekt schien damit ein für alle Mal gestorben zu sein (→ „Perspektiven“, S. 41). Noch häufiger als vom Hochwasser wird der Markusplatz von Touristen überflutet
Doch der Meeresspiegel der oberen Adria steigt kontinuierlich weiter - im 20. Jh. insgesamt um etwa 7 cm -, und die Fluten setzen Venedigs tief liegenden Markusplatz immer häufiger unter Wasser. Schutzlos wie eh und je ist das historische Zentrum der Stadt diesen Wasserattacken auch am Anfang des dritten Jahrtausends ausgeliefert, während den Touristen der Weg über den Markusplatz mit Laufstegen gebahnt wird.