Perspektiven
Jahrzehntelang haben sich die politisch Verantwortlichen mit einschneidenden Maßnahmen zurückgehalten, sie versuchten die ökologischen Interessen mit den wirtschaftlichen zu versöhnen, d. h. über den Schutz der Lagune bestand nur Einigkeit, wenn die wirtschaftlichen Interessen nicht gefährdet waren. Doch die unvergessliche Berlusconi-Regierung, die neben starken Worten auch Aufsehen erregende Entscheidungen liebte, genehmigte 2003 nach Jahren des Stillstands die Realisierung des erwähnten MOSE-Projekts, das bisher ca. 5,5 Milliarden Euro gekostet hat und 2014/15 abgeschlossen sein soll. Schon früh meldeten sich die Kritiker von damals zu Wort und warnten: Es mache keinen Sinn, die teure Flutbarriere zu bauen, wenn nicht gleichzeitig strikte Abwasservorschriften und Regelungen für Schadstoffemissionen geschaffen werden. Geschieht dies nicht, würde man zwar die Hochwassergefahr stoppen, aber andererseits die totale Vergiftung der Lagune begünstigen, da der Reinigungseffekt der ungehemmten Adriafluten, die einen Großteil der Industrieabwässer ins offene Meer spülen, durch die geschlossenen Stautore ausbleiben würde.
Skeptisch äußern sich auch die meisten Venezianer zu dem alten, neuen Milliarden-Projekt und nennen die verantwortlichen Politiker in Rom größenwahnsinnig: Die sollten mal in der Bibel nachschlagen. Da steht, das Meer zu teilen sei Sache Gottes, denn nur mit dessen Hilfe gelang es dem Propheten Moses das Wasser des Roten Meeres zu teilen!
Weitgehende Zustimmung bei der Bevölkerung fanden hingegen die mittlerweile abgeschlossenen Hochwasserschutzmaßnahmen am Markusplatz und in anderen Stadtgebieten. Jetzt schützen um bis zu 50 cm erhöhte Uferkanten den Markusplatz und die anderen tief liegenden Stadtgebiete bis zu einem Hochwasserstand von 1,10 m über Normalnull vor Überschwemmungen, womit sich die Anzahl der leichten Überschwemmungen deutlich reduzieren ließ. Vorläufig noch theoretisch wäre danach MOSE dran, der seine Stautore erst beim Alarmpegel, also ab 1,10 m über Normalnull hochklappen soll. Auf dem Markusplatz wird bald die zweite Phase der Sanierungsarbeiten beginnen, die künftig verhindern soll, dass das Wasser bei einer Flutattacke durch die Gullydeckel und die porösen Fugen der Pflasterung aufsteigt. Abschnitt für Abschnitt erhält der Markusplatz in den nächsten Jahren ein ausgetüfteltes Drainagesystem und eine wasserundurchlässige Unterschicht aus Bentonit. Unterdessen laufen die Bauarbeiten an den drei Porti der Lagune auf Hochtouren. Gigantische Hafenmolen und Wellenbrecher sind bereits sichtbar. Aber das Herzstück des kostspieligen Hochwasserschutzprojekts entsteht am Meeresboden, wo insgesamt 78 bewegliche Stautore verankert werden, die die eigentliche Flutbarriere bilden. Fünf Mal im Jahr, so lauten die bisherigen Prognosen, könnte das Klappwehr nach seiner Fertigstellung zum Einsatz kommen. Vier bis fünf Stunden wird es jeweils dauern, bis sich die durch Druckluft aufsteigenden Stautore hermetisch schließen. Dann könnte sogar die nächste Jahrhundertflut kommen, denn das Sperrwerk ist darauf ausgelegt, einem Höhenunterschied von bis zu 2 m zwischen Meer und Lagune stand zu halten. - Aber diese paar Tage im Jahr, in denen die Lagune verschlossen werden müsste, könnten schon ausreichen, um den Gift-Cocktail innerhalb der Lagune zum Wirken zu bringen.
Was Kritiker und Umweltschützer jedoch freut, ist, dass das MOSE-Projekt die Entscheidung für die Errichtung eines Offshore-Terminals für Öltanker begünstigt hat. Künftig sollen die Tanker draußen in der Adria andocken, von wo aus das Erdöl über Pipelines zu den Raffinerien in Porto Marghera geleitet wird. Für den Umweltschutz ist das ein großer Sieg, denn die tödliche Gefahr einer Tankerhavarie, die das empfindliche Ökosystem der Lagune wahrscheinlich auf ewig zerstören würde, wäre damit gebannt. Insgesamt, so scheint es, stehen die Chancen für die Rettung Venedigs irgendwie fifty-fifty.
Weitere Informationen zum Hochwasserschutz vom heutigen Magistrato delle acque unter www.salve.it bzw. vor Ort beim Infopoint Puntolaguna am Campo Rialto Novo, San Polo 554.