La Piazza di San Marco - Venedigs altes Herrschaftszentrum
Die prunkvolle Kulisse des Markusplatzes ziert Venedigs meerseitiges Entree. Wer hier ankommt, hat den attraktivsten Einstieg in die Lagunenstadt gewählt und kann sich sogleich in den Bann der atemberaubend schönen Platzanlage ziehen lassen. Einen wirklich überwältigenden Anblick bieten die beiden orientalisch anmutenden Prachtexemplare der venezianischen Zuckerbäckerarchitektur, die Markuskirche und der Dogenpalast. Tausende von Tagesbesuchern strömen in den Dogenpalast und in die Markusbasilika
Auf die besondere Bedeutung, die der Markusplatz im Stadtbild Venedigs einnimmt, deutet allein schon die exklusive Bezeichnung Piazza hin, denn alle anderen Plätze der Stadt heißen - geradezu unterwürfig - Campo. Ebenso verhielt es sich lange Zeit mit dem majestätischen Dogenpalast, dem die Stadtoberen den Titel Palazzo verliehen, während alle Adelspaläste der Stadt schlicht Casa (auf Venezianisch Ca’, Haus) genannt werden mussten, egal wie groß und prächtig sie waren. Streng genommen besteht der Markusplatz aus zwei rechtwinklig zueinander stehenden Plätzen, der trapezförmigen Hauptpiazza, etwa 175 m lang und zwischen 56 und 82 m breit, sowie der kleinen Piazzetta, die den eigentlichen Zugang zum angrenzenden Markusbecken (Bacino di San Marco) bildet. - Aber wer läuft schon mit dem Zollstock über die weitläufige, mit Marmor gepflasterte Platzanlage, anstatt sich dem Zauber ihrer architektonischen Geschlossenheit ganz und gar hinzugeben?
Doch verwundert wird man sich bald fragen, wie das einzigartige Gebäudeensemble, das den Markusplatz umgibt, angesichts der extrem unterschiedlichen Baustile, eine derartige Harmonie ausstrahlen kann: Byzantinischen Stil verkörpert die Markuskirche, späte Gotik der Dogenpalast, während die Alten Prokuratien der Frührenaissance angehören und der Napoleonische Flügel dem Klassizismus. Aber im lauten Trubel der Touristenscharen und Jugendlichen auf Klassenfahrt verflüchtigt sich diese Frage ganz schnell und man wird sich brav in den Strom der endlosen Besucherschlangen einreihen und geduldig warten, bis man an der Reihe ist, um einen Blick werfen zu können auf die weltberühmten Goldmosaiken der Basilika, in die prächtigen Säle des Dogenpalasts und von der Glockenstube des Campanile über die ganze Lagunenstadt. Am Abend, wenn die Kirchen und Museen geschlossen sind und die Tagestouristen die Stadt bereits verlassen haben, sollte man noch einmal zum Markusplatz zurückkehren und sich seiner Magie erneut aussetzen. Was muss sich auf dieser anmutigen Piazza, die Napoleon einst als schönsten Salon Europas rühmte, in den glanzvollen Jahrhunderten der Serenissima alles abgespielt haben? Die Gemälde der großen venezianischen Maler zeigen den Markusplatz jedenfalls in einem ständigen Festrausch, geschmückt mit Bannern und Fahnen der eroberten mittelmeerischen Besitzungen, überfüllt mit kostümierten Prozessionsteilnehmern und festlich gekleideten Gesandtschaften, die am Dogenpalast und der Basilika vorbeiziehen und von einem großen Aufgebot an Senatoren und Prälaten empfangen werden, in deren Mitte der Doge seine Position als oberster Vertreter der Stadtrepublik feierlich eingenommen hat. Der Markusplatz war Venedigs Festplatz, alle wichtigen Feierlichkeiten fanden hier statt. Aber er war auch regelmäßiger Marktplatz, auf dem nicht selten turbulente, basarähnliche Märkte abgehalten wurden, zu denen die Händler von weither angereist kamen, um die edelsten Waren anzupreisen. Die eckigen weißen Markierungen auf der Piazza kennzeichnen noch heute, wo die einzelnen Händler ihre Stände und Marktzelte aufbauen durften. Wie jede italienische Piazza war auch der Markusplatz eine volkstümliche Piazza. In mediterraner Manier versammelten die Venezianer sich hier am Abend, um beim geselligen Beisammenstehen die neuesten Nachrichten auszutauschen, bis die Glocken des Campanile die Nacht einläuteten. Als dann im 18. Jh. die ersten Kaffeehäuser unter den Arkaden der Prokuratien eröffneten, wurde es so richtig gemütlich und die Piazza erhielt ihre legendäre Salonatmosphäre. Obwohl heute weit mehr Touristen als Einheimische in den altehrwürdigen Cafés Florian, Quadri und Lavena sitzen, gehört ein lauschiger Abend im Kaffeehausstuhl, wo man seinen Gedanken vor der unvergleichlichen Kulisse der Piazza di San Marco freien Lauf lassen kann, zu den schönsten Venedig-Erlebnissen - auch wenn die Getränke sündhaft teuer geworden sind (→ S. 109). Die Tauben von San Marco
Jetzt ist endgültig Schluss mit dem „Ich-füttere-Tauben-auf-dem-Markusplatz-Erinnerungsfoto“. Jahrzehntelang war die harmonische Eintracht zwischen Tauben, Futterverkäufern und Touristen ein ungeschriebenes Gesetz in Venedig. Dann hat die Stadtverwaltung errechnen lassen, dass die Reinigung der Schäden, die durch den Taubenkot verursacht werden, jeden Einwohner der Lagunenstadt jährlich stolze 275 € kostet. Eindeutig zu viel! Und ohne lange zu fackeln wurden den 18 amtlich zugelassenen Taubenfutterverkäufern, die Tag für Tag ihre Karren auf den Markusplatz gerollt und ihre Körner zentnerweise an die Touristen verkauft hatten, die Lizenzen entzogen. Die venezianischen Futterverkäuferdynastien, die aufgrund der vererbbaren Lizenzen unantastbar schienen, waren perplex und mussten sich jeweils mit 80.000 € Entschädigung abfinden. Futter weg, Tauben weg, und tatsächlich hat sich die Anzahl der gurrenden Schmutzfinken von geschätzten 100.000 auf etwa 10.000 reduziert. Für die ahnungslosen Touristen, die trotzdem munter weiterfüttern und ihr obligatorisches Erinnerungsfoto mit Taube auf Kopf, Arm oder Schulter inszenieren, hat die Stadtverwaltung jetzt ein Bußgeld von 500 € beschlossen, aber bisher herrscht Nachsicht und es werden lediglich höfliche Ermahnungen ausgesprochen.