Venedig ist keine Heimatstadt der Literaten, denn Schriftsteller von besonderem Format hat sie nur ganz wenige hervorgebracht: Der Dramatiker Carlo Goldoni (1707-1793) und der umtriebige Giacomo Casanova (1725-1798) sind beinahe die Einzigen, die immer wieder genannt werden, wenn es um das literarische Erbe Venedigs geht. Im Gegensatz dazu haben sich viele namhafte ausländische Schriftsteller von der morbiden Schönheit der Lagunenstadt zu Höchstleistungen inspirieren lassen. Entsprechend groß ist die Auswahl an literarischen Werken, deren Handlung in Venedig angesiedelt ist. Hinzu kommt eine regelrechte Flut an Anthologien, Sachbüchern, Reise- und Erlebnisberichten älteren und jüngeren Datums. Publikationen zur Stadtgeschichte, Kunst- und Kulturgeschichte sowie zur Architektur bilden dabei einen großen Anteil. An opulenten Bildbänden fehlt es ebenfalls nicht.
Eine neuere und obendrein sehr populäre Sparte stellt der Venedig-Krimi dar - ein Genre, das in erster Linie von der in Venedig lebenden amerikanischen Bestsellerautorin Donna Leon beherrscht wird. Zweifellos ist das venezianische Labyrinth der geeignete Ort, um detektivischen Spürsinn walten zu lassen und finstere Verwicklungen zu inszenieren. Aber in Wirklichkeit ist Venedig eine friedliche Stadt mit niedriger Kriminalitätsrate. Hinter dunklen Ecken lauern höchstens die eigenen Ängste.
Donna Leons sympathischer Commissario Guido Brunetti führt seine Leser jedenfalls in die verstecktesten Winkel der Stadt. Ganz nebenbei wimmelt es in den Leon-Krimis von interessanten und detaillierten Milieuschilderungen mit Wiedererkennungseffekt. Echte Brunetti-Fans sollten die Website www.brunettistadtplan.de anklicken: Dort sind ein Stadtplan, in dem die Hauptschauplätze der Romane und Verfilmungen verzeichnet sind, mehrere thematische Spaziergänge und eine Vaporetto-Tour erhältlich.
Im Folgenden einige Klassiker der Venedig-Literatur und ein paar persönliche Lesetipps:
Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. Das Venedig-Werk schlechthin (1970 verfilmt). Der verarmte, aber hoch angesehene Professor Aschenbach begibt sich in Venedig auf eine leidvolle Suche nach dem Schönen. Fischer Taschenbuch.
Highsmith, Patricia: Venedig kann sehr kalt sein. Ein psychologischer Kriminalroman mit viel winterlicher Venedig-Atmosphäre. Diogenes.
Calvino, Italo: Die unsichtbaren Städte. In den erdachten Gesprächen zwischen Marco Polo (→ S. 28) und Kublai Khan werden märchenhafte Städteporträts entworfen, die sich alle irgendwie auf Venedig beziehen. dtv und Hanser. Casanova, Giacomo: Aus meinen Leben. Hier plaudert der Latin Lover des 18. Jh. über Bettina, Henriette, Clementina, Voltaire und seine Flucht aus den Bleikammern. Reclam.
Brodsky, Joseph: Ufer der Verlorenen. Der russische Dichter (1972 ausgebürgert) reiste jedes Jahr nach Venedig - im Winter. Seiner Liebe zu Venedig gibt er in diesem Buch wortgewaltig Ausdruck. 1996 wurde Brodsky auf der Insel San Michele beigesetzt. Fischer Taschenbuch.
Sartre, Jean-Paul: Königin Albemarle oder der letzte Tourist. Nach Abschluss seines Buchs über Genet fährt Sartre nach Venedig und ergeht sich dort in subjektiven Betrachtungen über die Stadt. Fragmentarische Gedanken und Reflexionen mit Tiefgang. Rowohlt.
Tukur, Ulrich: Die Seerose im Speisesaal. Der erste Erzählband des auch in Venedig lebenden deutschen Schauspielers. Mich haben einige der venezianischen Geschichten an die magischen Schauergeschichten von Edgar Allan Poe erinnert. Claassen und List Taschenbuch.