Personen

21. Anita Garibaldi – Die italienische Freiheitskämpferin

Für die 1821 im brasilianischen Santa Catarina geborene Ana Maria de Jesus Ribeiro da Silva war der 22. Juli 1839 der entscheidende Tag in ihrem Leben. Fünf Jahre zuvor war der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi wegen seiner Beteiligung an einem Aufstand im Piemont zum Tode verurteilt worden. Er konnte aber 1836 nach Südamerika fliehen, wo er sich an der Farrapen-Revolution der verarmten Landbevölkerung im Süden des Landes gegen das brasilianische Kaiserreich beteiligte. An jenem 22. Juli 1839 traf Ana Maria de Jesus Ribeiro da Silva, genannt Anita, die ebenfalls an der Seite der Gauchos kämpfte, den italienischen Revolutionär.

Anita war das dritte von zehn Kindern, ihre Eltern waren mittellose Auswanderer von den Azoren. Anita war vierzehn, als nach drei ihrer Brüder auch der Vater verstarb. Um die Familie zu ernähren, wurde sie mit einem Fischer aus Lugana verheiratet. Aber die Ehe war gegen ihren Willen geschlossen worden und endete im Juli 1839, als Anita auf Giuseppe traf und beide ein Paar wurden. Sie vereinte nicht nur die gegenseitige Anziehungskraft, sondern auch gemeinsame politische Überzeugungen und Ideale. Konsequenterweise zog Anita mit Giuseppe Garibaldi in den Kampf. Als sie nach einer Schlacht in Gefangenschaft geriet, war sie im siebten Monat schwanger. Aber ihr gelang die Flucht. Nach der Geburt ihres Sohnes Domenico muss sie erneut fliehen – dieses Mal nach Montevideo. Die Dramatik dieses Ereignisses ist an einem Denkmal auf dem Gianicolo im römischen Stadtteil Trastevere zu sehen: Anita sitzt hoch zu Ross, in der einen Hand eine Pistole, mit der anderen hält sie den kleinen Domenico an sich gepresst.

Anita Garibaldi, Reiterdenkmal von Mario Rutelli auf dem Gianicolo, Rom, 1932

Währenddessen wurde am 16. Juni 1846 Mastai Ferretti als Pius IX. zum neuen Papst gewählt. Pius IX. erließ in den ersten Tagen seines Pontifikats eine Amnestie für jene Revolutionäre, die wegen Beteiligung an den Ereignissen im Piemont verurteilt worden waren. Anita und Giuseppe Garibaldi kamen deshalb im selben Jahr mit ihren Kindern nach Italien zurück.1 Aber die Lage hatte sich dort inzwischen zugespitzt. Die italienische Einheitsbewegung forderte einen gemeinsamen Staat für alle Italiener – in einer Zeit, als lediglich das Königreich Sardinien und Piemont eigenständig war und von einem Herrscher aus dem Haus Savoyen regiert wurde. Im Königreich Lombardei-Venetien und im Großherzogtum Toskana herrschte dagegen Österreich, und Parma sowie das Königreich beider Sizilien standen unter französischer Herrschaft. In der Mitte des Landes lag der Vatikan, der sich von Rom an der Mittelmeerküste entlang des Herzogtums Toskana bis nach Ancona und Ravenna an der Adria erstreckte. Die Landkarte Italiens war wie in Deutschland ein Flickenteppich, der zu großen Teilen von fremden Mächten bestimmt und regiert wurde. Vor allem im Norden Italiens hatte das »System Metternich«2 dafür gesorgt, dass die italienische Unabhängigkeitsbewegung ständiger Unterdrückung ausgesetzt war.

Aber die Idee eines italienischen Gesamtstaates ab 1847 durch eine Zeitung, die der Turiner Unternehmer Camillo Benso von Cavour mit dem programmatischen Titel Il Risorgimento herausgab, fand kraftvolle Unterstützung. Diese »Wiederauferstehung« sollte in einen gesamtitalienischen Verfassungsstaat münden.

Die revolutionären Entwicklungen des Jahres 1848 machten auch vor Italien nicht Halt. Der Kirchenstaat, das Königreich beider Sizilien und das Großherzogtum Toskana mussten Konzessionen gegenüber der italienischen Einheitsbewegung machen. Der König von Sardinien-Piemont, Karl Albert, wandelte sein Land sogar in eine konstitutionelle Monarchie um. Mit diesem »Statuto Albertino« wurde das Königreich Sardinien-Piemont zum Vorbild für die italienische Einigungsbewegung. Der österreichische Außenminister Klemens Fürst von Metternich ließ daraufhin Truppen nach Oberitalien vorrücken. Aber der österreichische Einmarsch löste den energischen Protest von Pius IX. aus, der dadurch zeitweilig zu einer nationalen Integrationsfigur wurde. Im September 1847 kam es auch in Mailand zu Unruhen, was den Widerstand vor allem im Königreich beider Sizilien auslöste. Auch in Wien herrschte nun Aufregung, Außenminister Metternich war von panikartiger Sorge erfasst, »ängstliche Herrscher kleinerer Staaten könnten Konzessionen«3 machen und so der Revolution auf der italienischen Halbinsel weiteren Vorschub leisten.

Als auch in Toskana schwere Unruhen begannen, um die österreichische Herrschaft zu beenden, stellte sich König Karl Albert von Sardinien an die Spitze der Einheitsbewegung und erklärte Österreich den Krieg. Bis zum Sommer 1848 wechselten sich Siege mit Niederlagen für die sardischen Truppen ab, sodass am 8. August ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Am 9. Februar 1849 wurde im Kirchenstaat die Römische Republik ausgerufen. Staatsoberhaupt und Regierungschef dieser an die Ideale der Französischen Revolution anknüpfenden Republik war Giuseppe Mazzini. Giuseppe Garibaldi, der vorher Revolutionstruppen gegen Österreich angeführt hatte, wurde Abgeordneter und musste die Republik gegen päpstliche Truppen und Soldaten aus Spanien und Frankreich verteidigen. Anita folgt ihrem Mann aufs Schlachtfeld, was Giuseppe mit dem Satz kommentiert haben soll, nun habe man »einen Soldaten mehr«.

Im März 1849 erklärte Mazzini den Zusammenschluss der Römischen Republik mit der kurz vorher gegründeten Republik Toskana. Während Garibaldi seinen Ruf als italienischer Nationalheld begründete, musste Pius IX. fliehen und um französische Hilfe bitten. Staatspräsident Napoleon III. entschloss sich zur militärischen Intervention in Italien. Dabei ging es ihm in erster Linie um die Wiederherstellung der vorrevolutionären Ordnung. Französische Truppen landeten in einem vom Papst kontrollierten Kriegshafen, marschierten nach Rom und griffen die Stadt an. Garibaldi gelang es zunächst, die Interventionsarmee aufzuhalten. Aber die anschließende Belagerung Roms durch französische Truppen war erfolgreich. Am 30. Juni 1849 kapitulierten die Bewohner der Stadt. Anita Garibaldi, die an der Verteidigung Roms beteiligt war, musste mit ihren Kindern und Giuseppe Garibaldi erst in die Toskana und dann weiter nach Venedig fliehen. Am 4. August 1849 starb sie in der Nähe von Ravenna an den Folgen einer Malariaerkrankung.

Dieser erste italienische Unabhängigkeitskrieg endete mit einer Niederlage der Aufständischen und einer Wiederherstellung der alten Ordnung. Aber die Idee eines geeinten italienischen Nationalstaats war nicht untergegangen. Im Sommer 1860 ergab eine Abstimmung in einigen italienischen Gegenden den Wunsch nach einem Anschluss an das Königreich Sardinien-Piemont. Cavour handelte daraufhin mit Napoleon III. aus, dass diese Abstimmung von ihm akzeptiert wurde. Im Gegenzug erhielt Frankreich das Herzogtum Savoyen und die Grafschaft Nizza. Der Grundstein für den italienischen Einheitsstaat war damit gelegt.


1 Die biografischen Angaben über Anita Garibaldi stammen von: Huch, Ricarda: Die Geschichten von Garibaldi. Leipzig 1986.

2 Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution 1848/49. Frankfurt a. M. 1986, S. 54.

3 Palmer, Alan: Metternich. Der Staatsmann Europas. Düsseldorf 1977, S. 394.

22. Johann von Österreich – Der Reichsverweser

Am 28. Juni 1848 übertrug die Frankfurter Nationalversammlung dem österreichischen Erzherzog Johann die »provisorische Zentralgewalt für Deutschland«. Für den zukünftigen deutschen Einheitsstaat war damit eine Vorentscheidung gefallen, denn der konservative Johann aus dem Hause Habsburg würde für die konstitutionelle Monarchie und gegen eine Republik plädieren. Der »Reichsverweser« Johann hatte nun die vollziehende Gewalt und die Verantwortung für die »Sicherheit und Wohlfahrt« des Volkes inne. Ihm war das Oberkommando über das Militär sowie die völkerrechtliche Vertretung übertragen worden, und er war der Bruder des letzten römisch-deutschen Kaisers Franz II., der nach der Gründung des französischen Protektorats Rheinbund sein Amt 1806 niedergelegt hatte. Johann von Österreich war zudem der Onkel Ferdinands I., der in Wien als österreichischer Kaiser amtierte. Angesichts dieser familiären Situation war nicht zu erwarten, dass der Erzherzog einer allzu radikalen und vor allem einer antimonarchischen Entwicklung in Deutschland zustimmen würde.1

Die Wahl war auf Johann von Österreich gefallen, nachdem die Idee, ein dreiköpfiges Direktorium zu inthronisieren, verworfen worden war. Es sollte aus den drei »Onkeln« bestehen: Erzherzog Johann als Onkel des österreichischen Kaisers, Prinz Wilhelm von Preußen als Onkel des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und Prinz Carl als Onkel des bayerischen Königs Maximilian II. Nachdem die Beratungen ergebnislos verlaufen waren, schlug am 19. Mai 1848 der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung Heinrich von Gagern schließlich Johann von Österreich vor. Damit folgte von Gagern der Mehrheitsüberzeugung in den Fraktionen, die überwiegend für einen deutschen Staat unter Einschluss Österreichs waren. Ende Juni wurde Johann mit großer Mehrheit gewählt, anschließend wandte er sich an das deutsche Volk: »Unser Vaterland hat ernste Prüfungen zu bestehen. Sie werden überwunden werden. (…) Lasst mich hoffen, dass sich Deutschland eines ungestörten Friedens erfreuen werde. Ihn zu erhalten ist meine heiligste Pflicht.«2

Johann wurde am 20. Januar 1782 als Sohn des späteren römisch-deutschen Kaisers Leopold II. in Florenz geboren. Er wuchs mehrsprachig im italienisch-französischen Alpenraum auf, interessierte sich für die im 19. Jahrhundert aufkommende soziale Frage, war zudem an den Naturwissenschaften und Geschichte interessiert. 1819 heiratete er mit der 22 Jahre jüngeren Anna Plochl die bürgerliche Tochter eines Postmeisters. Sein Verhalten brachte ihm den Ruf des Querdenkers innerhalb der Habsburger Dynastie ein. Seine Teilnahme an einer Tiroler Widerstandsbewegung gegen Napoleon verschaffte ihm beim Volk hohes Ansehen, während das österreichische Außenministerium »irritiert« war. Johanns Engagement für die Belange des »einfachen Volks« und die Ehe mit einer Bürgerlichen, die ihn von der Thronfolge ausschloss, hatten ihn geprägt. Zwar war er zeitlebens loyal gegenüber der Habsburgermonarchie, hielt sich aber mit seiner Kritik an der Ignoranz der adligen Oberschicht gegenüber dem sozialen Elend von Teilen des Volkes nicht zurück. 1807 kaufte er im niederösterreichischen Thernberg eine Burg und wurde während der Hungersnot 1816/17 nach dem »Sommer ohne Sonne«3 zur Identifikationsfigur, weil er den Hungernden persönlich half und zum Anbau von Kartoffeln animierte.4

Es war dieses soziale Engagement, das Johann von Österreich im Juni 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung mehrheitsfähig machte. Die Zustimmung der Monarchisten war ihm gewiss, und die Anhänger eines deutschen Reichs unter Einschluss Österreichs stimmten der Wahl des österreichischen Erzherzogs gleichfalls zu. Die radikalen Demokraten konnten ihn ebenso akzeptieren wie die gemäßigten Liberalen, weil Erzherzog Johann als volkstümlich und versöhnend galt. Für die Linken war der Österreicher wählbar, weil er den Ideen der Revolution zugetan war. Die rechten Abgeordneten und jene, die sich der gemäßigten Mitte zugehörig fühlten, sahen in ihm den Garanten für eine monarchische Staatsform in Deutschland. Johann sollte mithelfen, eine »Monarchie auf parlamentarisch-demokratischer Grundlage«5 in Deutschland zu etablieren. Damit war auch eine Vorentscheidung gefallen, denn dass Johann einer deutschen Republik mit deutlich eingeschränkten Rechten der deutschen Fürsten und sehr viel geringerem Einfluss der Habsburgermonarchie zugestimmt hätte, war kaum vorstellbar. Im Gegenteil hätte er den Widerstand der europäischen Königshäuser und Adelsfamilien gegen eine deutsche Republik organisieren können.

Der Reichsverweser sollte die Zentralgewalt des Deutschen Bundes aber nur so lange innehaben, bis nach einer Parlamentswahl eine neue Regierung im Amt sein würde. Zudem war die Machtfülle des Reichsverwesers dadurch eingeschränkt, dass er nur im Einverständnis und nach Zustimmung der Nationalversammlung entscheiden und handeln konnte. Seine Amtshandlungen und Erlasse mussten die Unterschriften der jeweils zuständigen Minister einer zu bildenden Reichsregierung tragen. Diese Einschränkungen waren Ausdruck des Selbstverständnisses der Parlamentarier, einerseits souverän entscheiden zu wollen und andererseits eine gewisse Präferenz für das »dynastische Prinzip« ausgesprochen zu haben. Mit der Wahl Johanns zum Reichsverweser und der Übertragung der provisorischen Zentralgewalt auf ihn verkündete der Bundestag des alten Deutschen Bundes das Ende seiner Tätigkeit. In diesem Moment war die gesamte politische Macht in den Händen Johanns vereinigt.

Aber sowohl Johann als auch das Parlament verfügten über keine militärischen Mittel – weder zur Verteidigung noch zur Durchsetzung eigener Interessen. Der Reichsverweser erkannte bald, dass er mit der Aufgabe, seinen Einfluss auf die Entscheidungen der Nationalversammlung geltend zu machen, überfordert war. Deshalb hielt er sich bei den Entscheidungen der von ihm benannten Minister weitgehend zurück und ließ sie im Einklang mit den jeweiligen Mehrheiten in der Paulskirche regieren. Gleichwohl hielt er die meisten der von ihm berufenen Minister für unfähig und warf ihnen vor, den Kontakt zum Volk verloren zu haben. Seine offensichtliche Überforderung und die Machtlosigkeit seines Amtes brachten ihm den Spottnamen »Reichsverfauler« ein. Später bekannte er, dass er sich zwar keineswegs nur als Platzhalter eines zu bestimmenden Kaisers gesehen habe. Gleichwohl hatte er keine eigenen politischen Vorstellungen in die Debatten der Nationalversammlung eingebracht und meinte, es sei ihm vor allem darum gegangen, die deutschen Fürsten »gegen die Rothe Republik«6 zu schützen.

Johann von Österreich blieb bis zum 20. Dezember 1849 im Amt und zog sich anschließend in seine Heimat zurück, wo er am 23. Juli 1850 zum ersten Bürgermeister von Stainz in der Steiermark gewählt wurde. Dieses Amt übte er bis kurz vor seinem Tod am 11. Mai 1859 aus.


1 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution. 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 570.

2 Zit. nach: Ludwig-Maximilians-Universität München, Open Access LMU: https://epub.ub.uni-muenchen.de/12475/index.html (zuletzt abgerufen am 16.01.2022).

3 Behringer, Wolfgang: Tambora und das Jahr ohne Sommer. München 2015.

4 Wilfinger, Hans: Erzherzog Johann und Stainz. Stainz 2001, S. 13.

5 Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. München 2015, S. 51.

6 Hahn; Berding, a. a. O., S. 572.

23. Heinrich von Gagern – Der Präsident der Nationalversammlung

Der 19. Mai 1848 war ein großer Tag für den hessischen Verwaltungsbeamten Heinrich von Gagern: Der gemäßigte Liberale wurde mit großer Mehrheit zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt. Die Abgeordneten der Nationalversammlung wählten Heinrich von Gagern, weil er als engagierter, liberaler Politiker und oppositioneller Abgeordneter im hessischen Landtag schon vorher politische Erfahrungen hatte sammeln können.

Heinrich von Gagern wurde am 20. August 1799 geboren. Als kleines Kind musste er mit seiner Familie vor französischen Revolutionstruppen fliehen. Er ging früh zum Militär, wurde mit knapp sechzehn Jahren Unterleutnant und zog in einem nassauischen Regiment in den Krieg gegen Napoleon, der aus seiner Verbannung auf die Mittelmeerinsel Elba nach Frankreich zurückgekehrt war und für etwas mehr als 100 Tage die Macht wieder an sich gerissen hatte. Die Schlacht von Waterloo, bei der eine europäische Allianz gegen das französische Heer Mitte Juni 1815 siegreich war, beendete der sechzehnjährige Unterleutnant mit einer Fußverletzung. Die Teilnahme an diesem Krieg war ebenso prägend wie seine Mitarbeit an der Verfassung für die allgemeine Burschenschaft, die kurz nach dem Krieg gegründet wurde.

1816 nahm von Gagern das Jurastudium zunächst in Göttingen und dann in Jena auf, wurde Mitglied der Urburschenschaft, lernte Johann Wolfgang von Goethe kennen, organisierte 1818 ein Fest zur Erinnerung an die »Völkerschlacht von Leipzig« und setzte bis 1821 sein Jurastudium in Genf und Gießen fort.1 Als fertiger Jurist startete er eine Beamtenkarriere im Großherzogtum Hessen, wurde aber bei Beförderungen übergangen, weil er den in Oppositionskreisen diskutierten Reformideen zugetan war.

Ein einschneidendes Erlebnis wurde 1830 die Julirevolution im benachbarten Frankreich, der im selben Jahr die Revolution in Belgien folgte. Am 27. Juli 1830 stürzte eine bürgerliche Revolution den reaktionären und absolutistisch regierenden Bourbonenkönig Karl X. Anstelle des nach Großbritannien geflohenen Karl wählte das Parlament in Paris mit Louis-Philippe von Orléans den sogenannten »Bürgerkönig«. Der Funke sprang rasch in das vereinigte Königreich der Niederlande über, wo sich im August 1830 der katholische Süden als Königreich Belgien vom protestantischen Norden trennte. Damit waren in der unmittelbaren Nachbarschaft zwei konstitutionelle Monarchien entstanden, die den revolutionären Eifer von Demokraten und Liberalen in Deutschland anstachelten. Heinrich von Gagern lernte mit Karl von Rotteck und Adam von Itzstein zwei bedeutende Liberale kennen, mit denen er in den sogenannten Polenvereinen aktiv war. Dort versammelten sich Anfang der 1830er Jahre Oppositionelle, die den Freiheitskampf der Polen gegen die Fremdherrschaft des russischen Zaren Nikolaus I. unterstützten.

Bis 1835 sammelte Heinrich von Gagern als hessischer Landtagsabgeordneter weitere politische Erfahrungen und entwickelte die Idee, dass eine deutsche Einigung nur mit einer preußischen Führungsrolle gelingen könne. Sollte sich diese Einheit nicht im Einklang mit den deutschen Staaten erreichen lassen, plädierte er für eine Revolution wie einst in Frankreich oder Belgien. Das waren politische Leitlinien, die er später in der Nationalversammlung vertreten sollte, gleichwohl er auch Österreich in einem »Doppelbund« an das neue, geeinte Deutschland ankoppeln wollte. Diese und andere Forderungen wurden während des Vormärz in den deutschen Staaten immer lauter. Nachdem sich schon am 12. September 1847 Liberale in Offenburg getroffen und ein Reformprogramm aufgestellt hatten, das ein allgemeines gleiches Wahlrecht, ein Volksheer, freie Schulbildung und Arbeitnehmerrechte forderte, kam es kurz darauf zu einem weiteren Treffen in Heppenheim an der Bergstraße.

Heinrich von Gagern inmitten anderer Mitglieder der Casino-Gesellschaft, Lithografie von Friedrich Pecht, 1849

Dort traf sich Heinrich von Gagern mit siebzehn weiteren gemäßigten Liberalen aus Baden, Hessen, Nassau, Preußen und Württemberg. Sie forderten eine deutsche Einigung unter preußischer Führung, die Trennung von Verwaltung und Justiz und eine Entlastung des Mittelstands und der Arbeiter. Presse- und Religionsfreiheit, die Einführung von Schwurgerichten und die Ausarbeitung einer konstitutionellen Verfassung gehörten ebenso zum Forderungskatalog wie die Berufung eines gesamtdeutschen Parlaments.2 Als am 24. Februar 1848 aus Frankreich erneut die Kunde von einer Revolution kam, war der letzte Funke entzündet, der notwendig war, um auch in den deutschen Staaten revolutionäre Zustände auszulösen. Überall waren die Forderungen nach deutscher Einheit, Pressefreiheit, nach einer Verfassung zu vernehmen, die die Macht der Monarchien einschränken sollte, und nach einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung zu hören.

Drei Monate später – am 18. Mai 1848 – wurde eine solche Nationalversammlung tatsächlich gewählt. Zur Wahl standen keine Parteien im modernen Sinne, sondern Personen, die sich dann mit Gleichgesinnten zu einer Fraktion zusammenschlossen. Dabei dominierte die liberale Mitte, in der sich sowohl rechte als auch linke Liberale fanden. Die Casino-Fraktion, die der rechten Mitte zuzuordnen war, stellte mit Heinrich von Gagern den prominentesten Politiker. Er wurde einen Tag später zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt. Heinrich von Gagern behielt dieses Amt, bis er im Dezember 1848 zum Reichsministerpräsidenten ernannt wurde. Aber trotz seiner Erfahrung im Umgang mit politisch Andersdenkenden verstrickte auch er sich in den kaum zu überwindenden Gegensätzen zwischen den Fraktionen in der Nationalversammlung. Vor allem die Frage, ob und wie Österreich mit einem deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung verbunden sein könnte, stellte das Parlament vor eine unlösbare Aufgabe. Aber von Gagern bemühte sich, politische Gräben zuzuschütten und das Gemeinsame statt das Trennende hervorzuheben. Im September 1848 kam es vor den Toren der Paulskirche zu einem Volksaufstand, weil die Menge gegen den Waffenstillstand von Malmö zwischen Preußen und Dänemark nach dem Krieg um Schleswig und Holstein protestierte. Bei den Barrikadenkämpfen kamen zwei Abgeordnete der Nationalversammlung ums Leben, über die Stadt wurde der Belagerungszustand verhängt und der Aufstand militärisch niedergeschlagen. Am nächsten Tag hielt der sichtlich erregte Heinrich von Gagern eine Rede vor der Nationalversammlung, in der dazu aufrief, dass die Abgeordneten »einträchtiger zusammenwirken«3 sollten. Aber sein Wunsch verhallte. Obwohl sein Traum eines deutsch-österreichischen Kaiserreichs nicht in Erfüllung ging, blickte er anschließend auf ein seiner Meinung nach gelungenes politisches Wirken zurück.

Nach dem Ende der Revolution hielt sich Heinrich von Gagern weitgehend aus der Öffentlichkeit fern, begrüßte aber die Gründung des Deutschen Reichs 1871 mit »patriotischer Freude und Anhänglichkeit«. Er starb nach schwerer Krankheit am 22. Mai 1880 in Darmstadt.


1 Die biografischen Angaben beziehen sich auf die Habilitationsschrift von: Möller, Frank: Heinrich von Gagern. Eine Biographie. Jena 2004.

2 Deutsche Zeitung vom 15.10.1847. Siehe auch: Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, Band 1. Stuttgart 1978, S. 324 ff.

3 Pollmann, Bernhard: Lesebuch zur Deutschen Geschichte. Dortmund 1989, S. 656.

24. Klemens Fürst Metternich – Der Außenminister Österreichs

Klemens Wenzel Lothar von Metternich wurde am 15. Mai 1773 als Sohn eines österreichischen Diplomaten in Koblenz geboren. Schon in jungen Jahren füllte er politische Funktionen aus, war österreichischer Gesandter in Dresden und Berlin, nahm an Kongressen und Konferenzen teil und zeigte schnell, dass er das diplomatische Parkett meisterhaft beherrschte. Als Metternich im Alter von 86 Jahren in Wien starb, hatte er sieben historische Epochen erlebt, die ihn einerseits prägten, die er aber andererseits auch maßgeblich beeinflusste: die Französische Revolution, die Koalitionskriege gegen Napoleon, die Neuordnung Europas beim Wiener Kongress, die Zeit der Restauration, den Vormärz, die Revolutionen in Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien und schließlich seinen Sturz mit anschließender Flucht nach London.

Metternich stammte aus einer weitverzweigten Familiendynastie, wuchs in entsprechend behüteten und begüterten Verhältnissen auf und war stets beeindruckt von den Gedanken der Aufklärung, die den Einfluss von Religion und Kirche auf seine Erziehung weitgehend zurückdrängten. Bis 1794 studierte er Jura in Mainz und knüpfte während und nach dem Studium über Beziehungen seines Vaters erste Kontakte in die Politik. Aufgewachsen ist der junge Metternich in einer diffusen politischen Stimmungslage. Er verspürte wie alle seine Altersgenossen den beginnenden Untergang des Ancien Régime der französischen Sonnenkönige und anderer absolutistischer Monarchen in Europa. Dabei schätzte Metternich »das alte kosmopolitische Europa der aufgeklärten Gelehrsamkeit«1 und wurde zugleich Zeuge seines Zerfalls. Sein »altes« Europa zerbrach an der doppelten Revolution, die 1776 zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und 1789 zur Französischen Revolution geführt hatte. Klemens von Metternich war nur vier Jahre jünger als Napoleon, der als Kaiser der Franzosen und Usurpator Europas diesen Umbruch maßgeblich verursacht hat. Aber die neue Ordnung traf auf den erbitterten Widerstand der europäischen Fürsten- und Königshäuser. Die Konfrontation stürzte Europa zwischen dem ersten Koalitionskrieg 1792 und der Schlacht bei Waterloo 1815 in einen fast 25 Jahre dauernden Krieg, den Metternich als Gesandter und schließlich als österreichischer Außenminister erlebte.

Nach dem Ende der französischen Besetzung Europas empfand Metternich den Kontinent als instabil und fragil. Um einen weiteren, dann verheerenden Krieg zu vermeiden, müsse das »europäische Gebäude« stabilisiert und nicht im Chaos belassen werden. Als einflussreicher Außenminister der Habsburgermonarchie drückte er dem Nachkriegseuropa mit der von ihm maßgeblich erdachten Restaurationspolitik seinen Stempel auf. Dem »System Metternich« wohnte aber von Anfang an die Ursache seines Scheiterns inne, denn es übersah die Sprengkraft nationaler Bewegungen, die überall in Europa aufkeimten und nach Beachtung verlangten. Das wurde 1830 bei der französischen Julirevolution deutlich. Sie war für die einen der Völkerfrühling, der endlich die ersehnten konstitutionellen Garantien für ein bürgerliches Leben bringen werde, während die anderen genau das zu verhindern suchten. Die Revolution im Juli 1830 in Paris war für Metternich der Dammbruch. Zum ersten Mal war ein französischer König durch das Parlament berufen worden. Louis-Philippe konnte sich nicht auf ein »legitimes« Erbfolgerecht seiner Familie berufen, und er hatte sich auch nicht verpflichtet, eine christliche Regentschaft zu inszenieren, wie es sich beim Wiener Kongress die europäischen Monarchen gegenseitig versprochen hatten. Das in Wien verabredete Gleichgewicht der Kräfte in Europa existierte nicht mehr, stattdessen gab es mit Frankreich, Belgien sowie den Niederlanden liberale Mächte im Westen und mit Preußen, Russland und Österreich konservative Gegenspieler im Osten.

Als kurz danach das Fest auf Schloss Hambach im Sommer 1832 zigtausend junge Menschen anzog, deren Ruf nach Nationalstaaten in Polen, Italien und Deutschland unüberhörbar war, spürte Österreichs Außenminister Metternich, wie groß die Bedrohung war. Für ihn war es ein Fundamentalangriff auf die Wiener Nachkriegsordnung von 18152 und eine tiefe Erschütterung der Habsburger Monarchie. In der Wiener Staatskanzlei räsonierte Metternich, dass nur die traditionelle Zersplitterung der Deutschen und die fehlende gesamtdeutsche Hauptstadt die Geburt einer deutschen Nation zu Füßen des Hambacher Schlosses verhindert hatten. Derart aufgeschreckt sorgte er gemeinsam mit Preußen dafür, dass die bis dahin zurückhaltende bayerische Regierung mit einem Armeekorps in der Pfalz für Ruhe und Ordnung sorgte. Das »System Metternich« wurde im Februar 1848 endgültig pulverisiert, als die italienische Risorgimento-Bewegung für Neapel-Sizilien eine Verfassung erstritten hatte. Kurz darauf unterzeichnete König Karl Albert in Sardinien-Piemont eine konstitutionelle Verfassung und stellte die österreichische Herrschaft in der benachbarten Lombardei und in Venetien infrage. Nur ein drohender Staatsbankrott Österreichs konnte Metternich davon abhalten, militärisch zu intervenieren. Aber es kam noch schlimmer, denn die Revolution machte auch vor Wien nicht Halt.

Als Metternich angesichts revoltierender Massen einen robusten Militäreinsatz in den Straßen Wiens forderte, überschlugen sich die Ereignisse, wie es in einem Flugblatt dieser Tage festgehalten ist: »Nach Mittag stellte sich das sämtliche Militär am Gleis zwischen dem Burg- und dem Franzenstor auf, alles nahm einen ernsten Charakter an, die Bürger wurden zu den Waffen gerufen, und das Militär, mit Ausnahme der Besatzung in und um die Burg, aus der Stadt gezogen. (…) Spät abends legte noch Fürst Metternich seine Stelle nieder und verließ tags darauf die Stadt in aller Stille. Die Zensur wurde aufgehoben und Preßfreiheit bewilligt, aber der Jubeltag war der 15. März, an diesem Tag erschien die Kundmachung der bewilligten Konstitution; und nun waren alle Bitten erfüllt, alle Wünsche befriedigt, nur eine Stimme war hörbar, die Stimme des Jubels, Menschen aus allen Ländern und von allen Nationen umarmten sich als Brüder, ein Herz und ein Sinn.«3

Klemens Fürst Metternich floh am frühen Nachmittag des 14. März 1848 durch das Gartentor der Staatskanzlei. Ein paar hundert Meter entfernt fand er zunächst Unterschlupf im Haus eines befreundeten Grafen, ehe er auf Umwegen nach London ins Exil ging.4 Von dort beobachtete er die Rekonstruktion der alten Welt, die nach der Niederschlagung der Revolutionen in Europa 1849 begann und mit dem Krimkrieg, der 1853 die Wiener Nachkriegsordnung zerstörte, endete.5 Metternich, der im Sommer 1859 in Wien verstarb, gilt als einer der einflussreichsten europäischen Politiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


1 Siemann, Wolfram: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie. München 2022, S. 12 ff.

2 Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. München 2019, S. 84 ff.

3 Flugschrift aus Wien vom 16. März 1848, zit. nach: Berding, Helmut: Die Deutsche Revolution von 1848/49, Stuttgart 1989, S. 31.

4 Palmer, Alan: Metternich. Der Staatsmann Europas. Eine Biographie. Düsseldorf 1977, S. 404 f.

5 Lenger, Friedrich: Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung. Stuttgart 2003, S. 265 f.

25. Robert Blum – Der radikale Revolutionär

Robert Blum wurde am 10. November 1807 in Köln geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, musste aus Geldmangel seiner Eltern die schulische Ausbildung früh beenden und stattdessen mit dreizehn Jahren eine Handwerkslehre beginnen.1 Seine Kindheit verbrachte er im katholischen Milieu zu Füßen des Kölner Doms, entfremdete sich aber von der römischen Kirche und wurde später Mitglied des Deutschkatholizismus. Anfangs bewegte sich Blum im liberalen und politisch gemäßigten Spektrum, wendete sich aber immer mehr radikaleren Positionen zu, die ihm schließlich den Ruf eines radikal-linken Revolutionärs einbrachten. Blum war passionierter Autodidakt2 und hatte sich viele seiner politischen Überzeugungen durch Selbststudium angeeignet. Anfang der 1830er Jahre kam er in Kontakt mit dem Hallgartenkreis des liberalen Politikers Johann Adam von Itzstein. Sinn und Zweck dieses Kreises war es, Strategien zu entwickeln, wie der Deutsche Bund überwunden und eine politische Alternative geschaffen werden könnte. Schnell entwickelte sich der redegewandte Robert Blum, dessen Denken vom Gleichklang »Freiheit, Fortschritt und Gerechtigkeit« geprägt war, zu einer der wichtigsten Figuren des Hallgartenkreises, dem auch u. a. Heinrich von Gagern, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Friedrich Hecker angehörten.

Neben seiner Begabung als Redner entwickelte Blum auch schriftstellerisches Talent. In einem Artikel in dem von ihm begründeten Staatslexikon für das Volk verband Robert Blum das Streben nach Einheit untrennbar mit dem Kampf um Freiheit. Uneinigkeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen und zwischen Ländern sei immer das Ziel der Herrschenden gewesen. Nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens hätten sie so die Macht über die Völker und ihre herausgehobene Position behalten. Die Aufteilung in »Stände, Bekenntnisse, Vermögensklassen und Zünfte« sei der Garant für die Mächtigen, segmentierte Gruppen der Gesellschaft kleinzuhalten und dauerhaft dafür zu sorgen, dass sie sich nicht zu einer großen und mächtigen Gruppe zusammenschließen.3 In diesem Sinne verband Robert Blum den Kampf um die Einheit der deutschen Nation mit dem Kampf um einen demokratischen Staat.

Robert Blum, Porträt von August Hunger

Als im Februar 1848 die Nachricht von der Revolution in Frankreich kam, sah er seine Stunde gekommen. In Dresden veröffentlichte er am 13. März einen Aufruf An unsere Mitbürger in Sachsen, in dem er u. a. die »Preßfreiheit, ohne irgendwelche andren Beschränkungen; die völlige Freiheit und Rechtsgleichheit für jedes religiöse Bekenntnis und jeden kirchlichen Verein und eine Reform der Besteuerung nach dem Grundsatze möglichster Gerechtigkeit und Erleichterung der unteren Klassen«4 forderte.

Mit dieser politischen Überzeugung stürzte sich Robert Blum in die politischen Auseinandersetzungen der beginnenden Revolution in Deutschland. Als Vertreter Zwickaus wurde er in das Frankfurter Vorparlament entsandt, wo er zum Vizepräsidenten gewählt wurde. Die radikalen Linken wollten das Vorparlament zu einer permanent tagenden revolutionären Regierung umfunktionieren, um die Revolution ohne parlamentarische Kontrolle durchzusetzen. Mit den Liberalen lehnte Robert Blum das ab und trat stattdessen für einen Ausschuss ein, der den Bundestag des Deutschen Bundes bis zur Wahl einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung kontrollierte. Auch in diesem Fünfzigerausschuss fungierte Robert Blum als Vizepräsident, sodass er als einer der profiliertesten Politiker in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt wurde. Dort schloss er sich der radikal linken Fraktion Donnersberg an, machte sich für die Judenemanzipation stark und forderte die Wiederherstellung Polens unter Rückgabe der von Preußen annektierten polnischen Gebiete.

Während die Abgeordneten in Frankfurt über Menschenrechte, eine groß- oder kleindeutsche Lösung und über die Frage, ob das neue deutsche Reich eine Republik oder eine Monarchie werden sollte, diskutierten, begann im Herbst 1848 in Wien der Oktoberaufstand. Auslöser war der Versuch des österreichischen Militärs, die Aufstände im ungarischen Landesteil niederzuschlagen. Als das von Wiener Arbeitern und Studenten, die mit den nach Unabhängigkeit strebenden Ungarn sympathisierten, verhindert wurde, begann der Aufstand. In Frankfurt entschied die Nationalversammlung, eine Delegation unter der Leitung Robert Blums nach Wien zu schicken, um die Solidarität mit den Aufständischen zu dokumentieren. Blum war der Überzeugung, dass in Wien die Revolution weitergeführt werde, der Aufstand der dortigen Revolutionäre gegen das absolutistische Habsburger Herrschaftssystem schien das zu beweisen. Am 13. Oktober 1848 reiste die Delegation nach Wien, wo Robert Blum zehn Tage später eine Rede hielt, in der er die Bedeutung des Oktoberaufstands in Wien für den Fortgang der Deutschen Revolution hervorhob.

Am 25. Oktober traf er allerdings eine fatale Entscheidung, als er gemeinsam mit einem weiteren Mitglied der deutschen Delegation an Barrikadenkämpfen in der Wiener Innenstadt teilnahm. Robert Blum wurde sogar Kommandeur einer Kompanie zur Verteidigung des revolutionären Wien. Wenige Tage später blies Fürst Windisch-Graetz, der Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen, zum Sturm auf die österreichische Hauptstadt. Am 1. November besetzten die Regierungstruppen Wien, Blum bereitete seine Flucht vor, wurde aber mit Julius Fröbel, einem weiteren Mitglied der deutschen Delegation, in einem Gasthof am 4. November 1848 festgenommen. Sofort setzten diplomatische Bemühungen ein, Blum unter Hinweis auf seine Abgeordnetenimmunität freizubekommen. Windisch-Graetz wollte Konflikte mit Deutschland vermeiden und schlug die Ausweisung vor. Aber sein inzwischen zum Regierungschef ernannter Schwager Felix zu Schwarzenberg wollte ein Exempel an dem deutschen Abgeordneten statuieren, der zu einer »Inkarnation der Revolution«5 geworden sei. Er begegnete dem Einwand, dass es parlamentarische Privilegien für Robert Blum gebe, mit dem Hinweis, dass derartige Privilegien »keine gesetzliche Macht in Österreich haben. Die Privilegien des Standrechts sind die einzigen, welche Blum hierzulande beanspruchen kann.«6 Robert Blum wurde von einem Kriegsgericht zum Tod verurteilt und in den frühen Morgenstunden des 9. November 1848 in einem Wiener Vorort hingerichtet. Sein Mitstreiter Julius Fröbel wurde ebenfalls zum Tod verurteilt, anschließend aber begnadigt.

Mit der militärischen Niederschlagung des Wiener Oktoberaufstands läutete die kaiserliche Regierung Österreichs das Ende der Deutschen Revolution ein, denn bald danach beorderte die neue Regierung von Felix zu Schwarzenberg die österreichischen Delegierten nach Wien zurück. Kaiser Ferdinand trat Anfang Dezember 1848 zugunsten seines achtzehnjährigen Neffen Franz-Joseph zurück. Kurz darauf wurde eine neue Verfassung erlassen, die jedoch mit der in der Nationalversammlung erarbeiteten Verfassung nicht kompatibel war. Dieses Signal der wiedergewonnenen Stärke Österreichs mündete im März 1849 in der von Resignation gezeichneten Entscheidung der Nationalversammlung, den deutschen Staat ohne die habsburgischen Territorien zu bilden.7


1 Zum Lebenslauf: Freitag, Susanne (Hrsg.): Die 48-er. Lebensbilder der deutschen Revolution 1848/49. München 1998, S. 134 ff.

2 Clark, Christopher: Robert Blum – Mann des Volkes, Märtyrer der Revolution, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 178 ff.

3 Blum, Robert: Einheit, in: Volksthümliches Handbuch der Staatswissenschaften und Politik. Leipzig 1852, S. 306, zit. nach Clark, Christopher, a. a. O., S. 181.

4 Das Original des Aufrufs findet sich in der digitalen Sammlung der sächsischen Landesbibliothek: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/99437/1 (zuletzt abgerufen am 19.03.2022).

5 Clark, Christopher, a. a. O., S. 185.

6 Rapport, Mike: 1848. Revolution in Europa. Darmstadt 2011, S. 309.

7 Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770–1990. München1993, S. 125 f.

26. Friedrich Wilhelm IV. – Der preußische König

Als Mann von edlem Geblüt und Sohn zahlreicher preußischer Könige und brandenburgischer Kurfürsten werde er sich nicht das »Hundehalsband« der Revolution anlegen lassen. Mit diesen markigen Worten beendete Friedrich Wilhelm IV. am 3. April 1849 die Hoffnungen der eigens zu ihm nach Berlin gereisten Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, den preußischen König zum Kaiser eines deutschen Nationalstaats machen zu können. So hatte es die Mehrheit in der Paulskirche nach monatelangen Debatten beschlossen. Aber sie hatten unterschätzt, wie stark der Standesdünkel bei Friedrich Wilhelm IV. ausgeprägt war. Kurz zuvor hatte er in einem persönlichen Schreiben an den preußischen Botschafter in England offenbart, dass die Kaiserkrone nur von ihm »und meinesgleichen vergeben«1 werden könne.

Friedrich Wilhelm wurde am 15. Oktober 1795 geboren. Seine Kindheit war von zahlreichen Hofdamen umgeben und behütet. Er wuchs im Kreis seiner Familie mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Wilhelm – dem späteren Kaiser des 1871 gegründeten Deutschen Reichs – auf und wird einerseits als aufgeweckt, andererseits aber auch als eigenwillig oder ungehorsam beschrieben. Seine Jugend war von der Bedrohung durch die Französische Revolution und die Besetzung Preußens durch die Truppen Kaiser Napoleons geprägt. Nach der preußischen Niederlage in der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 wurden die beiden Prinzen ins ostpreußische Königsberg gebracht. Seine Abscheu gegenüber revolutionären Entwicklungen wurzelte in der Erfahrung der realen Gefahr, durch französische Revolutionstruppen gefangen genommen zu werden. Ebenso wichtig für seine weitere Entwicklung war 1813/14 die Teilnahme an den Befreiungskriegen gegen »Satans finstre Heerscharen«,2 wie er die Truppen Napoleons bezeichnete.

Als Friedrich Wilhelm IV. am 7. Juni 1840 den Thron des Königs von Preußen bestieg, waren die revolutionären Forderungen und Reformbestrebungen nicht mehr zu überhören. Anfangs schien es, als komme er den Reformern entgegen. Er gestattete den Brüdern Grimm und dem Dichter Ernst Moritz Arndt, ihre Lehrtätigkeit wiederaufzunehmen, die ihnen seit den Karlsbader Beschlüssen 1819 verwehrt worden war. Zudem lockerte er einige restriktiven Gesetze und erweckte den Eindruck, einer grundsätzlichen Reform Preußens positiv gegenüberzustehen.

Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Daguerreotypie von Hermann Biow, 1847

Aber der Eindruck täuschte, denn eigentlich war er ein tief im Gottesgnadentum verwurzelter Monarch, der dem mittelalterlichen Feudalismus mehr zugewandt war als den nationalen Reformforderungen des Vormärz. Eine gesamtstaatliche Verfassung, wie sie von den liberal gestimmten Landtagen des Rheinlands und Ostpreußens gefordert wurde, lehnte er kategorisch ab. Stattdessen schuf er einen »Vereinigten Landtag«, der aus den Provinzial-Landtagen bestand, und gewährte ihm das Recht zur Steuerbewilligung.

Angefeuert durch die Februarrevolution in Frankreich bekam die nationale Bewegung in Deutschland zu Beginn des Jahres 1848 neuen Schwung. Überall im Land wehten schwarz-rot-goldene Fahne von den Rathaustürmen, in vielen deutschen Staaten waren »Märzregierungen« eingesetzt worden, um einige der Forderungen der Revolutionäre zu erfüllen. Auch in Berlin eskalierte im März 1848 die Situation, Demonstranten forderten Freiheitsrechte und Reformen. Zwei versehentlich abgegebene Schüsse lösten Barrikadenkämpfe aus, die mehrere Hundert Opfer forderten. Die Kämpfe waren im Berliner Schloss zu hören. Friedrich Wilhelm IV., der einem Nervenzusammenbruch nahe gewesen sein soll, wies jede Schuld von sich. Schließlich ließ er sich aber dazu überreden, sich vom Balkon des Schlosses aus vor den Opfern des Aufstands zu verneigen. Mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde ritt er anschließend durch die Straßen Berlins und beteuerte am 21. März 1848 in einer Proklamation, dass Preußen »fortan in Deutschland« aufgehen werde.3 Dem Jubel der Straße folgte das Staunen der preußischen Untertanen: Der König ließ ein liberales Ministerium einrichten und gewährte Presse- und Versammlungsfreiheit! Aber nur einen Tag später offenbarte er seinem Bruder, dass er seine Zustimmung zu den revolutionären Forderungen nur gegeben habe, um letzten Ende die preußische Monarchie zu retten.4

Seine Ablehnung der Revolution und sein unbedingtes Festhalten an der absolutistischen Monarchie zeigte sich, als die Frankfurter Nationalversammlung entschied, ihm die Krone eines deutschen Kaisers anzubieten. Die Delegierten, die am 3. April 1849 vor Friedrich Wilhelm IV. standen, hegten die Hoffnung, dass die liberalen Reformen, die er in Preußen nach den Märzereignissen hatte durchführen lassen, ihn auch dazu bewegen könnten, in einer konstitutionellen Monarchie die Krone zu tragen. Tatsächlich aber war das Entgegenkommen des Königs kalte Berechnung, durch die er seine absolutistische Macht letztendlich stabilisieren und erhalten wollte. Diese Überlegungen standen in diametralem Gegensatz zu den Aufgaben, die die Nationalversammlung dem neuen Kaiser zuweisen wollte: Der Kaiser sollte das Land nach außen vertreten, Kriege erklären und Frieden schließen, den Reichstag einberufen können und oberster Befehlshaber der Streitkräfte sein. Gesetze durfte er nur vorschlagen und auf die Arbeit des Parlaments keinen Einfluss nehmen.

Mit diesem Votum in der Tasche hatten sich mehr als dreißig Delegierte der Nationalversammlung auf den Weg zum preußischen König nach Berlin gemacht. Aber Friedrich Wilhelm IV. lehnte die Wahl ab und hielt sich mit seiner Meinung nicht zurück, als er etwas später von einem »imaginären Reif aus Dreck«5 sprach, der ihm aufs Haupt hätte gesetzt werden sollen. Weil er sich nicht von der »Kanaille« zum Kaiser krönen lassen wollte, vergab er die »große Chance einer nationalen Staatsbildung auf der Basis der Reichsverfassung«,6 die auch von der breiten Mehrheit der Deutschen mitgetragen worden wäre. So aber musste die Abordnung der Nationalversammlung mit der berechtigten Vorahnung nach Frankfurt zurückkehren, dass die Revolution kurz vor ihrem Ende stand.

Friedrich Wilhelm IV. leistete dann aber doch einen Eid – allerdings auf eine Verfassung, die zugunsten der königlichen Macht modifiziert worden war. Mit der Erfurter Union wollte er 1849 einen preußischen Führungsanspruch in Deutschland durchsetzen. Aber die Unionsidee scheiterte an einigen der wichtigsten deutschen Staaten, die sich einer preußisch dominierten Union nicht anschließen wollten. Fortan verlor auch Friedrich Wilhelm IV. das Interesse an dem Projekt, zumal er sich mit dem 1853 beginnenden Krimkrieg einem sehr viel wichtigeren Problem zuwenden musste. Er hielt Preußen aus dem Kräftemessen der europäischen Großmächte um die Vorherrschaft am Schwarzen Meer heraus. Das war seine letzte große politische Entscheidung, in den nächsten Jahren litt er unter einer Gefäßerkrankung, die ihn am 7. Oktober 1858 zur Übertragung der Amtsgeschäfte an seinen Bruder Wilhelm bewog.

Friedrich Wilhelm IV. starb am 2. Januar 1861 in Potsdam.


1 Herre, Franz: Friedrich Wilhelm IV. Der andere Preußenkönig. Gernach 2007, S. 127.

2 Ebd., S. 23.

3 »Proklamation des preußischen Königs« findet sich im »documentarchiv.de« (zuletzt abgerufen am 20. 01. 2022).

4 Schwibbe, Michael; u. a.: Zeit Reise – 1200 Jahre Leben in Berlin. Berlin 2008, S. 104.

5 Herre, Franz: a. a. O., S. 127.

6 Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland 1770–1990. München 1993, S. 128.

27. Philipp Jakob Siebenpfeiffer – Der demokratische Publizist

Sein Geburtsjahr kann man sich leicht merken – 1789, das Jahr der Französischen Revolution. Jahr und Ereignis bei den französischen Nachbarn standen geradezu symbolisch über dem Leben des als Sohn eines Schneidermeisters geborenen Publizisten Philipp Jakob Siebenpfeiffer. Zwischen seinem Geburtshaus und der französischen Grenze lagen nur etwa zehn Kilometer.1 Das aber hinderte ihn nicht, gegen die napoleonische Besatzung zu opponieren und 1806 dem »Bund gegen die Tyrannenherrschaft Napoleons« beizutreten. Als der französische Kaiser nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 zunächst einmal geschlagen war, verfluchte er die »Napoleonen« und widmete sich seinem Jurastudium, das er im selben Jahr mit einer Promotion abschloss. Siebenpfeiffer profitierte vom Ende der französischen Herrschaft in Deutschland, wurde Assessor in einigen badischen Kommunen, ehe er 1818 als Landrat in Homburg damit beschäftigt war, das Leben nach der »Franzosenzeit« neu zu ordnen.

Aber die Juristerei war nicht seine einzige Begabung. Seit 1824 veröffentlichte er journalistische Texte, was am 1. März 1831 in der Gründung der Tageszeitung Der Bote aus Westen mündete. Ein Jahr später wurde daraus der Westbote. Zusammen mit der von August Wirth herausgegebenen Deutschen Tribüne war Siebenpfeiffers Zeitung das bedeutendste Presseorgan der deutschen Opposition während der Zeit des Vormärz. Er machte sich zum publizistischen Anwalt der Belange des Volkes, benannte politische Probleme und forderte zu ihrer Beseitigung den raschen Übergang zu einer parlamentarischen Monarchie oder sogar zu einer demokratischen Republik.2 All das brachte den Homburger Landrat ins Visier der Überwachungsbehörden, die ihn seines Amtes enthoben und aus dem Staatsdienst entließen. Nun entwickelte Siebenpfeiffer neue journalistische Aktivitäten und befasste sich mit der Pressefreiheit, die den absolutistischen deutschen Fürsten natürlich ein Dorn im Auge war. Die Freiheit von Schrift und Wort war für Siebenpfeiffer »Universalrezept«3 für die Gestaltung des neuen Deutschlands, sodass die Gründung des Deutschen Preß- und Vaterlandvereins am 29. Januar 1832 gemeinsam mit Georg August Wirth logische Konsequenz dieser Erkenntnis war.

Der Verein bekam schnell landesweite Bedeutung, weil er sich nicht nur für Pressefreiheit und gegen Zensur einsetzte. Vielmehr unterstützte er Journalisten, die wegen ihrer oppositionellen Haltung oder wegen kritischer Zeitungsartikel im Gefängnis saßen. Die massiven Repressionen, denen sich viele Revolutionäre in Deutschland ausgesetzt sahen, führte aber nicht wie gewünscht zu einer vollständigen Unterdrückung der Opposition, sondern zeitweise gar zu deren Stärkung. Das zeigte sich Ende Mai 1832. Siebenpfeiffer und Wirth organisierten ein nationales Fest auf Schloss Hambach in der Pfalz. Etwa 30 000 Menschen folgten dem Aufruf Siebenpfeiffers, der sich ausdrücklich auch an Frauen richtete, die er als »freie Genossin des freien Bürgers« pries: »Deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Missachtung in der europäischen Ordnung ein Fehler und ein Flecken ist, schmücket und belebt die Versammlung durch eure Gegenwart!«4 Während des Festes plädierte er für ein freies Vaterland ohne Schlagbäume5 und entwarf damit eine Utopie, die im vereinten Europa mit dem Abkommen von Schengen Realität geworden ist – allerdings erst seit Mitte der 1980er Jahre. In seiner kämpferischen Rede beklagte er die deutsche Mentalität, die zwar »auf Polens Wiederauferstehung trinkt« und Griechenland bei der Befreiung »vom türkischen Joch« hilft, aber »knechtisch den Nacken unter das Joch der eigenen Dränger beugt. Es wird kommen der Tag«, fuhr er fort, »wo nicht 34 Städte und Städtlein, von 34 Höfen das Almosen empfangen, um den Preis hündischer Unterwerfung, sondern wo alle Städte, frei emporblühend aus eigenem Saft um den Preis patriotischer Tat ringen und ein selbst gewobenes Bruderband alle umschließt zu politischer Einheit und Kraft«.6 Neben der deutschen Einheit stand die Forderung nach einem »conförderierten Europa«, in dem ein demokratisches, parlamentarisches und republikanisches Deutschland seinen Platz finden sollte. Damit war das Fest auf Schloss Hambach »das Geburtstagsfest der deutschen Demokratie«.7

Aber es dauerte nicht lange, bis die Repressionsmaßnahmen die Organisatoren des Hambacher Festes erreichten. Österreichs Außenminister Metternich erließ unmittelbar im Anschluss »Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung«, die das Petitions- und Budgetrecht der Süddeutschen Parlamente sowie die Rede- und Pressefreiheit einschränkten und Zensur, Versammlungs- und Vereinsverbot verschärften.8 Philipp Jakob Siebenpfeiffer wurde verhaftet und im August 1833 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. In seiner Verteidigungsrede, die anschließend tausendfach als Flugschrift unters Volk gebracht wurde, pries er Demokratie und republikanische Staatsform, an deren Wiege nicht nur »eine bluttriefende Stiefmutter, die Monarchie, stehe, sondern auch eine hellsehende Wächterin, die freie Presse, die mit tausend Argusaugen die Republik überwacht, damit die Schlangen des Ehrgeizes und der Selbstsucht sich in scheuer Ferne halten«. Ahnungsvoll hielt er seinen Richtern vor, dass die Völker Europas keine »blutende Werkzeuge für Friedenshändel, Kauf und Verkauf, Tausch und Verpfändung, Heiratsgut, Apanagen, Spielgeld für knechtisch gesinnte Generäle und Hofschranzen« seien. Er forderte stattdessen, dass »nicht das Volk der Regierung willen, sondern die Regierung des Volkes wegen« zu handeln habe. Der einzige Ort, an dem das »unbestechlich und unwiderstehlich« gewährleistet werden könne, sei »eine frei erwählte Nationalversammlung, gestützt auf eine wahre Nationalmacht«.9

Im November 1833 konnte Siebenpfeiffer aus dem Gefängnis in Frankenthal fliehen. Auf abenteuerlichem Weg gelangte er durch die Südpfalz über das Elsass in die Schweiz. In Bern übernahm er eine Professur an der dortigen Universität und distanzierte sich öffentlich von allen politischen Tätigkeiten. 1841 diagnostizierten die Ärzte bei ihm eine beginnende Geisteskrankheit. Die Krankheit konnte nicht gestoppt werden, sodass er ein Jahr später wegen Anzeichen einer »geistigen Zerrüttung« in eine Anstalt für psychische Erkrankungen in Bümpliz bei Bern verlegt werden musste. Dort starb er am 14. Mai 1845.


1 Zum Lebensweg und Wirkungskreis Siebenpfeiffers: Prantl, Heribert: Philipp Jakob Siebenpfeiffer. Das Fest, das Deutschland hoffen ließ, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 91 ff.

2 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. 1815–1845/49. München 1978, S. 363.

3 Prantl, Heribert: a. a. O., S. 94.

4 Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770–1990. München 1993, S. 96.

5 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution. 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 314 und 448.

6 Pollmann, Bernhard: Lesebuch zur Deutschen Geschichte. Dortmund 1989, S. 597 f.

7 Prantl, Heribert: a. a. O., S. 95.

8 Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49. Darmstadt 2012, S. 12.

9 Die Verteidigungsrede ist in überarbeiteter Form nachzulesen bei: Baus, Martin: Pöbel in Glanz und Würden, in Palästen und im Überfluss!: http://siebenpfeiffer-stiftung.de/wordpress/2017/08/01/poebel-in-glanz-und-wuerden-in-pallaesten-und-im-ueberfluss/ (zuletzt abgerufen am 22.03.2022).

28. Johann Georg August Wirth – Kämpfer für Einheit und Freiheit

Der Ende November 1798 in Hof an der Saale geborene Johann Georg August Wirth1 wuchs nach dem frühen Tod seines Vaters bei seiner Mutter auf. Er besuchte das Gymnasium und war einige Jahre Klassenkamerad von Karl Ludwig Sand, dem späteren Mörder des Dichters August von Kotzebue. Nach dem Jurastudium übernahm er unterschiedliche Tätigkeiten bei verschiedenen Gerichten, seine eigentliche Leidenschaft galt aber der Literatur und dem Journalismus. Erst druckte er auf eigene Kosten die Zeitschrift Kosmopolit, in der er sich über die restriktive bayerische Regierungspolitik beschwerte und Pressefreiheit forderte. Später lernte er den Verleger Johann Friedrich Cotta kennen, dessen regierungstreue Überzeugungen bei ihm gegenteilige Reaktionen hervorriefen: Johann Georg August Wirth wechselte das politische Lager und gründete eine eigene Zeitung. Die Deutsche Tribüne wurde unter seiner Obhut zur bedeutendsten Oppositionszeitung des Vormärz. Sie erschien von Juli 1831 bis März 1832.

Mit der Tribüne erlangte Wirth überregionale Bedeutung innerhalb der deutschen Nationalbewegung. Indem er kritische Texte als Flugblatt veröffentlichte, umging er anfangs die Zensurbestimmungen. In der sechsten Ausgabe der Zeitung schrieb Wirth am 6. Juli 1831: »Wir ersuchen alle Zeitungsredaktionen und Schriftsteller, welchen von der Zensur Artikel gestrichen werden, solche uns mitzuteilen. Wir werden dieselben sodann in unserem Blatt oder durch Flugblätter zur Publizität bringen.«2 Das war ein offener Aufruf zur Umgehung der Zensur und eine deutliche Forderung nach Pressefreiheit. Beides mündete ein Jahr später in der Gründung des Preß- und Vaterlandsvereins. Hier entwickelte Wirth die Vorstellung einer europäischen Staatengesellschaft, die sowohl die Epoche der Restauration als auch die Heilige Allianz des Wiener Kongresses ablösen sollte. Gemeinsam mit Frankreich und Polen sollten die revolutionären Kräfte der »vereinigten Freistaaten von Deutschland« ein neues Europa schaffen, in dem der übermächtige Einfluss Österreichs und Preußens durch die Gründung eines deutschen Reiches mit »demokratischer Verfassung« beendet werden sollte.

Johann Georg August Wirth

Im Preß- und Vaterlandsverein war eine neue, vor allem von jungen Leuten getragene deutsche Nationalbewegung zu erkennen. Literarisch wurde sie getragen von der Gruppe Junges Deutschland, in der sich Autoren wie Heinrich Heine oder Georg Büchner wiederfanden.3 Politisch traten sie für den Kampf der Polen um ihre Unabhängigkeit gegenüber dem russischen Zarenreich ein. In den Polenvereinen organisierten sie Unterstützung für den Freiheitskampf der Nachbarn und nahmen exilierte Polen begeistert in Deutschland auf.

Vorläufiger Höhepunkt des Kampfs der deutschen Nationalbewegung um einen geeinten deutschen Staat war das Hambacher Fest vom 27. Mai bis zum 1. Juni 1832. In der seinerzeit zum Königreich Bayern gehörenden Rheinpfalz versammelten sich an diesen Tagen mehrere Zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nach dem Zeitungsbericht des Volksfreunds vom 9. Juni 1832 schon in den frühen Morgenstunden als »von Minute zu Minute wachsende Menschenmenge aus den verschiedenen Bezirken und Städten Rheinbayerns und von weiter herkommend von einer jubelnden Menge laut begrüßt« wurden. Als immer mehr Menschen kamen, »lief ein Murmeln durch die Menge, dann donnerte wie Lawinen der mächtige wiederholte Ruf: Es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland!« Kanonenschüsse habe man vernehmen können, »Schauer durchrieselte tausend und tausend Herzen, denn auf dem höchsten Turme des Schlosses wurde in diesem Augenblick die große schwarz-rot-goldene Fahne aufgerichtet«.4

Auf der höchsten Zinne der Hambacher Schlossruine flatterte aber nicht nur eine riesige schwarz-rot-goldene Fahne, sondern auch die polnische Flagge im Wind. Es wurden patriotische Reden gehalten, die von Deutschlands Auferstehung und einem gemeinsamen Europa schwärmten. Philipp Jakob Siebenpfeiffer richtete seine Rede eher nach innen, verspottete die einzelstaatlichen Verfassungen der deutschen Staaten als »Konstitutiönchen«. Wirth hingegen hob in zweifacher Hinsicht auf den europäischen Aspekt ab. Er teilte die weit verbreitete Angst, dass Frankreich die deutsche Schwäche nutzen und eine Okkupation des linken Rheinufers wie zu Napoleons Zeiten anstreben könnte. Der Rückschluss, dass für diesen Fall von dem Doppelziel Einheit und Freiheit zugunsten der Einheit abgerückt werden müsse, rief zwar den Widerspruch Karl von Rottecks hervor. Der Liberale von Rotteck hielt ihm entgegen, dass man lieber »Freiheit ohne Einheit als Einheit ohne Freiheit«5 akzeptieren solle. Dennoch ist die Rede, die Johann Georg August Wirth im Sommer 1832 beim Nationalfest auf Schloss Hambach gehalten hat, zu einem Dokument der modernen deutschen und europäischen Einigungsbewegung geworden. Nachdem er zum Sturz der Monarchien aufgerufen hat, erhob er den Kampf in Deutschland zur Voraussetzung für die Freiheit der anderen unterdrückten Völker Europas und zeigte so den inneren Zusammenhang zwischen den europäischen Freiheitskämpfen auf.6 Dabei nahm er kein Blatt vor den Mund:

»Die Ursache der namenlosen Leiden der europäischen Völker liegt einzig und allein darin, dass die Herzöge von Österreich und die Kurfürsten von Brandenburg den größten Teil von Deutschland an sich gerissen haben. Sie benützen ihr Übergewicht über die kleineren Länder Deutschlands, um auch die Kräfte dieser dem System fürstlicher Alleinherrschaft und despotischer Gewalt dienstbar zu machen. (…) Wenn also das deutsche Geld und das deutsche Blut nicht mehr den Befehlen der Herzöge in Österreich und der Kurfürsten von Brandenburg, sondern der Verfügung des Volkes unterworfen sind, so wird Polen, Ungarn und Italien frei. Der Wiederherstellung des alten, mächtigen Polens, des reichen Ungarns und des blühenden Italiens folgt von selbst die Befreiung Spaniens und Portugals und der Sturz des unnatürlichen englischen Übergewichts. (…) Darum deutsche Patrioten wollen wir die Männer wählen, die durch Geist, Feuereifer und Charakter berufen sind, das große Werk der deutschen Reform zu beginnen, dann auch durch unsere Bitten zu bewegen, den heiligen Bund sofort zu schließen. Dieser schöne Bund möge dann das Schicksal unseres Volkes leiten; er möge auch zu gleicher Zeit mit den reinen Patrioten der Nachbarländer sich verständigen, und wenn ihm Garantien für die Integrität unseres Gebietes gegeben sind, dann möge er immerhin auch die brüderliche Vereinigung suchen, mit den Patrioten aller Nationen, die für Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück das Leben einzusetzen entschlossen sind. Hoch! dreimal hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands! Hoch! dreimal hoch das conföderierte republikanische Europa!«7

Nach dieser Rede auf dem Hambacher Schlossplatz wurde er festgenommen und in Zweibrücken inhaftiert. Im Juni 1833 sprach ihn ein Landauer Geschworenengericht frei, im November endete ein weiterer Prozess wegen Beleidigung mit einer zweijährigen Haftstrafe. Anschließend lebte Johann Georg August Wirth einige Jahre in Frankreich und der Schweiz, zog 1847 nach Karlsruhe und wurde als Abgeordneter in die deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt gewählt. Kurz darauf verstarb er überraschend im Alter von knapp fünfzig Jahren. In seiner Grabrede machte Robert Blum ihn zum »Volkstribun im edelsten Sinne«.8


1 Biografische Daten finden sich hier: Mendheim, Max: Wirth, Georg August, in: Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 531–533: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118835777.html#adbcontent (zuletzt abgerufen am 30.03.2022).

2 Geschichte der constitutionellen und revolutionären Bewegungen im südlichen Deutschland in den Jahren 1831–1834. Bd. 1. Charlottenburg 1845, S. 287: https://books.google.de/books?id=GVEAAAAAcAAJ&pg=PA286#v=onepage&q&f=false (zuletzt abgerufen am 30.03.2022).

3 Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770–1990. München 1993, S. 97.

4 Der Volksfreund in den Ausgaben von 9. / 16. und 19. Juni 1821: https://www.teachsam.de/geschichte/ges_deu_1815-1849/hambach%201832/ges_deu_1815-49_2_5_Q_2.htm (zuletzt abgerufen am 23.03.2022).

5 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1984, S. 309.

6 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 448.

7 Die Rede ist vollständig verfügbar unter https://www.politische-bildung.rlp.de/fileadmin/files/downloads/Faust/Die_Rede_Wirths_beim_Hambacher_Fest.pdf (zuletzt abgerufen am 23.03.2022).

8 Die Rede Robert Blums findet sich in der österreichischen Nationalbibliothek: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=gfl&datum=1871&page=424 (zuletzt abgerufen am 30.03.2022).

29. Ludwig Uhland – Der Dichter

Der im April 1787 in Tübingen geborene Literat und Dichter stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Von Kindesbeinen an wuchs Ludwig Uhland in einem bürgerlichen Umfeld auf, war es gewohnt, sich mit Literatur und wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, besuchte eine Lateinschule und studierte anschließend Jura in Tübingen. Früh begann Uhland Gedichte zu schreiben, verkehrte in einem schwäbischen Dichterkreis, wo er unter anderem auch einen Lyriker von Rang kennenlernte: Eduard Mörike. Uhlands Studentenleben wurde durch die Kriege beeinträchtigt, die in unterschiedlichen Koalitionen gegen das napoleonische Frankreich geführt wurden. Als sich 1809 in Tirol, angeführt von Andreas Hofer, viele Menschen gegen die französischen Besatzer erhoben und militärisch niedergeworfen wurden, inspirierte das den jungen Ludwig Uhland zu einem Gedicht. Der gute Kamerad begründete nicht nur seinen Ruhm, sondern wurde auch vielfach missinterpretiert: »Ich hatt’ einen Kameraden, / einen bessern findst du nit. / Die Trommel schlug zum Streite, / Er ging an meiner Seite / In gleichem Schritt und Tritt. / Eine Kugel kam geflogen, / Gilt’s mir oder gilt es dir? / Ihn hat es weggerissen, / Er liegt zu meinen Füßen / Als wär’s ein Stück von mir.« Uhland hatte diese Zeilen gedichtet, ohne politische oder nationale Ideologien im Sinn gehabt zu haben. Es ging ihm um Kriegsschicksale, wie er sie aus Tirol und von anderen Schlachtfeldern gehört hatte. Trotzdem wurde das Lied vom »guten Kameraden« immer wieder politisch missbraucht und instrumentalisiert.

In den folgenden Jahren widmete sich Ludwig Uhland seinem Studium, unternahm Bildungsreisen und entwickelte einen dichterischen Stil, der kaum emotional geprägt war, sondern eher einer detailreichen Darstellung der Realität glich. Damit wurde er bekannt und beliebt, was 1819 dazu führte, dass ihm ein Landtagsmandat angetragen wurde, das er ohne eigenes Zutun bei der nächsten Wahl auch gewann. Sieben Jahre war Uhland württembergischer Landtagsabgeordneter, führte seine Amtsgeschäfte gewissenhaft und entpuppte sich als engagierter Verfechter einer stärkeren Kontrolle der Regierung von König Wilhelm I., der Uhlands politische Absichten argwöhnisch beobachten ließ. Zwischen 1826 und 1832 widmete er sich wissenschaftlichen Arbeiten, bekam einen Lehrstuhl und wurde Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Tübingen. Immer mehr vermischten sich Wissenschaft, Dichtkunst und politische Absichten, was im Dezember 1831 zum zweiten Mal dazu führte, dass er als Vertreter der liberalen Opposition in den württembergischen Landtag gewählt wurde. Aber König Wilhelm I. verschob die Einberufung des Landtags auf Anfang 1833, weil er den wortgewaltigen und beim Volk beliebten Abgeordneten fürchtete.1

Während er als Abgeordneter im Landtag erneut erfahren musste, dass er sich bei nahezu allen wichtigen Reformabstimmungen nicht durchsetzen konnte und zur Minderheit gehörte, wuchs gleichzeitig sein Einfluss auf die allmählich entstehende Demokratiebewegung. Mit seinem Stil einer »bürgerlich gezähmten Romantik« wirkte Uhland in Volksliedern, Balladen und Gedichten auf seine Leser »patriotisch, altmodisch-demokratisch objektiviert und belehrend«.2 Je mehr er dabei mit den politischen Idealen der Oppositionsbewegung sympathisierte, desto »populärer wurde seine Lyrik im Vormärz«.3 Als er 1838 zum zweiten Mal den württembergischen Landtag verließ, hatte er sich zwar den Ruf eines »eindrucksvollen liberalen Parlamentariers«4 erworben, war aber erneut an den politischen Realitäten gescheitert. Resigniert kehrte Uhland ins Privatleben und zu seinen wissenschaftlichen Studien zurück.

Dieser Rückzug ins Private dauerte zehn Jahre. 1848 wurde Ludwig Uhland Mitglied des Vorparlaments und anschließend von mehr als neunzig Prozent der Wähler seiner Heimatstadt Tübingen zum Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung gewählt. Dort war er leidenschaftlicher Vertreter der großdeutschen, also Österreich einschließenden Lösung bei der Gründung eines Deutschen Reichs und befand sich wie die meisten Abgeordneten mit dieser Auffassung in einem Dilemma. Das wurde bei der Debatte um die Zugehörigkeit des Großherzogtums Posen zum neuen Deutschen Reich offensichtlich. War es vor 1848 eine national-patriotische Selbstverständlichkeit, für die polnische Unabhängigkeit von der russischen Fremdherrschaft einzutreten, änderte sich das nach 1848. Nun wäre eine polnische Unabhängigkeit mit einem Verzicht auf jene Gebiete verbunden, die seit den Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts zu Preußen gehörten. Ludwig Uhland plädierte gegen einen souveränen polnischen Staat und verriet damit die Ideale aus dem Vormärz. Uhlands Argumentation basierte dabei auf einem Geschichtsbild, das in »Volk und Vaterland« die Garanten einer nationalen Zukunft erkannte: Ein freies und aus dem ureigenen Geist des deutschen Volkes wiedergeborenes großes Deutschland sollte es sein, in dem natürlich auch Österreich seinen Platz hatte.5

Aber die Zukunft war nicht auf der Grundlage eines Vergangenheitsbildes zu gestalten, das keinerlei Abstriche zuließ und auf einer Integration Österreichs beharrte. Uhlands politisches Scheitern war vor allem darin begründet, dass er mit einer eigentümlichen Radikalität seine »großdeutschen« Wunschträume vertrat: »Die deutsche Einheit soll geschaffen werden; diese Einheit ist aber nicht eine Ziffer; sonst könnte man fort und fort den Reichsapfel abschälen, bis zuletzt Deutschland in Liechtenstein aufginge. Eine wahre Einigung muss alle deutschen Ländergebiete zusammenfassen. Das ist eine stümperhafte Einheit, die ein Drittel der deutschen Länder außerhalb der Einigung lässt. Es scheint, manche nehmen es auch zu leicht, auf Österreich zu verzichten. Wie verengt sich unser Gesichtskreis, wenn Österreich von uns ausgeschieden ist! Mitten in der Zerrissenheit dieser Versammlung war mir das ein erhebendes Gefühl, dass, so sehr wir uns oft gegeneinander aufbäumen, wir dennoch durch das nicht mehr zu brechende, im Volksbewusstsein gefestigte Gebot der deutschen Einheit wie mit eisernen Banden zusammengeschmiedet sind; trennen Sie Österreich ab, so ist das Band zerschlagen.«6 Mit dieser im Januar 1849 gehaltenen Rede manövrierte sich Ludwig Uhland in das Lager der Minderheit, die tatenlos zusehen musste, wie mit der »kleindeutschen« Lösung Österreich von Deutschland getrennt wurde. Dennoch blieb Ludwig Uhland bis zur Auflösung des Stuttgarter Rumpfparlaments Abgeordneter der Nationalversammlung. Seine letzte Handlung war am 18. Juni 1849 die Teilnahme an einem Demonstrationszug der Parlamentarier, die durch die württembergische Regierung an der Ausübung ihrer Ämter gehindert worden waren.

Das war das Ende von Uhlands politischer Betätigung. Er ging zurück in seine Heimatstadt Tübingen, wurde Privatgelehrter, widmete sich wissenschaftlichen Studien und äußerte sich nur noch selten zu politischen Ereignissen. Uhland starb am 13. November 1862 in Tübingen.


1 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 441.

2 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München1984, S. 578.

3 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: a. a. O., S. 373.

4 Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49. Darmstadt 2012, S. 11.

5 Langewiesche, Dieter: Ludwig Uhland. Der Ruhm des Scheiterns, in: Freitag, Sabine: Die 48-er. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49. München 1998, S. 15.

6 Die gesamte Rede Ludwig Uhlands vom 19. Januar 1849 findet sich in der »Bibliotheca Augustana«: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Uhland/uhl_erbk.html (zuletzt abgerufen am 30.03.2022).

30. Friedrich Hecker – Der Radikaldemokrat

Der im September 1811 im Großherzogtum Baden geborene Friedrich Hecker entstammte einer wohlhabenden Familie. Der junge Hecker wurde stark von seinem Vater, einem Kraichgauer Verwaltungsbeamten, geprägt, der sich lautstark über die Verschwendungssucht der Adligen und die Misswirtschaft im Großherzogtum aufregte, weil beides zulasten der armen Bevölkerungsschichten ging. Diese oppositionelle Grundhaltung seines Elternhauses war in Zeiten der Restauration und der Geltung der Karlsbader Beschlüsse nicht ohne Risiko, denn zu lauter Protest konnte drastische Strafen nach sich ziehen. Anfang der 1830er Jahre nahm Friedrich Hecker sein Jurastudium in Heidelberg auf, geriet in Kontakt mit der studentischen liberalen Progressbewegung, die sich für die Gleichheit aller Studenten einsetzte und an die Ideale der Burschenschaften anknüpfte. Nach dem Ende seines Studiums unternahm Friedrich Hecker eine Bildungsreise nach Frankreich, kehrte 1836 nach Karlsruhe zurück und quittierte den Staatsdienst, um als »Rechtsfreund des Volkes«1 und Abgeordneter der badischen Ständeversammlung in Karlsruhe aktiv zu werden.

In der badischen Ständeversammlung hielt er flammende Reden für die Trennung von Kirche und Staat, für die soziale Abfederung der Folgen der rasch voranschreitenden Industrialisierung Deutschlands und für ein Staatswesen, das für die Belange des Volkes und nicht nur für die Ansprüche des Adels oder der Wohlhabenden eintreten sollte. Er wollte eine demokratische Ordnung, in der – den Vorstellungen seiner Zeit entsprechend – die männliche erwachsene Bevölkerung politische Partizipation genießen sollte.

Friedrich Hecker, zeitgenössische Lithografie

Die Wucht der Februarrevolution 1848 im benachbarten Frankreich führte bei Friedrich Hecker zur Gewissheit, dass auch im badischen Großherzogtum eine Revolte und die Umkehr zu republikanischen Verhältnissen möglich sei. Nun endlich, so seine Hoffnung, ging die Saat der politischen Agitation im Vormärz auf, nun endlich sei auch hier die Zeit der großen Veränderungen gekommen. Gleichzeitig stieg seine Popularität, Oppositionelle trugen einen »Heckerhut« oder schmetterten das »Heckerlied«: »Wenn die Leute fragen, / Lebt der Hecker noch? / Könnt ihr ihnen sagen: / Ja, er lebet noch. / Er hängt an keinem Baume, / Er hängt an keinem Strick. / Er hängt nur an dem Traume / Der deutschen Republik.«

Im März 1848 wurden Friedrich Hecker und der radikale Demokrat und Rechtsanwalt Gustav Struve in das Frankfurter Vorparlament entsandt. Dort sollte lediglich die Wahl zu einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung organisiert werden. Aber Hecker und Struve wollten das Vorparlament zu einer ständig tagenden Nationalversammlung machen, die die Revolution quasi von oben in die Wege leiten sollte. Als Vorbild diente ihnen die amerikanische Bill of Rights, die 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vorbereitete. Am 31. März 1848 stellten sie einen Antrag, der »Wohlstand, Bildung und Freiheit für Alle ohne Unterschied der Geburt, des Standes und des Glaubens«2 zum Ziel hatte. Die fünfzehn Punkte des Antrags machten klar, dass die beiden Antragsteller eine »radikale und konsequente Beseitigung alter Herrschaftsstrukturen«, eine parlamentarische Demokratie und eine »föderativ« gegliederte Republik anstrebten, die durch eine aktive Sozialpolitik die höchst unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse im deutschen Volk ausgleichen sollte.3 Aber es blieb bei einem Plan, weil die Mitglieder des Frankfurter Vorparlaments den Ideen nicht folgten. Friedrich Hecker musste erkennen, dass die konservativ-liberalen Delegierten nicht nur eine Mehrheit hatten, sondern mit einer Monarchie und kaiserlichem Oberhaupt gegensätzliche Ziele anstrebten und damit einer Republik von vornherein eine Absage erteilten.

Gemeinsam mit Gustav Struve verließ Hecker das Vorparlament mit den Worten: »In Frankfurt ist nichts zu machen, es gilt in Baden loszuschlagen!«4 Knapp zwei Wochen später ließ er diesen Worten Taten folgen, indem er am 12. April 1848 maßgeblich an der Ausrufung der badischen Republik beteiligt war. Die folgenden Tage waren turbulent. Am 13. April brach Hecker nach Karlsruhe, der Residenz des badischen Großherzogs, auf. Er hoffte, unterwegs viele Unterstützer seines »Heckerzuges« gewinnen zu können. Hecker wähnte sich kurz vor der Erfüllung seines Traums von einer demokratischen Republik, aber die Realität zeigte, dass viel zu wenige an seiner Seite waren, um sich gegen die rasch herbeigeführten Bundestruppen erfolgreich zur Wehr setzen zu können. Nach ein paar Tagen war die Schar der treuen Hecker-Anhänger geschlagen, am 20. April 1848 folgte das letzte Kapitel der Niederlage nach einer Schlacht auf dem südbadischen Scheideckpass. Heckers größter politischer Traum währte nur eine Woche und endete als seine größte Niederlage, in deren Folge ihm die Todesstrafe drohte. Aber trotz dieses Desasters wurde Hecker zur Kultfigur der Revolution von 1848, was auch an seiner mittelalterlich anmutenden Revolutionsuniform mit dem nach ihm benannten breitkrempigen »Heckerhut« lag. 1848 konnte er sich einer Verurteilung nur durch Flucht in die Schweiz entziehen und musste so miterleben, dass die Badische Revolution scheiterte. Aber sein unerschütterlicher Glaube an die deutsche Republik blieb.

Nach der Niederlage des nach ihm benannten Aufstands befand Friedrich Hecker, dass die Deutsche Revolution insgesamt gescheitert war. Als ihm die schweizerischen Behörden mit der Ausweisung drohten, entschloss er sich, in die USA zu emigrieren. Mit dem Schiff setzte er über und erwarb eine kleine Farm in einer Siedlung deutscher Emigranten im St. Clair County im US-Bundesstaat Illinois. Dort gehörte er zu den Forty-Eighters, also jenen Deutschen, die wegen der Revolution von 1848 ihre Heimat in Richtung USA verlassen mussten. Friedrich Hecker engagierte sich wie die meisten Deutschen in der Republikanischen Partei und unterstützte die Wahl von Abraham Lincoln zum 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, weil er für die Abschaffung der Sklaverei eintrat. Ein Jahr nach der Wahl Lincolns begann der Unabhängigkeitskrieg in den USA, bei dem der Zusammenhalt der nordamerikanischen Staatenunion auf dem Spiel stand. Hecker kämpfte in einem Freiwilligen Infanterieregiment, wurde 1863 schwer verwundet und kehrte anschließend auf seine Farm in Illinois zurück.

Am 24. März 1881 starb Friedrich Hecker. Er war auch in den USA zu einer bekannten Figur geworden, was mehr als tausend Menschen bezeugten, die bei seiner Beerdigung anwesend waren. Auch in Deutschland wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil. Heinrich Hoffmann, Studienkollege aus Heidelberger Zeiten und bekannter Kinderbuchautor, setzte ihm 1861 ein ganz besonderes Denkmal: Der von ihm verfasste Struwwelpeter trug auf dem Buchcover einen sogenannten Heckerkragen.


1 Biografische Angaben Friedrich Heckers stammen von: Freitag, Sabine: Friedrich Hecker. Der Traum von der deutschen Republik, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 188 ff.

2 Berding, Helmut: Die deutsche Revolution von 1848/49. Heilbronn 1989, S.40 f.

3 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–18489/49. Stuttgart 2010, S. 556 f.

4 Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: Der Aufstand der badischen Demokraten. Geschichten aus der Revolution 1848/49. Ubstadt-Weiher 1999, S. 47.

31. Carl Schurz – Der Politiker und Feldherr

Carl Schurz wurde Anfang März 1829 in Liblar bei Köln als Sohn eines Lehrers geboren. Der junge Carl absolvierte eine normale Schulkarriere, die er 1847 in Köln mit dem Abitur beendete. Seit dem Wiener Kongress von 1815 gehörte das Rheinland zu Preußen. Damit waren die Rufe und Forderungen des Vormärz auch in Bonn zu vernehmen, die bei dem jungen Studenten Carl Schurz und seinem Kommilitonen Gottfried Kinkel auf offene Ohren trafen. Gottfried Kinkel wurde Professor für evangelische Theologe und blieb zeitlebens Freund und Mentor von Carl Schurz.

Das Jahr 1848 wurde für den neunzehnjährigen Schurz zu einem Jahr der Entscheidungen. Er hatte sich in Bonn zwei Burschenschaften angeschlossen, die nicht nur Teil der Revolutionsbewegung in Deutschland waren, sondern auch seit Jahren polizeilich kontrolliert wurden. An die elektrisierende Nachricht von der Februarrevolution in Frankreich erinnerte sich der damalige Student im zweiten Semester später: »Die Franzosen haben den Louis Philippe fortgejagt und die Republik proklamiert. Sollten wir Deutschen allein unter dem Joch der Knechtschaft verbleiben? Der entscheidende Augenblick ist gekommen. Der Tag der Freiheit ist angebrochen. Vorwärts! Ist der Ruf der Zeit. Die Not des Volkes muss ein Ende nehmen.«1

Carl Schurz schlug sich schnell auf die Seite der radikalen Revolutionäre, unterstützte die Märzforderungen vehement und plädierte auch für einen Einsatz von Waffen, wenn es anders nicht gehen sollte. Dem Versuch, den revolutionären Zielen auf dem Weg einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung zum Durchbruch zu verhelfen, stand er dagegen skeptisch gegenüber. Als er sich später in der US-amerikanischen Emigration an die Revolutionsjahre erinnerte, stellte Schurz bewundernd fest, dass das Frankfurter Parlament zwar eine Vielzahl an »edlen, gewissenhaften, gelehrten und patriotischen Männern in sich schloss«. Leider habe es aber an einem Genie gefehlt, »das die Gelegenheit erkennt und rasch beim Schopf ergreift«. Das Parlament, so Schurz weiter, habe vergessen, »dass in gewaltsam bewegter Zeit die Weltgeschichte nicht auf Denker wartet«.2 Diesem Gedanken folgend versuchte Schurz mit anderen am 10. Mai 1849 das Siegburger Zeughaus zu stürmen, um an die dort aufbewahrten Waffen zu kommen. Sie wurden zwar von der berittenen Infanterie daran gehindert, aber der Wunsch, die Revolution notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen, wurde an diesem Tag deutlich.

Anschließend nahm Carl Schurz an der Badischen Revolution teil, nach deren Scheitern er mit einigen anderen Revolutionären in die Festung Rastatt fliehen musste. Als das Ende der Belagerung durch preußische Truppen absehbar war, entkam er durch einen Abwasserkanal, floh mit einem Ruderboot über den Rhein ins Elsass und von dort nach Zürich, wo er verzweifelt und verarmt das Schicksal vieler Emigranten teilte. Anfang November 1850 machte er durch einen aufsehenerregenden Coup auf sich aufmerksam, als er schwer bewaffnet Gottfried Kinkel, seinen Freund und Mentor aus gemeinsamen Bonner Studentenjahren, aus dem Zuchthaus befreite. Beide entkamen den Bewachern, flohen nach Edinburgh und weiter nach London und Paris.

Da die Justiz in Deutschland viele Prozesse gegen Oppositionelle führte und auch er selbst wegen seiner Teilnahme am Sturm auf das Siegburger Zeughaus mit der Justiz in Konflikt geraten war, aber freigesprochen wurde, beschloss der mittlerweile 33-jährige Carl Schurz, Deutschland endgültig zu verlassen und in die USA zu emigrieren. Dort begann eine politische Karriere, die ihn bis in die höchsten Ämter der US-amerikanischen Regierung führen sollte.3 Bis heute erinnert eine Bronzestatue in New York und ein nach ihm benannter Park auf der Upper East Side in Manhattan an das Wirken von Carl Schurz. Er gehörte zu den Forty-Eighters, von denen sich viele für die Republikanische Partei engagierten. Schurz unterstützte die Wahl Abraham Lincolns zum 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten, der ihn umgehend zum US-Botschafter in Spanien ernannte. Eine ähnliche Karriere machte der Mannheimer Liberale Lorenz Brentano, der sich als Verteidiger radikaler Demokraten während der Deutschen Revolution einen Namen gemacht hatte4 und im Juni 1850 in Abwesenheit zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt worden war. Er wurde erst Präsident des Chicagoer Stadtrates, anschließend amerikanischer Gesandter in Skandinavien und gehörte bis 1879 dem US-Repräsentantenhaus an.

1861 begann der amerikanische Sezessionskrieg, der bis 1865 dauerte, ausgebrochen wegen eines Streits um die Befugnisse der Zentralregierung in Washington zwischen den Südstaaten, die darauf drängten, den Bund der amerikanischen Staaten zu verlassen, und den Nordstaaten, die nicht nur die Macht des Zentralstaats stärken, sondern auch die Sklaverei abschaffen wollten. Carl Schurz, inzwischen zum »Sprecher der Deutschamerikaner« aufgestiegen, trat ein Jahr nach Kriegsbeginn der Unionsarmee von Präsident Lincoln bei und kämpfte als Generalmajor für den Erhalt der Vereinigten Staaten von Amerika. Viele der deutschen Auswanderer lehnten aufgrund ihrer politischen Überzeugungen die Abspaltung der Südstaaten ab und befürworteten – wie sie es in Deutschland auch gewollt hatten – den Erhalt des amerikanischen Einheitsstaats. 200 000 Deutsche kämpften in der Unionsarmee, was einem Anteil von etwa zehn Prozent aller Streitkräfte der Unionisten entsprach. Der Bürgerkrieg endete 1865 mit einem Sieg der Unionsarmee, einer Stärkung der Zentralmacht in Washington und der – zumindest formalen – Abschaffung der Sklaverei in den USA. Im selben Jahr verließ Carl Schurz die Armee, gründete in Detroit, Michigan, erst eine republikanische Zeitung und wurde anschließend Teilhaber der Westlichen Post. 1869 wurde er als erster gebürtiger Deutscher in den Senat gewählt, ließ sich aber nicht in die Fraktionsdisziplin der Republikaner einbinden, denen er zunehmende Korruption vorwarf.

Carl Schurz, um 1877

Höhepunkt seiner politischen Karriere in den USA war 1877 die Berufung zum Innenminister im Kabinett des frisch gewählten 19. US-Präsidenten Rutherford B. Hayes. Einer der Schwerpunkte seiner Amtszeit war eine veränderte Politik gegenüber den indigenen Völkern, die von weißen Siedlern aus ihren ursprünglichen Lebensräumen verdrängt worden waren. Nach dem Ende seiner politischen Karriere wurde Schurz vielbeschäftigter und einflussreicher Chefredakteur der New Yorker Evening Post und Kommentator des Wochenmagazins Harper’s Weekly, das sich vor allem mit dem Wiederaufbau des Landes nach dem Bürgerkrieg und dem Ende der Sklaverei auseinandersetzte.

Carl Schurz starb nach kurzer Krankheit am 14. Mai 1906 in New York. Sein Freund Mark Twain würdigte ihn in einem Nachruf als »Lotsenbruder, von unbefleckter Ehrenhaftigkeit, unangreifbarem Patriotismus, hoher Intelligenz und Scharfsinn«.5 In Deutschland wurde an seinem 100. Geburtstag mit Gedenkfeiern an Carl Schurz, einem großen Demokraten und Kämpfer der Deutschen Revolution, erinnert.


1 Müller, Frank Lorenz: Die Revolution von 1848/49. Darmstadt 2012, S. 37 ff.

2 Timm, Uwe: Carl Schurz. Ein deutscher Revolutionär als amerikanischer Staatsmann, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 270.

3 Dann, Otto: Nation und Nationalismus in Deutschland 1770–1990. München 1993, S. 127.

4 Müller, Frank Lorenz: a. a. O., S. 139.

5 Timm, Uwe: a. a. O., S. 276.

32. Otto I. von Wittelsbach – Der griechische König

Otto von Wittelsbach wurde am 1. Juni 1815 in Salzburg als Sohn des späteren bayerischen Königs Ludwig I. geboren. Von Kindesbeinen an war er davon geprägt, dass die bayerische Monarchie ihre absolutistische Herrschaft auf der Restauration der europäischen Ordnung nach dem Ende der französischen Dominanz in Europa aufbaute. Gleichzeitig fanden in vielen europäischen Ländern jene Bewegungen immer mehr Anhänger, die aus der absolutistischen eine konstitutionelle, also eine von Verfassung und Parlament abhängige Monarchie machen wollten. In den südlichen Provinzen des beim Wiener Kongress 1815 entstandenen Vereinigten Königreichs der Niederlande erhob sich die mehrheitlich katholische Bevölkerung gegen den protestantisch geprägten Landesteil im Norden. Die daraus erwachsende Revolution führte 1830 innerhalb weniger Wochen zur Abspaltung des niederländisch geprägten Flandern und des französischsprachigen Wallonien. Am 4. Oktober 1830 wurde der neue Staat Belgien als konstitutionelle Monarchie unabhängig.1

Der zweite Schauplatz, auf dem eine Revolution einen neuen Staat schuf, war der griechische Teil des Osmanischen Reichs. Dort zettelten griechische Kaufleute einen Aufstand gegen das »von innen ausgehöhlte«2 Großreich der Osmanen an, der sich bald ausweitete und das Land mit Gewalt und Anarchie überzog. Zwar versuchte Sultan Mahmud II., den Unruhen mit Reformen entgegenzuwirken, konnte aber die griechische Revolution ebenso wenig verhindern wie die Unabhängigkeit Griechenlands, die mit dem Frieden von Adrianopel am 14. September 1829 beschlossen wurde. Die griechischen Revolutionäre wollten eigentlich eine griechische Republik. Aber ihr Traum scheiterte an der Realität. Söldnertruppen, Seeräuber und kriminelle Banden sorgten für bürgerkriegsähnliche Zustände, die das Land in schwere Unruhen stürzten. Ein erstes Staatsoberhaupt wurde im Oktober 1831 ermordet, und seinem Nachfolger gelang es nicht, die innenpolitische Lage zu stabilisieren. Angesichts dieser Situation fühlten sich die europäischen Großmächte dazu aufgerufen, der griechischen Nationalversammlung einen europäischen Fürsten als König vorzuschlagen. Damit war das Ergebnis der griechischen Revolution in ihr Gegenteil verkehrt, und aus der angestrebten eigenständigen griechischen Republik wurde eine von den europäischen Großmächten gewünschte konstitutionelle Monarchie.

König von Griechenland sollte Otto von Wittelsbach werden. Er hatte innerhalb kurzer Zeit die Sprache erlernt und sich mit Geschichte und Gepflogenheiten Griechenlands vertraut gemacht. Sein Vater, Ludwig I., war von Griechenland und seiner für die europäische Geschichte grundlegenden Antike begeistert und hatte seinen Sohn bei den europäischen Mächten ins Spiel gebracht.3 Da Otto noch minderjährig war, musste sein Vater nicht nur die Verhandlungen führen, sondern auch die Formalia klären, unter denen sein Sohn den griechischen Thron besteigen konnte. Mehr als 3000 bayerische Soldaten sollten ihn nach Hellas begleiten, er durfte weiterhin als bayerischer Prinz eine Apanage beziehen und musste sich verpflichten, keine feindseligen Aktionen gegen das Osmanische Reich anzuzetteln. Am 7. Mai 1832 unterschrieb Ludwig I. das zweite Londoner Protokoll, wodurch sein Sohn offiziell und mit der Unterstützung Englands, Frankreichs und Russlands zum König ernannt wurde. Am 8. August 1832 stimmte die griechische Nationalversammlung zu.4

Aber es dauerte noch einige Wochen, bis Otto am 6. Februar 1833 nach einem angeblich tränenreichen Abschied in der griechischen Hafenstadt Nauplia auf dem Peloponnes eintraf. Der Siebzehnjährige wurde von den Griechen herzlich begrüßt, schließlich verbanden sie mit ihm und seiner Regentschaft die Hoffnung auf eine Verbesserung der sozialen Lage im Land. Eine Hoffnung, die trog, denn Otto I. hatte keinerlei Regierungserfahrung und musste sich auf einen Regentschaftsrat verlassen, der aus bayerischen Beamten und Politikern bestand. Deren Ratschlag folgend setzte Otto I. seine Gesetze rücksichtslos durch, ohne auf die Belange der Menschen zu achten. Das Schmähwort von der »Bavarokratie« machte die Runde und brachte den jungen König erstmals ernsthaft in Misskredit.5

König Otto vor griechischen Ruinen, zeitgenössisches Porträt

Ähnliches Unverständnis provozierte er in einer anderen Frage, die ebenfalls nahezu alle Griechen anging. Otto I. war in Bayern streng katholisch erzogen worden, die Griechen hingegen gehörten mehrheitlich der griechisch-orthodoxen Kirche an. Dieser religiöse Konflikt wurde dadurch noch angeheizt, dass Ludwig I. einen Übertritt seines Sohnes zur griechisch-orthodoxen Kirche in Aussicht gestellt hatte, den dieser nun aber vehement ablehnte.

Die nächste Kontroverse entzündete sich an der Frage einer neuen Verfassung, die Otto I. auf Anraten seines Vaters zunächst ablehnte. 1844 musste er aber erleben, wie die Griechen mit Waffengewalt eine neue Verfassung durchsetzten: Fortan musste jeder griechische Herrscher griechisch-orthodoxen Glaubens und griechischer Staatsbürger sein. Das war ein schwerer Schlag für Otto I., genauso wie die Finanzkrise des Landes. Nach wie vor lebten viele Griechen unter ärmlichsten Bedingungen in Ruinen und Lehmhütten in einem durch den Befreiungskrieg immer noch verwüsteten Land. Die europäischen Mächte hatten eine in drei Raten zu zahlende Hilfe zugesichert, aber nur zwei dieser Raten waren tatsächlich eingetroffen. Am schwersten jedoch wog die Tatsache, dass England, Frankreich und Russland sich inzwischen zerstritten hatten. Aus der ehemaligen Begeisterung für Griechenland war ein konträres machtpolitisches Kalkül über die Lage im östlichen Mittelmeer rund um die Dardanellen geworden. Am 13. Juli 1841 wurde ohne Beteiligung Griechenlands zwischen Russland, Großbritannien, Frankreich, Österreich und Preußen sowie dem Osmanischen Reich im »Meerengenvertrag« geregelt, dass außer den Schiffen der osmanischen Flotte und im Kriegsfall denen der Verbündeten des Sultans kein Kriegsschiff in die Dardanellen einlaufen dürfe. Handelsfahrzeugen fremder Nationen war die Passage nur eingeschränkt gestattet. Griechenland spielte bei diesen Überlegungen keine Rolle. Die griechische Bevölkerung war über die außenpolitische Bedeutungslosigkeit ihres Landes enttäuscht und rief zur offenen Rebellion gegen ihren König auf.6

Diesen Aufstand konnte Otto I. noch durch die Ernennung des ehemaligen Geheimrats und Gesandten Andreas Metaxas zum Ministerpräsidenten beenden und den Aufruhr der Bevölkerung besänftigen. Der zweite Aufstand Anfang der 1860er Jahre beendete dann allerdings seine Regentschaft. Unter dem Schutz einer englischen Fregatte musste er im Oktober 1862 das Land verlassen und nach Bayern zurückkehren. Ottos I. Regentschaft war gescheitert. Lediglich der Wiederaufbau der Akropolis, die Gründung der Universität von Athen, der Akademie der Wissenschaften sowie eines Observatoriums, der Staatsbibliothek und des Nationalmuseums sind bis heute sichtbare Belege seiner Herrschaft. Otto I. von Wittelsbach starb am 26. Juli 1867 in Bamberg.


1 Die Geschichte der belgischen Unabhängigkeit von 1830 bis heute findet sich bei »belgium.be«: https://www.belgium.be/de/ueber_belgien/land/geschichte/belgien_ab_1830 (zuletzt abgerufen am 14.04.2022).

2 Samhaber, Ernst: Geschichte Europas. Bonn 1982, S. 433.

3 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 421.

4 Das zweite Londoner Protokoll findet sich bei »heraldica.org«: https://www.heraldica.org/topics/royalty/greece.htm#Convention-1832 (zuletzt abgerufen am 15.04.2022).

5 Görl, Wolfgang: Eine Regentschaft geht in die Hose, in: Süddeutsche Zeitung vom 28. 05. 2015).

6 Otto von Griechenland bei Bayern 2: https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/geschichte/otto-von-griechenland-thema-100.html (zuletzt abgerufen am 14.04.2022).

33. Karl Schapper – Der Arbeiterführer

Karl Schapper wurde am 30. Dezember 1812 in Weinbach geboren. Er absolvierte eine normale Schulkarriere und studierte anschließend Forstwirtschaft. An der Gießener Universität bekam er 1831 Kontakt zur »Alten Burschenschaft Germania Gießen«, die sich auf die Jenaer Ur-Burschenschaft berief und im Nassauer Hof tagte. Hier begann Schappers Sympathie für revolutionäre Umwälzungen, die sich durch die Tatsache verstärkten, dass »Germania Gießen« seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 unter strenger polizeilicher Kontrolle stand. Er wurde glühender Anhänger der Idee einer nationalen Einheit und vor allem einer Demokratisierung der Staaten des Deutschen Bundes. Anfang April 1833 führte ihn sein Wille, durch eine Revolution diese Ziele in Deutschland durchzusetzen, dazu, sich am Frankfurter Wachensturm zu beteiligen.

Frankfurt war der Sitz des Deutschen Bundestags, der unter österreichischem Vorsitz für die Durchsetzung der restaurativen Politik seit dem Wiener Kongress 1815 verantwortlich war. Nach dem Hambacher Fest im Sommer 1832 waren viele Gesetze verschärft, neue eingeführt und allen Vereinen, »welche politische Zwecke haben«, Reden »politischen Inhalts, das Errichten von Freiheitsbäumen und dergleichen Aufruhrzeichen«1 untersagt worden. Gegen derart restriktive Maßnahmen wollten die Aufständischen in Frankfurt ein Fanal setzen. Sie besorgten sich Waffen, Munition und Sprengstoff und planten, die beiden Polizeiwachen zu stürmen, Waffen und Geld zu erbeuten und anschließend einige Delegierte des Bundestags zu kidnappen. Der Versuch scheiterte kläglich, und Karl Schapper fand sich als einer der Teilnehmer hinter den Mauern eines Gefängnisses wieder. Dank der Hilfe eines Bewachers konnte er aber in die Schweiz fliehen.

Hier kam es zu der bis dahin wichtigsten Begegnung seines Lebens. Denn Karl Schapper kam mit dem italienischen Revolutionär Giuseppe Mazzini zusammen, der während des Risorgimento die Idee eines geeinten italienischen Nationalstaates propagierte und deswegen unweigerlich in Konflikt vor allem mit Frankreich und Österreich geriet, die große Teile der Apenninhalbinsel beherrschten. Erneut wurde Schapper inhaftiert und dann aus der Schweiz ausgewiesen. Anschließend führte ihn sein Weg nach Paris, wo sich inzwischen viele Burschenschafter und Handwerksgesellen eingefunden hatten, die ebenfalls die Schweiz verlassen mussten und in Paris eine französische Abspaltung des Jungen Deutschland gegründet hatten. Schapper etablierte sich als einer der intellektuellen Vordenker, was ihm wegen radikaler Reden und Forderungen ein drittes Mal Gefängnis mit anschließender Ausweisung aus Frankreich einbrachte. 1840 übersiedelte er nach London, wo er auf Wilhelm Weitling, Karl Marx und Friedrich Engels stieß.

Weitling, ein Frühsozialist mit christlichen Überzeugungen, hatte schon Mitte der 1830er Jahre den »Bund der Gerechten« gegründet. Dieser Bund hatte sich die »Befreiung Deutschlands von Unterdrückung« und die »Entsklavung« der Menschen zum Ziel gesetzt, was nur auf dem Weg einer Revolution, der radikalen Umkehrung der Eigentumsverhältnisse und der Herrschaft des Proletariats gelingen könne. Aber diese Revolution ließ auf sich warten, weil die Organisation mit Ablegern in Paris, London und der Schweiz zwar einen internationalen Zusammenschluss aller Gleichgesinnten proklamierte, in Wahrheit aber nur »im Schneckentempo« vorankam. 1847 zerbrach dieser Bund, der, wie so oft in »geheimbündlerischen Konventikeln«,2 an Führungsstreitigkeiten und nicht an ideologischen Differenzen gescheitert war. Gleichzeitig betraten Marx und Engels die Bühne und setzten auf zwei Kongressen in London die Namensänderung in »Bund der Kommunisten« durch. Im Februar 1848 erhielten die beiden den Auftrag des Bundes, eine grundlegende programmatische Schrift zu verfassen, die als Kommunistisches Manifest im Februar 1848 – von Karl Schapper redigiert – veröffentlicht wurde.

Mit Beginn der Deutschen Revolution kehrte Schapper in seine hessische Heimat zurück. Im Herzogtum Hessen-Nassau schloss er sich einer radikal-demokratischen Gruppe an, was ihm den Ruf des Mitbegründers der »frühen Arbeiterbewegung«3 einbrachte. Bei den Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung trat er nicht an, weil er dem parlamentarischen Weg der Revolution misstraute und eher auf Umsturz und die proletarische Machtübernahme setzte. Deshalb engagierte er sich 1848 beim Kölner Arbeiterverein,4 der sich der »radikalen Demokratie und dem Schutz der Arbeit und Sicherstellung der menschlichen Lebensbedürfnisse für alle«5 verschrieben hatte. Karl Schapper verließ 1848 Köln und engagierte sich wieder in Hessen-Nassau, wo er eine radikale Demokratiebewegung unterstützte. Im Juni 1849 organisierte er den Idsteiner Demokratenkongress, der das in Stuttgart tagende Rumpfparlament als höchste Behörde anerkannte, deren Beschlüsse »unbedingt bindend« seien. Für die Verfolgungsbehörden waren die Erklärungen des Idsteiner Demokratenkongresses Anlass genug, einen Prozess wegen Hochverrats und Majestätsbeleidigung anzustrengen, der im Februar 1850 vor einem nassauischen Geschworenengericht mit Freisprüchen für alle Angeklagten, unter ihnen Karl Schapper, endete.

Die Deutsche Revolution war gescheitert, aber Karl Schapper, der in Wiesbaden erneut einen Arbeiterbildungsverein gründete, geriet in Konflikt mit den Behörden und wurde 1850 aus der Stadt verwiesen. Enttäuscht von seinen vielfach gescheiterten revolutionären Versuchen emigrierte er nach London, wo er zunächst als Sprachlehrer einen bescheidenen Lebensunterhalt verdiente. In der englischen Metropole traf er wieder auf Karl Marx, mit dem er sich aber wegen ideologischer Differenzen zerstritt. Erst 1856 versöhnten sich die beiden, Karl Schapper arbeitete im Londoner Arbeiterbildungsverein und wurde 1865 zum Generalrat der »Ersten Internationalen Arbeiterassoziation« gewählt,6 die der »Vereinigung des Proletariats und der Bildung von nationalen Arbeiterparteien« dienen sollte.

Die letzten Monate seines Lebens verbrachte er zurückgezogen in London. Im April 1870 starb Karl Schapper an Lungentuberkulose.


1 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. 1815–1845/49. München 1989, S. 366.

2 Ebd., S. 274.

3 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 527.

4 Kuhn, Axel: Die deutsche Arbeiterbewegung. Stuttgart 2004, S. 52.

5 Ebd., S. 49.

6 Gant, Barbara: Schapper, Karl, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 564 f. mit biografischen Angaben: https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016410/images/index.html?seite=578 (zuletzt abgerufen am 25.04.2022).

34. Franz Sigel – Der Kriegsminister der Badischen ­Revolution

Franz Sigel wurde am 18. November 1824 in einem kleinen Dorf in der Nähe von Heidelberg geboren.1 Nach einigen Jahren auf einem Gymnasium ging er in Karlsruhe auf eine Kadettenschule, in der er nicht nur seinen schulischen Abschluss erlangte, sondern wo er auch auf eine militärische Karriere vorbereitet wurde. Doch 1847 musste der 23-Jährige seine Karriereplanung über den Haufen schmeißen. Nach Unstimmigkeiten und einem Duell mit einem Bataillonsadjutanten wurde er zwangsweise aus dem Militär entlassen. Sigel wollte daraufhin in Heidelberg Jura studieren, aber die revolutionären Ereignisse in Deutschland zogen ihn 1848 in ihren Bann und verhinderten das Studium. Franz Sigel kam in diesen Tagen mit revolutionären Ideen und patriotischen Aufrufen zur Gründung eines deutschen Einheitsstaates in Kontakt, die sich nach der Revolution in Frankreich Ende Februar 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes schnell verbreiteten.

Während sich hinter der Schweizer Grenze ein deutsches »Nationalkomitee« mit angeblich 20 000 kampfbereiten, meist aus Deutschland ausgewanderten Männern rekrutierte, organisierte Franz Sigel in Mannheim ein 500 Mann starkes Freikorps, das Ende April 1848 an einigen Gefechten bei Günterstal und in Freiburg teilnahm, die jedoch mit einer Niederlage gegen württembergische Truppen und der Auflösung des Freikorps endeten. Die schlecht ausgerüsteten Freikorpskämpfer waren den Regimentern Preußens oder Württembergs hoffnungslos unterlegen. Franz Sigel – und mit ihm vielen andere Revolutionäre – überschätzten »die Anziehungskraft ihrer demokratischen Ideen in Deutschland gewaltig«,2 was dazu führte, dass sich nicht genügend soldatisch vorgebildete Männer ihnen anschlossen und diejenigen, die das taten, keine ausreichende Bewaffnung hatten. Als Folge der militärischen Niederlagen ging Sigel im Sommer 1848 für kurze Zeit ins Exil in die Schweiz.

Doch schon im Frühjahr 1849 traf er mit einigen der führenden Köpfe der Badischen Revolution zusammen. Nach der überstürzten Flucht der Familie des badischen Großherzogs Leopold I. am 13. Mai 1849 hatte sich unter dem Vorsitzenden des revolutionären Landesausschusses Lorenz Brentano3 eine provisorische Regierung »mit diktatorischer Gewalt«4 gebildet, deren erster Kriegsminister Carl Joseph Eichfeld den knapp 25-jährigen Franz Sigel zum Oberbefehlshaber der badischen Revolutionsarmee ernannte. Als Eichfeld am 26. Mai von seinem Ministeramt zurücktrat, wurde Franz Sigel auch noch Kriegsminister der provisorischen Revolutionsregierung. In der entscheidenden Schlacht bei Waghäusel zwischen Mannheim und Karlsruhe bekam Sigel, der inzwischen zum Generaladjutanten aufgestiegen war, Unterstützung durch den polnischen Revolutionär Ludwik Mierosławski.

Zunächst schien es, als könnten die Revolutionstruppen die preußischen Regimenter besiegen. Nach dem ersten Gefecht bei Waghäusel mussten sich die preußischen Truppen zurückziehen. Jedoch wurde die Verfolgung der fliehenden Einheiten nur halbherzig betrieben und zu früh abgebrochen. Kurz darauf wurde die Revolutionsarmee von weiteren preußischen Truppen überrascht, die über einen Brückenkopf am Rheinufer nachgeführt worden waren. Als den letzten aufständischen Einheiten die Umschließung durch die preußischen Regimenter drohte und sämtliche Versuche, eine neue Verteidigungslinie aufzubauen, gescheitert waren, erreichte der preußische General Karl von der Groeben schließlich mit einer List, dass die Revolutionsarmee in Rastatt die Waffen streckte. Der General hatte zwei Abgeordnete aus der Festung durch Baden reisen lassen. Anschließend berichteten die beiden, dass die »gesamte Revolutionsarmee in die Schweiz übergetreten und ganz Baden von Preußen besetzt«5 sei. Nach dieser Hiobsbotschaft gaben die Revolutionäre auf. Die Deutsche Revolution war beendet.

Franz Sigel ging erneut ins Schweizer Exil, wurde aber 1851 ausgewiesen und übersiedelte nach London. Dort traf er viele Exilierte, die den Deutschen Bund nach der Revolution hatten verlassen müssen und nun von England die Ausreise in die USA antraten. Franz Sigel erreichte New York am 24. Mai 1852, wurde Lehrer an einer Privatschule und 1860 Direktor einer »public school« in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Ein Jahr später begann der Amerikanische Bürgerkrieg zwischen den abtrünnigen Südstaaten und den Nordstaaten, die die Einheit der amerikanischen Bundesstaaten aufrechterhalten wollten. Sigel trat in die Unionsarmee der Nordstaaten ein und wurde von Präsident Abraham Lincoln zum Brigadegeneral ernannt, nachdem er viele deutschstämmige Freiwillige für die Unionsarmee hatte rekrutieren können. Seinen größten militärischen Erfolg feierte Franz Sigel bei der Schlacht von Pea Ridge, wo er als Befehlshaber über zwei von vier Divisionen einen Sieg für die Unionsarmee sicherte und damit den Bundesstaat Missouri endgültig auf die Seite der Unionisten ziehen konnte.

Trotz einiger Schwierigkeiten mit dem Oberbefehlshaber des Heeres, der von Sigels militärischer Kompetenz nicht überzeugt war, machte Sigel weiter. Er ließ sich zur Virginia Armee versetzen, wo Carl Schurz einer seiner Kommandeure war. In den kommenden Jahren nahm Franz Sigel an verschiedenen Schlachten des Bürgerkriegs teil, wurde verwundet und aufs Abstellgleis geschoben. In seiner letzten Schlacht erlitt er bei New Market im Shenandoahtal am 15. Mai 1864 eine schwere Niederlage.

Franz Sigel, kolorierte Lithografie, 1862

Es folgten eine Versetzung nach Pennsylvania und weitere Niederlagen, bis er schließlich am 4. Mai 1865 seinen Dienst quittierte.6 Danach ließ sich Sigel in Baltimore nieder, zog sich ins Privatleben zurück und gab zunächst eine deutsche Zeitung heraus. Ein Jahr später zog es ihn nach New York, wo er als inzwischen erfolgreicher Verleger einen Verlag gründete und das Deutsche Volksblatt herausgab.

Es folgten wechselvolle Jahre in New York, die er mit unterschiedlichen Arbeiten und Positionen in der lokalen Verwaltung von New York ausfüllte. Er trat als Redner und Schriftsteller auf, gab von 1897 bis 1900 die Zeitschrift New York Monthly heraus, versuchte mehrfach, eine politische Karriere zu starten, und kandidierte 1869 erfolglos für die Demokratische Partei für das Amt des Staatssekretärs. Zwei Jahre später wechselte er die Seiten und wurde für die Republikanische Partei in eine höhere Beamtenposition in New York gewählt. 1880 kämpfte er für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten General Winfield Scott Hancock, der aber von seinem republikanischen Konkurrenten James Garfield knapp geschlagen wurde.

Obwohl er keine erfolgreiche militärische Karriere vorweisen konnte, diente Franz Sigels Bekanntheitsgrad dazu, viele exilierte Deutsche für die Unionsarmee und Präsident Abraham Lincoln einzunehmen.7 Bis heute wird die Erinnerung an den am 21. August 1902 verstorbenen Franz Sigel durch Statuen und Erinnerungsplaketten in Schulen und Parks aufrechterhalten. Er gehörte zu den Forty-Eighters, die im amerikanischen Bürgerkrieg aufseiten der Unionisten für den Erhalt der Vereinigten Staaten von Amerika gekämpft haben.


1 Biografische Details in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Sinsheim: Franz Sigel, ein Leben für die Freiheit: https://web.archive.org/web/20180319084653/https:/www.sinsheim.de/pb/sinsheim,Lde/Home/Sinsheim+erleben/_Franz+Sigel+_+Sonderausstellung.html

2 Rapport, Mike: 1848. Revolution in Europa. Darmstadt 2011, S. 132.

3 Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: Der Aufstand der badischen Demokraten. Geschichten aus der Revolution 1848/49. Ubstadt-Weiher 1999, S. 108 ff.

4 Bauer, Sonja-Maria: Die Verfassungsgebende Versammlung in der Badischen Revolution von 1849, Düsseldorf 1991, S. 106.

5 Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: a. a. O., S. 123 f.

6 Franz Sigel, in: The American Battlefield Trust: https://www.battlefields.org/learn/biographies/franz-sigel

7 Franz Sigel, in: Historic Missourians, https://historicmissourians.shsmo.org/franz-sigel

35. Amalie Struve – Die Revolutionärin der ersten Stunde

»Wie ganz anders stünde es jetzt in Deutschland«, schrieb die gerade mal 25-jährige Amalie Struve am Ende der Deutschen Revolution, »wenn die vielen ›freigesinnten‹ Männer, welche in ruhigen Zeiten Fürstenmord, Aufruhr, Steuerverweigerung und Ähnliches predigten und ihre Gegner mit Drohungen schreckten«, standhaft geblieben und nicht, »als die Gefahr an sie heranrückte«, zurückgeschreckt wären? Ihr Fazit des Jahres 1849 lautete: Die Revolution war an der Charakterlosigkeit der beteiligten Männer gescheitert.1

Amalie Siegrist wurde Anfang Oktober 1824 als uneheliches Kind geboren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das ein gravierender Makel, den sie selbst dann nicht abstreifen konnte, als ihre Mutter einen Freund der Familie heiratete, der Amalie adoptierte. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten wuchs das junge Mädchen in einem fortschrittlich-demokratischen Umfeld auf, erhielt eine sehr gute Ausbildung und wurde Mitte der 1840er Jahre Lehrerin. Zu dieser Zeit traf sie den Mannheimer Rechtsanwalt und Journalisten Gustav Struve.2 Mitte November 1845 heirateten die beiden und setzten sich fortan gemeinsam für die Ziele der Deutschen Revolution ein. Das Paar führte eine Ehe, die keineswegs dem Zeitgeist entsprach, in welchem die Geschlechterrollen noch unverrückbar erschienen. Gustav und Amalie beeinflussten sich gegenseitig, trugen ihre Entscheidungen gemeinsam und gaben zusammen mit dem Deutschen Zuschauer3 eine der wichtigsten Zeitungen der demokratischen Bewegung heraus. Eine derart engagierte und gleichberechtigte Frau galt selbst in der demokratischen Bewegung als nicht tugendhaft und taugte nicht als Vorbild. So verwundert es kaum, dass Amelie Struve im badischen Septemberaufstand nicht mitkämpfen durfte, sie hatte sich als »Unterstützung des revolutionären Männermutes«4 zu definieren und musste sich im Hintergrund halten.

Einzug einer Freischärlerkolonne unter Gustav Struve in Lörrach am 20. April 1848, Gemälde von Friedrich Kaiser

Als Mitglieder der deutschkatholischen Kirche setzte sich das Ehepaar Struve für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein, Amalie organisierte Frauenvereine und begann mit dem Aufbau von weiblichen Netzwerken innerhalb der Gemeinde. Aber dabei beließ sie es nicht. Beim ersten »Heckerzug« im April 1848 während der Badischen Revolution5 war Amalie an vorderste Front dabei. In letzter Minute rettete sie in Donaueschingen den Munitionswagen vor heranstürmenden württembergischen Soldaten, agitierte unter den eigenen Soldaten und animierte Regierungssoldaten zum Überlaufen.6 Nach dem verlorenen Gefecht auf der Scheideck, wo am 20. April 1848 Bundestruppen den aufständischen Revolutionszug nach einem kurzen Gefecht auseinandergetrieben hatten, ging Amalie mit Ehemann Gustav ins schweizerische Exil. Kurz darauf kehrten beide zurück und organisierten am 21. September 1848 den Struve-Putsch. Auslöser für diesen vier Tage dauernden Putschversuch waren die Straßenkämpfe in Frankfurt, wo es am Sitz der Verfassungsgebenden Nationalversammlung zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war. Der Protest richtete sich gegen die Genehmigung des Waffenstillstands von Malmö durch das Parlament, mit dem der preußisch-dänische Krieg um die Zugehörigkeit der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein zum Deutschen Bund beendet worden war.

Aus Rücksicht auf die übrigen demokratischen Kampfgenossen durfte Amalie Struve nicht an den Protestaktionen teilnehmen, so etwas war mit dem traditionellen Verständnis der Geschlechterrollen nicht in Einklang zu bringen. Tief enttäuscht und zornig schrieb sie später im Londoner Exil ihre Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen nieder, in denen sie an den revolutionären Männern kein gutes Haar ließ: »Solange selbst im Sturm der Revolution so viele Rücksichten auf hergebrachte Vorurteile genommen werden, wird das Joch der Tyrannei nicht gebrochen werden.«7 Auch ohne seine Frau Amalie und angestachelt durch die Frankfurter Ereignisse rief Gustav Struwe am 21. September 1848 die Deutsche Republik aus. In einem Aufruf an das deutsche Volk forderte er gleichzeitig zum bewaffneten Kampf gegen die Unterdrücker des Volkes auf: »Nur das Schwert kann das deutsche Volk noch retten. Siegt die Reaktion in Frankfurt, so wird Deutschland auf dem sogenannten gesetzlichen Wege furchtbarer ausgesogen und geknechtet werden, als dieses in den blutigsten Kriegen geschehen kann. Zu den Waffen deutsches Volk! Nur die Republik führt uns zum Ziele, nach dem wir streben. Hoch lebe die deutsche Republik!«8 Das Ehepaar Struve und mit ihnen die Kämpfer der Badischen Revolution hatten den Glauben an den Erfolg der »ohnmächtigen und geschwätzigen konstituierenden« Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche verloren und schlugen den gewaltbereiten, revolutionären Weg ein.

Der Struve-Putsch war zwar auf große Unterstützung in der badischen Bevölkerung gestoßen, scheiterte aber schon nach vier Tagen. Gustav Struve wurde verhaftet und später von einem Gericht in Freiburg zu einer fünfjährigen Einzelhaftstrafe verurteilt. Amalie Struve ereilte ein ähnliches Schicksal, sie wurde wegen Beteiligung am Struve-Putsch zu knapp einem Jahr Einzelhaft in Freiburg verurteilt. Aber ihr Verfahren wurde eingestellt, sodass sie nach etwas mehr als einem halben Jahr die Freiheit wiedererlangte. Kaum entlassen, engagierte sie sich in der Reichsverfassungskampagne, die im Mai 1849 von radikaldemokratischen Politikern des Centralmärzvereins ins Leben gerufen worden war und zur Anerkennung der von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedeten Verfassung aufrief. Die großen Einzelstaaten des Deutschen Bundes hatten die Verfassung abgelehnt, was in Baden und anderen Bundesstaaten zu Aufständen führte. Die Aufständischen wollten erreichen, dass die Verfassung wenigstens in den Staaten durchgesetzt wurde, die sie nicht ausdrücklich abgelehnt hatten. Gustav Struve wurde bei dieser Gelegenheit aus dem Gefängnis befreit, nahm aber als überzeugter Linksradikaler an der Bildung einer provisorischen republikanischen Regierung nicht teil.

Im Frühsommer 1849 rückte das preußische Militär gegen die badischen Aufständischen vor, was den provisorischen Regierungschef Lorenz Brentano dazu veranlasste, eine Verhandlungslösung anzustreben, anstatt eine Volksbewaffnung auszurufen. Daraufhin wurde er von Struve und anderen Radikalen gestürzt. Das aber änderte nichts an der militärischen Unterlegenheit der Aufständischen gegen ein hochgerüstetes preußisches Militär, das auch noch durch württembergische Truppen verstärkt wurde. Die badische Revolutionsarmee zog sich schließlich in die Festung Rastatt zurück, wo sie nach dreiwöchiger Belagerung am 23. Juli 1849 kapitulierte. Das Ehepaar Struve konnte fliehen, zunächst in die Schweiz und von da aus weiter nach London. 1852 wanderten die beiden in die USA aus, wo Amalie vor allem als Schriftstellerin bekannt wurde. Sie setzte sich vehement für die Mitte der 1840er Jahre ins Leben gerufene amerikanische Frauenbewegung ein und verglich die badischen Revolutionärinnen mit den Frauen der republikanischen Bewegung der 1790er Jahre in Frankreich am Vorabend der Französischen Revolution: »Wenn der große Entscheidungskampf entbrennen wird, der nicht Tage oder Wochen, sondern Monate dauern dürfte, dann werden die deutschen Frauen hervortreten und sie werden den französischen Republikanerinnen der neunziger Jahre nicht nachstehen.«9

Amalie Struve starb am 13. Februar 1862 unmittelbar nach der Geburt ihrer dritten Tochter. Ihr Mann ging nach Deutschland zurück, wo er ein zweites Mal heiratete. Gustav Struve verstarb am 21. August 1870 in Wien.


1 Olenhusen, Götz von: Gustav Struve – Amalie Struve. Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle, in: Freitag, Sabine (Hrsg.): Die 48-er. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49. München 1998, S. 79.

2 Die Biografie Gustav Struves findet sich in der Deutschen Biographie Bd. 25, Berlin 2013, S. 599 f. https://daten.digitale-sammlungen.de/0008/bsb00085894/images/index.html?seite=626

3 Zum Deutschen Zuschauer siehe auch: www.udo-leuschner.de

4 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 589.

5 Geschichten, Daten und Fakten der Badischen Revolution: Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: Der Aufstand der badischen Demokraten. Geschichten aus der Revolution 1848/49. Ubstadt-Weiher 1998.

6 Marcello-Müller, Monica: Frauenrechte sind Menschenrechte! Schriften der Lehrerin, Revolutionärin und Literatin Amalie Struve. Herbolzheim 2005, S. 21.

7 Olenhusen, Götz von: a. a. O., S. 79 f.

8 Republikanisches Regierungsblatt Nr. 1, abgedruckt im Münchener Digitalisierungszentrum: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10002177?page=5&msclkid=81fe2398cf8c11ec872bb33bc5c3b57b

9 Olenhusen, Götz von: a. a. O., S. 79.

36. Louise Otto-Peters – Die Gründerin der Frauenbewegung

Louise Otto wurde Ende März 1819 in Meißen geboren. Kindheit und Jugend verlebte sie im relativ wohlhabenden Haushalt ihrer Eltern. Einerseits war ihr Leben geprägt von der bürgerlichen Behaglichkeit des Biedermeier, was aber andererseits ihren sozialkritischen Blick auf die ärmlichen Lebensverhältnisse vieler Arbeiterfamilien in den sächsischen Industriestädten nicht verstellte. Anfang der 1840er Jahre begann ihre publizistische Karriere, in der sie bis 1893 rund zwanzig Bücher und zahlreiche Zeitungsartikel verfassen sollte. Parallel zu ihrer schriftstellerischen Laufbahn entwickelte sich Louise Otto zu der wohl bedeutendsten deutsche Feministin des 19. Jahrhunderts. Besonders das Schicksal der Spinnerinnen im Erzgebirge – einem deutschen Zentrum der frühen Industrialisierung – hat sie schwer erschüttert und zu einer lautstarken Vertreterin ihrer Interessen werden lassen.

In Leipzig bekam sie Kontakt zu Verlegern und anderen Autoren, die dort während des Vormärz ein gegen fürstliche Willkür opponierendes Zentrum deutscher Verlage entwickelt hatten. Hier traf sie den Kölner Publizisten und Verleger Robert Blum, der ihr Augenmerk auf die soziale Frage und die Möglichkeiten der Verbesserung der Lebensverhältnisse der immer größer werdenden Gruppe von Industriearbeitern lenkte. Louise Otto schrieb und agitierte gleichermaßen über Not und Elend der hungernden Arbeiterfamilien. 1843 markierte sie mit einer Artikelserie über »Frauen und Politik« in den von Robert Blum herausgegebenen Sächsischen Vaterlandsblättern den »publizistischen Auftakt der Frauenemanzipationsbewegung in Deutschland«.1 Im selben Jahr forderte die als »Lerche des Völkerfrühlings« bezeichnete Louise Otto die »Teilnahme der Frauen« an politischen Entscheidungen als »nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht«2 und war damit ihrer Zeit um rund 100 Jahre voraus. Von nun an publizierte sie gesellschaftskritische Aufsätze und Bücher, in denen es darum ging, die Arbeitswelt für Frauen zu öffnen und gleichzeitig die Alltags- und Lebensbedingungen der Frauen zu verbessern.3

Louise Otto-Peters, zeitgenössischer Stich, 1883

Zu Beginn der Deutschen Revolution war Louise Otto eine bedeutende und in der Öffentlichkeit bekannte Schriftstellerin. Aber ihr Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung von Frauen an den politischen Entwicklungen wurde 1848 nicht nur von den Männern mehrheitlich zurückgewiesen, sondern war auch von den meisten Frauen nicht gewünscht. Viele Frauen empfanden die Revolution nicht als »Epoche der Befreiung«, sondern vielfach vor allem als Zeit einer wachsenden Verunsicherung.4 Dennoch saßen Frauen auf den Tribünen der Parlamente und lauschten den Redeschlachten, an denen nicht selten ihre Ehemänner beteiligt waren. Viele Frauen lasen Zeitungen und sozialkritische Romane oder Gedichte, beteiligten sich an Sammlungen für caritative Zwecke oder bestickten die Fahnen der örtlichen Feuerwehren. Aber im Revolutionsjahr traten erste politische Frauenvereine in den Vordergrund. Im badischen Durlach gründete die Frau eines linken Abgeordneten des Paulskirchenparlaments einen »Verein der Demokratinnen« und markierte damit den Beginn einer politischen Frauenbewegung in Deutschland.

Intensiver als zuvor wurden nun die Belange der Frauen und ihre Stellung innerhalb der deutschen Gesellschaft diskutiert. Louise Otto löste 1848 mit der Adresse eines Mädchens, an den hochverehrten Minister Oberländer, an die durch ihn berufene Arbeiterkommission und an alle Arbeiter5 eine heftige öffentliche Reaktion aus. Sie forderte darin, bei der Neuorganisation der Arbeit die Frauen nicht zu vergessen, agitierte gegen Dumpinglöhne und plädierte für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den flächendeckenden Aufbau von Kindergärten. Mit diesen erstaunlich aktuell klingenden Forderungen attackierte sie den sächsischen Innenminister Martin Gotthard Oberländer, der Louise Otto zum Gespräch bat und mit ihr über die soziale Frage und eine Liberalisierung des sächsischen Wahlrechts diskutierte. Ein Jahr später legte sie die erste Frauen-Zeitung6 in deutscher Sprache auf. Unter dem Motto »Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen« existierte die Zeitung, wegen derer Louise Otto mehrfach in Konflikt mit dem Gesetz und den restriktiven Vorschriften Sachsens geriet, von 1849 bis 1853. Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verhöre sowie Verbote von Vereinen im Umfeld der Zeitung waren die Folge.

Fortan war Louise Otto bei den sächsischen Behörden bekannt, zumal sie mit weiteren Forderungen an die Öffentlichkeit trat: bessere Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen oder allgemeines Frauenwahlrecht. Bei der Deutschen Revolution und den Aktivitäten des Parlaments in der Paulskirche agierte sie im Hintergrund, verfasste Texte und schrieb Briefe an einzelne Abgeordnete. Dennoch war sie die Pionierin der Frauenbewegung, die 1848 für die vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen eintrat und damit bei den meisten Männern heftiges Kopfschütteln auslöste. Privat war sie vom Schicksal ihres Verlobten August Peters geprägt, der wegen seiner Beteiligung an revolutionären Kämpfen zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden war. 1859 heiratete sie Peters und widmete sich in Dresden und Leipzig ihren journalistischen Arbeiten. Nachdem August Peters im Sommer 1864 verstorben war, wandte sich Louise Otto-Peters wieder ihrem Lebensthema zu – den Rechten der Frau.

1865 gründete sie mit ihrer Freundin Auguste Schmidt7 den »Leipziger Frauenbildungsverein«, organisierte mit ihr eine Konferenz, auf der im Oktober 1865 der »Allgemeine Deutsche Frauenverein« mit ihr als Vorsitzende gegründet wurde. Ein Amt, das sie bis zu ihrem letzten Lebensjahr 1895 innehatte. In dieser Zeit prägte Louise Otto-Peters die politische Arbeit des Frauenvereins entscheidend mit.8

Der Beginn der organisierten Frauenbewegung in Deutschland war von Hohn und Spott begleitet. Zeitungen verspotteten den Kongress im Oktober 1865 in Anspielung auf die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 als »Leipziger Frauenschlacht«, konnten aber den enormen Zulauf nicht verhindern. Die Themen, derer sich der Verein annahm, waren für viele Frauen existenziell und drängend: Frauenarmut durch fehlende Möglichkeiten, eine Arbeit anzunehmen und Geld zu verdienen. In der Satzung des »Allgemeinen Deutschen Frauenvereins« hieß es dementsprechend: »Wir erklären die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, als eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts.«9 Der Frauenverein legte seinen Schwerpunkt auf die Aus- und Fortbildung von Frauen. Angetrieben von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt sollten die Frauen aus der selbstgewählten Teilnahmslosigkeit befreit werden. Die Frauen, so Auguste Schmidt, müssten aus dem Zustand »ewiger Kindheit« heraustreten und die Unterordnung unter die männliche Welt überwinden. Mit diesen Forderungen vertrat der »Allgemeine Deutsche Frauenverein« Frauen, die Emanzipation durch vermehrte Beteiligung am kulturellen Leben erreichen wollten. Radikalere Vorstellungen hatte der zur Jahrhundertwende gegründete »Deutsche Verband für Frauenstimmrecht«, der auch für einen uneingeschränkten Zugang zu allen Fakultäten deutscher Hochschulen eintrat. Die sozialistische Frauenbewegung hingegen war der Auffassung, dass nur in der sozialistischen Gesellschaft Frauen wie Männer »in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen« könnten.10 Im Vergleich dazu waren die Forderungen von Louise Otto-Peters geradezu gemäßigt, ihr Einfluss auf die Frauenbewegung aber mindestens ebenso nachhaltig wie der ihrer sozialistischen Mitstreiterinnen. Sie starb am 13. März 1895 in Leipzig.


1 Schötz, Susanne: Louise Otto-Peters. »Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 254.

2 Nave-Herz, Rosemarie: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Bonn 1993, S. 11.

3 Louise Otto-Peters’ Schriften finden sich im Deutschen Textarchiv, in der digitalen Bibliothek des Münchener DigitalisierungsZentrums und bei »Babel«: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=wu.89006837561&view=1up&seq=7 (zuletzt abgerufen am 18.04.2022).

4 Hahn, Hans-Werner; Berding, Helmut: Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49. Stuttgart 2010, S. 589 f.

5 Abgedruckt im feministischen Archiv des »Frauenmediaturms«: https://frauenmediaturm.de/historische-frauenbewegung/louise-otto-peters-1848-adresse-eines-maedchens

6 Mehr zum Programm der ersten Frauenzeitung im feministischen Archiv des »Frauenmediaturms«: https://frauenmediaturm.de/historische-frauenbewegung/louise-otto-peters-programm-frauen-zeitung-1849/ (zuletzt abgerufen am 18.04.2022).

7 Franzke, Astrid: Schmidt, Auguste Friederike Wilhelmine, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23. Berlin 2007, S. 207: https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00019558/images/index.html?seite=199 (zuletzt abgerufen am 18.04.2022).

8 Vahsen, Mechthild: Louise Otto-Peters, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/35309/louise-otto-peters/ (zuletzt abgerufen am 16.04.2022).

9 Zit. nach: Wolff, Kerstin: Die Frauenbewegung organisiert sich. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2008: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/35256/die-frauenbewegung-organisiert-sich/ (zuletzt abgerufen am 18.04.2022).

10 Clara Zetkin beim Internationalen Arbeiterkongress in Paris im Juli 1889.

37. Emma Herwegh – Die unangepasste Revolutionärin

»Haare, blond; Gesichtsform, oval; Gesichtsfarbe, blühend; Stirn, hoch; Augen, schwarzbraun; Nase, gebogen; Mund, klein; Zähne, ganz gut; Kinn, spitz. Sie spricht den Berliner Dialekt.«1 Mit diesem im Juli 1848 in der Karlsruher Zeitung abgedruckten Steckbrief wurde die 31-jährige Emma Herwegh von den Behörden wegen ihrer Beteiligung an der Badischen Revolution gesucht. Emma war an der Seite ihres Ehemannes, dem radikal-demokratischen Freiheitsdichter Georg Herwegh,2 zur unerschrockenen Kämpferin der Deutschen Revolution geworden. Der Weg dorthin war ihr an der Wiege nicht vorgezeichnet.

Emma Siegmund wurde im Mai 1817 in Magdeburg geboren. Ihr Vater war ein durch Seidenhandel wohlhabend gewordener Berliner Kaufmann, der es sich leisten konnte, seiner Tochter eine außergewöhnlich gute Ausbildung zu ermöglichen. Sie eignete sich mehrere Fremdsprachen an, komponierte und musizierte und lernte bei Besuchen in ihrem Elternhaus zahlreiche prominente Personen kennen. Aber sie langweilte sich, lehnte das bürgerliche Leben ihrer Eltern ab und begeisterte sich als Fünfzehnjährige für das Hambacher Fest im Sommer 1832. Das entsprach ihrem Naturell, löste jedoch bei Familienangehörigen und Bekannten Kopfschütteln aus: Emma rauchte, ritt und schoss mit Pistolen, sie schwamm unter freiem Himmel in Flüssen und Seen, beging jede Menge Regelverstöße3 und sympathisierte offen mit der polnischen Unabhängigkeitsbewegung, die in den 1830er Jahren gegen die russische Fremdherrschaft kämpfte. Später vertraute sie ihrem Tagebuch an, dass »die französische Revolutionsgeschichte sie wie eine vulkanische Glut« angetrieben habe – »bald glühend, bald halb erstarrt«.4

An gleicher Stelle zog sie über die Männer ihrer Umgebung her, sie seien »Beamtenseelen, Schufte, liberales Pack, Höflinge und Speichellecker«, die zum Heiraten nicht taugten und sie überdies anwiderten. Emma Siegmund sprengte nicht nur verbal sämtliche bürgerliche Konventionen ihrer Zeit, sondern war auch gegenüber den politisch Agierenden in den eigenen Reihen unerbittlich.

Emma Herwegh, ca. 1830–1840

Die Mitglieder der Polenvereine kamen in ihrem Tagebuch schlecht weg. Wo sie hinschaue nur Mittelmaß, »aus dem weder eine Tugend noch ein Verbrechen hervorgeht, diese Zwitternaturen, halb liberal, halb royal, diese echten Schmarotzerpflanzen, die heute auf die Auferstehung Polens und morgen auf den Kaiser Nikolaus ihre Toaste ausbringen, … das ist die Brut, die ich vernichtet sehen möchte.« Dieser geistigen Radikalität, die sich hinter dieser Androhung verbarg, wollte sie Taten folgen lassen. Dabei kam ihr die Begegnung mit Georg Herwegh zugute.

1841 kam sie erstmals mit dessen Gedichten in Berührung. Herwegh redigierte die von Johann August Wirth herausgegebene Oppositionszeitschrift Deutsche Volkshalle, hatte enge Kontakte zu den deutschen Burschenschaften, die einer dauerhaften Kontrolle der Behörden ausgesetzt waren, und war mit dem in Paris lebenden Heinrich Heine und dem russischen Anarchisten Michael Bakunin befreundet. Zudem arbeitete er mit Karl Marx zusammen, der Anfang der 1840er Jahre in Köln die Redaktion der Rheinischen Zeitung leitete und Georg Herwegh als Autor engagiert hatte.

1842 lernten sich die unangepasste und aufmüpfige Emma Siegmund und der berühmte Revolutionsdichter Georg Herwegh kennen. Wenige Monate später waren sie verheiratet, lebten eine Weile in Italien, dann in Paris, wo sie Nachbarn von Karl und Jenny Marx waren, die seit Kurzem in der französischen Metropole lebten. Zwar waren sie nicht in Deutschland, als im März 1848 die Revolution begann, sie blieben aber auch in Frankreich nicht untätig. Als sich Georg im April 1848 an der Spitze einer Gruppe mit Pistolen, Säbeln und Sensen bewaffneter Männer dem »Heckerzug« während der Badischen Revolution anschloss, schlüpfte seine Frau in ein Amazonenkostüm und wollte in Männerkleidung mit »schwarzen Tuchpantalons, schwarzer Samtbluse mit Ledergürtel, einem breitkrempigen Hut, bewaffnet mit zwei kleinen Pistolen und einem Dolch«5 mitziehen, um ihrem Mann und der revolutionären Sache zur Seite zu stehen.

Aber der Einsatz der Herweghs kam zu spät, denn ihre sogenannte Herwegh-Legion geriet in einen Hinterhalt und wurde ebenso wie die Truppen des Heckerzugs von württembergischen Einheiten aufgerieben. Beide mussten sich in Sicherheit bringen, Emma Herwegh floh als Bäuerin verkleidet mit ihrem Mann, der seinen Bart entfernt hatte und damit bis zur Unkenntlichkeit entstellt war. Beide gaben vor, ein schwer beschäftigtes Bauernehepaar zu sein, »Emma jätete mit großem Eifer Unkraut aus«, wie sich später der Teilnehmer des Heckerzugs Otto von Corvin erinnerte6 und hinzufügte, dass Emma Herwegh »nicht so politisch und träumerisch war wie ihr Mann, sondern bei weitem praktischer als dieser. Dabei war sie energisch, entschlossen und unerschrocken; in den schwierigsten Lagen verlor sie den Mut nicht und die größte Gefahr vermöchte sie nicht zu schrecken.«7

Das Ende der Deutschen Revolution verfolgte das Ehepaar aus dem schweizerischen Exil, wo es bis 1866 blieb. Als nach dem deutsch-österreichischen Krieg 1866 eine allgemeine Amnestie erlassen wurde, gingen Emma und Georg Herwegh nach Baden-Baden zurück, wo Georg 1875 starb. Emma lebte mit ihren drei Söhnen und der Tochter Ada einige Jahre in Baden, bevor sie nach Paris ging, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Sie starb am 24. März 1904 in ihrer Pariser Wohnung und hinterließ ein Vermächtnis, das sowohl der Deutschen Revolution von 1848 als auch der beginnenden Frauenbewegung galt. Sie war eine der ersten Frauen in Deutschland, die nach Gleichberechtigung nicht nur riefen, sondern sie in ihrem eigenen Leben gegen jeden Widerstand auch durchzusetzen vermochten. Sie war nicht nur eine kompromisslose Revolutionärin, sondern auch eine Vorkämpferin der Frauenbewegung, die sich am Ende ihres Lebens herausbildete und erste Organisationsformen entwickelte. Auch hat sie den europäischen Aspekt der Deutschen Revolution nie aus den Augen verloren und die polnischen Unabhängigkeitsbewegungen ebenso unterstützt wie die italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi, Felice Orsini und Giuseppe Mazzini.


1 Unterhaltungsbeilage der Blätter für Geist, Gemüth und Publicität vom 19. Juli 1848, abgedruckt in: Anno – historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=did&datum=18480719&seite=4

2 Münkler, Herfried: Georg Herwegh. Ein Republikaner in Wort und Tat, in: Steinmeier, Frank-Walter: Wegbereiter der deutschen Demokratie. 30 mutige Frauen und Männer 1789–1918. München 2021, S. 143 ff.

3 Krausnick, Michail: Emma – Herweghs verfluchtes Weib. Neckargemünd 2015, S. 10.

4 Emma Siegmund: Nicht Magd mit den Knechten, zit. nach: Krausnick, Michael, in: Marbacher Magazin Nr. 83/1998, S. 8.

5 Gaßner, Klaus; Finkele, Diana: Der Aufstand der badischen Demokraten. Geschichten aus der Revolution 1848/49. Ubstadt-Weiher 1998, S. 69.

6 Zit. nach: Neues Wiener Tageblatt vom 31. März 1904, S. 7: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=nwg&datum=19040331&seite=7

7 Corvin, Otto von: Aus dem Leben eines Volkskämpfers. Erinnerungen. Amsterdam 1861, S. 50 f.

38. Ludwik Mierosławski – Der polnische General

Ludwik Mierosławski wurde Mitte Januar 1814 als Sohn einer französischen Mutter und eines ehemaligen polnischen Offiziers geboren. Als Kind übersiedelte er mit seiner Familie in das beim Wiener Kongress entstandene »Kongresspolen«. Als 1830 der Novemberaufstand gegen die russischen Besatzer begann, war er als junger Soldat beteiligt. Die polnische Nationalbewegung wollte die Unabhängigkeit vom russischen Zarenreich und stand damit am Beginn einer Reihe von europäischen Befreiungsbewegungen, die in Belgien 1830 und in Griechenland 1832 erfolgreich waren. Auch wenn der polnische Novemberaufstand scheiterte und Ludwik Mierosławski ins französische Exil ging, blieb er ein glühender Anhänger eines einheitlichen polnischen Nationalstaats, den es aufgrund der drei Teilungen unter Preußen, Österreich und Russland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr gab.

Ähnlich wie Giuseppe Garibaldi Italiens Einheit erkämpfte, galt Ludwik Mierosławski bei vielen Polen als Kämpfer für einen eigenen Staat, der unabhängig und frei von Besatzungsmächten sein würde. Tatsächlich war Ludwik Mierosławski ein europäischer Revolutionär, der sowohl einen polnischen als auch einen deutschen Gesamtstaat forderte. Insofern stand er inmitten der revolutionären Ereignisse wechselseitig mal auf der einen, mal auf der anderen Seite an vorderster Front. Das zeigte sich sowohl beim polnischen Novemberaufstand 1830 als auch beim Posener Aufstand 1848. Die Provinz Posen gehörte seit dem Wiener Kongress zu Preußen, lag aber außerhalb der Grenzen des Deutschen Bundes. Die polnische Nationalbewegung wollte diesen Zustand überwinden und ein freies Polen wiederherstellen. Eine Idee, die in den deutschen Polenvereinen seit den 1830er Jahren uneingeschränkte Unterstützung erfuhr. Aber es gab in Deutschland auch jene, die den preußischen Osten, der ehemals weitgehend polnisches Gebiet war, in einen zu gründenden deutschen Einheitsstaat aufnehmen wollten.1 Nationale Interessen der Polen standen denen der Deutschen entgegen, worin sich ein Dilemma auftat, vor dem auch die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung später stehen sollten.

Anfang 1845 gründeten polnische Aufständische ein »Nationalkomitee«, das eine weitreichende Autonomie von den Teilungsmächten Preußen und Österreich erreichen wollte. Diese Forderungen riefen die preußische Regierung auf den Plan, die um Westpreußen und Pommern fürchtete, weil dort die revolutionären Ideen auf Gegenliebe treffen konnten. Die Vorstellung, dass ein polnisch-litauischer Staat wieder entstehen könnte, wie es ihn bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gegeben hatte, war für den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. ein Albtraum. Aber der Aufstand scheiterte, weil die Planungen der polnischen Aufständischen verraten worden waren. Mierosławski wurde als Rädelsführer festgenommen und 1847 im »Polenprozess«2 angeklagt. Die preußische Staatsanwaltschaft bezichtigte ihn und andere Angeklagte, den polnischen Staat in den Grenzen von 1772 wiederherstellen zu wollen. Der Prozess endete mit einem Todesurteil für Ludwik Mierosławski und sieben weitere Angeklagte.

Aber Mierosławski hatte Glück, denn am 20. März 1848 versammelte sich eine Menschenmasse vor dem Berliner Schloss und forderte den preußischen König auf, die im Polenprozess verurteilten polnischen Aufständischen, die im Moabiter Gefängnis einsaßen, freizulassen. Andernfalls – so drohten die Anwesenden – werde man das Stadtschloss stürmen. Daraufhin unterschrieb der König die Amnestie. Viele Demonstranten zogen alsdann zum Gefängnis, um ihre polnischen Helden in der Freiheit zu begrüßen. Anschließend gingen sie mit Ludwik Mierosławski durch die Stadt und riefen: »Es lebe Polen!«, »Es lebe die Freiheit!«, »Es lebe Deutschland!« Während des Triumphzugs durch das revolutionäre Berlin trug »Mierosławski neben der deutschen auch die polnische Fahne und es wurden ihm von Frauenhänden Blumen und Bänder zugeworfen«.3 Als der Umzug am Berliner Schloss einen Halt machte, stand der König auf dem Balkon und verneigte sich vor dem polnischen Freiheitskämpfer.4

Ludwik Mierosławski, zeitgenössischer Stich

Ludwik Mierosławski weilte nur ein paar Tage in Berlin, bevor er sich nach Polen aufmachte, wo er im April 1848 an der Spitze der radikalen »polnischen demokratischen Gesellschaft« stand. Mierosławski übernahm die militärische Führung des polnischen Aufstands in Posen, denn er hatte sich der »unter den Nationalisten Europas allzu verbreiteten Ansicht verschrieben, dass ein Krieg kräftigend wirke und der Dekadenz vorbeuge«.5 Dementsprechend stellte er eine polnische Freiwilligenarmee zusammen, die zwar geschickt und wagemutig kämpfte, aber am 2. Mai 1848 von besser bewaffneten und besser ausgebildeten preußischen Truppen geschlagen wurde. Das polnische Nationalkomitee löste sich auf, Mierosławski wurde erneut gefangen genommen und in die Festung nach Posen verbracht. Wieder wurde er verurteilt, dann auf französische Intervention begnadigt und nach Frankreich, dem Geburtsland seiner Mutter, ausgewiesen. Aber auch dort hielt es ihn nicht lange, denn im Juni 1849 wurde er von der provisorischen Regierung in Baden an die Spitze der Revolutionsarmee gegen die konterrevolutionären Truppen Preußens berufen.

Erneut legte er taktisches Geschick und kämpferischen Willen gegen die militärische Überlegenheit der Truppen unter dem Kommando des Prinzen Wilhelm von Preußen an den Tag. Ein letzter, schon verzweifelt wirkender Aufruf an die Bevölkerung gab als Ziel des Kampfes die »vollständige Vernichtung unseres Feindes aus«, deshalb müsse »alles dem Vaterland, der Freiheit geopfert werden. Alles setzt daran, um den letzten entscheidenden Schlag zu führen, um die Feinde des Vaterlands, um die Feinde der Freiheit, um die Feinde der Menschheit vollständig zu vernichten.«6 Aber auch in diesem Kampf musste sich Mierosławski der Übermacht der preußischen Truppen geschlagen geben. Frustriert über die unfähige politische Führung der badischen Revolutionsregierung und angesichts einer sich abzeichnenden militärischen Niederlage, legte er am 1. Juli 1849 seinen Oberbefehl nieder und zog sich in die Schweiz zurück. In Abwesenheit wurde er im Mai 1851 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt,7 die er aber nie antrat. 1861 nahm er am italienischen Befreiungskampf teil und trat 1863 im polnischen Januaraufstand gegen das zaristische Russland als einer der Anführer auf. Nach dessen Niederschlagung floh er erneut nach Frankreich, wo er am 22. November 1878 verarmt und vergessen starb.


1 Werner, Eva Maria: Kleine Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49. Köln 2009, S. 86.

2 Deutsche und Polen: 02.08.1847 – Der Polenprozess in Berlin: https://www.deutscheundpolen.de/ereignisse/ereignis_jsp/key=polen_prozess_1847.html (zuletzt abgerufen am 29.04.2022).

3 Deutsche Zeitung vom 25. März 1848: https://www.deutscheundpolen.de/ereignisse/ereignis_jsp/key=polen_prozess_1847.html (zuletzt abgerufen am 29.04.2022).

4 Porta Polonica: Ludwik Mieroslawski: https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/ludwik-mieroslawski?page=2#body-top (zuletzt abgerufen am 29.04.2022).

5 Rapport, Mike: 1848. Revolution in Europa. Darmstadt 2011, S. 140.

6 Zit. nach: Vollmer, Franz: Der Traum von der Freiheit. Stuttgart 1983, S. 410.

7 Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): 1848/49 Revolution, Ausgabe 2/1997, Heft 35.