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»Der Teufel soll das verdammte Sauwetter holen!«, fluchte Maurice, als sie im strömenden Regen durch den Morast der Straße flussaufwärts stapften und die nächste Schenke ansteuerten. Das war dann schon die vierte, die sie an diesem ungemütlichen Abend aufsuchten. »McIvor mag es vielleicht nicht glauben, aber meiner Meinung nach hat er eindeutig den besseren Teil erwischt. Er kann froh sein, dass er mit seinem breiten Hintern im Warmen sitzt und sich nicht unter dieses grobe Volk mischen muss!«

»Könnte mir auch was Angenehmeres vorstellen«, pflichtete Gerolt ihm bei und zog den Kopf ein, als der böige Wind umschlug und ihnen die Regenschauer von vorn ins Gesicht fegte. »Aber es muss nun mal sein. Lasst uns hoffen, dass wir in der nächsten Schenke mehr Glück haben.«

»Euer Wort in Gottes Ohr! Ein Quäntchen Glück wäre jetzt wirklich nicht schlecht«, sagte Raoul mit einem schweren Seufzer. »Ich muss gestehen, dass ich mir die Sache einfacher vorgestellt hatte!«

Maurice lachte spöttisch auf. »Ist es denn nicht immer so, dass ausgerechnet das, was einem anfangs als leicht zu meistern vorkommt, sich als eine harte Nuss herausstellt?«

»Und wennschon! Auch die hier werden wir schon noch knacken!«, gab sich Gerolt zuversichtlich. »Es wäre doch gelacht, wenn wir unverrichteter Dinge zu McIvor zurückkehren und uns zu allem Pech auch noch seinen bissigen Spott anhören müssten!«

»Das wäre wahrlich ein gefundenes Fressen für den Schotten! Aber den Gefallen werden wir ihm nicht tun!«, bekräftigte nun auch Maurice.

In den drei Tavernen, die sie auf der Rue de la Bucherie aufgesucht hatten, war es zugegangen wie in einem Taubenschlag. Bei dem Gedränge hätte man den Eindruck gewinnen können, dass es ausgerechnet an diesem Abend die halbe Bevölkerung des linken Seineufers in die Wirtsstuben rund um das Petit Chatelet getrieben hatte. Vermutlich verhielt es sich auch so. Denn an diesem letzten Tag der Woche hatten viele ihren Wochenlohn ausgezahlt bekommen. Und jeder schien wild entschlossen zu sein, möglichst viel davon in billigen Wein und Bier umzusetzen oder es beim Würfelspiel zu verlieren.

Jedenfalls hatten sie in keiner der drei Schankstuben einen freien Platz gefunden, schon gar nicht in der Nähe von einigen Gefängniswärtern. Deshalb war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als sich mit einem gefüllten Becher in der Hand durch die Menge zu schieben, sich an den Tischen der Wärter kurz nach einem gewissen Loubet zu erkundigen, den natürlich niemand kannte, weil sie sich den Namen ausgedacht hatten, und dann noch eine Weile in der Nähe scheinbar ratlos herumzustehen, um etwas von den Gesprächen mitzubekommen. Aber bei dem Lärm, der sie umwogte, war es schwer, wenn nicht gar unmöglich, mehr als nur ein paar Satzfetzen aufzuschnappen. Zu laut war das Stimmengewirr, das Krachen von Fäusten und Würfelbechern auf den Tischen, das raue Gelächter und das lallende Gegröle der Betrunkenen, um einer ihrer Unterhaltungen wirklich folgen zu können und dabei auf einen Wärter zu stoßen, der ihnen für ihr Vorhaben geeignet schien. Auch konnten sie bei keinem der Tische allzu lange stehen bleiben, ohne den Argwohn der Männer auf sich zu ziehen.

In der Hoffnung, im nächsten Wirtshaus mehr Glück zu haben, näherten sich die drei Templer eiligen Schrittes ihrer vierten Taverne. Sie lag an der Ecke zur Seitengasse Rue d’Aras. Das blecherne Schild über dem Eingang verkündete in Schrift und Bild, dass sich die Schenke Les Trois Hiboux* nannte.

»Herr, sei nachsichtig und erspar es uns, durch noch mehr als diese vier dreckigen Spelunken ziehen zu müssen!«, bat Maurice gen Himmel, als sie durch die Tür traten. Denn er und seine Gefährten hatten mit einem schnellen Blick erfasst, dass diese Schenke die übelste von den vieren war, die sie an diesem Abend zu Gesicht bekommen hatten.

»Was für ein entsetzliches Loch!«, flüsterte Maurice. »Hier kann man doch nur durch den Mund atmen! Eine Brandfackel müsste man reinwerfen und den ganzen Laden abfackeln!«

Küchenabfälle, abgenagte Knochen, verdrecktes Stroh, dicke Schlammklumpen, schleimiger Auswurf und Erbrochenes vermischten sich auf dem Boden zu einem ekelhaften Brei. Dazu gesellte sich ein Gestank, der sich aus einer Vielzahl übler Gerüche zusammensetzte: aus ranzigem Fett, angebranntem Kohl, Fischresten, verschüttetem Bier, wochenaltem Schweiß, der in den Kleidern der Zecher saß, regendurchweichter verdreckter Wolle sowie Asche und beißendem Rauch, wenn der Wind so stark auf den Kamin drückte, dass der Abzug versagte.

»Abfackeln? Mit Vergnügen! Aber weiterhelfen würde uns das auch nicht«, raunte Gerolt ihm zu. »Wenigstens ist es hier nicht so gerammelt voll wie in den anderen Tavernen. Das ist schon mal gut. Also tun wir unsere Arbeit!«

Wie schon in den anderen Spelunken, so begaben sie sich auch hier zum Ausschank und sprachen den aufgeschwemmten, fetthaarigen Wirt an. Dieser war gerade damit beschäftigt, eine Reihe von Steinkrügen mit Bier aus einem großen, aufgebockten Fass zu füllen.

»Entschuldigt, guter Mann! Aber habt Ihr heute schon Jean-Paul Loubet bei Euch gesehen?«, erkundigte sich Raoul freundlich. Und damit der Wirt auch wusste, dass er Gäste vor sich hatte, die nicht nur auf einen flüchtigen Sprung bei ihm hereinschauen wollten, fügte er sogleich noch hinzu: »Zapft uns auch gleich eine Kanne, wo Ihr schon mal dabei seid! Wir können heute einen ordentlichen Schluck vertragen, nicht wahr, Kameraden?«

»Worauf du einen lassen kannst, Henri!«, versicherte Gerolt. »Und bei einer Kanne wird’s weiß Gott nicht bleiben.«

»Wie soll der Mann noch mal heißen, den ihr sucht?«, fragte der Wirt über die Schulter hinweg.

»Jean-Paul Loubet«, wiederholte Raoul den fiktiven Namen und lieferte eine ebenso erfundene Beschreibung. »Wir bringen Nachricht von seiner Schwester Juliette Licorne aus seinem Heimatdorf Claireville. Er soll drüben im Petit Chatelet als Wärter Dienst tun und man hat uns gesagt, dass wir ihn jeden Samstagabend hier bei Euch im Les Trois Hiboux antreffen können.«

Der Wirt schüttelte nach kurzem Nachdenken den Kopf, so wie es auch die anderen drei vor ihm getan hatten. »Jean-Paul Loubet? Noch nie gehört. Aber kann schon sein, dass er regelmäßig kommt. Kann mir nicht jeden Namen und jedes Gesicht behalten. Ihr fragt besser die Männer dort drüben am Tisch vor dem Feuer nach diesem Loubet! Von denen weiß ich, dass sie Wärter im Chatelet sind. Sie werden Euch mehr sagen können. So, und hier ist Eure Kanne! Die Becher nehmt Euch selber da drüben vom langen Wandbrett.«

Sie dankten ihm für seinen hilfreichen Hinweis, bezahlten die Kanne Bier, nahmen sich jeder einen klobigen Becher vom Wandbrett und begaben sich zum Tisch der Gefängniswärter. Die fünf groben Kerle, die sich nur ungern in ihrer lauten Unterhaltung stören ließen, kannten natürlich auch keinen Jean-Paul Loubet. »Kennen wir nicht! Bei uns gibt es keinen Loubet!«, blaffte einer der Wärter, dem der speckige Nacken wie eine fette Wurst über den Rand seiner Jacke quoll und der die Glubschaugen einer aufgeblasenen Kröte hatte.

»Nichts für ungut, Männer. Müssen da wohl was falsch verstanden haben«, sagte Gerolt.

»Na, dann lasst uns wenigstens in aller Ruhe unser Bier trinken! Das mit Jean-Paul hat keine Eile. Also her mit euren Bechern, Kameraden!«, rief Maurice ihm und Raoul zu und belegte schnell einen der Schemel des Tisches, der gerade neben dem der Wärter frei geworden war.

Gerolt und Raoul setzten sich zu ihm, ließen sich die Becher füllen und gaben sich dann den Anschein, nicht auf das zu hören, was am Nachbartisch der Wärter gesprochen wurde. In Wirklichkeit jedoch lauschten sie aufmerksam jedem Wort, das dort fiel. Aber so aufmerksam sie der Unterhaltung der Kerkerknechte auch folgten, nichts davon war für sie von Interesse. Ein Großteil der Unterhaltung bestand aus obszönen Witzen, gehässigem und leider völlig wertlosem Klatsch, hohlem Geprahle und anderem nichtigen Geschwätz.

Auf einmal nahm das Gespräch jedoch eine andere Wendung, als der Mann mit den Glubschaugen großspurig tönte, ganz sicher auf der Liste jener Männer zu stehen, die mit einer Beförderung zum Kerkermeister zu rechnen hätten. Worauf dann sein Gegenüber, ein kantiger Bursche mit einer Zinkennase wie ein Schürhaken, missgünstig erwiderte: »Das wird sich noch zeigen, ob du Kerkermeister wirst, Tennard!«

Glubschauge warf ihm ein verschlagenes Grinsen zu. »Wart’s nur ab, Picard!»

»Kannst überhaupt froh sein, dass sie dich damals genommen haben!«, legte Zinkennase sofort bissig nach. »Glaube kaum, dass du bei uns untergekommen wärst, wenn nicht dein Schwiegervater sich für dich starkgemacht hätte! Dem müsstest du eigentlich eher die Füße küssen, als ihm bei jeder Gelegenheit den baldigen Tod an den Hals zu wünschen! Und der war noch ein Kerkermeister, der sein Geschäft verstand. Knüppelhart, aber gerecht! Ließ keinem was durchgehen, aber machte einem auch nicht das Leben sauer, wie so manch anderer!«

»Da sagst du ein wahres Wort, Picard! Der alte Bertrand Gisquet war zwar ein harter Hund, aber er hatte Zucht in seiner Truppe und ließ einen nicht die Knute spüren, das muss man ihm lassen!«, erinnerte sich ein anderer, der schon glatzköpfig und zweifellos der Älteste in der Runde war.

»Bleibt mir bloß mit den Geschichten vom Hals!«, polterte Tennard los. »Was wisst ihr denn schon, was für ein ausgemachtes Miststück der ist! Geschah ihm nur recht, dass der Obermeister ihn kurzerhand rausgeworfen hat, als er mit der verfluchten Husterei anfing! Soll er nun bald an seinem eigenen Blut ersticken! Ich werde dem alten Sack jedenfalls nicht eine lausige Träne nachweinen! Eher werde ich auf sein Grab pissen, damit ihr es nur wisst!«

»Mach nur weiter so, dann wird dir deine Leonie schon die passende Rechnung für deine Grobheiten und deine ewigen Verwünschungen ihres Vaters vor den Latz knallen, Tennard!«, prophezeite ein anderer.

»Was willst du damit sagen, Lesmont? Na los, sprich es schon aus! Bei mir brauchst du nicht zu buckeln wie bei deinem Meister! Nur heraus damit, du kriegst schon die passende Antwort von mir!«, fuhr Tennard ihn an. Gleichzeitig griff er nach dem Henkel seines Bierkrugs, als wollte er ihm diesen gleich an den Kopf schlagen.

»Dass du ein ausgemachter Schwachkopf bist, so wie du mit deiner Frau umspringst!«, sagte der Mann namens Lesmont unbeeindruckt. »Ihr mal ab und zu ein paar kräftige Ohrfeigen zu verpassen, ist ja in Ordnung. So was muss einfach sein, damit ein Weib weiß, wo sein Platz ist.«

»Aber wie du sie behandelst und gegen ihren Vater hetzt, ist längst des Guten zu viel!«, sagte der Wärter Picard und hieb damit in dieselbe Kerbe. »Sowie der alte Bertrand unter der Erde ist, kannst du dir eine andere Frau suchen, die sich von dir tyrannisieren lässt. Dann wird deine Leonie nämlich bei der erstbesten Gelegenheit ihr Bündel schnüren und machen, dass sie wegkommt von dir!«

Zornesröte entflammte das Gesicht von Tennard. »Dir muss wohl jemand ins Hirn geschissen haben, dass du so einen Schwachsinn von dir gibst!«, fauchte er Picard an. »Das wagt sie nie! Wo sollte sie auch hin und mit welchem Geld, kannst du mir das mal verraten? Oder glaubst du vielleicht, ich lasse zu, dass sie das billige Gelumpe, das der Alte in seiner Kammer bei uns an der Place Maubert hinterlässt, hinter meinem Rücken versetzt und das Geld einstreicht? Da habe ich schon meine Hand drauf, verlass dich drauf!«

Der Wärter Rutebeuf bemühte sich nun, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Geschickt lenkte er ihr Gespräch auf die Plage der vielen unbotmäßigen Studenten auf dieser Seite des Flusses, die sich erdreisteten, Waffen zu tragen, und die sich immer wieder wüste Auseinandersetzungen mit Stadtbütteln und Soldaten lieferten, bei denen nicht selten auch Blut floss. Und das war ein Thema, bei dem sie alle etwas beizutragen hatten, ohne sich dabei gegenseitig in die Haare zu geraten.

»Habt dir das gehört?«, raunte Gerolt seinen Freunden zu, als es für sie am Nebentisch nun nichts Aufschlussreiches mehr zu belauschen gab.

Raoul nickte. »Ich denke, wir haben endlich gefunden, wonach wir gesucht haben! Machen wir also, dass wir schnellstens aus diesem stinkenden Loch der Waldkäuze herauskommen!«

»Und denkt daran, es gilt, zwei Namen zu behalten!«, flüsterte Maurice, während sie sich von ihren Schemeln erhoben. Und jeder wusste, wovon er sprach. Es waren die Namen Bertrand Gisquet und Place Maubert!

* »Die Drei Waldkäuze«