I.

Nicht alle Kunstformen sind rein oder unvermischt. Manche sind Hybride. Dies ist eine Unterscheidung, auf die Künstler*innen und ihre Rezipierenden eingestellt sind und die sowohl kreativ als auch rezeptiv bedeutsam zu sein scheint. In diesem Beitrag werde ich damit beginnen, den Begriff der hybriden Kunstform zu untersuchen. Meine einleitende Fragestellung ist die naheliegende: Was genau sind hybride Kunstformen respektive wann bezeichnen wir eine Kunst als hybrid?

Zunächst ein paar Beispiele. Diese dienen zunächst als intuitive Bezugspunkte, auch wenn sie im Lichte späterer Überlegungen revidiert werden können: Collage, kinetische Skulptur, geformte Leinwandmalerei (»shaped canvas«), musikalische Installationen, Konkrete Poesie, Oper (insbesondere Wagners Musikdrama), Musik mit Farbfolgen (wie zum Beispiel Skrjabin es vorgesehen hatte), Pantomime mit musikalischer Begleitung, kalligrafischer Tanz, Glasklischeedruck,[1]  Tonfilm, Happening, die Wilson-Glass-Form der »Oper« sowie eine ganze Reihe intermedialer Aktivitäten, die sich lose als »Theater« zusammenfassen lassen.

Die falsche Art von Antwort auf die Frage, warum wir diese Beispiele als hybride Kunstformen verstehen, ist, dass die zu ihnen gehörenden Werke komplex sind und verschiedenartige Strukturelemente enthalten. Rembrandts oder Raffaels Gemälde sind komplex und operieren in mehrfacher Hinsicht gleichzeitig: zweidimensionale Formgebung, dreidimensionale Tiefe, Disposition der Körper und Bewegungen sowie psychologische Interaktion. Doch niemand hält solche Gemälde, wie viel auch immer in ihnen passieren mag, für hybride Kunstwerke. Eine etwas verlockendere, wenn auch letztlich unbefriedigende Antwort ist, dass wir Kunstformen als hybrid betrachten, wenn sie sich konzeptuell in zwei oder mehr 80unterschiedliche künstlerische Aktivitäten oder scheinbare Medien zerlegen lassen. Das ist jedoch nicht richtig, da sich mit Einfallsreichtum beinahe jede Kunstform so verstehen lässt, dass sie als Kombination einfacherer künstlerischer Stränge erscheint. So kann eine Streichquartettkomposition als eine Kombination von einer Komposition für ein Trio und einer Komposition für Solovioline gedacht werden. Die Ganzfigurenplastik wird zur Kopplung von Kopf- und Körperplastik. Die Töpferei verbindet eine Kunst der Formgebung von Ton mit einer Kunst der Glasuren und Lacke. Traditionelle Poesie wird zur Generierung prosaischer Wortfolgen, die mit einem Handwerk aus Reim und metrischer Betonung einhergeht. Traditionelle Malerei lässt sich gedanklich in Tätigkeiten des Zeichnens und Kolorierens oder alternativ in Figuren- und Hintergrundmalerei zerlegen. Tanz zerfällt in stille Körperbewegung mit rhythmischer Musik.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die gängige Vorstellung einer hybriden Kunstform keine rein strukturelle ist. Es sind nicht die intrinsischen Merkmale von Werken in einer hybriden Form, die sie als solche kennzeichnen – oder zumindest sind es nicht nur solche Merkmale. Die Dimensionsvielfalt oder konzeptuelle Zerlegbarkeit der Werke einer Kunstform begründen an sich noch keinen hybriden Status, ebenso wenig wie die Verwendung von zwei oder mehr deutlich unterschiedlichen Arten von Materialien.

Vielmehr ist der hybride Status in erster Linie eine historische Angelegenheit, so wie es in ähnlicher Weise auch ein biologischer Hybrid ist. Eine Kunstform ist eine hybride Kunstform aufgrund ihrer Entwicklung und ihres Ursprungs, aufgrund ihrer Entstehung aus einem Feld zuvor existierender künstlerischer Tätigkeiten und Anliegen, von denen sie zwei oder mehr gewissermaßen kombiniert. Hybride Kunstwerke weisen zwar immer eine signifikante strukturelle oder dimensionale Komplexität auf, aber dass es sich um hybride Werke handelt und welche Art von Hybriden sie sind (das heißt, woraus sie bestehen), kann nur unter Bezugnahme auf die historischen Bedingungen zur Zeit der Entstehung und im Hinblick auf bereits als solche konstituierte Medien deutlich gemacht werden. Die Komponenten eines vermeintlichen Hybrids müssen irgendwo in der vorhergehenden Kultur verortbar sein, und es muss als plausibel angesehen werden, dass sie im Ergebnis zusammenkommen. Kurz, hybride Kunstformen sind Kunstformen, 81die aus der tatsächlichen Kombination oder gegenseitigen Verflechtung früherer Kunstformen entstehen. Kunstformen, die nicht so entstanden sind, obwohl sie gedanklich in verschiedene mögliche oder tatsächliche strukturelle oder mediale Komponenten zerlegbar sind, sind keine Hybride im primären Sinne. (Wir könnten sie Gedanken-Hybride nennen.)[2]  Wie ich oben bereits erwähnt habe, wird die europäische figurative Malerei gängigerweise nicht als hybride Kunst bezeichnet. Wenn sie sich jedoch in ihrer Entwicklung von einer Kunst der zweidimensionalen ornamentalen Formgebung abgeleitet hätte, die allmählich einer bereits etablierten Technik der Darstellung leerer dreidimensionaler Räume durch perspektivische Raster aufgepfropft wurde, dann könnte man geneigt sein, diese vertraute Kunst als eine hybride aufzufassen.

Die Unterscheidung zwischen echten Hybriden und Gedanken-Hybriden hat, so glaube ich, eine gewisse Bedeutung für die Beurteilung. Grob gesagt ist es diese: Wenn Werke im primären Sinne künstlerische Hybride sind, müssen sie in Bezug auf und im Licht ihrer Komponenten verstanden werden; wenn sie nur Gedanken-Hybride sind, dann müssen und sollten sie in den meisten Fällen nicht so verstanden werden. Wenn eine Kunstform C als eine Kombination aus A und B entstanden ist, dann verstehen oder beurteilen wir den A-Aspekt eines C-Werks (zum Beispiel den malerischen Aspekt einer kubistischen Collage) vor dem Hintergrund von Normen, Stilen und Anliegen, die mit der bereits bestehenden Praxis der Kunst A verbunden sind. Bei einem Gedanken-Hybrid gibt es keine angemessene Vorgeschichte der Rezeption, die von den so unterschiedenen Komponenten getragen wird.

Die Lehre, die ich hier betone, ist, dass die Entwicklungsgeschichte einer Kunstform für das Verständnis von Werken dieser Form, wie sie gegenwärtig existiert, relevant bleibt; die fiktive Geschichte eines Gedanken-Hybrids ist im Gegensatz dazu praktisch ohne Bedeutung. Noch eine weitere Illustration: Generell wäre es angesichts der tatsächlichen Genese des Mediums Film passender und aufschlussreicher, fotografische oder theatralische Effekte in einem Stummfilm in der Rezeption zu berücksichtigen, als nach kalligrafischen Effekten Ausschau zu halten. Natürlich könnte sich der Film irgendwie (!) durch immer stärkere Figürlichkeit, Tiefe 82und Animation aus dem, was wir ursprünglich als Kalligrafie kennen, entwickelt haben – aber das hat er nicht, und genau das ist der wesentliche Punkt. Wie relevant Vergleiche und Referenzen sind, ist nicht unabhängig von der Entwicklungsgeschichte.

Wenn wir auf unsere Liste zu Beginn zurückblicken, können wir die traditionelle Oper als eine Kombination aus Gesang und Drama, die geformte Leinwand als eine Kombination aus Malerei und Skulptur, die konkrete Poesie als eine Kombination aus Poesie und Grafik, die kinetische Skulptur (vielleicht) als eine Kombination aus Skulptur und Tanz und die Wilson-Glass-Opern als eine Kombination aus Gesang, Drama, Malerei, Tanz, Pantomime und möglicherweise auch anderen Künsten erkennen. Dabei handelt es sich nicht nur um »theoretische« Aufschlüsselungen der jeweils komplexen Künste; vielmehr bezeichnen sie reale Vorläufer, die unabhängig von und vor dem jeweiligen Hybrid existieren und durch die Arbeit von Künstler*innen in Interaktion gebracht werden. In den meisten Fällen sind sich die Künstler*innen der Kombinationen, die sie hervorbringen, zwar explizit bewusst, aber wir brauchen dies nicht als ein notwendiges Merkmal von Hybriden zu betrachten, solange es bereits vorher existierende künstlerische Medien oder Modi gibt, die plausibel als Mitwirkende an der entstehenden Kunstform identifiziert werden können.[3] 

An dieser Stelle sei den Lesenden verziehen, wenn sie den Eindruck haben, dass ich zu einer früheren Schlussfolgerung zurückgekehrt bin. Ich habe gerade zugestanden, dass man sich hybride Kunstformen als Kunstformen vorstellen kann, die zwei oder mehr Medien in Kombination darstellen. Ist Medium nicht aber eine strukturelle Kategorie, so dass der hybride Status schließlich doch eine rein strukturelle Angelegenheit ist, die durch bloße Betrachtung bestimmt werden kann? Nein, denn Medium ist im gegenwärtigen Kontext nicht gleichbedeutend mit materieller oder 83physischer Dimension. Vielmehr meine ich mit Medium eine entwickelte Art und Weise, gegebene Materialien oder Dimensionen zu verwenden, mit bestimmten etablierten Eigenschaften, Praktiken und Möglichkeiten.[4]  ›Medium‹ in diesem Sinne ist näher an ›Kunstform‹ als an ›Art des Materials‹. Hybride Kunstformen, die verschiedene Medien kombinieren, beinhalten möglicherweise nicht verschiedene Materialien oder Dimensionen (wie zum Beispiel Prosagedichte, »Fusion«-Jazz), und Kunstformen, die klarerweise verschiedene Materialien oder Dimensionen beinhalten, sind möglicherweise nicht diejenigen, die wir üblicherweise als hybrid betrachten (wie zum Beispiel Keramik, Volkslied).[5]  Nur eine historisch informierte Analyse, nicht eine rein material- oder dimensions-unterscheidende, kann den ästhetisch wichtigen Begriff der hybriden Kunst im tatsächlichen Gebrauch erfassen. Eine hybride Kunstform ist eine Kunstform mit einer »Vergangenheit«, und es ist ihre vermischte Geschichte, die sie hybrid macht, nicht nur das komplexe »Gesicht«, das sie zeigt.

Erstaunlicherweise sind wir jetzt in der Lage zu charakterisieren, was eine reine Kunstform ist – im Gegensatz zu einer hybriden. Eine reine Kunstform ist einfach eine Kunstform, die nicht aus der gegenseitigen Verflechtung oder dem Zusammenwirken von bereits bestehenden Kunstformen entstanden ist. So gesehen sind zwei Dinge sofort offensichtlich. Erstens ist der Begriff einer reinen Kunstform dem einer hybriden logisch nachgeordnet, da sie eigentlich der Begriff einer nichthybriden Kunstform ist. Zweitens wird die gebräuchliche Kategorisierung einer Kunstform als rein oder nichthybrid in der Regel eine relative oder begrenzte sein, die keine absolute Reinheit, die bis zu den Anfängen der westlichen Kunst zurückreicht, voraussetzt. Eine aktuelle Kunstform als nichthybrid 84zu bezeichnen, bedeutet zum Beispiel, dass sie sich in Bezug auf ihre jüngste oder kunstkritisch relevante Vergangenheit als Kunstform relativ stabil konstituiert und sich somit nicht in letzter Zeit aus anderen Aktivitäten im künstlerischen Umfeld entwickelt hat. Es mag durchaus einige absolut reine oder nichthybride Künste geben, aber der entscheidende Unterschied scheint zwischen den Künsten zu liegen, in denen deren Vorläufer noch immer sichtbar sind und die in der kritischen Reaktion angemessenerweise berücksichtigt werden, und solchen, deren künstlerische Vorgänger, wenn es diese überhaupt gibt, längst aus dem würdigenden oder interpretativen Bild verschwunden sind.

II.

Die Kunstformen auf unserer Anfangsliste sind also allesamt Hybride, da sie aufgrund ihrer Ableitung von zwei oder mehr früheren Kunstformen (oder Medien) einen komplexen Charakter aufweisen, aber sie sind offensichtlich nicht alle dieselbe Art von Hybrid. Ich habe das Wort »Kombination« verwendet, um das Verhältnis von Hybriden zu Vorläufern im Allgemeinen abzudecken, aber wir sollten beachten, dass es sich um logisch verschiedene Arten der Kombination handelt. Welche Arten gibt es also? Es scheint mir, dass es drei wichtige Arten gibt, die als Juxtaposition (oder Addition), Synthese (oder Fusion) und Transformation (oder Veränderung) bezeichnet werden können.

In der Juxtaposition oder Addition werden die Objekte oder Produkte zweier (oder mehrerer) Künste einfach zusammengefügt und als eine größere, komplexere Einheit präsentiert. Die einzelnen Komponenten sind dabei die gleichen wie in ihrer reinen Erscheinungsform und behalten ihre Identität als Instanzen ihrer jeweiligen Kunstform – auch wenn die besondere Gestalt und Qualität in vielen Fällen ohne Bezugnahme auf die andere Kunstform unverständlich wäre. Künstlerische Produkte, die explizit als mit Begleitung beschrieben werden, sind immer von dieser Art, wie zum Beispiel ein Lied mit Gitarrenbegleitung, Pantomime mit Flötenbegleitung, ein Stummfilm mit Klavierbegleitung. Dazu gehören aber auch Tänze, die von kalligrafischen Zeichnungen inspiriert und zusammen mit diesen betrachtet werden, Symphonien, die 85gleichzeitig mit Lichtspielen aufgeführt werden, Musik-/Skulpturinstallationen und, zum größten Teil, die Wilson-Glass-Oper Einstein on the Beach. In all diesen Fällen sind die beteiligten Elemente unterscheidbar und voneinander trennbar; sie bilden ein Ganzes durch ihre Summierung und nicht durch die Verschmelzung oder Auflösung ihrer Grenzen. Juxtapositionale Hybride bestehen also aus Elementen, die isoliert von den anderen, mit denen sie verbunden sind, vorstellbar sind und die, so isoliert, als bona fide (wenn auch eigentümliche) Realisierungen der Künste, die sich zu dem Hybrid summieren, gelten würden. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dass bei solchen Hybriden das Ganze oft (ästhetisch) »mehr als« die Summe seiner Teile ist, sondern nur die erkennbare Zugehörigkeit der Teile zu ihren künstlerischen Ursprüngen aufgezeigt werden. Die meisten (wenn auch nicht alle) künstlerischen Einheiten, die als Mixed- oder Multimediaphänomene beschrieben werden, sind von der Art, die ich als juxtapositionale Hybride bezeichnen würde.

Bei der Synthese oder Fusion werden die Objekte oder Produkte zweier (oder mehrerer) Künste so zusammengeführt, dass die einzelnen Komponenten ihre ursprüngliche Identität teilweise verlieren und im Hybrid in einer Form vorliegen, die sich deutlich von der im reinen Zustand unterscheidet. Wenn A mit B verschmolzen wird, anstatt es lediglich zu B hinzuzufügen, kann nicht gesagt werden, dass das resultierende hybride Objekt isolierbare Elemente oder Teile enthält, die streng genommen Realisierungen von A oder von B sind, und kann daher im Grunde nicht als lineare Addition solcher Elemente oder Teile angesehen werden. Wenn A und B verschmolzen werden, wird jedes Element durch das andere modifiziert, so dass das Ergebnis weder etwas ist noch enthält, das man problemlos als ein A oder ein B im ursprünglichen Sinn erkennen kann. Die Wagner-Oper, als eine Synthese aus Lied und Drama angesehen, ist ein Paradebeispiel dafür. Wäre die Wagner-Oper eine hybride Juxtaposition, so könnte das bedeuten, dass einige Darsteller*innen in sich geschlossene Lieder mit Orchester und andere Darsteller*innen gleichzeitig oder im regelmäßigen Wechsel ein theatralisches Drama aufführen. Aber die Wagner-Oper ist kein Drama plus Lied – sie ist gesungenes Drama oder dramatisches Lied. In Wagners Oper singen und schauspielern dieselben Darsteller*innen – sie singen, während sie schauspielern, und schau86spielern durch Gesang. Kein Teil dessen, was sich auf der Bühne abspielt, ist streng genommen eine Realisierung von Schauspielkunst oder Liedkunst, doch die Relation einer solchen Oper zu diesen Vorgängern bleibt unverkennbar.

Etwas andere Beispiele für synthetische Hybride, die nicht-zeitliche Künste einbeziehen, sind konkrete Poesie und geformte Leinwände. Konkrete Poesie ist eindeutig ein Hybrid, das sich aus gewöhnlicher Poesie und Grafik ableitet. Aber ein konkretes Gedicht, obwohl es einen poetischen Aspekt und einen grafischen Aspekt hat, ist selbst kein gewöhnliches Gedicht oder ein einfaches Beispiel für grafische Kunst und enthält auch keine Teile, die dies wären. Es handelt sich nicht um ein Gedicht, das lediglich mit einem Bild verbunden ist; es ist ein einzelner Gegenstand, der ebenso ein Bild wie ein Gedicht ist, aber wiederum keinem der beiden im Sinne der traditionellen Kategorien strikt zuzuordnen ist. Vielmehr handelt es sich um ein Gedicht-Bild. Wir können sagen, dass es zum Teil ein Gedicht und zum Teil ein grafisches Werk ist – aber nicht, im Gegensatz zu juxtapositionalen Hybriden, dass es Teile hat, die ohne weiteres als Gedicht oder grafisches Werk gelten.

Das Phänomen der geformten Leinwände, wie es Frank Stella geschaffen hat, kann ähnlich betrachtet werden. Sie werden weder ohne weiteres als Malerei bezeichnet, weil ihre unregelmäßigen, ungeradlinigen, Aufmerksamkeit fordernden Grenzen für Gemälde kontra Standard sind, noch werden sie problemlos als Skulpturen identifiziert, da ihre Merkmale – Flachheit, Einseitigkeit, Wandmontage – kontra Standard für Skulpturen sind. Auch enthalten sie bei keiner natürlichen Zerlegung Teile, die eindeutig Gemälde oder Skulpturen sind, obwohl sie treffend als teils Gemälde, teils Skulpturen bezeichnet werden können. Malerei und Skulptur sind in dem Genre der geformten Leinwände verschmolzen – man könnte argumentieren, dass sie in der Collage und Assemblage (Schwitters, Rauschenberg, Johns) auf andere Weise verschmolzen sind – und nicht einfach addiert. Das Ergebnis ist eine Gemälde-Skulptur. Eine Juxtaposition der beiden Künste wäre dagegen so etwas wie ein Gemälde und eine dazugehörige Skulptur, die als künstlerische Einheit verstanden und zusammen betrachtet werden. Das wäre Malerei plus Skulptur, eine Kunstform, die es so heute noch nicht gibt.[6] 

87Die dritte Variante der hybriden Kunstform, die ich als transformatorisch bezeichne, ist dem synthetischen Modell näher als der Juxtaposition, unterscheidet sich aber von Ersterem dadurch, dass die verschmelzenden Künste nicht in ungefähr gleichem Maße zum Ergebnis beitragen. Ein transformatorisches Hybrid aus A und B liegt nicht auf halbem Weg zwischen A und B; es ist im Grunde genommen A, das in eine Richtung von B transformiert wird. Ein gutes Beispiel für diese Art von Hybrid ist die kinetische Skulptur. Die kinetische Skulptur kann als gewöhnliche Skulptur, die in eine tänzerische Richtung modifiziert wird, verstanden werden. Es handelt sich nicht um eine gleichberechtigte Verschmelzung der beiden, sondern vielmehr um die Aufnahme einiger der besonderen oder unverwechselbaren Merkmale des Tanzes in das, was erkennbar Skulptur bleibt, wenn auch in einem erweiterten Sinne. Das Ergebnis könnte nicht angemessen als Tanz bezeichnet werden, auch nicht in einem erweiterten Sinn – wohl aber metaphorisch. Kontrastieren wir damit synthetische Formen, wie zum Beispiel konkrete Poesie, geformte Leinwand: In einem synthetischen Hybrid aus A und B kann das Ergebnis als ein (Nichtstandard-)A mit B-Merkmalen (zum Beispiel ein bildhaftes Gedicht) oder mit ungefähr gleichem Anspruch als ein (Nichtstandard-)B mit A-Merkmalen (zum Beispiel ein gedichtähnliches Bild) beschrieben werden. Es gibt eine gewisse Parität oder Symmetrie, anders als in einem transformatorischen Hybrid. Eine kinetische Skulptur ist eine terpsichorische Skulptur, aber nicht (außer metaphorisch) ein skulpturaler Tanz. Ob sich ein synthetisches oder transformatorisches Hybrid aus der Kombination zweier Künste ergibt, scheint weitgehend davon abzuhängen, wie ähnlich sich die Künste in Bezug auf Materialien, zeitlichen Status und andere Merkmale im Vorhinein waren. Je ähnlicher sich die beiden Künste sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu einer Verschmelzung statt zu einer Veränderung kommt.

Zu beachten ist, dass sowohl in synthetischen als auch in transformatorischen Fällen ein wesentliches oder bestimmendes Merkmal einer oder beider Künste in Frage gestellt, modifiziert oder aufgegeben wird. So ist ein geformtes Leinwandgemälde nicht mehr (automatisch) rechteckig, eine kinetische Skulptur ist nicht mehr unbeweglich. Dies markiert einen Unterschied zwischen transformatorischen Hybriden und einem breiten Spektrum von Fällen des Einflusses einer Kunstform auf eine andere. So sind beispielsweise 88Stuart Davis’ Gemälde der 1940er Jahre mit ihren vom Jazz inspirierten visuellen Rhythmen keine transformatorischen Hybride aus Malerei und Jazz, weil sie vollständig und eindeutig Gemälde mit allen Standardmerkmalen bleiben. Natürlich ist diese schwächere Art der künstlerischen gegenseitigen Befruchtung ebenso faszinierend und untersuchenswert wie das Phänomen der Hybridisierung, aber ich denke, es ist wichtig, diese klar abzugrenzen.

Als abschließende Illustration betrachten wir, wie der Stummfilm im Hinblick auf die von mir lose skizzierte Typologie kategorisiert werden kann. Wenn man ihn als eine Mischform zwischen Theater und Fotografie betrachtet, ist er dann eine Synthese aus beiden, oder ist er eine Transformation der Fotografie in eine theatralische (oder narrative) Richtung? Auch wenn die ursprüngliche Beschreibung »bewegte Bilder« die letztere Vermutung unterstützt, ist sie nicht zwingend. Denn »fotografiertes Theater« scheint ebenso passend. Zur Verteidigung einer Einstufung als Synthese ist ein Stummfilm im jeweils erweiterten Sinne vielleicht sowohl eine Art Fotografie (eine kinetische) als auch eine Art Theater (ein nicht-körperliches).

III.

Eine auffällige und zentrale Bedeutung, die hybride Kunstformen haben und die zum Teil ihre Anziehungskraft auf Künstler*innen und deren Bemühungen um sie erklärt, ist folgende: Hybride Kunstformen und die Werke, die sie umfassen, sind tendenziell Symbole für Kreativität selbst – für das kraftvolle und zweckmäßige Zusammensetzen von Dingen, für das Zusammenschweißen von zuvor disparaten und nicht miteinander verbundenen Gegenständen zu neuen und komplexeren Einheiten. Kreieren bedeutet in der Regel, bereits existierende Materialien neu zu organisieren und zu noch nie dagewesenen Ganzen zusammenzufügen. Die Hybridisierung von Kunstformen tut genau dies, nicht auf der Ebene einzelner Werke und ihrer Komponenten, sondern auf der Ebene künstlerischer Kategorien und ihrer Vorläufer. So erlangen die einzelnen hybriden Kunstwerke aufgrund der Künste, die sie in Kombination zeigen, eine Bedeutung als Embleme der kreativen beziehungsweise schöpferischen Tätigkeit im Allgemeinen.

89Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten oder Stränge in einer hybriden Kunst – sei es harmonisch, antagonistisch, synchron oder anarchisch – ist sicherlich das Augenfälligste in solchen Werken. Dies scheint besonders dann der Fall zu sein, wenn es sich bei dem betreffenden Hybrid um eine Juxtaposition von zwei reineren temporären Künsten handelt, wie zum Beispiel Musik, Pantomime, Tanz, abstrakter Farbfilm. Künstler*innen und Publikum interessieren sich dafür, wie die beiden Ereignissequenzen zueinander in Beziehung gesetzt werden – ob sie sich nun parallel, in expliziter Opposition oder in einer scheinbar sublimen Gleichgültigkeit entfalten. Wir halten Ausschau nach Funken der Ähnlichkeit und des Gegensatzes, die von gleichzeitig stattfindenden Ereignissen in verschiedenen Bereichen ausgehen. Eine Frage, die sich in Bezug auf dieses zentrale Merkmal stellt, ist die folgende: Worin unterscheidet sich die Beziehung zwischen den beiden sich entwickelnden Mustern – zum Beispiel einem musikalischen und einem mimetischen – in einer solchen hybriden Kunst von der Relation zwischen verschiedenen strukturellen Aspekten in paradigmatischen nichthybriden Künsten – zum Beispiel Bedeutung und Klang in einem Gedicht, Melodie und Generalbass in einer Barocksonate? In einer kurzen Antwort auf diese umfassende Frage scheinen zwei Punkte beachtenswert. Der erste ist, dass in hybriden Werken die in Beziehung gesetzten Muster gewöhnlich in physisch unterschiedlichen Medien mit sehr unterschiedlichen Neigungen und Geschichten vorliegen. Der zweite Punkt ist, dass die Muster in einem Hybrid als absichtlich kombiniert und gegen einen gewissen Widerstand zusammengefügt werden – im Gegensatz zu einer Vereinigung, die als natürliche Tatsache erlebt wird oder deren Ursprung so weit entfernt ist, dass sie nicht in das Bewusstsein der Rezipierenden eingreift. Wir hören Sinn und Klang oder Melodie und Bass als einzelne Komponenten nur durch einen besonderen Akt der Aufmerksamkeit; dagegen können die entschiedenen Kombinationen künstlerischer Elemente, die Hybride wie Einstein on the Beach hervorbringen, kaum unbemerkt bleiben.

Ein Ziel, das in einem temporären Hybrid durch eine besondere Verbindung der Komponenten realisierbar ist, ist die Betonung von Gemeinsamkeiten oder Isomorphismen zwischen zwei Künsten. Durch die Juxtaposition von Tanz und kalligrafischer Zeichnung in einer bestimmten Art und Weise kann der kalligrafi90sche Aspekt des Tanzes und der tanzähnliche Aspekt der Kalligrafie hervorgehoben und unsere Wahrnehmung jedes Strangs durch die Nähe des anderen fokussiert und orientiert werden. Wir tendieren dann dazu, andere Dinge im Tanz zu sehen, wenn die Zeichnungen nicht vorhanden sind, und umgekehrt. Die Juxtaposition von A und B in einem künstlerischen Hybrid kann, in Nelson Goodmans Worten, die Eigenschaften, die A oder B im gemeinsamen Kontext exemplifizieren, im Vergleich zu dem verändern, was sie für sich genommen exemplifizieren würden, oder zumindest die Gewichtung dessen, was sie einzeln exemplifizieren, beeinflussen.[7] 

Abschließend möchte ich auf das vielleicht Faszinierendste an hybriden Kunstformen eingehen, insbesondere an solchen, die aus mehreren künstlerischen Quellen schöpfen. Es scheint im Grunde zwei Arten von Gesamteffekten zu geben, die solche Hybride erzielen – aber diese Effekte sind fast diametral entgegengesetzt. Wir können diese Effekte als integrativ und desintegrativ bezeichnen. Im ersteren Fall bietet das multiple Hybrid ein Bild des Reichtums und der Komplexität, aber eines, in dem einzelne Elemente zusammenwirken oder auf ein gemeinsames Ziel hin zusammenarbeiten, so dass wir sozusagen dazu gebracht werden, die Einheit in der Vielheit zu sehen. Hybride, die formal synthetisch in dem oben erläuterten Sinne sind, neigen zu diesem Effekt – zum Beispiel die Wagner-Oper mit ihrem Ideal einer vollständigen, allumfassenden Erfahrung, die durch eine innige Verbindung von Symphonie, Gesang, Drama und Bühnenkunst erreicht wird. Im anderen Fall – dem desintegrativen – dienen Komplexität und Reichtum nicht dem Ideal der Einheit, sondern dem der völligen Fragmentierung und grassierenden Unkoordinierung. Werke, die diese Art von Wirkung erzielen – vor allem juxtapositionale Hybride, bei denen einzelne künstlerische Beiträge formal nicht mit ihren Nachbarn verschmelzen –, schaffen dies durch eine Art kognitive Überlastung. Es passiert zu viel, mit dem man sich auseinandersetzen muss, es gibt mehr Trennung, als man durch die eigenen integrativen Bemühungen im Zuge der Rezeption zu überwinden hoffen kann. Wir sind gezwungen, die Vielheit zu sehen, da das Eine nirgendwo zu finden ist. Desintegrative Effekte – die zum 91Beispiel Teile von Einstein on the Beach charakterisieren – scheinen oft symbolisch oder als Anspielung auf die psychologische Fragmentierung, das Informationsbombardement und die allgegenwärtige Anomie des zeitgenössischen städtischen Lebens zu gelten. Das macht sie faszinierend, aber auch ein wenig deprimierend. Was wird bevorzugt – ein ehrliches und manchmal verklärendes Bild unseres gegenwärtigen, zerrütteten Zustands oder eine heroische Darstellung einer Einheit, die im normalen Leben vielleicht außerhalb unserer Reichweite bleibt? Wilson-Glass oder Wagner? Doch vielleicht muss man sich nicht entscheiden.[8] 

Aus dem US-Amerikanischen übersetzt von Juliane Baruck