Der Umgang mit Angst kann von Eltern auf ihr Kind übertragen werden. Denn du als Elternteil bist ein wichtiges Vorbild für dein Kind. Darum ist es nicht nur von besonderer Bedeutung, ob es mehrere (entferntere) Familienmitglieder gibt, die mit Angst kämpfen, sondern vor allem, wie du mit Angst umgehen kannst. Gerade wie du im Alltag handelst, ist dabei viel wichtiger als bloße Erklärungen und Worte von dir.
Nicht nur deine gelebte Höflichkeit oder Empathie können von deinem Kind übernommen werden. Auch weniger positiv besetzte Verhaltensweisen, wie starke Wutausbrüche oder eben übertriebene Ängstlichkeit, können abfärben. Aber ein sinnvoller Umgang mit Angst zum Glück auch!
Stopp! Dieses Buch soll dir keine Angst machen. Daher lies jetzt bitte ganz in Ruhe und sehr genau weiter. Wenn du dich selbst auch als sehr ängstlich einschätzt, ist es wichtig, dass du nicht auch noch Angst davor entwickelst, deine Probleme auf dein Kind zu übertragen. Ja, das Risiko besteht, aber das muss nicht passieren. Du kannst einiges tun, um dem vorzubeugen. Genau für diese Fälle habe ich dieses Buch geschrieben. | ![]() |
Du hast es in der Hand, denn eine Übertragung elterlicher Ängstlichkeit ist kein Automatismus. Du kannst mithilfe dieses Buches auch lernen, gut mit deiner Angst umzugehen, und deinem Kind damit Vorbild sein. So geht ihr miteinander durch die Angst. Du hast schon bis hierhin gelesen und so viel mitgenommen. Trau dir viel zu!
Ob dein Umgang mit Angst bislang schon Auswirkungen auf dein Kind hatte, ist an dieser Stelle gar nicht so relevant. Wichtig ist der Ist-Zustand: Du und dein Kind habt Schwierigkeiten mit Angstgefühlen und braucht Bewältigungskraft. Ab jetzt zählt es, welche Schritte ihr nach vorne geht.
Damit deine Ängstlichkeit nicht auf dein Kind abfärbt und deine Ängste sich nicht übertragen, gebe ich dir nun erste Gedanken dazu mit, wie du grundsätzlich damit umgehen solltest.
Ergründe deine Angst
Im Kapitel „Eure Angst wächst mit der Zeit“ ab Seite 22 hast du erfahren, wie Angst im Lebensverlauf entstehen und sich festsetzen kann. Dort konntest du auch schon darüber nachdenken, wie wohl dein Angst-Weg gewesen ist. Und du hast Anregungen bekommen, wie du mit diesem Thema umgehen kannst, wenn es dich allein überfordert. Es ist in jedem Fall wichtig, dass du diesen Teil deiner Angst nicht außer Acht lässt.
Im Grunde ist es wie bei einer Unverträglichkeit: Wenn du nur die Symptome behandelst, wie zum Beispiel allergische Hautirritationen mithilfe einer Creme, kann die Haut sich beruhigen, aber die Reaktion wird immer wieder auftauchen. Schaust du dir das Problem jedoch genauer an und findest die Ursache (ein bestimmtes Duschgel, das dir eine Freundin immer schenkt?), kannst du das Thema an der Wurzel packen, den Auslöser aus deinem Leben werfen und darüber sprechen.
Bei deiner Angst kann es ähnlich sein. Vielleicht hat eine Person daran mitgewirkt, dass sie so groß geworden ist. Das genau zu sehen und zu verstehen, kann dir sehr helfen. Gerade auch beim Blick darauf, wie du vielleicht dein ängstliches Kind beeinflusst. Ob du die entsprechende Person dann in den weiteren Prozess miteinbeziehen solltest oder nicht, kann natürlich ganz unterschiedlich sein.
Sprich mit anderen Erwachsenen
Sprich über Ängste, die du nicht gut im Griff hast, mit erwachsenen Freunden oder Freundinnen oder je nach Intensität mit Fachpersonen beispielsweise aus der Psychotherapie. Sie können es in der Regel gut aushalten, dich in deiner Angst zu begleiten, ohne sich selbst dafür verantwortlich zu fühlen. Das ist bei deinem Kind unter Umständen anders.
Inwieweit du dein Kind involvieren kannst, erkläre ich dir gleich noch. Es sollte hierbei aber eben nicht dein Sparringspartner werden. Denn wenn es bei dir kontinuierlich große Ängste bemerkt, kann es davon sehr verunsichert werden. Dabei braucht es dich als Ort der Zuversicht und für ein Gefühl von „Alles wird gut. Du schaffst das!“
Achte auf deine Hemmungen
Welche eigentlich ganz normalen Situationen vermeidest du ständig im Alltag? Vielleicht Telefonate? Das Ansprechen von Problemen? Oder das Wagen von kleinen Mut-Momenten und neuen Erfahrungen? Dein Kind schaut sich das in vielen Fällen von dir ab.
Das sind also die Bereiche, in denen du kleine Schritte machen solltest, dich etwas zu trauen, um ein hilfreiches Vorbild sein zu können. Im zweiten Teil des Buches mit dem Titel „Eure Angst bewältigen“ ab Seite 66 wirst du auch dazu für dich Inspiration finden.
Achte auf mögliche versteckte Ängste
Hinter welchen anderen Gefühlen und eher untypischen Verhaltensweisen sich Angst verstecken kann, hast du schon gelesen. Prüfe mittels der Fragen im Kapitel „Eure Angst maskiert sich“ ab Seite 31, ob du verdeckte Ängste mit dir herumträgst. Sollte das der Fall sein, kann das auf dein Kind modellhaft wirken und zu Nachahmungen führen. Es ist wichtig, dass du die versteckte Angst gegebenenfalls erkennst, damit du nicht an oberflächlichen Symptomen arbeitest, sondern wirklich am darunterliegenden Angstgefühl. Sollte dich das allein überfordern, suche dir professionelle Unterstützung.
Achte auf nicht-ängstliche Bezugspersonen
Versuche zu ermöglichen, dass dein Kind viele gemeinsame Erfahrungen mit dem nicht-ängstlichen Elternteil oder einer anderen nichtängstlichen Bezugsperson machen kann. Dabei wird es erleben, wie sichere, mutige Verhaltensweisen aussehen, sodass es sich leichter auf gleiche Art ausprobieren kann und verschiedene Vorbilder hat.
Das ist ein guter Ausgleich, wenn du dich selbst noch oft von deiner Angst getrieben verhältst. Du kannst auch versuchen, dir solch einen Ausgleich zu suchen: Welche Menschen in deinem Umfeld können sicher und sinnvoll mit Angst umgehen? Verbring Zeit mit ihnen, sprich mit ihnen, lass sie deine Vorbilder werden.
Hol dein Grundschulkind mit ins Team
Mit kleinen Kindern kannst du allgemein über Angst sprechen. Im Kapitel „Mit deinem Kind über Angst sprechen“ ab Seite 73 findest du Anregungen dazu, wie solche Gespräche aussehen könnten, je nachdem wie alt dein Kind ist.
Über deine eigenen Ängste und Schwierigkeiten solltest du erst mit deinem Kind sprechen, wenn es etwas älter ist, um ihm keinen zusätzlichen Stress zu machen. Etwa ab 8 Jahren kann dein Kind deine Ängste recht sicher von sich fernhalten, da es so weit gereift ist, dass es Fühlen, Denken und Handeln trennen kann. Das bedeutet, ein Gespräch über deine Ängste wird nicht sofort dafür sorgen, dass es sich selbst auch schlecht oder gar schuldig fühlt. Es kann unterscheiden, was du beschreibst und was es selbst fühlt. Und es besteht auch nicht die Gefahr, dass es sich verantwortlich dafür fühlt, was in dir los ist. In jüngerem Alter fühlen sich Kinder zu rasch mitgemeint und auch schnell als Auslöser.
Achte aber darauf, deinem Kind bei Ängsten dennoch zu erklären: „Du hast nichts damit zu tun! Du trägst keine Verantwortung“, und auch „Du musst nichts verändern – dich schon gar nicht – und mir nicht helfen.“ So versteht dein Kind, dass es selbst außerhalb dieses Gefühls ist. Gleichzeitige Berührungen geben deinem Kind Sicherheit in solchen Gesprächen. Und wenn es dich dann von sich aus erleichtert umarmt, hilft das wiederum dir.
Ihr könnt aber durchaus ein gemeinsames Projekt aus eurer Ängstlichkeit machen. Wenn dein Kind spürt, dass ihr beide aktiv mit Angst umgeht und ihr nicht ausgeliefert seid, stärkt es das ungemein. Du bist wieder ein gutes Vorbild. Miteinander durch die Angst!
Genauere Impulse hierzu findest du auch im zweiten Teil des Buches. Das Wichtigste dabei ist, dass du deinem Kind nicht zu viel Verantwortung überträgst:
• Ihr könnt gemeinsam überlegen, welche Schritte gut wären, um Vermeidungsverhalten zu mindern, und euch zusammen einzelne Ängste und mögliche Gegenmittel anschauen. Ihr dürft euch auch gegenseitig an Absprachen erinnern.
• Aber dein Kind sollte keine Helferrolle einnehmen und dich ständig beruhigen müssen. Dafür brauchst du andere Erwachsene, wenn du allein nicht weiterkommst. Eine Rollenumkehr wäre eine zu starke Belastung für dein Kind, die sich nachhaltig negativ auswirken kann.
Du schaffst es, dass ihr das im Miteinander löst.
Eine starke Ängstlichkeit kann dafür sorgen, dass du überfürsorglich und übermäßig kontrollierend mit deinem Kind umgehst. Deiner eigenen Unsicherheit begegnest du dann damit, das Leben für dein Kind an jeder Ecke absolut sicher gestalten zu wollen. Das wirkt zunächst sehr liebevoll und achtsam, ist jedoch eine falsch verstandene Fürsorge, die dein Kind in seiner Individualität nicht recht im Blick hat und die es einschränken kann.
Verschiedene Risiken bestehen:
• Dein Kind bekommt keine Orientierung in Bezug darauf, welche Bedürfnisse andere Menschen haben und wo es lernen muss, sich zurückzunehmen oder Kompromisse zu schließen. Es bleibt vielleicht sehr egozentrisch.
• Es kann Problemlösefertigkeiten möglicherweise nicht gut entwickeln, weil du ihm alles abnimmst.
• Es lernt wahrscheinlich nicht, dass Konflikte helfen können, einander gut zu sehen und in Beziehung zu bleiben.
• Auch andere Herausforderungen werden deinem Kind (oft aus Konfliktscheue) nicht zugemutet, sodass es sich in verschiedenen weiteren Entwicklungsbereichen schwertun könnte.
Die Überfürsorglichkeit zeigt sich typischerweise durch ungesundes Verwöhnen und ständiges Ausbremsen. Dein Kind kann so sehr unsicher heranwachsen und sich mit sich selbst nicht gut fühlen. Angst trifft so leider auf einen guten Nährboden.
Ungutes Verwöhnen
Möglicherweise gehst du in einer Tour über deine vorhandenen Ressourcen, weil du alles für dein Kind mit- und vorausdenkst, jeden Stolperstein aus seinem Weg räumst und ständig für dein Kind übernimmst, regelst, sprichst. Das tut deinem Kind nicht gut, aber dir selbst auch nicht. Es kann passieren, dass du an oder über die Grenzen deiner Belastbarkeit kommst und dann gar keine Kraft mehr hast, zugewandt zu sein. Verwöhnen ist eine wirklich schöne, wichtige Sache, aber es sollte nicht derartig stark werden, dass es dich deine Zufriedenheit kostet, sich deinem Kind in den Weg stellt und seine Selbstständigkeitsentwicklung behindert.
Ungutes Ausbremsen
Wahrscheinlich passt dein Kind sich deiner übermäßigen Kontrolle an, wenn du es überfürsorglich verwöhnst. Dann zieht es sich zurück, wagt nichts, um nichts zu riskieren, und wird in seiner eigenen Aktivität eingeschränkt: Mama oder Papa macht ja alles.
So kann es wichtige Erfahrungen verpassen, die es eigentlich für einen gesunden Entwicklungsweg benötigt. Aufkommende Ängste treffen auf ein Kind, das allgemein sehr ohnmächtig ist, sodass es sich auch gegenüber den Angstgefühlen handlungsunfähig fühlen wird.
Die Bindungssicherheit deines Kindes, die wichtig ist für seinen Lebensweg, sein Lernen und seinen Beziehungsaufbau zu anderen Menschen, kann beeinträchtigt werden, weil du es nicht feinfühlig in seinen Bedürfnissen – beispielsweise nach Eigenständigkeit – wahrnimmst. Es spürt nicht kontinuierlich, dass du ihm etwas zutraust und dass es etwas bewältigen kann. Stattdessen nimmt es bei dir Unsicherheit und Zweifel wahr. Das kann dazu führen, dass dein Kind sich sehr „klein“, inkompetent und allein fühlt. Für Angst ist auch das wieder ein gefundenes Fressen.
Ungutes Selbstbild
Die Glaubenssätze deines Kindes über sich selbst können bei solch einem Erziehungsverhalten letztendlich weniger gut ausfallen: „Ich kann das nicht. Das ist zu gefährlich für mich. Ich fange gar nicht erst an.“ Auch das kann seiner guten Entwicklung im Weg stehen.
Diese möglichen Risiken sollen dich nicht erdrücken. Es kommt auch nicht von heute auf morgen zu derartigen Folgen. Aber es ist wichtig, dass du um sie weißt, denn sie können deine Motivation sein, etwas zu verändern und deinen Erziehungsstil sicherer und mutiger zu gestalten. Das ist gut für deine Ressourcen und hilfreich für dein Kind, zum Beispiel im Umgang mit seiner Angst.
Sicher erziehen
Ich möchte meinen Tipp wiederholen: Mein Buch „Nicht zu streng, nicht zu eng. Dein sicherer Weg zwischen Schimpfen und falschem Verwöhnen“ (humboldt, 2022) kann dir eine gute Hilfe dabei sein, einen sichereren Erziehungsweg zu finden, der zugewandt, aber nicht überbehütend ist. Mach dich auf die Lesereise, um dein Erziehungsverhalten einzuschätzen und zu bearbeiten.
Pflanze deinem Kind in verschiedenen Momenten eures Alltags gute Glaubenssätze ins Herz:
• „Du kannst das bestimmt, du weißt nur noch nicht so gut, wie es geht.“
• „Es ist okay, dass du das gefährlich findest, aber ich glaube, wir können zusammen überlegen, wie es trotzdem gehen könnte. Ich traue dir das zu.“
• „Du brauchst nicht am Ende anzufangen, sondern vorne mit dem ersten kleinen Schritt. Das kannst du. Und ich bin bei dir.“
Ungute Härte
Wenn starke Ängstlichkeit dich dahin bringt, alles rund um dein Kind kontrollieren zu wollen, muss das nicht immer bedeuten, dass du überfürsorglich handelst. Der Weg ins andere Extrem ist oft ebenfalls nicht weit: Distanzierte Härte bei einem autoritären Erziehungsstil beinhaltet auch gute Kontrollmöglichkeiten. Du sagst, wo es langgeht, bist streng und wenig mitfühlend.
Auch das schadet deinem Kind in seiner Entwicklung. Wieder wird es sehr verunsichert und lernt nicht, selbstständig und selbstverantwortlich zu werden. Denn du traust ihm nichts zu. Noch dazu fehlen ihm Nähe und Wärme. So kann wieder nur eine Basis in deinem Kind entstehen, die zu schwach ist, um mit Ängsten gut umzugehen. Deine Härte befeuert die Ängste noch.
Du siehst: Ein kontrollierender Erziehungsstil, egal ob überfürsorglich oder hart, ist ein Risikofaktor für dein Kind. Deine darunterliegende Angst braucht eine Veränderung, damit du sicherer wirst und dein Kind gut begleiten kannst. Auch hierbei kann nicht nur dieses Buch, sondern der bereits genannte Tipp „Nicht zu streng, nicht zu eng“ eine wichtige Hilfe sein.