Manche Ängste können in Lebenssituationen entstehen, die andere gar nicht kennen. Das kann im Familienleben genauso sein wie aus der großen Weltpolitik heraus. Wenn dein Kind sich durch eine Krise ohnmächtig fühlt und hoffnungslos in die Zukunft blickt, braucht es Hilfe gegen die entstandene Angst. Und du auch.
Eine Krise ist eine Phase der Ungewissheit. Diese Zeit wird als bedrohlich erlebt. Nichts scheint mehr berechenbar zu sein. Ein Kind in einer Krise weiß nicht genau, was passiert und wohin das Erlebte führen wird. Es zweifelt, ob alles wieder gut wird, und hat womöglich Angst, dass es etwas verlieren könnte: eine Bezugsperson, seine Gesundheit, seinen bekannten Alltag. Das liegt daran, dass etwas geschehen ist, das absolut neu und unbekannt ist. Dein ängstliches Kind kennt keine Strategien, um mit diesen neuen Gefühlen umzugehen. Und auch für dich ist das vielleicht neu.
Manche Kinder erleben schon eine für uns eher als Kleinigkeit angesehene Veränderung als Krise, wie den Umzug in ein anderes Zimmer oder den Verlust einer geliebten Tasse. Für sie wirkt so etwas genauso überwältigend und störend wie die Geburt eines Geschwisterkindes, der Weggang der geliebten Bezugserzieherin, der Tod des Opas oder die Trennung der Eltern. Und auch Nachrichten aus einem Kriegsgebiet oder über ein Hochwasser können die gleichen Ängste aufwecken. Tu eine solche Angst auf keinen Fall ab, nur weil du den Auslöser eher lächerlich findest.
Diese empfundene Hilfslosigkeit braucht deine Unterstützung, selbst wenn du dich selbst gar nicht so anders fühlst. Auch durch diese Ängste könnt ihr miteinander gehen.
Große Krisen in der Welt machen uns allen Sorgen. Wir haben keinen unmittelbaren Einfluss darauf, ob Politiker oder Politikerinnen einen Krieg anzetteln oder wo eine Dürreperiode einsetzt. Und wir können nicht einschätzen, was das genau für uns bedeutet. Als erwachsene Person kannst du Meinungsbilder dazu lesen und versuchen, dich damit zu beruhigen. Und du kannst dir Gedanken dazu machen, wie du dich absichern kannst, um möglicherweise nicht zu sehr von einer Krise getroffen zu werden. Du kannst sogar an den Wahlen teilnehmen und deine Stimme einer Partei geben, von der du dir erhoffst, dass sie eine Krise gut bewältigen wird. Du bist also nicht absolut ohnmächtig.
Dein Kind braucht Wissen rund um eine Krise in altersgerechten Häppchen und Worten. Außerdem braucht es das Gefühl, dass du zuversichtlich in die Zukunft gehst und dass es möglicherweise Kleinigkeiten gibt, die ihr doch gemeinsam unternehmen könnt.
Von Umweltkatastrophen, Kriegen und Ähnlichem wird dein Kind durch andere Kinder hören, aus den Nachrichten erfahren oder das ein oder andere Detail aus den Gesprächen mitbekommen, die du führst. Als Schulkind wird es möglicherweise sogar gezielt im Rahmen einer Unterrichtsreihe darüber informiert (und manchmal sogar schon als Kindergartenkind). Dass es danach Sorgen hat und viele Fragen stellt, ist normal und gut. Wenn es sich aber ganz und gar in seinen Ängsten verliert, kaum noch an etwas anderes denken kann und vielleicht sogar körperlich reagiert, ist das natürlich ein Problem.
Altersgerechte Informationen sammeln
Im Kindergartenalter braucht dein Kind vor allem eine ganz alltagsbezogene Klarheit:
• Sag ihm, was in seinem Leben gleich bleibt trotz der Krise. Das wird ziemlich viel oder sogar alles sein.
• Sag ihm gegebenenfalls, was sich verändert und wie, wenn die Veränderung jetzt direkt eintritt. Du musst nichts davon erwähnen, was in einem Monat oder in einem Jahr sein wird.
• Spare alles aus, was noch nicht feststeht. Mutmaßungen erzeugen möglicherweise weitere Ängste, die gar keine Grundlage haben.
• Kuschelt bei den Gesprächen.
• Nutz lieber Bilderbücher als Fotos aus dem Internet, um bestimmte Sachverhalte zu veranschaulichen.
• Guck, ob bestimmte Kinderseiten von öffentlich-rechtlichen Fernseh- oder Radiosendern altersgerechte Informationen für Kindergartenkinder anbieten.
Ab dem Schulalter kannst du mit deinem Kind Kindernachrichten schauen und hören, um aktuelle Ereignisse gut einzuordnen. Das wird dir helfen, möglichst altersgerechte Formulierungen und Erklärungen zu finden. Auch dann ist es noch wichtig, den Kindern Zuversicht mitzugeben und das Wissen dazu, was die Krise für sein Leben bedeutet oder nicht.
Das, was dir selbst Angst macht, wird größtenteils viel tiefer gehen als die Ängste deines Kindes. Wenn du dich vor bestimmten Details fürchtest, ist das ein guter Indikator, im Gespräch genau diese Tiefe zu vermeiden.
Mit Kindern ab dem Kindergartenalter kannst du außerdem schauen, ob ihr etwas unternehmen könnt: Hilfspakete versenden, Plakate gestalten und ins Fenster hängen, ein Kindergarten- oder Schulprojekt zum Thema mitplanen, eine Demo besuchen, einen Brief an Politiker oder Politikerinnen verfassen – wichtig gegen die Angst deines Kindes ist, dass es nicht nur tatenlos dabeisitzen muss.
Wenn zu Hause, an dem Ort, wo man sich geborgen fühlen sollte, etwas in Aufruhr gerät und sich verändert, kann das dein Kind stark verunsichern. Bei den wenigsten Veränderungen wird es gleich eine Idee haben, wie es gut damit umgehen kann. Das ist die Chance für die Angst, stark zu werden und über dein Kind zu bestimmen. Es braucht deine Hilfe.
Manchmal läuft das Leben ganz anders, als du es dir ausgemalt hast: Du verlierst deine Arbeit, ihr müsst eure Wohnung verlassen und umziehen. Oder ihr Eltern habt euch aus den Augen verloren und möchtet euch trennen. Eine wichtige Bezugsperson deines Kindes erkrankt schwer oder stirbt, oder ein weiteres, sehr herausforderndes Kind wird in eure Familie hineingeboren. Es gibt vieles, auf das man sich nicht gut vorbereiten kann. Solche großen Veränderungen sind schon für Erwachsene hart, aber erst recht für ein Kind, das sich sicher fühlt, wenn sein Leben in geordneten Bahnen verläuft, der Alltag ohne Überraschungen ist und die Eltern zuverlässig für es da sind.
Dann kann Angst entstehen: „Was ist da los? Habe ich noch Boden unter meinen Füßen?“ Das Gefühl der Ungewissheit stresst dein Kind. Es braucht von dir Wissen darüber, was passiert und wohin der Weg gehen wird. Es braucht Beruhigung und deine Zuversicht, dass ihr das schon schafft. Es braucht Sicherheit.
Klarheit schaffen
Dein Kind muss nicht wissen, warum genau du deine Arbeit verloren hast, welche Prognosen die Ärzte dem kranken Schwiegervater gegeben haben oder warum ihr Eltern euch trennen wollt. Es braucht Wissen darüber, was diese Krise für sein Leben bedeuten wird:
• Sag deinem Kind, was sich in seinem Alltag verändert.
Was wirst du unternehmen? Was werdet ihr gemeinsam tun?
• Sag ihm auch, was gleichbleibt.
• Wenn Veränderungen anstehen, biete ihm Möglichkeiten an, diese mitzugestalten: Was kann es tun? Was kann es auswählen? Wo kann es Vorschläge machen? Der Spielraum darf nicht zu weit werden, sondern sollte sich wieder am Alltag deines Kindes orientieren: Kann es nach einem Umzug sein Zimmer mitgestalten? Im Trauerfall die Feier mitplanen?
Ab dem Vorschulalter kannst du nachfragen, wovor dein Kind konkret Angst hat, und darauf eingehen. Sind die Ängste berechtigt? Wo sind sie es nicht? Reicht das zur Beruhigung oder müsst ihr hinschauen, was dein Kind noch für seinen Körper und seinen Kopf tun kann, um entspannter zu werden und der Angst den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Achte in Gesprächen über die Krisensituationen darauf, zu formulieren, wer etwas entschieden hat. So vermeidest du Schuldzuweisungen, denn der Fokus auf Schuld blickt oft destruktiv nach hinten statt konstruktiv nach vorn. Und du sorgst vor, damit auch dein Kind sich nicht schuldig fühlen muss:
• „Die Firma musste entscheiden, dass ich gehe.“
• „Der Vermieter möchte hier selbst einziehen.“
• „Die Ärztin hat entscheiden, dass Oma diese Behandlung benötigt.“
• „Wir haben entschieden, dass wir in verschiedenen Wohnungen leben möchten.“
• „Wir haben uns für ein weiteres Kind entschieden und müssen jetzt herausfinden, wie wir im neuen Alltag gut zurechtkommen.“
Gib deinem Kind viel Nähe und Sicherheit: Kuscheln, Zeit, Raum für Fragen. Schenk ihm außerdem Raum für seine Gefühle: Vielleicht mag es sich bei dir öffnen und Angst, Traurigkeit oder auch Wut zeigen. Dann lass das zu, selbst wenn es dir wehtut.
Möglicherweise braucht es aber auch jemand anderen dafür. Wer ist im noch recht nah? Wem traust du eine gute Begleitung zu? Organisiere gemeinsame Zeit für dein Kind und diese Person.
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Und was ist mit deiner Angst?
Derlei Veränderungen werden bei dir wahrscheinlich ähnliche Gefühle auslösen. Deine Angst ist verständlich, gerade wenn nicht klar ist, was kommen wird. Für dich ist jetzt wichtig, in ganz kleinen, überschaubaren Zeitfenstern zu denken: Was ist morgen? Was kannst du diese Woche noch tun? Mit wem kannst du jetzt sprechen? Wen kannst du am Wochenende um Rat fragen oder um Hilfe bitten? Welche offizielle Beratungsstelle könnte dir zur Seite stehen? Aber auch: Bei wem kannst du dich einfach mal ausweinen? |
Besonders einschneidend kann es für Familien sein, wenn die großen Veränderungen auch finanzielle Einbußen bedeuten. Denn das kann sich jeden Tag zeigen. Und auch deinem Kind würde es immer wieder sehr bewusst werden: Ihr müsst in eine kleinere Wohnung, die kaputte Hose kann nicht so schnell ersetzt werden, der Urlaub fällt aus, im Supermarkt rechnest du an den Regalen, die Wunschgeburtstagsparty ist zu teuer. Wird ein Kind nicht in eine finanziell schwierige Situation hineingeboren, sondern erlebt die veränderten Möglichkeiten auf einmal, kann das für plötzliche Ängste sorgen. Hinter Fragen wie „Darf ich mir dieses Spielzeug denn noch wünschen?“ und „Geht es Papa wohl gut?“ steckt vor allem „Bin ich noch sicher?“ Auch wenn dein Kind dich dann nicht belasten möchte und darauf verzichtet, nach dem teuren Spielzeug zu fragen, sorgt es sich nicht einfach nur um dich und dein Wohlergehen, sondern immer auch um sich. Denn wenn du nicht sicher bist, ist dein Kind es auch nicht. Das macht ihm Angst.
Und wieder sind auch die Gedanken wichtig: „Was sollen die anderen denken?“ – Bewertungsangst kann bei diesem Thema eine Rolle spielen. Was finanziell machbar ist, ist Kindern schon im Grundschulalter sehr bewusst. Kleidermarken, Häusergrößen, Autotypen, Wochenendunternehmungen, Urlaubsorte, Geburtstagsfeiern, ein eigenes Kinderzimmer und mehr können in ihrer Wahrnehmung relevant sein, unterscheiden Familien und verändern unter Umständen die Gefühle zu sich selbst. Ja, Selbstwert muss von innen kommen, ist aber in jungen Jahren und in Krisenzeiten immer wackelig und von Äußerlichkeiten abhängig.
Sorgen kleiner werden lassen
Ganz kleinen Kindern werden finanzielle Veränderungen noch kaum bewusst sein, aber schon im Kindergartenalter wird das anders. Bleib wieder dicht an deinem Kind:
• Welche Gedanken macht es sich?
• Was bedeutet die Veränderung konkret im Hier und Jetzt?
• Was bleibt gleich?
• Was könnt ihr tun, wenn Wünsche (zu) groß sind?
• Für was ist die finanzielle Lage gerade gar nicht so relevant?
• Wo sind die gerade gefühlten Ängste eigentlich viel zu groß und nicht notwendig?
Ab dem Grundschulalter kannst du auch immer besser erzählen, wann du schon mal ähnliche Erfahrungen gemacht hast und wie du damit umgegangen bist.
Kindergarten und Schule sind wichtige Orte für ein Kind, wo es viel Zeit verbringt. Weihe die Gruppenleitung oder die Lehrkraft deines Kindes in eure veränderte Situation ein. Wenn man dort Bescheid weiß, kann auf dein Kind Rücksicht genommen werden. Im Alltag dort können die Erwachsenen mit darauf achten, dass finanzielle Unterschiede thematisiert und eingeordnet werden und vor allem auch, dass dein Kind sich dort als gemocht, stark und wertvoll empfinden kann.
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Und was ist mit deiner Angst?
Welche Gedanken lösen die finanziellen Veränderungen in dir aus? Hast du große Ängste vor der Gegenwart und der Zukunft? In einer Krise kann dir das niemand verdenken. Für dein Kind und auch für dich ist es wichtig, dass du dich darin nicht verlierst. Möglicherweise kann eine kostenlose Beratung ein erster, stärkender Schritt sein, in der mit dir hingeschaut wird, welche Einnahmen und Ausgaben du hast, was du sinnvoll verändern könntest und wo es finanzielle Unterstützung gäbe. Das bietet beispielsweise die Caritas an. |
Eine andere, wirklich große und schlimme Veränderung sind schwere Erkrankungen bei einem Elternteil. Auch das kann dein Kind in seinen Grundfesten erschüttern und Angst machen. Das kann eine körperliche Erkrankung, wie Krebs, sein. Oder etwas, das eine Operation und längere Rehabilitationszeit notwendig macht. Und auch psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder ein Burn-out, können für ein Kind ein großer, lähmender Schatten sein. Das ist neu, das ist fremd, niemand weiß genau, was es bedeutet und wo es hinführt.
Krankheiten besser verstehen
Suche unbedingt nach Büchern, die sich dem Thema der Erkrankung widmen, die du oder der andere Elternteil hat. Sie bieten gute Gesprächsanregungen, um deinem Kind altersgerecht zu erklären, was los ist. Außerdem zeigt ein Buch deinem Kind auch immer, dass es mit seiner Angst und seinen Sorgen nicht allein ist: Wenn es ein Buch gibt, dann sind auf der Welt auch noch andere Kinder, die gerade etwas Ähnliches fühlen. Das allein kann schon ein wenig Trost geben.
Ansonsten braucht dein Kind keine schwammigen Vermutungen wie Prozentangaben zu Heilungschancen oder zeitliche Schätzungen zum Heilungsprozess, sondern wieder klares Wissen für seine Gegenwart:
• Was steht jetzt an? Was ändert sich für dein Kind? Was bleibt gleich?
• Was kann es beitragen? Was kann es mitentscheiden?
Gerade der letzte Punkt ist wichtig. In großen Krisen bist du vielleicht schnell dabei, für dein Kind alles gut vorbereiten zu wollen. Aber es ist besser, dein Kind einzubeziehen. Sonst wird es nicht nur durch Ängste ohnmächtig gestimmt, sondern auch durch dich.
Und was ist mit deiner Angst?
Wie gehst du mit der Erkrankung um? Hast du große Angst um dich oder um den anderen Elternteil? Falls ja, werde mit deinem Kind aktiv. Was könnt ihr jetzt gegen körperliche Angstsymptome tun? Was beruhigt euch? Welches Wissen braucht ihr? Und welche hilfreichen Pläne könnt ihr schmieden, selbst wenn es nur klitzekleine Schritte sind? Aber lass auch Raum für eure Gefühle. Deine solltest du größtenteils bei anderen Erwachsenen lassen. Dein Kind hingegen sollte alle Gefühle, die auftauchen, erst einmal herauslassen dürfen. Sie haben ihre Berechtigung: die Traurigkeit, die Wut, die Angst. Und dann versucht, über sie zu bestimmen. Ihr seid stärker. |
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