In den 1920er- und 1930er-Jahren produzierte Karl von Frisch eine Reihe von Filmen, mit denen er die Sinnesfähigkeiten von Tieren demonstrieren wollte. Jeder Film stellte ein Tier oder eine Art und einen besonderen Sinn in den Mittelpunkt. Ein Film befasste sich mit dem Geschmackssinn von Fischen, ein anderer zeigte dessen Fähigkeit zu hören, andere legten dar, wie Bienen zwischen Farben, Gerüchen und Geschmäckern zu unterscheiden in der Lage waren.129 Jeder Film beginnt mit der Vorführung einer kurzen Dressurphase, in der die Tiere eine klassische Konditionierung nach Pawlow erfuhren. War die Verbindung zwischen Nahrung und dem konditionierten Stimulus einmal hergestellt, wurde gezeigt, wie das Tier auf den Stimulus selbst dann reagierte, wenn die Nahrung nicht angeboten wurde. Die Filme erinnern stark an eine wissenschaftliche Demonstration, wobei sie inhaltlich tatsächlich große Parallelen zu von Frischs Veröffentlichungen aus dieser Zeit aufweisen.130
Sein 1927 entstandener Film Geschmackssinn bei Fischen beginnt mit einem Zwischentitel:
Dressur auf Salz,
Salzlösung gefärbt,
um ihre Ausbreitung
im Wasser sichtbar zu machen.131
Der Film zeigt ein mit Wasser gefülltes Aquarium, in dem ein kleiner Fisch herumschwimmt, den man als Silhouette vor einem weißen Hintergrund erkennen kann. Plötzlich ragt der Arm eines Wissenschaftlers – verräterische weiße Manschetten – ins Bild und hält eine Glaspipette, deren Spitze ins Wasser reicht. Eine schwarze Flüssigkeit schlängelt sich daraus ins Wasser und löst sich langsam auf. Der Fisch schwimmt weiterhin hin und her und scheint der tintenartigen Wolke gegenüber völlig gleichgültig. Ein zweiter Zwischentitel bestätigt:
Der Fisch reagiert nicht
auf die Salzlösung;
er wird nun zur Dressur
mit Salzfleisch gefüttert.
Auch in der nächsten Szene sieht man das Aquarium, den Fisch, die Pipette und den Arm des Wissenschaftlers. Diesmal zielt die Hand mit einem Glasstab auf den Fisch. Am Ende des Stabs ist ein Klümpchen aufgespießt – »salziges Fleisch«, nehmen wir an. Kurz wird uns ein Blick auf ein Gesicht mit Brille gewährt, das wohl zu dem Arm gehört. Der Wissenschaftler späht in das Aquarium, um gewiss zu sein, dass der Fisch sein Häppchen gefunden hat. Und wieder Schnitt – Zwischentitel:
Dressurerfolg:
Reaktion auf die Salzlösung
Und wieder Becken und Fisch, diesmal in Nahaufnahme. Der Arm des Wissenschaftlers taucht wieder auf, in der Hand die Pipette. Schwarze Flüssigkeit strömt ins Wasser. Der Fisch schwimmt durch diese Wolke, wackelt hin und her, lässt sich dann auf den Boden des Aquariums sinken, wo er mit dem Maul das Glas entlangstreift. Der Arm – Stab und Leckerbissen in der Hand – erscheint neuerlich und bietet dem Fisch die Belohnung an.
Karl von Frisch schätzte das Medium Film dafür, dass man Phänomene visualisieren und einem Publikum nahebringen konnte, und er war sich der rhetorischen Macht des Mediums deutlich bewusst. 1924 war er der Erste, der einen Film über Bienentänze bei der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte zeigte.132 Bis dahin waren von Frischs Vorträge vor Kollegen oder einem anderen Publikum sowohl von Lichtbildern als auch von Kurzfilmen begleitet. Zwar zeigten die meisten ein sorgfältig geplantes Experiment, um einen speziellen Sinn eines Tieres zu demonstrieren, waren dabei aber nicht stringent produzierte Streifen, sondern viel eher ein sich ständig veränderndes, organisches Nebenprodukt seiner Arbeit. Oft schnitt er Filmstreifen und klebte sie dann neu zusammen, um sie an bestimmte Notwendigkeiten oder Zeitbeschränkungen anzupassen.133 In seinen Memoiren beschrieb er, wie er das Medium Film 1924 erstmals öffentlich einsetzte: »Den Schlusseffekt bildete ein Film von den tanzenden Bienen – ein damals noch ungewohntes Demonstrationsmittel bei wissenschaftlichen Vorträgen. Das Schauspiel des Bienentanzes ist ein faszinierender Vorgang, aber man kann durch Worte allein keine richtige Vorstellung davon vermitteln. Der Wunsch, das fesselnde Bild den Hörern vor Augen zu bringen, führte – mit Hilfe eines geschickten Kino-Operateurs – zur Herstellung des Films.«134 Das Potenzial eines Films also lag nicht nur in dem, was gezeigt wurde, sondern im Medium selbst – in seiner Neuartigkeit ebenso wie in der Möglichkeit, etwas zu zeigen, was sich mit Worten kaum ausdrücken lässt.135
Bedenkt man jedoch, was in diesen Filmen über die Sinnesfähigkeiten von Tieren auf dem Spiel stand, so erweist sich das Medium durchaus als problematisch. Es stellt sich nämlich die Frage, wie ein Schwarz-WeißFilm im 16-mm-Schmalfilmformat – ein Filmformat also, das weder Farbe noch Ton übermittelt, geschweige denn einen Duft oder einen Geschmack – die Fähigkeiten eines Tieres, zwischen Tönen, Farben, Gerüchen und Geschmäckern zu unterscheiden, demonstrieren sollte. Denn selbst wenn in einem Schwarz-Weiß-Film Farben als Grautöne dargestellt werden, sind die Unterschiede viel zu gering, um das darzustellen, worauf sich von Frischs Behauptungen stützten.
Sieht man sich die Eröffnungsszenen des Films mit dieser Frage im Kopf nochmals genauer an, zeigt sich, dass nicht nur die Tiere eine Dressurperiode durchmachen, sondern auch die Zuseher: Unsichtbare Stimuli (Geruch, Ton, Geschmack, Farbe) werden durch visuelle Reize repräsentiert, wobei jeder einzelne seine eigene optische Signatur im Schwarz-Weiß-Film erhält. Dabei ist Film natürlich nicht das erste Medium, das sich mit diesem synästhetischen Dilemma auseinandersetzen musste. Wie der Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto in seiner Analyse von Giottos Auferstehung des Lazarus feststellte, können optische Hinweise auf einer anderen Ebene das ersetzen, was sich mit malerischen Mitteln nicht darstellen lässt. Da Giotto den physischen Gestank des verwesenden Körpers von Lazarus nicht malen konnte, fügte er seinem Fresko Frauen hinzu, die sich die Nase zuhalten. Damit vermittelte er das Ausmaß des Gestanks ebenso wie jenes des Wunders – schließlich war ja Lazarus wirklich tot, als Jesus ihn ins Leben zurückholte.136
Am Beginn des Films über den Geschmackssinn bei Fischen lernen die Zuseher, in dem flüssigen Schwarz, das sich im Wasser verteilt, »salzig« zu lesen. Der Zwischentitel sagt uns, dass die schwarze Flüssigkeit salzig ist und bereitet uns darauf vor, zwischen den indifferenten und den reagierenden Tieren zu unterscheiden. Auf ähnliche Weise lernt das Publikum in dem Film über den Geruchssinn bei Bienen, dass die schmierigen Flecken, die die Duftöle hinterlassen, ein Zeichen für Geruch sind. Im Film über das Hörvermögen der Elritze beugt der Wissenschaftler immer dann seinen Kopf, wenn ein Horn geblasen wird, bis wir schließlich das auffällige Beugen des Kopfes mit einem Geräusch gleichsetzen. Zu guter Letzt sehen wir in Farbensinn der Bienen eine blaue Platte aus grauen Feldern hervorstechen, weil wir diese Position mit der dafür behaupteten Farbe zu assoziieren gelernt haben.
Auf diese Weise wird eine zweite Bedeutungsebene enthüllt. Während der Sinn und Zweck der Eröffnungsszenen explizit darin liegt, zu zeigen, wie das Tier konditioniert wird, dienen sie außerdem einem subtileren – unter Umständen sogar wichtigeren – Zweck: den Zuseher zu konditionieren. Mithilfe der Zwischentitel kann der Zuseher so gelenkt werden, dass er an den Grautönen des in Schwarz-Weiß gedrehten Stummfilms Töne, Gerüche und Farben erkennt. Am Ende können wir sicher annehmen, dass der Fisch bereits dressiert war, als von Frisch zu filmen begann. Und falls noch irgendwelche Zweifel bestehen, an welches Publikum er bei der schwarzen, salzigen Flüssigkeitswolke im Wasser gedacht hat: Die Augen des Fisches hatte von Frisch schon vor dem Experiment chirurgisch entfernt.137
Die Konditionierungsszenen haben jedoch innerhalb der optischen Erkenntnislehre noch eine weitere wesentliche Funktion. Indem das Tier scheinbar auch gezeigt wird, bevor es gelernt hat, auf Nahrung zu reagieren, wird ein gewisser Grad an tierischer Handlungskompetenz etabliert, der für von Frischs Arbeit entscheidend ist. Anders als die Tiere bei Eadweard Muybridge und Étienne-Jules Marey, die ausschließlich die Bewegungsmechanik der Tiere filmten, wurden jene durch von Frischs gezeigt, um die Hintergründe ihres Verhaltens zu offenbaren.138 Genau deshalb, weil der Zuseher sich das Tier vorstellen kann, wie es ist, wenn es nicht reagiert, erhalten die Reaktionen eine Bedeutung. Das Verhalten des Tieres aufgrund eines Stimulus ist die Linse, durch die wir die sensorischen Fähigkeiten sehen und verstehen. Wir sehen weder, wie sich die Form einer Zelle unter dem Mikroskop verändert, noch eine Nadel, die blind die physiologischen Messungen eines Instruments auf Papier überträgt. Wir sehen den reagierenden Körper eines Tieres und schließen daraus, dass es tatsächlich eine salzige Substanz geschmeckt hat. Und obwohl wir die ziemlich inszenierte Konditionierung des Tiers gesehen haben, interpretieren wir sein Verhalten als spontane Reaktion. Oder wie der Tierforscher Jonathan Burt es formulierte: Wir können Tieren einen angeborenen Sinn für Wahrheit attestieren.139
Auch wenn die Handlungskompetenz der Tiere wesentlich für die visuelle Präsentation seiner Experimente war, so war sie doch eingeschränkt und eng umgrenzt. Das Verhalten des Tieres musste vorhersehbar und durfte niemals zufällig oder unberechenbar sein. Nur dann hatte es wissenschaftliche Bedeutung. Noch bemerkenswerter war von Frischs Kontrolle über die Tiere, da er sie während der Demonstration niemals berührte. Diese scheinbar okkulten Kräfte waren im Lichte dessen, welche Tiere er verwendete, besonders fesselnd: Weder Fische noch Bienen sind dafür bekannt, Tricks vorzuführen oder in einer Zirkusarena aufzutreten.
Doch die Tiere waren nicht die einzigen Darsteller in von Frischs Filmen, die nicht schauspielerten. Karl von Frisch selbst zog sich den weltlichen Ornat aus Objektivität und Wahrheit über: einen weißen Mantel, Brille und einen ernsthaften Gesichtsausdruck. In diesem Kostüm steuerte er weise die Beobachtungen der Zuseher. In seinem Film über den Geruchssinn der Bienen aus dem Jahr 1927 öffnet er eine geruchlose Schachtel und hält sie feierlich in die Kamera. In der Schachtel sind weder Bienen noch Fettflecken. Die Botschaft ist eindeutig: »Siehe selbst, die Schachtel ist leer.«
In den Filmen Karl von Frischs über die Sinnesphysiologie werden komplexe Wechselspiele zwischen tierischer Handlungskompetenz und menschlicher Überlegenheit, zwischen dem, der experimentiert, und dem, der untersucht wird, dargestellt. Da Fische und Bienen den Status haben, freiwillig zu agieren, ist von Frischs Kontrolle noch zwingender. Und während von Frisch in die Kamera schaut, um Blickkontakt mit dem Zuseher herzustellen, gibt es diese Form der Teilnahme mit den Tieren nicht. Die Augen der Bienen sind zu klein, als dass man sie sehen könnte. Und der Fisch? Müssen wir daran erinnert werden, dass er keine Augen mehr hat?140