An einem heißen Tag im Juni 1788 standen zwei Männer in einem ausgedehnten Garten in der Schweiz. Einer blickte nach oben und suchte sorgenvoll den Himmel ab. Er sprach schnell und bewegte sich dabei hin und her, während der andere seinen Körper in die Richtung drehte, aus der der Klang der Stimme seines Freundes kam. Dann, als hätte sich eine Anspannung in der Luft gelöst, lockerte der Himmelsbeobachter seine Aufmerksamkeit. Er bot dem anderen seinen Arm an und die beiden Männer gingen gemeinsam zum nahen Bienenstock. Kurz danach veränderte sich wieder etwas: Jener, der zuvor den Himmel beobachtet hatte, konzentrierte sich intensiv auf die schmale Leiste am Flugloch des Stocks. Der andere wartete und lauschte, als sich der Beobachter zum Fänger wandelte. Er gab etwas – eine Biene – in einen kleinen Behälter, den er aus seiner Tasche gefischt hatte. Nochmals sprachen die Männer schnell miteinander, während ein Ausdruck der Freude über ihre Züge glitt. Sie hatten die Königin gefangen.
Dieses bemerkenswerte Tier – das größer ist als die anderen Bienen, entscheidend für das Überleben der Kolonie und das lange als Souverän des Stocks gefeiert wurde – hat für Imker und Naturforscher jahrhundertelang einige der kompliziertesten Fragen aufgeworfen. War dieses Tier männlich oder weiblich? »Manche nennen die Herrscher ›Mütter‹«, erklärte Aristoteles, verwarf diese Vorstellung jedoch aufgrund der Tatsache, dass »die Natur weiblichen Wesen keine Waffen für den Kampf gibt, und während die Drohnen stachellos sind, haben alle Bienen einen Stachel.«402 Für ihn und ganze Generationen von Nachfolgern war der Fall klar: Die einzelne Biene und die Arbeitsbienen jeder Kolonie waren männlich, die Drohnen weiblich. Doch was war mit der Nachkommenschaft der Kolonie? War der König dafür verantwortlich, die Eier zu legen? Erfahrene Bienenzüchter berichteten, dass selbst eine ihrer singulären Biene beraubte Kolonie Eier produzieren kann. Doch aus diesen Eiern schlüpften nur Drohnen, und eine Kolonie, die keinen Ersatz für ihren Souverän fand, verfiel und ging zugrunde. Wie wurden die Eier befruchtet? Niemand hatte je gesehen, dass sich Bienen paarten. War dies ein Fall von Parthenogenese, jene kontrovers betrachtete Theorie, die besagte, dass in bestimmten Fällen der Fortpflanzung eine Befruchtung nicht notwendig sei? Oder spielte hier ein anderes Phänomen eine Rolle, eines, das sich selbst den Blicken des aufmerksamsten Beobachters entzog?
Die Antworten auf diese Fragen waren buchstäblich schwer zu sehen. Die Tiere lebten in vollständiger Dunkelheit in ihren Stöcken und konnten nur in speziellen Glas-Stöcken beobachtet werden. Und selbst in diesen Beobachtungsstöcken verbargen ihre Körper oft, was eigentlich vorging – vor allem dann, wenn es sich am Grund der Zellen abspielte. Obendrein war es so gut wie unmöglich, zu verfolgen, welches Tier was getan hat, da sich Zigtausend völlig identisch aussehende Arbeitsbienen über die Waben wälzten. Und entnahm man ein einzelnes Tier, um es genauer zu untersuchen, rissen seine zierlichen Körperteile und Membranen sehr leicht, und das selbst in den Händen geübter Anatomen.
Präzise zu beobachten, nicht bloß Bienen, sondern die Welt insgesamt, ist das Herzstück moderner Wissenschaft. Als Galileo sein Teleskop 1609 auf den Himmel richtete, verkündete er eine neue Weltordnung. Der Mond ist keine perfekte Kugel, wie Aristoteles’ Theorie behauptet hatte, sondern weist unebene Landschaften aus Bergen, Kratern und Tälern auf. Dieser Nebelstreif, den man Milchstraße nennt, löste sich dank dieses wunderbaren Teleskops in Myriaden von Sternen auf und ließ eine Welt vermuten, die sich bis weit jenseits des Mondes erstreckte. Und präzise Beobachtungen der Venus und der Jupitermonde führten zu Nachweisen, dass sich die Planeten rund um die Sonne bewegen und dass die Erde nicht der einzige Planet mit einem Mond ist.
Das Teleskop und andere optische Instrumente ermöglichten eine neue Sicht auf die Welt. Und die wissenschaftliche Revolution, die im Abendland stattfand, bedeutete nicht nur eine institutionelle Umgestaltung von Staat, Kirche und Universitäten – obwohl sie auch all das tat –, sondern auch eine Revolution des Sehens.403 Die neuen optischen Instrumente vereinte Handwerker (erfahrene Glasschleifer oder Uhrmacher), reiche Mäzene und Männer der Wissenschaft. »Wissenschaftliche Beobachter im 17. und 18. Jahrhundert«, formulierte es die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston, »entwickelten selbstbewusst neue Praktiken, die Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Beurteilung und Erinnerung schulten.« Eine neue Gelehrtengeneration glaubte, dass die Wahrheit über die Natur nicht nur aus den Büchern der Antike samt ihren scheinbar endlosen Kommentaren gesammelt werden sollte, sondern aus Erfahrungen in der natürlichen Welt. Langzeitbeobachtungen, die immer genauer wurden, und Berechnungen versetzten die frühen modernen Wissenschaftler gemeinsam in die Lage, die Erde von ihrem hochmütigen Thron zu stupsen und in den Orbit zu schleudern, wo sie nur ein weiterer Planet war, dazu bestimmt, seinen Weg um die Sonne zu ziehen.404
Und nicht nur der Makrokosmos erlebte aufgrund dieses aufregenden Cocktails aus technischer Innovation, Erforschung und Umsturz eine dramatische Expansion und Revision. Naturforscher erkundeten nun auch den Mikrokosmos auf eine Weise, die noch kurz zuvor unvorstellbar gewesen wäre. Unter dem neu erfundenen Mikroskop wurde das Gewöhnliche – Flöhe, Schimmel, eine Nadelspitze – zum atemberaubenden Außergewöhnlichen. Neue und schöne Welten, die sich in Sichtweite verborgen hatten, wurden enthüllt und verschwenderisch in neuen wissenschaftlichen Büchern dargestellt.405
Die Welt der Insekten bot das perfekte Material für dieses neue Instrument der Stunde. Das Mikroskop zeigte Lebewesen wie den gewöhnlichen Floh – der dem nackten Auge kaum mehr als ein Fleckchen war – als komplexe Kreaturen mit komplizierten Augen, Mäulern und Sexualorganen. »Die Linse des Mikroskops«, schrieb die Wissenschaftshistorikerin Lisa Jardine, »schürte wissenschaftliche Spekulationen über die Vielschichtigkeit innerer Anatomien der kleinsten Lebewesen. Sie erschütterte die Vorstellungen der Wissenschaftler mit Bildern von einem tatsächlich sich bewegenden Darm und einem pulsierenden Herzen in einem durchscheinenden Floh oder einer Laus.«406
Und keiner war geschickter im Umgang mit einem Mikroskop als der holländische Naturforscher Jan Swammerdam. Sein wissenschaftlicher Geschmack war so wahllos wie seine Untersuchungen produktiv: Er entdeckte die roten Blutkörperchen und die Ventile im Lymphsystem, lokalisierte die Kontraktion der Muskeln korrekt im Nerven- und nicht im Kreislaufsystem und stellte fest, dass die Metamorphose der Insekten eine Entwicklung und Entfaltung ist und keine abrupte Verwandlung von einer Tierart in die andere, so wie viele das bisher geglaubt hatten.407
In seiner Biblia Naturae, dem Buch der Natur, das postum 1737/38 veröffentlicht wurde, zeigte Swammerdam die komplizierte Welt der Insekten und deren Innenleben. Schöne Bildtafeln begleiteten die Texte und legten die zierlichen Strukturen der Tiere frei. Zwar hatte Swammerdam bereits in einer früheren Publikation beschrieben, dass die Eier der singulären Biene »auf zwei Ovarien aufgeteilt sind, die zur Brutzeit voller Eier sind«, doch jetzt lieferte er den virtuosen optischen Beweis dafür, dass sich alle seine Vorgänger im Geschlecht der Bienen geirrt hatten.408
Drohnen besitzen laut Swammerdam alles, was auf ein Männchen hinweist – flache Hoden und die nötigen Kanäle, um Sperma zu ejakulieren. Er stellte auch fest, dass diese Männchen keinen Stachel haben und daher wehrlos sind (bei allem Respekt für Aristoteles). Die Arbeitsbienen beschrieb er als »natürliche Eunuchen«, auch wenn er bestätigte, dass »sie der Natur und Veranlagung des Weiblichen näher sind als dem Männlichen.« Da er keine Ovarien in ihnen finden konnte, schloss er, dass sie »wie Frauen sind, die wie Jungfrauen gelebt haben, bis sie nicht mehr fruchtbar waren, und die nur dem Zweck der Arbeit in diesem Gesamtkörper dienten.«409
Das Glanzstück der Abhandlung über Bienen jedoch war seine Illustration der Fortpflanzungsorgane der Königin. Indem er zahllose Tiere sezierte und eng mit Künstlern und Kupferstechern zusammenarbeitete, entstand eine eindrucksvolle Illustration der Sexualorgane und des Herzens der Königin.410 Ganz von selbst fällt der Blick in die Mitte der oberen Hälfte, wo sich die beiden Ovarien ausbreiten, als handle es sich um ein Paar kleiner Flügel. Wie üppige Federn flankieren und umhüllen die vergrößerten Eierstöcke – so, wie sie durch das Mikroskop gesehen werden – die verkleinerte Abbildung derselben darüber. Das Bild sei, erklärte Swammerdam, eine Kombination »der Teile, die zwei verschiedenen weiblichen Bienen entnommen worden waren.« Teil a, so Swammerdam, stamme von einer »voll ausgewachsenen, befruchteten Biene«. Teil c war einer anderen Biene entnommen worden, die »nicht so perfekt und noch nicht befruchtet war.« Und aufgrund dieser Beobachtungen erklärte Swammerdam den König zur Frau. Lang lebe die Königin!
Abb. IV. 1. Jan Swammerdams Illustrationen der Ovarien und der Fortpflanzungsorgane der Bienen aus seiner Biblia Naturae. 1737/38. (Wellcome Library, London.)
So einflussreich seine Beobachtungen durch das Mikroskop auch waren, auf makroskopischem Niveau blieben die Bienen widerspenstig. Fünf Jahre lang hielt er Bienen und folgte aufmerksam ihrem Verhalten und ihren Interaktionen. Doch ungeachtet all seiner Mühen gelang es ihm nicht herauszufinden, wie sich die Tiere fortpflanzten. »Ich glaube nicht«, erklärte er, dass »die männlichen Bienen tatsächlich mit den weiblichen Bienen kopulieren.«411 Stattdessen wagte er von einem feinen Samendunst – einer aura seminalis – zu sprechen, der aus der Drohne ströme und in die Königin sickere. Und so kam es, dass Swammerdam – der Mann, der die Königin Kraft ihrer Ovarien für unbestreitbar weiblich erklärt hatte und die Drohnen aufgrund ihrer Testikel und Samengänge für männlich – entschied, ihre Vereinigung geschähe durch nichts als Samendunst, der sich durch den Äther bewegt. Doch so merkwürdig uns das auch erscheinen mag, lässt sich seine Wirrnis doch durch die Tatsache entschuldigen, dass noch niemand Zeuge des Befruchtungsaktes zwischen Königin und Drohne geworden war. Der Bienenstock, so schien es, war eine sexfreie Zone.
Im Jahr 1792, über ein halbes Jahrhundert nachdem in Swammerdams Buch der Natur das Geschlecht der Bienen dank der Sicherheit mikroskopischer Beobachtungen festgestellt worden war, befasste sich ein weiteres Buch über Bienen mit deren Fruchtbarkeit: Neue Beobachtungen über die Bienen von François Huber. An den Beginn seines Buchs stellte Huber folgende Erklärung: »Indem ich meine Beobachtungen an den Bienen der Öffentlichkeit übergebe, darf ich es nicht verhehlen, dass ich dieselben nicht mit eigenen Augen angestellt habe.« Hubers Beobachtungen werden als die besten ihrer Zeit betrachtet. Darüber hinaus wurde er als Erfinder des Bücherstocks bekannt, mit dem Bienen dazu gebracht wurden, einzelne Wabenreihen auf schmalen Rahmen zu errichten, die wie Buchseiten geöffnet oder geschlossen werden konnten. Der Bienenstock war so gut für Beobachtungen geeignet, dass Huber meinte: »Es gab nicht eine Zelle …, in der wir nicht überprüfen konnten, was gerade geschah.«412 Doch was bedeutet sein einleitendes Geständnis, der Erfinder dieses Bienenstocks, der alle Geschehnisse offen vor den Augen darlegte, hätte die Beobachtungen nicht mit »seinen Augen« gemacht?
In ganz jungen Jahren zeigte François Huber enormes Interesse an Natur und Wissenschaft. Hubers Vater, John, war ein kultivierter Mann, der malte, Skulpturen schuf, musizierte und Poesie verfasste. Es heißt, Voltaire hätte seine Begleitung genossen und ihn »für die Originalität seiner Konversation« geschätzt. Huber machte seinen Sohn François mit den Künsten und der Wissenschaft vertraut und hoffte, dass dieser seine beachtlichen intellektuellen Talente umsetzen würde. Doch im Alter von fünfzehn Jahren begann seine Gesundheit schwächer zu werden und seine Sehkraft wurde immer schlechter. Kurze Zeit danach erblindete er vollständig.
Als Erwachsener engagierte Huber einen Mann namens Francis Burnens, der ihn bei seinen Studien unterstützen und ihm helfen sollte, die Zeit mit produktiven Reflexionen zu verbringen. Obwohl er aus bescheidenen Verhältnissen stammte, war Burnens klug und er konnte lesen und schreiben. Dank dieser Attribute wurde er zu den Augen seines Arbeitgebers und erhielt Zugang zur Welt der Wissenschaft. Huber erinnerte sich, dass sein neuer Assistent »eine auffällige Teilnahme an allem, was er mir vorlas, an den Tag legte. Aus seinen Bemerkungen über das Gelesene und aus den Schlüssen, die er daraus zog, erkannte ich gar bald, dass er dasselbe ebenso gut wie ich selbst verstand und von der Natur mit den Anlagen eines Beobachters ausgestattet war.« Er nahm den Mann unter seine Fittiche und begann ihn als seinen Assistenten auszubilden. Als er Burnens aufforderte, physikalische Experimente durchzuführen, machte er seine Sache mit »Gewandtheit und Einsicht« so gut, dass Huber erkannte, dass er den Richtigen gefunden hatte: »Unter seinen verschiedenartigen Beschäftigungen wuchs seine Neigung zu den Wissenschaften bald zu einer wahren Leidenschaft heran, und ich trug nicht länger Bedenken, ihm mein volles Vertrauen zu schenken, da ich vollkommen überzeugt war, dass ich richtig sehen werde, wenn ich durch seine Augen sehe.«
Bald studierten die beiden Männer gemeinsam Beobachtungen anderer und wandten sich René de Réaumur zu, einem renommierten Beobachter des ausgehenden 18. Jahrhunderts: »In diesem Werke begegnete ich einem so vortrefflichen Versuchsgange, so sinnreich angestellten Beobachtungen und einer so bündigen Logik, dass ich den Entschluss fasste, diesem ausgezeichneten Schriftsteller ein besonderes Studium zu widmen, um mich und meinen Vorleser in der schweren Kunst der Naturforschung nach seiner Schule zu bilden.« Wie niemand sonst bildeten Huber und Burnens eine intellektuelle Einheit, eine vollkommene Symbiose der Gedanken, des Sehens und der Hände. Seite an Seite arbeiteten die beiden Männer – einer las, der andere fragte, notierte und leitete. Fehlten ihnen Worte, tauschten sie kleine Tonfiguren aus, um über Berührungen Informationen darüber auszutauschen, was Burnens mit seinen Augen beobachtet hatte.
Zufällig hatte Réaumur, ihr Führer, ausführlich über Insekten geschrieben. Und indem sie seinem Beispiel folgten, wandten Huber und Burnens ihre Aufmerksamkeit bald dem Geheimnis der Fortpflanzung der Bienen zu. Während Swammerdams Korrektur des richtigen Geschlechts der Bienen bereits weithin akzeptiert wurde, als die beiden Männer ihre Studien aufnahmen, hatte seine Theorie der aura seminalis bei Weitem weniger Zugkraft bewiesen. Das Rätsel war ungelöst: Wie wurde die Königin befruchtet?
Laut Huber hatte ein britischer Naturbeobachter namens de Braw von der kleinen Pfütze einer weißlichen Flüssigkeit am Boden der Brutzellen berichtet. Und er hatte außerdem beobachtet, dass die Männchen ihre Abdomen in diese Zellen tauchten, woraus er schloss, dass die Tiere die Eier mit »Tropfen der männlichen Samenfeuchtigkeit« benetzen. Zur Unterstützung seiner Theorie bot de Braw auch experimentelle Beweise. Zweimal hatte er eine Königin und Arbeitsbienen in ein Beobachtungsgefäß eingeschlossen. Beim ersten Mal hatte er auch einige Drohnen hinzugefügt. De Braw konnte berichten, dass nur bei dem Versuch mit den Drohnen fruchtbare Eier entstanden waren. Im anderen Fall legte die Königin entweder überhaupt keine Eier oder nur solche, die unfruchtbar blieben. Daher, so schloss er, werden Bieneneier wie jene von Fischen und Fröschen extern befruchtet.
Über de Braws Arbeit räumte Huber ein, dass die Versuche, auf der sie beruhte, »umsichtig angestellt« worden waren. Und doch blieben Zweifel über die externe Befruchtung im Stock bestehen, obwohl »die Erklärung viel für sich« hatte. Als Huber und Burnens die Zellen aufschnitten, in denen sich die samenhaltige Flüssigkeit scheinbar befand, waren sie trocken. Es war Licht gewesen, das die Zellen feucht hatte erscheinen lassen. Und ein Grund, de Braw zu widersprechen, war auch, dass Larven auch dann noch schlüpften, wenn die Drohnen längst verschwunden waren. Jedes Jahr nach der Drohnenschlacht war der Stock etwa zwischen September und April frei von männlichen Tieren. Während dieser Zeit fuhr die Königin damit fort, Eier zu legen, aus denen Bienen schlüpften. Somit war klar, dass es der Königin möglich war, befruchtete Eier zu legen, ohne dass diese ständig durch »fruchtbare männliche Flüssigkeit« besprengt werden müssen.
Ausgehend von diesen einander widersprechenden Entdeckungen, gestalteten Huber und Burnens ihren eigenen Versuch, um die Rolle der Drohnen bei der Befruchtung zu erkunden. Anders als de Braw stellten sie fest, dass es durchaus möglich war, eine Königin mit ihren Arbeiterinnen zu isolieren und dennoch befruchtete Eier zu erhalten. Gleichzeitig fanden sie heraus, dass die Königin auch in der Gegenwart von Drohnen unfruchtbar blieb, wenn sie den Stock nicht verlassen konnte. So schien den beiden, dass die Fruchtbarkeit eher mit dem Ausfliegen im Zusammenhang stand, als mit der An- oder Abwesenheit von Drohnen im Stock. Huber schloss also, dass »die Königinnen im Inneren ihrer Wohnungen nicht befruchtet werden können, und dass sie notwendig dieselben verlassen müssen, um die Gunstbezeugungen der Drohnen entgegennehmen zu können.« Was nun noch vollbracht werden musste, war die Beobachtung sich paarender Bienen im Freien.
Und so kam es, dass die beiden Männer an einem heißen Junitag 1788 in Hubers weitläufigem Garten in der Schweiz standen. Sie hatten einige Männchen aus mehreren Stöcken abfliegen sehen. Der Augenblick war vielversprechend, denn diese Flüge der Männchen fanden meistens zur wärmsten Tageszeit statt, und seit dem Morgen war die Temperatur beständig gestiegen. Jetzt tauchte die Königin am Eingang auf. Sie war erst vor fünf Tagen geschlüpft und die Männer waren sicher, dass sie unberührt war, da Burnens sie während dieser fünf Tage genau beobachtet hatte. »Wir sahen, wie sie einige Augenblicke lang auf dem Flugbrette sich erging, sich den Hinterleib mit ihren Hinterfüßen strich, und wie Bienen und Drohnen, welche aus dem Stocke kamen, sich nicht um sie kümmerten und sie gar nicht zu beachten schienen. Endlich flog die junge Königin ab.« Die Männer folgten ihr und stellten sich in die Mitte des Kreises, den sie mit ihrer Flugbahn beschrieb. Burnens blinzelte in den Himmel und versuchte, ihr zu folgen. Die Männer redeten aufgeregt, dann verlor Burnens sie aus seinem Blick. Er reichte Huber seinen Arm und führte den Blinden zurück zu dem Stock, aus dem die Königin aufgetaucht war.
Nach wenigen Augenblicken kehrte die Königin zurück und Burnens fing sie am Eingang ab. Sie sah nicht anders aus als vorhin bei ihrem Abflug. Die Männer ließen sie wieder frei und sie flog wieder davon. Diesmal verschwand sie für längere Zeit als beim vorhergehenden Flug (27 Minuten, wie sie mit einem Blick auf die Uhr feststellten). Bei ihrer Rückkehr wurde sie neuerlich von Burnens eingefangen. Jetzt hatte sich ihr Körper verändert: »Diesmal fanden wir sie in einem ganz andern Zustande; der hintere Teil ihres Körpers war mit einem weißen, verdickten und erhärteten Stoffe überzogen, die inneren Ränder der Scham waren damit bedeckt, die Scham selbst stand halb offen, so dass wir deutlich sehen konnten, wie auch die Begattungstasche mit demselben Stoffe angefüllt war.«
Zwei Tage nachdem Huber und Burnens beobachtet hatten, wie die Königin von ihrem Flug zurückkehrte, öffneten sie den Stock und sahen, dass das Abdomen der Königin gebläht war und sie außerdem bereits fast hundert Eier in die Zellen von Arbeitsbienen gelegt hatte. Daraus schlossen die beiden, dass es sich bei dem »weißen Stoffe«, mit dem der hintere Teil ihres Körpers nach dem Hochzeitsflug überzogen gewesen war, um Spermaflüssigkeit gehandelt haben musste, denn: »Er glich genau der Flüssigkeit, mit welcher die Samenbläschen der Drohnen angefüllt sind.« Bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass das, was wie erstarrtes Sperma aussah, de facto ein Teil des männlichen Fortpflanzungsorgans war, das während der Kopulation von seinem Körper gerissen wurde. Sich mit der Königin zu paaren, ist ein letaler Akt.
Der veränderte Zustand der Königin und die Tatsache, dass sie offensichtlich bereits kurz nach dem Flug fruchtbar ist, ließen Huber und Burnens annehmen, dass sich Königin und Drohne in der Luft getroffen hatten und er seinen Samen während des Flugs in der Königin deponiert hatte. Doch immer noch hofften sie auf einen exakteren Beweis. Huber schloss den Bericht über ihre Forschung: »Wir zweifeln nicht, dass wir uns im nächsten Frühling auch die letzte Ergänzung dieses Beweises verschaffen werden, indem wir dann eine Königin im Augenblicke der Begattung zu erhaschen hoffen.« Doch trotz all ihrer Bemühungen erwies sich diese »letzte Ergänzung« als nicht realisierbar.
Ungeachtet der Schwierigkeiten mit dem Hochzeitsflug ging François Huber als höchst gefeierter Bienenforscher in die Geschichte ein. Auch von Frisch würdigte Huber als jemanden, der »durch die Augen seines Studenten die schönsten Entdeckungen« gemacht hat und erzählte, dass er froh war, sich auf »diesen verlässlichen Beobachter« stützen zu können.413 Die Geschichte von Huber und Burnens ist wahrscheinlich einzigartig in der Wissenschaftshistorie. Doch ihre Entdeckungen ergeben noch in anderer Hinsicht einen merkwürdigen Sinn: Vielleicht war ein blinder Mann eher fähig, ein Ereignis zu erfassen, das sich außerhalb der visuellen Reichweite des Wissenschaftlers zuträgt. Wissenschaft ist oft volatil, wenn optische Beweise fehlen – sehen heißt glauben. Doch dieser Mann war daran gewöhnt, sich etwas vorzustellen und etwas zu glauben, das sich jenseits des Sehbereiches befindet.
Auch für Karl von Frisch waren Erkenntnisse oft eng an Sehen und Sichtbarkeit gebunden. Seit seiner frühen Kindheit musste er aufgrund seiner Kurzsichtigkeit Brillen tragen, weshalb er sich über die Bedeutsamkeit des Sehvermögens völlig im Klaren war. Die Erinnerungen an seine frühe Kindheit schlossen oft Momente der stillen Nachdenklichkeit und des genauen Studiums der Natur ein. Es war diese sorgfältige Beobachtung der Tiere in ihren natürlichen Habitaten, die sich als Eckpfeiler der europäischen Ethologie erwiesen.414 In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nicht überraschend, dass sich einige der frühen Werke von Frischs auf den Sehsinn und die Wahrnehmung bei Fischen und Bienen bezogen. Von ihrer Farb- bis hin zur Raumwahrnehmung: Für von Frischs Untersuchungen war der Sehsinn fundamental, und die Forschungsarbeit seines Onkels über die Facettenaugen bei wirbellosen Tieren erwies sich als Maßstab für sein Arbeitsgebiet. Darüber hinaus erlebte von Frisch Durchbrüche oft aufgrund von Innovationen im Bereich optischer Techniken. Das einfache System, Bienen mit farbigen Punkten zu nummerieren, revolutionierte das, was man im Stock und außerhalb des Stockes sehen konnte: Er und seine Studenten konnten dadurch den Spuren der Bienen folgen und genau beobachten, was die Tiere wo taten. Im Endeffekt war es diese optische Technik, die es ihnen ermöglichte, die Masse im Stock in eine Ansammlung individueller Tiere zu verwandeln – ein zentraler Zug der Physiologie, jene Wissenschaft, in der von Frisch ausgebildet worden war. Zuverlässig konnten von Frisch und seine Mitarbeiter über Jahrzehnte verfolgen, welche Tiere tanzten, welche zusahen und welche sich während der Versuche und der Futterkonditionierungen zeigten. Sein Student Gustav Rösch übernahm diese Technik, konnte daher Generationen von Bienen beobachten und so feststellen, dass der jeweilige Arbeitsbereich mit der Altersstufe der Bienen zu tun hatte und nicht mit einer bei der Geburt getroffenen Zuteilung, wie Bienenforscher bisher gedacht hatten. Im Zuge anderer Experimente hängten von Frisch und seine Helfer weiße Tücher entlang der angenommenen Flugbahn der Bienen auf, um so ihren Bewegungen in der Luft folgen zu können. Auf diese Weise konnte er feststellen, dass nicht eine Biene die andere zum Futterplatz führt, was wiederum die Möglichkeit eröffnete, dass ihre Tänze dazu dienten, Stockgenossinnen zu rekrutieren.
Ein Pionier war von Frisch auch auf den Gebieten des wissenschaftlichen Films und der Fotografie. Seine Beiträge und Arbeiten wiesen oft Farbfotografien auf, sodass ganze Werke nur Schwarz-Weiß-Bilder zeigten – ausgenommen die Farbspritzer in den Beiträgen von Frischs. In seinen Filmen aus den 1920er- und 1930er-Jahren hatten die Konditionierungsszenen die verborgene Funktion, das Publikum darauf zu trainieren, in einem schwarz-weißen Stummfilm unsichtbare Reize wie Töne, Gerüche und Farben zu erkennen.
Und gegen Ende seiner Karriere bewies er einmal mehr, dass er sich an vorderster Forschungsfront befand, indem er aus Polarisationsfolien aus den USA künstliche Bienenaugen konstruierte, um zu demonstrieren, wie Bienen die Muster polarisierten Lichts am Himmel wahrnehmen. Auch diese Arbeit ermöglichte ihm einen weiteren Blick in die enorm komplexe Sinneswelt der Insekten.
Ungeachtet all dieser Innovationen warnte von Frisch jedoch auch davor, sich zu sehr auf Instrumente zu verlassen, um die Welt der Natur zu verstehen: »Wenn die Naturforschung allzu scharfe Gläser aufsetzt, um einfache Dinge zu ergründen«, mahnte er, »dann kann es passieren, dass sie vor lauter Apparaten die Natur nicht mehr sieht.«415 Mit dieser Warnung bedachte er, dass optische Instrumente uns dem Unbekannten nicht nur näherbringen, sondern, dass sie auch eine Distanz zwischen Beobachter und beobachtetem Objekt schaffen. Instrumente, die einen Blick auf etwas vermitteln, stehen im Verdacht, mit Störsignalen genau jenen Anblick zu trüben, den sie eigentlich verbessern sollten. Auf einer anderen Ebene birgt diese Aussage jedoch auch die Warnung davor, die Welt gar zu sehr in die unserer Denkungsart eigene, unvermeidlich konzeptionelle Betrachtungsweise zu pressen: Er hatte in einer seiner frühesten Abhandlungen über Bienenkommunikation einen entscheidenden Fehler in der Beobachtung und der Beurteilung gemacht, als er annahm, die Schwänzeltänze würden die Lage von Pollenplätzen vermitteln. In seinem Bedauern über diesen Fehler verwies von Frisch auf die visuelle Vorstellungskraft – auf ihr Vermögen zu leiten und in die Irre zu führen.
Mitte der 1990er-Jahre veröffentlichten Michael Gries und Nikolaus Koeniger, zwei deutsche Bienenforscher, einen Beitrag in der Zeitschrift für vergleichende Physiologie. Die Forscher beschrieben darin, wie sie den Kadaver einer Bienenkönigin auf einer zwei Meter hohen Stange fixierten. Sie beschmierten den Kadaver mit einem Milligramm einer synthetisch hergestellten Substanz, die unter dem Namen 9-Oxo-trans-2-decensäure (ein Ersatz für die natürlichen Lockpheromone der Königin) bekannt ist, und fixierten die Stange horizontal an einen Mast, der sich zehn Meter über dem Boden befand. Mit einem Elektromotor setzten sie das Ganze so in Bewegung, dass sich der Körper der Bienenkönigin 2,5 Meter pro Sekunde weiterbewegte. Mit zwei Panasonic CCD Videokameras filmten sie den Kadaver auf seiner Umlaufbahn von insgesamt 12,5 Metern. Die Blickachsen der Forscher lagen im rechten Winkel zum Körper der Königin, während die Kameras die Drohnen aufnahmen, die sich ihr näherten. Grüne Filter an den Kameras stellten sicher, dass die Drohnen vom Hintergrund zu unterscheiden waren. Mittels einer speziell entwickelten Software führten die beiden danach Einzelbildanalysen der Aufnahmen durch, um die Position der Drohnen in Relation zum Körper der Königin zu berechnen. »Die Daten der Koordinaten des Kopfes und des Leibes jeder Drohne wurden gespeichert.« Auf diese Weise fanden die Forscher heraus, dass »die Drohnen die Königinnen-Dummys zwar aus verschiedenen Richtungen ansteuerten und ihre Position schnell wechselten, dabei ihre Körperachse aber meistens direkt auf die Königin ausrichten.«416 Aus diesen Erkenntnissen schlossen sie, dass »die Paarung während des freien Flugs einen hohen Grad an Präzision hinsichtlich der Orientierung und des Manövrierens erfordert.« Zwar fand man heraus, dass Drohnen von den Pheromonen der Königinnen auf eine Distanz von mehr als 400 Metern angezogen werden, optisch wahrnehmbar waren sie aber erst, wenn sie sich in der Nähe der Königin befanden. Und diese Drohnen – meilenweit von ihren »gefräßigen, dicken und faulen und dummen« Ahnen entfernt – beherrschten den Himmel mit maschinenähnlicher Präzision. Die Charakterisierung evoziert Bilder ihrer Namensvettern, die im Krieg und im Handel gleichermaßen zum Einsatz kommen.417
Was die biologische Biene betrifft, so ist immer noch vieles unbekannt. Beispielsweise war es bis heute nicht möglich, dem Flug einer Königin zu folgen und zu erkunden, wohin sie fliegt und was sie dort macht. Stattdessen haben sich Forscher dafür entschieden, den Königinnenkörper nah am Boden zu halten und die Drohnen, die sich rund um diesen bewegen, zu beobachten. Trotz aller ausgeklügelten technologischen Werkzeuge und trotz aller gebündelten Bemühungen gibt es irritierend widerspenstige visuelle Grenzen. Und so fliegen die Bienen nach wie vor weit jenseits unseres vollkommenen optischen Zugriffs.